Titel:
Erfolglose Klage gegen die Verpflichtung zur Vorlage eines Masernschutzes für ein schulpflichtiges Kind
Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 1
IfSG § 20 Abs. 9, Abs. 12, Abs. 13, § 73 Abs. 1a Nr. 7d, Abs. 2
VwZVG Art. 36
Leitsätze:
1. Die Regelungen über den Auf- und Nachweis eines ausreichenden Masernschutzes erweisen sich gegenüber Schulkindern als verfassungsgemäß. (Rn. 22 – 39)
2. Die Vorlage eines nicht den Mindestanforderungen entsprechenden Nachweises ist einer Nichtvorlage gleichzustellen mit der Folge, dass ein weiterer/erneuter Nachweis gefordert werden kann. (Rn. 47)
3. Die Auf- und Nachweisvorlage kann regelmäßig zumindest mit einer ersten Zwangsgeldandrohung verbunden bzw. vollstreckt werden, so dass auch ein Erfordernis der Anordnung der Auf- und Nachweisvorlage mittels Verwaltungsakt besteht. (Rn. 56 – 57)
Schlagworte:
Verfassungsmäßigkeit der Auf- und Nachweispflicht eines ausreichenden, Masernschutzes bei Schulkindern, Mindestanforderungen an den Nachweis eines ausreichenden Masernschutzes, Anordnung einer ärztlichen Untersuchung, Vollstreckung der Auf- und Nachweispflicht mittels Zwangsgeld, Masern, Impfung, Masernschutz, Auf- und Nachweis, Schulkind, Mindestanforderungen an den Nachweis, Zwangsgeld, Androhung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 05.12.2024 – 20 BV 24.1343
Fundstelle:
BeckRS 2024, 16170
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 22.08.2023, durch den sie verpflichtet werden, einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz für ihren schulpflichtigen Sohn … vorzulegen.
2
Die Kläger sind die sorgeberechtigten Eltern der Kinder …, geb. … und …, geb. … … besuchte zunächst den … Kindergarten … in … und ist seit September 2021 Schüler in der Grundschule in … Mit E-Mail vom 08.07.2020 wandte sich die Klägerin zu 1 an das Landratsamt … mit der Bitte, die vom Arzt Dr. …, …, ausgestellten Impfunfähigkeitsbescheinigungen vom 02.07.2020 für ihre beiden Kinder als Nachweis zur Vorlage für den Kindergarten zu bestätigen. Hierzu legte die Klägerin zu 1 dem Landratsamt … am 13.07.2020 die Bescheinigungen sowie am 02.02.2021 Patienteninfos der Kassenärztlichen Vereinigung …, Bezirksdirektion …, über die Kostenabrechnung mit dem Arzt Dr. … vor. Aus letzteren ergibt sich, dass für … die Diagnose „D80.9: Immundefekt mit vorherrschendem Antikörpermangel, nicht näher bezeichnet. Sicher: G“ gestellt wurde.
3
Mit Schreiben vom 05.04.2021 wurde durch den Klägerbevollmächtigten der „Antrag auf Anerkennung der Bescheinigungen“ zurückgenommen. Es sei nicht erforderlich bzw. es fehle an einer entsprechenden Rechtsgrundlage, das Gesundheitsamt in die Anerkennung etwaiger Gesundheitszeugnisse miteinzubeziehen. Eine Impfunfähigkeitsbescheinigung sei vorgelegt worden, womit der Nachweispflicht nachgekommen worden sei.
4
Mit Schreiben vom 07.05.2021 wies das Landratsamt … auf Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigungen hin. Hierfür spreche insbesondere, dass für beide Kinder zwei im Wesentlichen gleichlautende Atteste ausgestellt worden seien und bei zumindest einer der Diagnosen die Ausstellung nicht nachvollziehbar sei. Darüber hinaus sei über den Arzt Dr. … aus den Medien bekannt, dass er Impfunfähigkeitsbescheinigungen in großer Zahl ausstelle. Überdies sei die Praxis von Dr. … etwa 200 Kilometer vom Wohnsitz der Kläger entfernt. Die Kläger wurden in dem Schreiben letztlich aufgefordert, einen Nachweis eines anderen Arztes bis zum Ablauf der nach damaliger Rechtslage maßgeblichen Frist zum 31.12.2021 vorzulegen.
5
Am 09.07.2021 legte der Kläger zu 2 beim Landratsamt … zwei inhaltlich identische Bescheinigungen vom Arzt Dr. …, …, vom 21.04.2021 vor, die beiden Kindern – ohne nähere medizinische Begründung – bescheinigt, sie seien „ab sofort und zeitlich unbegrenzt für jede Art von Impfstoff“ von einer Impfpflicht freizustellen.
6
Mit Schreiben vom 11.01.2023 äußerte das Landratsamt … Zweifel an den Bescheinigungen, da es sich jeweils um einen pauschal formulierten Vordruck handle und bekannt sei, dass der Arzt Dr. … eine Vielzahl derartiger Bescheinigungen ausstelle. Die Kläger wurden aufgefordert, bis zum 15.03.2023 Atteste eines anderen Arztes vorzulegen, die Angaben über den Zeitraum und nähere Angaben über den Grund der Impfunfähigkeit enthalten.
7
Mit Schreiben vom 14.03.2023 legte der Bevollmächtigte der Kläger einen Immunitätsnachweis der Ärztin …, …, vom 25.08.2022 für … vor, woraufhin das Landratsamt … mit Schreiben vom 22.03.2023 Zweifel an der Richtigkeit des Nachweises für … äußerte und für … abermals einen tauglichen Nachweis bis spätestens 14.04.2023 forderte.
8
Nachdem die Kläger in der Folge keine weiteren Nachweise vorlegten, forderte das Landratsamt … mit Schreiben vom 25.05.2023 die Kläger nochmals zur Vorlage bis spätestens 30.06.2023 auf. Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.07.2023 wiesen die Kläger die Bedenken gegen die Nachweise zurück. Daraufhin kündigte das Landratsamt … mit Schreiben vom 21.07.2023 den Erlass eines kostenpflichtigen Bescheides an, durch den die Kläger verpflichtet werden sollen, einen Nachweis für ihr Kind … vorzulegen. Den Klägern wurde die Möglichkeit eingeräumt, sich hierzu bis zum 11.08.2023 zu äußern; hiervon haben diese keinen Gebrauch gemacht.
