Titel:
Sicherheitsrechtliche Anordnung zur Beseitigung von Baugeräten und -materialien von öffentlicher Straße
Normenketten:
StVO § 32 Abs. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 27
BayLStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Art. 9 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
Leitsätze:
1. Die Lagerung eines Krans, von Containern und Baumaterialien auf öffentlicher Straße dürfte eine Ordnungswidrigkeit iSv § 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO iVm § 32 Abs. 1 StVO darstellen, sodass eine Beseitigungsanordnung wohl grundsätzlich auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BayLStVG gestützt werden kann. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der gesetzgeberischen Wertung des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO kommt (gerade auch) bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens Gewicht zu; im Zweifel ist die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine sofortige Vollziehung kommt umso weniger in Betracht, je mehr der Betroffene durch die Vollziehung belastet wird und je größer die Gefahr ist, dass Tatsachen geschaffen werden, die später nicht, nur zum Teil oder nur schwer rückgängig gemacht werden können. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus einer Zwangsgeldandrohung muss erkennbar sein, welcher Pflicht genau nachgekommen werden soll ("Pflichtenschärfe"). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, offene Erfolgsaussichten in der Hauptsache, sicherheitsrechtliche Anordnung, Beseitigung eines Baukrans, Ermessensausübung, Störerauswahl, Interessenabwägung, Beseitigung, Baukran, Ermessen, sofortige Vollziehung, aufschiebende Wirkung, Bestimmtheit, Zwangsgeldandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 16383
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 15. Mai 2024 (Aktenzeichen ...) wird wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine sicherheitsrechtliche Anordnung zur Beseitigung eines Baukrans sowie von Containern und Baumaterialien von einer öffentlichen Straße.
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Der Antragsteller und seine Lebensgefährtin führen derzeit an einem Gebäude in der ...straße 4 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin eine Baumaßnahme durch. Hierfür befinden sich auf öffentlicher Straße auf Höhe der Hausnummer 4 ein Baukran sowie Container und Baumaterialien. Auf entsprechenden Antrag des Antragstellers vom 6. April 2023 erließ die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller am 5. Juni 2023 eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung gemäß §§ 44, 45 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Aufgrund dieser Anordnung wurde die Straße für den Verkehr insgesamt gesperrt und eine entsprechende Umleitung ausgeschildert. Zwischenzeitlich wurde die Anordnung zwei Mal verlängert, zuletzt bis zum 28. März 2024.
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Mit E-Mail vom 22. März 2024 wandte sich der Antragsteller an die Antragsgegnerin und bat um erneute Verlängerung der Straßensperrung bis Ende Mai 2024, da sich die Fertigstellung des Bauvorhabens verzögere. Hierauf wurde dem Antragsteller seitens der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass eine Verlängerung der Anordnung nicht mehr erfolgen werde.
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Mit Bescheid vom 25. April 2024 verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller auf der Grundlage von §§ 44, 45 StVO zur Beseitigung des Krans, der Container und der Baumaterialien und drohte für den Fall der Nichterfüllung Zwangsgelder an. Hiergegen ließ der Antragsteller über seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben (Au 3 K 24.1000) sowie einen Eilantrag stellen (Au 3 S 24.1002). Auf gerichtlichen Hinweis hin, dass der Bescheid wohl auf eine falsche Rechtsgrundlage gestützt worden sei und vor diesem Hintergrund Zweifel an der Ermessensausübung bestünden, hob die Antragsgegnerin diesen Bescheid am 15. Mai 2024 auf, woraufhin die Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt und mit Beschluss des Gerichts vom 31. Mai 2024 eingestellt wurden.
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Ebenfalls am 15. Mai 2024 erließ die Antragsgegnerin einen neuen Bescheid. Unter Ziffer 1 wurde dem Antragsteller aufgegeben, den Baukran, die Container und alle gelagerten Baumaterialien (Hindernisse) vollständig von der ...straße (öffentliche Straße) in ... wegzuräumen bzw. wegräumen zu lassen. Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 wurde angeordnet (Ziffer 2). In Ziffer 3 des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 3.500,00 EUR bei Nichtbeseitigung des Baukrans, der Container und aller Baumaterialien (Hindernisse auf öffentlicher Straße) bis spätestens 24. Mai 2024 angedroht. Schließlich enthält der Bescheid eine Kostenentscheidung und -festsetzung (Ziffern 4 und 5).
