Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 14.06.2024 – Au 2 K 24.313
Titel:

Formerfordernisse an Betreiben iSd § 92 Abs. 2 VwGO

Normenkette:
VwGO § 92 Abs. 2
Leitsätze:
1. Das Betreiben iSd § 92 Abs. 2 S. 1 VwGO hat schriftlich (vgl. § 81 VwGO) oder in einer zulässigen oder verpflichtenden elektronischen Form zu erfolgen. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Betreibensaufforderung nach § 92 Abs. 2 VwGO muss über die zu wahrende Form nicht belehren. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
fiktive Klagerücknahme nach Betreibensaufforderung, einfache E-Mail kein formgerechtes Betreiben, Betreibensaufforderung, E-Mail, Form, Belehrungspflicht, elektronische Form, Klagerücknahme, Schriftform
Fundstelle:
BeckRS 2024, 16167

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 4.426,35 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Mit Schreiben vom 2. April 2024, zugestellt am 5. April 2024, wurde der Kläger gem. § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO aufgefordert, das Verfahren innerhalb von zwei Monaten weiter zu betreiben. Gleichzeitig wurde er gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO belehrt. Dieser Aufforderung ist der Kläger nicht innerhalb der gesetzlichen Frist nachgekommen. Die Zweimonatsfrist endete gem. § 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 5. Juni 2024. Mit der am 5. Juni 2024 bei Gericht eingegangenen E-Mail wurde diese Frist nicht gewahrt.
2
1. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und der Kommentarliteratur zu § 92 VwGO (bzw. zu dem vergleichbaren § 81 AsylG) wird ohne weiteres davon ausgegangen, dass das Betreiben i.S.d. § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der für bestimmende Schriftsätze maßgeblichen Form zu erfolgen hat, d.h. schriftlich (vgl. § 81 VwGO) oder einer nach § 55a VwGO zulässigen elektronischen Form, bzw. dass, soweit eine Pflicht zur elektronischen Einreichung gem. § 55d VwGO besteht, diese Form zu wahren ist (vgl. VG Bremen, B.v. 25.11.2022 – 6 K 764/22 – juris Rn. 2 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 12.5.2022 – 16 K 7727/21 – juris Rn. 2 ff.; vgl. bereits VG Sigmaringen, U.v. 19.12.2000 – 4 K 160/9 9 – juris Rn. 25 [i.E. aber offenlassend]; aus der Literatur vgl. Clausing in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 92 VwGO Rn. 92: „…Schriftsatz…“). Dem schließt sich das erkennende Gericht an. Für das Erfordernis der Wahrung der Schrift- oder einer zulässigen elektronischen Form spricht bereits, dass auch die Klagerücknahme nach § 92 Abs. 1 VwGO als bestimmender und damit formbedürftiger Schriftsatz angesehen wird (vgl. nur W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 81 Rn. 1); da, wenn die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 VwGO vorliegen, die Rücknahmeerklärung als abgegeben gilt (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 92 Rn. 19), kann für Anforderungen an die Vermeidung einer (fiktiven) Rücknahmeerklärung nichts Anderes gelten. Eine einfache E-Mail genügt den Anforderungen an die elektronische Form nach § 55a VwGO nicht.
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2. Die Betreibensaufforderung vom 2. April 2024 musste über die zu wahrende Form nicht belehren. Nach § 92 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist der Kläger in der Aufforderung auf die sich aus § 92 Abs. 2 Satz 1 und § 155 Abs. 2 VwGO ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen, d.h. darauf, dass die Klage bei nicht fristgerechtem Betreiben als zurückgenommen gilt und dass er dann nach § 155 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Diese Erfordernisse wurden beachtet; weitergehende Belehrungsanforderungen sind dem Gesetz nicht zu entnehmen.
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3. Das per Telefax am 7. Juni 2024 bei Gericht eingegangene Schreiben des Klägers vom 4. Juni 2024 konnte die bereits am 5. Juni 2024 abgelaufene Betreibensfrist nicht mehr wahren. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Fristversäumnis kommt weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung des § 60 VwGO in Betracht (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 92 Rn. 18 m.w.N.), so dass es nicht darauf ankommt, ob der Kläger ohne Verschulden annahm, eine einfache E-Mail reiche zur Fristwahrung aus. Im Übrigen sind Rechtsunkundige grundsätzlich verpflichtet, sich unverzüglich juristischen Rat einzuholen (vgl. Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 83) und wurde der Kläger mit gerichtlichem Telefax vom 5. Juni 2024 auf das Problem der Formwahrung durch Übersendung einer einfachen E-Mail hingewiesen. Dass dieser Hinweis nicht ausdrücklich dem Kläger vorgab, wie er seine Rechte wahrzunehmen hatte, erklärt sich durch die gerichtliche Neutralitätspflicht.
5
4. Nach allem ist der Kläger der gerichtlichen Aufforderung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist nachgekommen, so dass die Klage mit Ablauf des 5. Juni 2024 als zurückgenommen galt (§ 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Gemäß § 92 Abs. 3 VwGO ist das Verfahren daher mit der Kostenfolge nach § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen.
6
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG. Zugrunde zu legen ist der in der angegriffenen Pfändungs- und Überweisungsverfügung ausgewiesene Geldbetrag (4.426,35 EUR); es handelt es sich vorliegend um ein selbstständiges Vollstreckungsverfahren i.S.v. Nr. 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.