9
Mit Bescheid vom 22.08.2023, zugestellt gegen Empfangsbekenntnis am 01.09.2023, wurden die Kläger verpflichtet, für … bis spätestens 30.11.2023 dem Landratsamt … einen in Ziffer 2 des Bescheides näher bezeichneten Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz (Impfdokumentation, Attest über Immunität oder Attest über medizinische Kontraindikation) vorzulegen.
10
Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG verwiesen, wonach Personen, die in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 1 – 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt auf Anforderung einen Nachweis gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorlegen müssten. Die bislang vorgelegten Bescheinigungen von Dr. … und Dr. … würden nicht anerkannt, da sie keine medizinischen Angaben enthielten, die eine Überprüfung der Bescheinigungen ermöglichten. Überdies sei die Praxis von Dr. … offensichtlich Anlaufpunkt für viele Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen möchten. Die Anordnung sei auch nicht unzumutbar, da Masern eine gefährliche Infektionskrankheit sei. Im Übrigen wird auf den Bescheid verwiesen.
11
Mit Schriftsatz vom 27.09.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, haben die Kläger durch ihren Bevollmächtigten Klage erhoben. Dieser beantragt mit Schriftsatz vom 06.11.2023:
12
Der Bescheid des Beklagten vom 22.08.2023 wird aufgehoben.
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Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen ausgeführt, es sei schon zweifelhaft, ob die Rechtsgrundlage verfassungsgemäß sei. Aus der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG ergäben sich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gerade in Bezug auf Schulkinder, weshalb die Ruhendstellung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des BVerfG zur „Schulkinderproblematik“ beantragt werde. Überdies sei es ermessensfehlerhaft, einen kostenpflichten Bescheid zu erlassen, der ohnehin nicht vollstreckbar sei. Vielmehr sei eine einfache Fristsetzung ausreichend. Ferner seien, obwohl die Atteste nicht den Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung genügten, zumindest die Unterlagen der Kassenärztlichen Vereinigung ausreichend, um eine Impfunfähigkeit zu begründen. Des Weiteren sei der Bescheid verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, da die Behörde zunächst eine ärztliche Untersuchung anordnen oder die erforderlichen Auskünfte und Nachweise über die Echtheit oder inhaltliche Richtigkeit der Atteste hätte einfordern müssen. Schließlich habe bei der Vorlage der ärztlichen Zeugnisse am 09.07.2021 die Sachbearbeiterin des Beklagten dem Kläger zu 2 mitgeteilt, es gebe eine Liste von Ärzten, deren Atteste generell abgelehnt würden. Dies verletze das Prinzip der freien Arztwahl und impliziere einen Ermessensausfall.
14
Mit Schriftsatz vom 05.12.2023 beantragt das Landratsamt … für den Beklagten,
15
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die vorgelegten Atteste enthielten keine Angaben, die eine Überprüfung auf Plausibilität ermöglichten. Die Unterlagen der Kassenärztlichen Vereinigung seien kein ärztliches Attest, zumal unklar sei, um welchen Antikörpermangel es sich handle. Eine offensichtliche Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage sei nicht ersichtlich. Vielmehr sei die Auffassung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in Bezug auf Kitakinder auf Schulkinder übertragbar. Der Erlass eines förmlichen Bescheides sei aus Gründen der Rechtsklarheit notwendig gewesen. Sogar Vollstreckungsmaßnahmen seien möglich, solange diese nicht zu einem faktischen Impfzwang führten. Hierauf komme es jedoch nicht an, da die Kläger den Nachweis über das Vorliegen einer Kontraindikation führen wollten. Ferner vertieft das Landratsamt seine Bedenken hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit des Attests von Dr. … Eine Liste mit Namen von Ärzten, deren Atteste in jedem Fall abgelehnt würden, existiere nicht, allerdings werde bei formularmäßig ohne Begründung ausgestellten Attesten von Dr. … regelmäßig ein Attest von einem anderen Arzt gefordert. Mit einem Ruhen des Verfahrens bestehe kein Einverständnis.
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Mit Schriftsatz vom 21.02.2024 haben die Kläger hierauf repliziert und ihren Vortrag ergänzt. Die vom Beklagten angestellten Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit seien oberflächlich und rein spekulativ. Das Verfahren sei daher auszusetzen, bis das BVerfG über die gegen die gesetzlichen Regelungen gerichteten anhängigen Verfassungsbeschwerden entschieden habe. Eine Vollstreckung des Bescheides ohne Begründung einer faktischen Impfpflicht sei nicht denkbar; die eingeforderte Handlung sei unmöglich. Die Bedenken hinsichtlich der Atteste von Dr. … seien nicht nachvollziehbar und rechtfertigten nicht die generelle Ablehnung von Attesten. Schließlich ergebe sich aus einem aktuellen Beschluss des VG Düsseldorf, dass auch ein inhaltlich zweifelhafter Nachweis als vorgelegt gelte und daher eine erneute Anordnung der Vorlage nicht in Betracht komme.
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Mit Schriftsätzen vom 08.03.2024 bzw. 18.03.2024 erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung über die Klage durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
18
Gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO wird wegen der Einzelheiten auf die Gerichtssowie Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 1 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, bleibt ohne Erfolg.
20
Sie ist zwar zulässig, insbesondere als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da es sich bei der Anordnung zur Vorlage eines Nachweises im Sinne des § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG aus systematischen Gründen (vgl. § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG) um einen selbstständig angreifbaren Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handelt (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 7.5.2024 – 20 CS 24.428 – juris Rn. 3), der sich trotz der Fristsetzung unter Ziffer 1 des Bescheids („bis spätestens 30. November 2023“) nicht i.S.d. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt hat. Der Bescheid vom 20.08.2023 ist vielmehr so zu verstehen, dass die Anordnung der Nachweisvorlage über den festgesetzten Termin hinaus Geltung beansprucht, zumal vorliegend – mangels Androhung eines Zwangsmittels – die Frist auch keine Erfüllungsfrist i.S.d. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwVZG, die sich mit Zeitablauf erledigt, darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2023 – 1 CS 23.1396 – juris Rn. 8; OVG Münster, B.v. 16.2.2017 – 18 A 1176/13 – juris Rn. 16; OVG Koblenz, U.v. 12.5.2021 – 8 A 10264/21 – juris Rn. 49; BayVGH, B.v. 2.5.2014 – 20 ZB 13.1972 – juris Rn. 6.).