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die genannten Gegenstände seit 29. März 2024 trotz fehlender verkehrsrechtlicher Anordnung und damit widerrechtlich auf der ...straße stünden. Eine Nutzung der öffentlichen Straße sei damit schon seit einem längeren Zeitraum nicht mehr möglich. Gemäß Art. 6, 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG könne die Antragsgegnerin als Sicherheitsbehörde Anordnung treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, zu unterbinden. Hier liege eine Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO vor, da der Antragsteller die Gegenstände vorsätzlich auf einer öffentlichen Straße lagere und damit verkehrswidrige Zustände nach § 32 StVO verursache. Nach § 32 StVO sei es verboten, Gegenstände auf Straßen zu bringen oder dort liegen zu lassen, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werde. Die sofortige Vollziehung werde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse angeordnet. Die seit dem 29. März 2024 vorliegende Ordnungswidrigkeit könne nicht mehr länger hingenommen werden, zumal der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit E-Mail vom 19. April 2024 mitgeteilt habe, dass der Baukran lediglich noch bis Ende April 2024 benötigt werde. Die Androhung des Zwangsgeldes beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Die Beseitigungsanordnung sei auch verhältnismäßig, da die Gegenstände bereits seit knapp zwei Monaten ohne Genehmigung und damit widerrechtlich aufgestellt seien und ein Befahren der öffentlichen Straße nicht mehr möglich sei.
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Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
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Hiergegen erhob der Antragsteller am 16. Mai 2024 zunächst ohne anwaltliche Vertretung Klage (Au 8 K 24.1182) und beantragte einstweiligen Rechtsschutz (Au 8 S 24.1183). Sowohl die Klage als auch den Eilantrag nahm er mit Schreiben vom 29. Mai 2024 wieder zurück, woraufhin die beiden Verfahren mit gerichtlichem Beschluss vom 4. Juni 2024 eingestellt wurden.
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Am 27. Mai 2024 ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist (Au 8 K 24.1263). Gleichzeitig beantragt er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes:
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Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 15. Mai 2024, Aktenzeichen, wird bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt und die aufschiebende Wirkung der Klage hergestellt.
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Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht rechtens erfolgt, da die Voraussetzungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht erfüllt seien. Die Antragsgegnerin habe zur Begründung angeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung angeblich im öffentlichen Interesse erfolgen würde, ohne jedoch näher darzulegen, welche konkreten Gründe die sofortige Vollziehbarkeit bedingen würden. Eine Abwägung der gegenseitigen Interessen habe nicht stattgefunden. Es liege ein Ermessensnichtgebrauch vor. Es werde lediglich phrasenhaft ausgeführt, dass die Benutzung der öffentlichen Straße durch den aufgestellten Baukran sowie die Container und gelagerten Baumaterialien nicht mehr möglich sei. Wenn eine Benutzung nicht möglich sei, könne aber auch keine Gefährdung vorliegen. Der Bescheid enthalte keine Auseinandersetzung mit den erheblichen Nachteilen, die mit der grundlosen Untersagung der über den 28. März 2024 hinausgehenden Nutzung der öffentlichen Flächen einhergehen. Die Beseitigung des Baukrans würde unweigerlich zu einer Einstellung der baurechtlich genehmigten Arbeiten am Bauvorhaben führen und massive Mehrkosten aufgrund von Bauverzögerungen verursachen, die in keinem Verhältnis zum nicht dargelegten Interesse der Antragsgegnerin an einem Abbau des Baukranes stehen. Wie unter anderem die vorgelegte Fotodokumentation zeige, sei der Baukran und die Baumaßnahme selbstverständlich ordnungsgemäß abgesichert. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, geschweige denn von Fußgängern und Radfahrern oder gar Kraftfahrzeugen, sei zu keiner Zeit gegeben. Anderenfalls hätte die Antragsgegnerin von vornherein die beantragte Aufstellung des Baukrans nicht genehmigen dürfen. Der Bevollmächtigte sei aufgrund eines Missverständnisses davon ausgegangen, dass der Baukran lediglich noch bis Ende April 2024 benötigt werde, tatsächlich müsse der Baukran noch längere Zeit vorgehalten werden, da sich die Fertigstellung der Baumaßnahme um einige Wochen verzögere.