21
Die Klage ist jedoch unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 22.08.2023 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22
1. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Vorlagepflicht ist § 20 Abs. 13 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG. Demnach haben Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen (§ 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG). Soweit – wie hier – die verpflichtete Person minderjährig ist, hat derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Dabei hat der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG nicht nur eine Vertretung des Kindes durch den Personensorgeberechtigten, sondern eine Übertragung der Verpflichtung auf den Sorgeberechtigten statuiert (BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 25 CE 21.2383 – juris Rn. 8).
23
a) Entgegen dem klägerischen Vorbringen hat das Gericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vorstehenden Regelungen, sodass weder eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht, noch eine Aussetzung des Verfahrens analog § 94 VwGO geboten sind.
24
Das BVerfG hat mit Beschluss vom 21.07.2022 (1 BvR 469/20 u.a. – juris) mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen Bestimmungen richteten, die durch das am 01.03.2020 in Kraft getretene Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) vom 10.02.2020 in das IfSG eingefügt wurden. Zwar waren die Beschwerdeführer dieser Verfahren nicht-schulpflichtige Kinder sowie deren Eltern (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 34 ff.). Folglich richteten sich die Verfassungsbeschwerden nur insoweit gegen die Regelungen des § 20 IfSG, als sie Kinder betreffen, die in einer Kindertageseinrichtung oder in einer nach § 43 Abs. 1 SGB VIII erlaubnispflichtigen Kindestagespflege betreut werden (vgl. § 33 Nr. 1 und 2 IfSG) und die daher gemäß § 20 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1, Abs. 9 Satz 1 IfSG eine Impfung gegen Masern auf- und nachweisen müssen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 49 u. 65) Von den Verfassungsbeschwerden nicht erfasst waren insbesondere von der Auf- und Nachweispflicht betroffene Schüler (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 49). Gleichwohl ist auch in der hier vorliegenden Konstellation die Verfassungsmäßigkeit zu bejahen (so beispielsweise auch BayObLG, B.v. 28.3.2024 – 201 ObOWi 141/04 – juris Rn. 8 ff.; VG Regensburg, B.v. 20.12.2023 – RN 5 S 23.2196 – juris Rn. 29; VG München, B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 45 ff. m.w.N.).
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aa) Dabei geht das Gericht zunächst mit dem BVerfG davon aus, dass die Regelungen über den Auf- und Nachweis eines Masernschutzes sowie diejenigen über die Rechtsfolgen bei Ausbleiben des Nachweises in das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ihrer Kinder eingreifen und deren Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG beschränken (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 65 ff., 132 ff.).
26
bb) Diese Eingriffe sind jedoch gerechtfertigt. Insbesondere ist von der Verhältnismäßigkeit der Regelungen auszugehen. Die umfangreichen Ausführungen des BVerfG sind in weiten Teilen auf die hiesige Konstellation übertragbar (vgl. im einstweiligen Rechtsschutz: VG München, B.v. 2.1.2024 – M 26b S 23.5250 – juris Rn. 30 f.; VG Bayreuth, B.v. 14.11.2022 – 7 S 22.1038 – juris Rn. 42).
27
(1) Der Gesetzgeber verfolgt durch die hier in Rede stehenden Regelungen mit dem Schutz vulnerabler Personen vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 105 ff.). Die Annahme des Gesetzgebers, es handele sich bei Masern um eine der ansteckendsten Infektionskrankheiten beim Menschen, die in einer nicht geringen Zahl von Fällen zu schweren Komplikationen führt, beruht auf zuverlässigen Grundlagen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn.108 ff.).
28
(2) Die Regelungen sind auch geeignet, vulnerable Personen vor einer Masernerkrankung und damit ggf. einhergehenden schweren Krankheitsverläufen zu schützen. Sie können sowohl dazu beitragen, die Impfquote in der Gesamtbevölkerung zu erhöhen als auch dazu, die Impfquote in Gemeinschaftseinrichtungen zu steigern, in denen vulnerable Personen betreut werden oder zumindest regelmäßig Kontakt zu den Einrichtungen und den dort betreuten und tätigen Personen haben (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn.114 f.).
29
(3) Die Pflichten, bei Betreuung in bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen einen Masernschutz auf- und nachzuweisen, sind sowohl zum Schutz der Einzelnen als auch zum Schutz der Bevölkerung vor Masern im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich. Unter Berücksichtigung eines dem Gesetzgeber hier zukommenden Einschätzungsspielraums ist nicht erkennbar, dass andere, in der Wirksamkeit eindeutig gleichen, aber die betroffenen Grundrechte von Kindern und Eltern weniger stark einschränkenden Mittel zur Verfügung standen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn.116 ff.).
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(4) Auch die Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) ist zu bejahen.
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(a) In seiner Entscheidung in Bezug auf nicht-schulpflichtige Kinder geht das BVerfG davon aus, dass die Vorschriften über die Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung sowie das bei Ausbleiben des Nachweises geltende Betreuungsverbot sich auch als angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne erweisen. Trotz des nicht unerheblichen Gewichts der mittelbaren Eingriffe in das Grundrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und in das der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG würden diese jeweils nicht unzumutbar im Hinblick auf den Schutz von Leben und Gesundheit durch eine Masernerkrankung gefährdeter Personen belastet (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn.129 ff.). Im Rahmen der Abwägung sei zu berücksichtigen, dass in den Gemeinschaftseinrichtungen zur Kinderbetreuung nach den statistisch belegten Impfquoten in den dort betreuten Altersgruppen keine zum Gemeinschaftsschutz ausreichenden Quoten bestehen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn.148). Für die Angemessenheit streiten nach Auffassung des BVerfG insbesondere die hohe Übertragungsfähigkeit und Ansteckungsgefahr sowie das nicht zu vernachlässigende Risiko, als Spätfolge der Masern eine für gewöhnlich tödlich verlaufende Krankheit (die subakute sklerosierende Panenzephalitis, SSPE) zu erleiden. Demgegenüber träten bei einer Impfung nur milde Symptome und Nebenwirkungen auf; ein echter Impfschaden sei extrem unwahrscheinlich. Die Gefahr für Ungeimpfte, an Masern zu erkranken, sei deutlich höher als das Risiko, einer auch nur vergleichsweise harmlosen Nebenwirkung der Impfung ausgesetzt zu sein (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn.149). Weiter führt das BVerfG aus, es sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Prognose die Gefahren in der Weise bewertet, dass das geringe Restrisiko einer Impfung im Vergleich zu einer Wildinfektion mit Masern bei gleichzeitiger Beachtung der – auch den betroffenen Kindern zugutekommenden – Impfvorteile zurücksteht. Im Ergebnis führe die Masernimpfung daher zu einer erheblich verbesserten gesundheitlichen Sicherheit des Kindes. Dem Individualschutz durch die Impfung zugunsten der Kinder komme auch in der Abwägung der Interessen der durch eine Maserninfektion zumindest in ihrer Gesundheit gefährdeten Personen einerseits mit dem Elternrecht andererseits Bedeutung zu. Da auch das die Gesundheitssorge betreffende Recht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kindeswohlorientiert auszuüben und die Vornahme empfohlener Impfungen der Gesundheit des Kindes dienlich sei, komme dem Eingriff in das Elternrecht insoweit kein besonders hohes Gewicht zu (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn.150).
32
(b) Diese überzeugenden Ausführungen sind – auch wenn sie unmittelbar nur auf nicht-schulpflichtige Kinder bezogen sind – auf die hiesige Konstellation übertragbar. Insbesondere lassen die vom BVerfG herangezogenen Statistiken erkennen, dass auch bei schulpflichtigen Kindern die Impfquote unterhalb des für erforderlich gehaltenen Wertes von 95% liegt. So betrug die Quote bei den Schuleingangsuntersuchungen nur 93,1% (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 30). Auch erscheint es naheliegend, dass die Infektionsrisiken aufgrund des engen Kontakts zwischen den Kindern in Schulen, insbesondere in Grundschulen, nicht wesentlich geringer sein dürften als in Kindertagesstätten und vergleichbaren Einrichtungen.
33
(c) Für die Angemessenheit spricht gerade im Kontext des Schulbesuchs von schulpflichtigen Kindern ferner, dass die Rechtsfolgen einer Nichterfüllung der Nachweispflicht weitaus milder ausgestaltet sind als in den vom BVerfG behandelten Fallkonstellationen (vgl. hierzu schon VG Bayreuth, B.v. 14.11.2022 – 7 S 22.1038 – juris Rn. 42). So kann im Regelfall zwar gemäß § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen werden, wenn kein Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge geleistet wird. Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG kann Personen, die einer gesetzlichen Schulpflicht unterliegen, jedoch nicht untersagt werden, die dem Betrieb einer Einrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG dienenden Räume (Schule) zu betreten. Somit hat der Gesetzgeber gerade für den Fall der Schulpflicht die schwerwiegende Rechtsfolge einer Untersagung des Schulbesuchs, die mit Blick auf die Entwicklung des Kindes erhebliche Folgen hätte, ausgeschlossen. Hierdurch wird auch der vom Gesetzgeber intendierte Druck auf die Eltern, die Gesundheitssorge für ihre Kinder in einer bestimmten Weise auszuüben (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 81), in erheblicher Weise abgeschwächt.
34
(d) Schließlich streitet für die Angemessenheit der Regelungen auch, dass für eine Durchsetzung der Nachweispflicht mit Verwaltungszwang – ein solcher wurde im vorliegenden Fall nicht einmal angedroht – hohe Anforderungen zu stellen sind. Zwar geht der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/13452, S. 30) davon aus, dass die Vorlagepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt eine durch Verwaltungsvollstreckungsrecht – und insbesondere mit Zwangsgeld – durchsetzbare Pflicht darstellt (vgl. hierzu: OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies ist jedoch restriktiv zu verstehen. Denn Verwaltungszwang in Form von Zwangsgeldern darf bei schulpflichtigen Kindern nicht zu einer faktischen Impfpflicht führen (BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 5).
35
Mit Beschlüssen vom 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 u. 20 CE 23.1935 – juris (zweites Zwangsgeld), vom 22.01.2024 – 20 CS 23.2238 – juris (Angemessenheit der Erfüllungsfrist) und vom 07.05.2024 – 20 CS 24.428 – juris (erstes Zwangsgeld) hat der BayVGH inzwischen die Anforderungen an die Durchsetzung der Auf- und Nachweispflicht im Wege des Verwaltungszwangs konkretisiert.