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Auf die Antragsbegründung wird im Einzelnen verwiesen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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dem Antrag nicht stattzugeben.
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Zur Begründung wird insbesondere Folgendes angeführt: Die Antragsgegnerin habe den Antragsteller soweit wie möglich bei dem Bauvorhaben unterstützt. Die Baumaßnahme sei jedoch seit der ersten verkehrsrechtlichen Anordnung nicht mehr ersichtlich vorangeschritten. Ein Abschluss der Maßnahme erscheine auch im aktuellen Kalenderjahr als sehr unwahrscheinlich. Der Antragsteller habe zugesagt, dass er im Fall von Plusgraden bei jeder Witterung weiterbauen werde. Diese Zusage seitens des Antragstellers sei Grundlage für die letzte Verlängerung der verkehrsrechtlichen Anordnung gewesen. Geschehen sei jedoch nichts. Dafür habe die Antragsgegnerin kein Verständnis. Außerdem sei auf dem Grundstück der Hausnummer 4 selbst ausreichend Platz für den Kran. Der Kran benötige circa 13 m² Stellfläche. Auf dem Grundstück sei mehr als das Dreifache an Platz vorhanden. Auf den beigefügten Lageplan mit Skizze werde verwiesen. Die Bauherren müssten den Kran nun somit auf ihr eigenes Grundstück stellen. Die Antragsgegnerin sehe keine Veranlassung, die verkehrsrechtliche Anordnung zur Vollsperrung der öffentlichen Straße ein weiteres Mal zu verlängern.
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Auf die Antragserwiderung wird im Einzelnen verwiesen.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 29. Mai 2024 wurde die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass sich der streitgegenständliche Bescheid wegen fehlender Ermessensausübung hinsichtlich der Störerauswahl (Art. 9 LStVG) als rechtswidrig erweisen könnte. Es wurde angeregt, den Bescheid aufzuheben. Daraufhin teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29. Mai 2024 mit, dass für die Antragsgegnerin als Störer nicht mehrere Personen in Betracht gekommen seien, sondern allein der Antragsteller. Die verkehrsrechtlichen Anordnungen seien auf Antrag des Antragstellers hin ergangen. Empfänger der Anordnungen sei ebenfalls allein der Antragsteller gewesen. Wer Eigentümer des Grundstückes sei, entziehe sich der Kenntnis der Antragsgegnerin. Ebenso sei der Antragsgegnerin nicht bekannt, wer Vertragspartner des Kranunternehmens sei. Seit April 2023 sei in dieser Angelegenheit der Antragsteller alleiniger Ansprechpartner für die Antragsgegnerin gewesen. An dem streitgegenständlichen Bescheid werde vor diesem Hintergrund festgehalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (auch in den Verfahren Au 8 K 24.1263 sowie Au 8 K 24.1182 und Au 8 S 24.1183 bzw. Au 3 K 24.1000 und Au 3 S 24.1002) und der von der Antragsgegnerin vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig (geworden). Insbesondere steht ihm nicht (mehr) das Verbot der doppelten Rechtshängigkeit (§§ 90, 173 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG) entgegen, da der Antragsteller seinen am 16. Mai 2024 bei Gericht ohne anwaltliche Vertretung gestellten Klage- und Eilantrag mit Schreiben vom 29. Mai 2024 zurückgenommen hat, woraufhin diese Verfahren mit Beschluss des Gerichts vom 4. Juni 2024 (Au 8 K 24.1182 und Au 8 S 24.1183) eingestellt wurden.
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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a) In Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse des Antragstellers an einer Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, welche dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse der Antragsgegnerin. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern lediglich tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers einerseits und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin andererseits – nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 65 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 136 ff.).
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b) Vorliegend sind die Erfolgsaussichten der Klage nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sowie bei Ausschöpfung der im Eilverfahren verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten der Kammer als offen anzusehen. Insbesondere kann zum gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht abschließend beurteilt werden, ob der streitgegenständliche Bescheid aufgrund fehlender Ausführungen zur Störerauswahl (Art. 9 LStVG) an einem Ermessensfehler leidet.