36
Um keine (unzulässige) faktische Impfpflicht zu statuieren, scheidet in der Regel bei schulpflichtigen Kindern die Androhung eines zweiten Zwangsgeldes bei Nichterfüllung der Vorlagepflicht aus. Der BayVGH führt im Beschluss vom 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 u. 20 CE 23.1935 – juris Rn. 35 hinsichtlich einer zweiten (isolierten) Zwangsgeldandrohung insoweit aus:
„Damit hat die Antragsgegnerin die Entscheidungssystematik des § 20 Abs. 12 IfSG nicht beachtet. Spätestens mit Eingang des Schreibens des Antragstellers zu 1. vom 20. Juni 2023 – laut Eingangsstempel des Gesundheitsamts am 22. Juni 2023 – war ihr bekannt, dass die bis dahin unterbliebene Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG auf der Ablehnung einer Impfung der Antragstellerin zu 2. gegen Masern – und nicht etwa auf Nachlässigkeit oder Versehen – beruht. Ungeachtet dessen hat die Antragsgegnerin die Antragsteller weder nach § 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 1 IfSG zu einer Beratung geladen noch nach § 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 2 IfSG zu einer Vervollständigung des Impfschutzes aufgefordert. Bereits dies macht die Androhung eines weiteren Zwangsgelds ermessensfehlerhaft. Darüber hinaus hat sie aber auch nicht beachtet, dass die Antragstellerin zu 2. ausweislich der schulischen Meldung vom 25. August 2022 im Jahr 2015 eingeschult wurde und damit jedenfalls bei Bescheiderlass noch der gesetzlichen Vollzeitschulpflicht unterlag (Art. 37 Abs. 3 BayEUG); auch aus diesem Grund kam die Androhung eines weiteren Zwangsgelds nicht in Betracht, denn der von § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG vorgesehene Ausschluss eines Betretungsverbots für Schulräumlichkeiten im Hinblick auf die schulpflichtige Antragstellerin zu 2. darf nicht im Wege einer Durchsetzung der Nachweisvorlageverpflichtung konterkariert werden. Es steht nicht im Ermessen der Gesundheitsämter, die generalisierende Entscheidung des Gesetzgebers, der Erfüllung der Schulpflicht im Einzelfall ein größeres Gewicht zuzumessen als einer Durchsetzung der Impf- oder Immunitätsvorgabe des § 20 Abs. 8 IfSG, zu korrigieren.“
37
In Bezugnahme auf den Beschluss vom 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 u. 20 CE 23.1935 hebt der BayVGH im Beschluss vom 07.05.2024 – 20 CS 24.428 – juris Rn. 6 ff. nunmehr ausdrücklich hervor und stellt wie folgt klar, dass die erstmalige Androhung eines Zwangsgelds zur Durchsetzung der Auf- und Nachweispflicht einer Masernimmunität bei Schulpflichtigen regelmäßig nicht zu einer unzulässigen Impfpflicht führt:
„Insoweit hat der Senat die Androhung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung der Nachweispflicht grundsätzlich für zulässig erachtet, weil auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2022 davon ausging, dass der Gesetzgeber unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums annehmen durfte, ohne entsprechenden Druck auf die Willensbildung der Eltern die erforderliche Impfquote nicht gleichermaßen erreichen zu können (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 123). Gleichzeitig betonte aber das Bundesverfassungsgericht auch, dass das Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch dadurch abgemildert ist, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufheben und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belassen. Sie ordnen keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an (vgl. auch § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG). Vielmehr verbleibt den für die Ausübung der Gesundheitssorge zuständigen Eltern im Ergebnis ein relevanter Freiheitsraum (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 145).
Bei dem Erlass von Zwangsmitteln hat die Behörde jedoch ihr Ermessen auszuüben und diese vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Spannungslage zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht und dem Allgemeingut des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung zu berücksichtigen und im Einzelfall unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu bewerten. In diesem Zusammenhang dürfte die erstmalige Androhung eines Zwangsgeldes regelmäßig zu keiner unzulässigen Impfpflicht führen, wenn die Behörde diese Vorgaben im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung hinreichend berücksichtigt.“
38
Legt man dies zugrunde, so wird hierdurch das Gewicht des Eingriffs durch die Anordnung der Nachweisvorlage abermals erheblich abgeschwächt. Denn letztlich beschränken sich die Verpflichtungen der Betroffenen darauf, einen Nachweis vorzulegen. Besitzen sie einen solchen Nachweis nicht, ist es der Behörde grundsätzlich verwehrt, sie durch – jedenfalls wiederholte – Zwangsmaßnahmen dazu anzuhalten, sich einen Nachweis zu beschaffen, der in der Mehrzahl der Fälle nur durch eine Impfdokumentation zu führen sein wird. Die Betroffenen haben daher durch die Anordnung der Vorlagepflicht nur „geringfügige“ Nachteile in Kauf zu nehmen, die insbesondere in den Kosten der Verwaltungsverfahren (vgl. hierzu ausführlich: VG Regensburg, B.v. 20.12.2023 – RN 5 S 23.2196 – juris Rn. 38 ff.) und eines – i.d.R. (nur) ersten und einzigen – Zwangsgeldes liegen können.*Wie bereits unter Bezugnahme auf den BayVGH ausgeführt, führt die erstmalige Androhung eines Zwangsgeldes gerade nicht zu einer (unzulässigen) faktischen Impfpflicht, da ohne entsprechenden Druck auf die Willensbildung der säumigen Eltern die erforderliche Impfquote nicht gleichermaßen erreicht werden kann (vgl. auch BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 123). Die Anordnung der Auf- und Nachweispflicht – auch in Kombination mit einer erstmaligen Zwangsgeldandrohung – erscheint daher regelmäßig auch gegenüber „Impfverweigerern“ nicht unangemessen, da die behördlichen Maßnahmen grundsätzlich geeignet sind, die Nachweispflichtigen zum Überdenken ihrer Einstellung anzuhalten. Auch der Kostenrahmen (vgl. Art. 1, 2, 6 Abs. 1 Satz 2 KG) für die Gebühren der behördlichen Anordnung stellt keine unangemessene Belastung für die Adressaten dar, da es sich regelmäßig schon kraft Gesetzes um „überschaubare“ Beträge handelt. Bei entsprechender Anwendung von Tarif-Nr. 2.II.1/1 KVz – wie im vorliegenden Fall geschehen – bewegen sich die Gebühren beispielsweise innerhalb eines Rahmens von 15 bis 600 EUR. Weitere Nachteile – abgesehen von ggf. etwaigen Bußgeldverfahren (vgl. § 73 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1a Nr. 7d IfSG und BayObLG, B.v. 28.3.2024 – 201 ObOWi 141/04 – juris Rn. 18 ff.), die jedoch eine andere „Stoßrichtung“ als verwaltungsrechtliche Grund- und Zwangsmittelverfügungen haben – drohen Nachweispflichtigen bei Nichterfüllung der Nachweispflicht bei Schulpflichtigen nicht. Demgegenüber müssen Eltern nicht-schulpflichtiger Kinder den gravierenden Nachteil in Kauf nehmen, dass sie eine andere Form der Kinderbetreuung (z.B. in der nicht erlaubnispflichtigen Tagespflege) finden müssen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 470/20 – juris Rn. 145). Wenn selbst letzteres nach der Rechtsprechung des BVerfG angemessen ist, muss dies erst recht für die hiesige Konstellation schulpflichtiger Kinder gelten.