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Gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 3 LStVG können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden (Nr. 1), um durch solche Handlungen verursachte Zustände zu beseitigen (Nr. 2) bzw. um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen (Nr. 3).
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Da die Lagerung des Krans, der Container und der Baumaterialien auf öffentlicher Straße eine Ordnungswidrigkeit i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO i.V.m. § 32 Abs. 1 StVO darstellen dürfte, konnte die vorliegende Anordnung in Ziffer 1 des Bescheids wohl grundsätzlich auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 LStVG gestützt werden (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 21.9.2022 – 11 ZB 22.881 – juris Rn. 16 ff.; B.v.14.7.2010 – 8 ZB 10.475 – juris Rn. 5).
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In Art. 9 LStVG sind die Grundsätze der Störerauswahl geregelt. Als Bescheidsadressaten in Frage kommen in erster Linie Handlungs- oder Zustandsstörer (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 LStVG). Kommen mehrere Störer in Betracht, hat die Sicherheitsbehörde in jedem Fall eine Auswahlentscheidung nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffen, selbst wenn die Sachlage die Inanspruchnahme nur einer dieser grundsätzlich in Frage kommenden Personen als Störer rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.1291 – juris Rn. 10). Vorliegend spricht nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage einiges dafür, dass neben dem Antragsteller grundsätzlich auch dessen Lebensgefährtin als Störerin in Betracht kommt. Im streitgegenständlichen Bescheid finden sich zur Frage der Störerauswahl allerdings keinerlei Ausführungen. Die Antragsgegnerin hat keinerlei Erwägungen dahingehend anstellt, welcher der potentiellen Störer die Gefahr am schnellsten und sichersten abwehren oder beseitigen kann, sodass es gerade an einer solchen Auswahlentscheidung fehlt und somit einiges dafürspricht, dass hier ein Ermessensausfall vorliegt.
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Etwas Anderes könnte nur dann gelten, wenn die Antragsgegnerin – wie sie mit Schreiben vom 29. Mai 2024 geltend macht – zu Recht davon ausgehen durfte, dass nur der Antragsteller als Störer in Frage kommt, sodass sich die Frage nach der Auswahl eines Störers überhaupt nicht stellt. Die Antragsgegnerin trägt hierzu vor, dass für sie in der gesamten Angelegenheit allein der Antragsteller Ansprechpartner gewesen sei. Insbesondere seien die verkehrsrechtlichen Anordnungen jeweils von ihm beantragt worden und ihm gegenüber ergangen. Sinngemäß beruft sich die Antragsgegnerin mit dieser Argumentation wohl auf eine Ermessensreduktion auf Null hinsichtlich der Inanspruchnahme des Antragstellers.
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In diesem Zusammenhang wird im Hauptsacheverfahren detaillierter zu klären sein, inwiefern die Antragsgegnerin hier nähere Ermittlungen hinsichtlich der Störereigenschaft anstellen hätte müssen bzw. ob der Antragsteller mit seinem Verhalten und Auftreten der Antragsgegnerin gegenüber Anlass für die Auffassung gegeben hat, dass er alleiniger Störer ist. Insbesondere wird zu klären sein, wer als Bauherr auftrat, wie sich die Eigentumsverhältnisse am Grundstück und den Baumaterialien darstellen bzw. wer die Aufstellung des Kranes in Auftrag gegeben hat, wobei es hier in erster Linie auch darauf ankommen wird, ob der Antragsgegnerin diese Umstände bekannt waren bzw. bekannt sein hätten müssen.
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Im Ergebnis sind demnach die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Anordnung, insbesondere in Bezug auf eine ausreichende Ermessensausübung bei der Störerauswahl, und mithin die Erfolgsaussichten der erhobenen Anfechtungsklage in der Hauptsache als offen anzusehen.
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c) Die aufgrund der offenen Erfolgsaussichten gebotene Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dies nach den obigen Ausführungen auch gelten würde, wenn man die Erfolgsaussichten der Klage wegen fehlender Ermessensausübung als überwiegend wahrscheinlich einschätzen würde.