39
b) Nach alldem hat das Gericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Normen. Die pauschalen Einwendungen der Kläger, die sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Normen nicht vertieft befassen und auch den tatsächlichen Annahmen und rechtlichen Wertungen in den genannten Beschlüssen des BVerfG nicht substantiiert entgegentreten, vermögen hieran nichts zu ändern. Eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ist daher nicht angezeigt. Auch eine grundsätzlich im Ermessen des Gerichts stehende Aussetzung des Verfahrens analog § 94 VwGO ist vor diesem Hintergrund nicht veranlasst. Im Übrigen hat sich die Klägerseite mit Schriftsatz vom 18.03.2024 mit einer zeitnahen Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt, so dass die ursprünglichen verfahrensrechtlichen Anträge (Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, Beweiserhebung, Aussetzung bzw. Ruhen des Verfahrens – insoweit fehlt es zudem am Einverständnis des Beklagten) obsolet geworden sind. Daran ändert auch der bloße Hinweis der Klägerseite mit Schriftsatz vom 28.06.2024, dass andere Verwaltungsgerichte in Bayern das Verfahren gegen etwaige Vorlagebescheide der Gesundheitsämter unter Verweis auf die anhängigen Verfassungsbeschwerden aussetzen würden, nichts. Dieser neuerliche Hinweis (vgl. insoweit schon die Ausführungen im Schriftsatz vom 21.02.2024) des Bevollmächtigten der Kläger kann insbesondere – unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der erklärte Verzicht auf mündliche Verhandlung überhaupt widerrufen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2024 – 9 ZB 23.502 – juris Rn. 13; BVerwG, B.v. 4.6.2024 – 5 B 11/14 – juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 1.3.2006 – 7 B 90/05 – juris Rn. 13) – nicht als Widerruf der Zustimmung zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung interpretiert werden.
40
2. Der Bescheid vom 22.08.2023 ist auch im Übrigen rechtmäßig.
41
a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG*sind vorliegend erfüllt.
42
aa) Der minderjährige Sohn … der sorgeberechtigten Kläger besucht eine Grundschule in … und wird daher in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG (Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen) im Zuständigkeitsbereich des Landratsamts … betreut.
43
bb) Einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Nachweis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG über eine bei ihrem Sohn im Hinblick auf die Masernschutzimpfung bestehende medizinischen Kontraindikation haben die Kläger bisher nicht vorgelegt.
44
(1) Die Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses über eine Kontraindikation ergeben sich aus der Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften, insbesondere aus der Regelungssystematik und dem Sinn und Zweck von § 20 IfSG. Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG kann das Gesundheitsamt bei Zweifeln an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises unter anderem eine ärztliche Untersuchung im Hinblick auf die medizinische Kontraindikation anordnen. Der Nachweis muss daher wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen. Nicht ausreichend ist ein ärztliches Zeugnis, dass lediglich den Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG wiederholt und sich insoweit auf die bloße Behauptung beschränkt, dass eine medizinische Kontraindikation vorliege. Hierfür sprechen neben dem Zweck der Regelung, eine ausreichend hohe Impfquote zu erreichen und dafür u.a. dem Gesundheitsamt eine Grundlage für das weitere Vorgehen (z.B. in einem Beratungsgespräch nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG) zu geben, auch systematische Erwägungen, denn das IfSG unterscheidet auch an anderer Stelle zwischen der schlichten Bescheinigung und dem Nachweis durch ein ärztliches Zeugnis (vgl. etwa § 43 Abs. 1 Satz 2 IfSG). Die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt diese Annahme (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 14 f.; SächsOVG, B.v. 5.5.2021 – 3 B 411/20 – juris Rn. 21 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 7 mit umfassender Begründung; VG München, B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 54; VG Regensburg, B.v. 19.7.2023 – RN 5 S 23.1198 – juris Rn. 25 f.; VG Ansbach, B.v. 28.5.2021 – AN 18 S 21.932 – juris Rn. 20 f.; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 55a; Kießling/Gebhard, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 50; differenzierend BeckOK InfSchR/Aligbe, 19. Ed. 1.1.2024, IfSG § 20 Rn. 222a).
45
Diesen Mindestanforderungen werden die beiden von den Klägern vorgelegten Bescheinigungen – wie sie im Schriftsatz vom 06.11.2023 selbst einräumen – nicht gerecht. Weder in der Bescheinigung von Dr. …, noch im „Ärztlichen Zeugnis“ von Dr. … wird eine medizinische Kontraindikation näher konkretisiert. Vielmehr wird jeweils nur pauschal auf einem offensichtlich vorgefertigten Formular eine Freistellung von jeglicher Impfung ausgesprochen. Dies kann den oben genannten Anforderungen nicht ansatzweise genügen. Bescheinigungen mit identischen Formulierungen wie in der „Bescheinigung“ von Dr. … waren im Übrigen schon mehrfach Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Verfahren und wurden – soweit ersichtlich – durchweg für unzureichend erachtet (ThürOVG, B.v. 20.10.2021 – 3 EO 805/20 – juris Rn. 16 ff.; VG Regensburg, B.v. 19.7.2023 – RN 5 S 23.1198 – juris Rn. 30 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 15.11.2023 – 29 L 2480/23 – juris Rn. 39 ff.; VG Berlin, B.v. 18.12.2023 – 14 L 99.23 – juris Rn. 32 ff.).
46
Unbeachtlich ist, dass sich aus den Patienteninfos der Kassenärztlichen Vereinigung … über die Kostenabrechnung mit dem Arzt Dr. … die Diagnose „Immundefekt mit vorherrschendem Antikörpermangel“ ergibt. Denn diese sind kein ärztliches Zeugnis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG. Ein solches müsste vom Arzt selbst ausgestellt sein, was hier ersichtlich nicht der Fall ist. Hinzu kommt, dass auch in den Unterlagen der Kassenärztlichen Vereinigung nicht näher spezifiziert wird, um welchen Antikörpermangel es sich handelt, sodass eine Überprüfung auf Plausibilität nicht möglich ist.
47
(2) Die Vorlage eines nicht den Mindestanforderungen entsprechenden Nachweises ist einer Nichtvorlage gleichzustellen, da das vorgelegte Dokument in diesem Fall schon formal kein Nachweis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG ist. Die Kläger sind daher so zu behandeln, als hätten sie noch gar kein ärztliches Zeugnis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG vorgelegt (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 13 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 8; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 57c, 55a).
48
(3) Nichts anderes folgt aus der von den Klägern angeführten Entscheidung des VG Düsseldorf. Hiernach sei die Behörde nach Erfüllung der Pflicht zur Vorlage eines Nachweises trotz Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit nicht mehr befugt, erneut die Vorlage eines Nachweises zu verlangen (VG Düsseldorf, B.v. 7.2.2024 – 29 L 3343/23 – juris Rn. 42 ff.). Eine förmliche Zurückweisung des vorgelegten Nachweises sei im Gesetz ebenso wenig vorgesehen wie die erneute Anforderung eines Nachweises (VG Düsseldorf, B.v. 7.2.2024 – 29 L 3343/23 – juris Rn. 47 ff.).
49
Unabhängig von der Frage, ob die der Entscheidung des VG Düsseldorf zugrundeliegende Konstellation überhaupt mit der im hiesigen Verfahren vergleichbar ist – im dortigen Verfahren enthielt das vorgelegte Attest nämlich eine detaillierte Beschreibung der Diagnose („Impfschadensereignisse mit Langzeitfolge, auch in der Familie, G. (T88.1G); Allergische Diathese mit multipler Sensibilisierung, G. (H01.1G); Infektanfälligkeit mit chronisch rezidivierender Rhinitis, G. (Z86.1G); Familiäre Belastung mit Autoimmunerkrankungen, G. (Z82G); “; zitiert nach VG Düsseldorf, B.v. 7.2.2024 – 29 L 3343/23 – juris Rn. 3) – ist mit der überzeugenden Argumentation der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. insb. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 13 ff.) davon auszugehen, dass jedenfalls in Fällen, in denen nicht einmal ein den „Mindestanforderungen“ entsprechendes ärztliches Zeugnis vorgelegt wurde, die Nachweispflicht bislang überhaupt noch nicht erfüllt worden ist, so dass insoweit die „Nachweisvorlage“ (erstmals) bescheidmäßig eingefordert werden kann.
50
cc) Entgegen der Auffassung der Kläger war das Landratsamt auch nicht gehalten, zunächst gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG, eine ärztliche Untersuchung anzuordnen oder Dritte zur Erteilung von Auskünften zu verpflichten. Denn diese Vorschrift betrifft nur den Fall, dass Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen. Dies setzt voraus, dass überhaupt ein Nachweis vorgelegt wird, der den formalen Mindestanforderungen entspricht. Nur dann ist die Behörde in der Lage, diesen Nachweise auf seine Plausibilität hin zu überprüfen und hieran anknüpfend gegebenenfalls Anordnungen gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG zu treffen. Liegt hingegen – wie vorliegend – noch kein formal ordnungsgemäßer Nachweis vor, so hat die Behörde nach der Systematik des § 20 Abs. 12 IfSG zunächst gemäß § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG die Vorlage eines die Mindestanforderungen erfüllenden Nachweises zu verlangen (VG Schwerin, B.v. 22.2.2024 – 3 B 2192/23 SN – juris Rn. 37). Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überzeugend, dass die Behörde statt der Vorlage eines – den Mindestanforderungen genügenden – Nachweises auch eine Maßnahme nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG anordnen können soll (so aber offenbar VG Düsseldorf, B.v. 15.11.2023 – 29 L 2480/23 – juris Rn. 36 ff.). Jedenfalls muss es der Behörde nach Sinn und Zweck der Norm möglich sein, sich zunächst durch Anordnung der Vorlage eines formal korrekten Nachweises Kenntnis über die geltend gemachten medizinischen Kontraindikationen zu verschaffen, um auf dieser Grundlage eine sachgerechte Entscheidung über die Anordnung weitergehender Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG zu treffen. Ein solches Verständnis der Regelung ist auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vorzugswürdig. Denn die Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG – insbesondere in Gestalt der Anordnung der ärztlichen Untersuchung – dürften regelmäßig einen schwerwiegenderen Eingriff darstellen als die bloße Anordnung der Vorlage eines den Mindestanforderungen entsprechenden Nachweises.
51
dd) Vor dem Hintergrund, dass vorliegend schon kein den Mindestanforderungen entsprechender Nachweis vorgelegt wurde, bedarf es keiner Entscheidung, ob die vom Beklagten dargelegten Verdachtsmomente in Bezug auf die Personen der Ärzte und die auffällig große Distanz zwischen dem Wohnort der Kläger und der Arztpraxis, geeignet sind, Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Nachweise zu begründen. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich eine Liste mit Ärzten geführt wird, deren Atteste generell nicht anerkannt werden.
52
b) Die streitgegenständliche Anordnung der Nachweisvorlage ist auch nicht ermessenfehlerhaft.
53
aa) Ob die Behörde gemäß § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG die Vorlage eines Nachweises anordnet, steht in ihrem Ermessen. Davon geht auch die Gesetzesbegründung aus (BT-Drs. 19/13452, S. 30: „Die Gesundheitsämter können …“). Überdies ist die gesetzliche Regelung des § 20 Abs. 8 – 14 IfSG derart ausgestaltet, dass die geforderten Nachweise in erster Linie der Leitung der jeweiligen Einrichtung vorzulegen sind (§ 20 Abs. 9 Satz 1, Abs. 10 Satz 1 IfSG). Die Vorlagepflicht nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG gegenüber dem Gesundheitsamt muss daher auf besondere Fallgestaltungen beschränkt sein. Welche dies sein können (vgl. dazu Sangs, in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, § 20 Rn. 158), wird vom Gesetz jedoch nicht näher spezifiziert, sodass es nach allgemeinen Grundsätzen nur der Behörde obliegen kann, von ihrer Befugnis im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens (Art. 40 BayVwVfG) Gebrauch zu machen (im Ergebnis ebenso: Kießling/Gebhard, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 61; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 119; Rixen, NJW 2020, 647, 650).