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Insoweit ist zunächst die gesetzliche Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Hinblick auf das Regel-/Ausnahmeverhältnis von aufschiebender Wirkung und sofortiger Vollziehbarkeit zu berücksichtigen (vgl. hierzu etwa BVerwG, B.v. 29.10.2020 – 7 VR 7/20 – juris Rn. 13 ff.). Der gesetzgeberischen Wertung kommt (gerade auch) bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens Gewicht zu; im Zweifel ist die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
32
Ferner ist zu berücksichtigen, dass eine sofortige Vollziehung umso weniger in Betracht kommt, je mehr der Betroffene durch die Vollziehung belastet wird und je größer die Gefahr ist, dass Tatsachen geschaffen werden, die später nicht, nur zum Teil oder nur schwer rückgängig gemacht werden können (vgl. hierzu Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 80 VwGO Rn. 162). Zwar wären die im Falle einer sofortigen Vollziehung der Anordnungen geschaffenen Tatsachen – die Beseitigung des Krans und der übrigen Gegenstände – zwar insoweit wieder rückgängig zu machen, dass der Kran selbstverständlich erneut aufgestellt werden könnte. Der Abbau und Wiederaufbau wäre allerdings durchaus mit einem nicht unerheblichen (finanziellen) Aufwand verbunden. Hinzu kommen die weiteren Verzögerungen für das Bauvorhaben. Demgegenüber wurden weder etwaige besonders schwerwiegende Vollzugsinteressen von der Antragsgegnerin vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass der Verbleib des Krans auf öffentlicher Straße den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt und somit ohne Zweifel seit Ablauf der Geltungsdauer der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung zum 28. März 2024 ein Verstoß gegen die Rechtsordnung vorliegt. Eine besondere Gefährdung für bedeutende Rechtsgüter (wie beispielsweise das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum) ist jedoch nicht erkennbar. Es ist nicht erkennbar, dass der Kran nicht ordnungsgemäß gesichert wäre. Auch ist nach summarischer Prüfung nicht von einer besonders intensiven Störung des Straßenverkehrs auszugehen, da es sich bei der ...straße nicht um eine Hauptverkehrsroute handeln dürfte und den Nachbarn und Anwohnern über die anliegenden Straßenzüge zumutbare Ausweichrouten zur Verfügung stehen.
33
Insgesamt fällt die gebotene Interessenabwägung nach alldem zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 15. Mai 2024 war demnach wiederherzustellen.
34
d) Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass bezüglich des angedrohten Zwangsgeldes (Ziffer 3 des Bescheids) erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, da sich die Androhung voraussichtlich als zu unbestimmt erweisen wird. Denn dem Bescheid kann nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, für welche Unterlassung das Zwangsgeld droht (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.8.1995 – 5 S 71/95 – NVwZ-RR 1996, 612 ff.). Mit der gewählten Formulierung „die in Nummer 1 festgelegten Pflichten“ wird bereits nicht erkennbar, ob die Androhung sich auf Verstöße gegen jede einzelne Verpflichtung bezieht oder lediglich auf Verstöße gegen alle Verpflichtungen zugleich. Damit dürfte es jedenfalls an der für eine Zwangsgeldandrohung vorausgesetzten Pflichtenschärfe fehlen (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.8.1995, a.a.O.).
35
Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidungserheblich an, da sich der Eilantrag nach seinem ausdrücklichen Wortlaut lediglich auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids bezieht. Nicht erfasst ist damit insbesondere die unter Ziffer 3 enthaltene Zwangsgeldandrohung, die kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (Art. 21a VwZVG). Der Wortlaut des Eilantrags des anwaltlich vertretenen Antragstellers ist insoweit eindeutig, sodass dem Gericht eine darüberhinausgehende Auslegung des Antragsbegehrens verwehrt ist (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO), zumal der Antragsteller in der Hauptsache ohne eine solche Beschränkung auf bestimmte Ziffern den streitgegenständlichen Bescheid insgesamt angreift, sodass die durch den anwaltlich vertretenen Antragsteller vorgenommene ausdrückliche Beschränkung des Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO dahingehend zu beachten ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Der Streitwert war nach §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG zu bestimmen. Das Gericht orientiert sich dabei an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (dort Nrn. 1.5, 35.1).