54
bb) Die von der Behörde getroffene Ermessensentscheidung ist gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 Satz 1 VwGO).
55
cc) Dies zugrunde gelegt, sind Ermessensfehler nicht ersichtlich.
56
(a) Vorliegend haben die Kläger nie zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Nachweisvorlage generell ablehnen. Vielmehr haben sie versucht, durch die Vorlage von Impfunfähigkeitsbescheinigungen (bzw. später eines Immunitätsnachweises für ihre Tochter) die Nachweise zu erbringen. Zwar mag ein solches Verhalten – jedenfalls im Zusammenspiel mit den nicht unerheblichen Verdachtsmomenten gegen die Ärzte Dr. … und Dr. … – ein starkes Indiz für eine generelle Ablehnung der Impfung darstellen, zumal es unwahrscheinlich erscheint, dass zunächst beide Kinder gleichzeitig Kontraindikationen aufgewiesen haben sollen und die Tochter nunmehr auf nicht näher spezifizierte Weise über eine Immunität verfügen soll. Andererseits erscheint es – wie bereits ausgeführt – durchaus zulässig, selbst gegenüber „hartnäckigen Impfverweigerern“ mit Mitteln des Verwaltungszwangs – selbst wenn diese auf die Androhung eines ersten Zwangsgeldes beschränkt sein dürften – einen gewissen Druck aufzubauen, ihre Haltung nochmals zu überdenken, sodass es bereits unter diesem Geschichtspunkt den Erlass einer entsprechenden Grundverfügung bedürfen kann. Das Verhalten der hiesigen Kläger lässt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erkennen, dass sie die Nachweisanordnung dauerhaft missachten würden und auch eine ggf. nachzuschiebende Zwangsgeldandrohung keinerlei Beugewirkung hätte. Die Beklagte durfte daher im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes davon ausgehen, dass die Kläger den geforderten Nachweis erbringen oder jedenfalls im Falle einer Nichterbringung einer nachfolgend möglichen Ladung zur Beratung nach § 20 Abs. 12 Satz 3 IfSG aufgeschlossen gegenüberstehen würden. Hierbei ist insbesondere zu bedenken, dass mangels näherer Kenntnis der Beweggründe der Kläger ihre Haltung zur Impfung dem Landratsamt nicht im Detail bekannt war und somit auch nicht ausgeschlossen werden konnte, dass eventuelle Bedenken der Kläger im Rahmen der Beratung nach § 20 Abs. 12 Satz 3 IfSG ausgeräumt werden können. Gerade mit Blick auf die eingeschränkte Überprüfung von Ermessensentscheidungen (§ 114 Satz 1 VwGO) erscheint die Anordnung der Nachweisvorlage daher geboten, zumal diese keine „reine Förmelei“ darstellt, die keinen Beitrag zum Masernschutz liefern kann.
57
(b) Ein Ermessensfehler liegt auch nicht darin, dass das Landratsamt sich der Handlungsform eines Verwaltungsaktes bedient hat. Dabei kann offenbleiben, ob auf der Grundlage von § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG auch eine Fristsetzung durch Realakt („formloses Schreiben“) ergehen kann. Dies erscheint zweifelhaft, da die gesetzliche Konzeption des § 20 Abs. 12 IfSG (vgl. § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG) den Erlass eines Verwaltungsaktes vorsieht (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 2). Jedenfalls ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass das Landratsamt hier einen auf § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG gestützten Verwaltungsakt erlassen hat. Denn den Klägern war bereits mehrfach mit Schreiben vom 07.05.2021, vom 11.01.2023, vom 22.03.2023 und vom 25.05.2023 eine Frist gesetzt worden, die sie – jedenfalls hinsichtlich ihres Sohnes … – jeweils haben verstreichen lassen. Es ist nicht ansatzweise ersichtlich, wieso eine erneute Fristsetzung ohne Erlass eines förmlichen Bescheides zu einem anderen Ergebnis hätte führen sollen. Im Übrigen ist der Erlass eines Verwaltungsaktes Voraussetzung für die – zumindest beschränkt zulässige – Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens (vgl. Art. 19 Abs. 1, Art. 29 ff. VwZVG).
58
c) Es kann offenbleiben, ob das Landratsamt berechtigt war, die Vorlage eines Nachweises von einem anderen Arzt als Dr. … und Dr. … zu verlangen. Eine solche Einschränkung sieht § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG nicht ausdrücklich vor. Allerdings findet sich diese Vorgabe eines „anderen Arztes“ ohnehin nur in den Schreiben vom 07.05.2021 und vom 11.01.2023, nicht jedoch im hier angegriffenen Bescheid vom 22.08.2023.
59
d) Die im Rahmen der Grundverfügung im Bescheid vom 22.08.2023 gesetzte Frist von etwa drei Monaten („bis spätestens 30. November 2023“) ist sowohl im Hinblick auf die Beibringung eines ärztlichen Zeugnisses als auch bezüglich der Vorlage einer Impfdokumentation ausreichend lang bemessen (vgl. zur Fristsetzung in der Verwaltungsvollstreckung gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG: BayVGH, B.v. 22.1.2024 – 20 CS 23.2238 – juris Rn. 13). Unschädlich ist, dass die gesetzte Frist gegenwärtig bereits verstrichen ist und der Beklagte keine „Vorsorge“ für den Fall der etwaigen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 Abs. 12 Satz 7 und Satz 1 IfSG) sofort vollziehbare Nachweisvorlageverpflichtung getroffen hat, da innerhalb der datumsmäßig gesetzten Frist weder der Sofortvollzug behördlich ausgesetzt noch gerichtlich die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wurde, so dass die Kläger durchgehend und ohne Suspendierung des Verwaltungsaktes verpflichtet waren, die Nachweispflicht zu erfüllen.
60
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 159 VwGO (vgl. auch BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris).
61
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der allenfalls geringen vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des leistungsfähigen Beklagten nicht.
62
Die Berufung ist nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Anordnung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG ergehen kann, von grundsätzlicher Bedeutung ist.