Inhalt

AG Erlangen, Beschluss v. 17.04.2024 – 652 M 316/24
Titel:

Freigabe von Nachzahlung auf Pfändungsschutzkonto

Normenkette:
ZPO § 899 Abs. 2, § 903, § 904, § 910
Leitsatz:
Die gesamte Nachzahlung von Jobcenterleistungen ist gegenüber allen in das Pfändungsschutzkonto des Schuldners vollstreckenden Gläubigern freizugeben. (Rn. 2 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pfändungsschutzkonto, Freigabe, Freibetrag
Fundstellen:
JurBüro 2025, 164
RPfleger 2024, 626
BeckRS 2024, 16133
LSK 2024, 16133

Tenor

1. Die auf das Konto IBAN … des Schuldners am 12.12.2023 nachgezahlten Beträge in Höhe von insgesamt 2.004,00 € werden gegenüber allen die Vollstreckung betreibenden Gläubigern gemäß §§ 904 V 1, 2, 903 I 2, 910 S. 2 ZPO freigegeben.
2. Der Beschluss bezüglichen der einstweiligen Einstellung vom 31.01.2024 wird aufgehoben.
3. Der Beschluss wird mit Rechtskraft wirksam.

Gründe

1
Mit Schreiben vom 29.01.2024 beantragte der Schuldner die Freigabe einer Nachzahlung von Jobcenterleistungen in Höhe von insgesamt 2.004,00 € auf seinem Pfändungsschutzkonto … bei der …. Dabei handelt es sich um laufende Leistungen nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches II, die in Höhe von jeweils 1.002,00 € für die Monate Oktober 2023 und November 2023 am 12. Dezember 2023 auf das oben genannte Konto ausgekehrt wurden. Das Pfändungsschutzkonto wurde, soweit ersichtlich, durch den Gläubiger … mittels des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 21.04.2023, Amtsgericht Erlangen, Az.: …, und durch den Gläubiger … mittels des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 04.04.2023, Amtsgericht Erlangen, Az.: … gepfändet. Die Pfändungsfreigrenze des Pfändungsschutzkontos beträgt 1.409,99 €.
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Der in zulässiger Weise eingereichte Antrag ist in vollem Umfang als begründet anzusehen.
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Bei den nachgezahlten Geldleistungen handelt es sich weder um privilegierte Geldleistungen im Sinne des § 904 I ZPO, noch betragen sie weniger als 500 €. Aus diesem Grund muss das Vollstreckungsgericht gemäß § 904 V, III 1 ZPO über die Freigabe entscheiden.
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In diesem Zusammenhang ist die gesamte Nachzahlung in Höhe von 2.004,00 € gegenüber allen in das Pfändungsschutzkonto des Schuldners vollstreckenden Gläubigern freizugeben.
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Denn dem Konto liegt ein Freibetrag in Höhe von 1.409,99 € zugrunde. Im Oktober 2023 erhielt der Schuldner keinerlei Geldleistungen. Vor dem Hintergrund der Berechnung nach § 903 III 2 ZPO würde dem Schuldner unter Berücksichtigung der getätigten Zahlungen in diesem Monat bei theoretisch rechtzeitiger Zahlung durch das Jobcenter ein zusätzlicher Freibetrag in Höhe von 1.200 € – 691,28 € = 310,72 € zustehen. Dieser angesparte Betrag wird nach § 899 II 1 ZPO auf den Freibetrag des Monats November 2023 hinzugerechnet. Der Freibetrag für November betrüge daher 1.720,71 €. Im November gingen Zahlungen in Höhe von 29,31 € und 502 € ein, sodass nach deren Abzug ein Freibetrag in Höhe von 1.189,40 € übrig bleiben würde, sodass die Nachzahlung in Höhe von 1.002,00 € unter dem Freibetrag liegt.
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Insoweit handelt es sich bei § 899 II 1 ZPO um eine Norm, die von den kontoführenden Banken zu beachten ist. Aus diesem Grund muss das Gericht ihr ebenfalls Beachtung schenken, soweit es evidente Kenntnis ohne Zutun des Schuldners von den zugrundeliegenden Kontobewegungen besitzt.
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Darüber hinaus gilt dieser Beschluss gemäß § 904 V 2 ZPO als Bescheinigung im Sinne des § 903 I 2 ZPO. Dies hat zur Folge, dass die Freigabe gegenüber allen die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubigern ihre Wirkung entfaltet, unabhängig davon, ob alle Gläubiger in diesem Beschluss erfasst worden sind. Somit sind auch etwaige Gläubiger im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung von dem Beschluss betroffen. Betrachtet man nämlich die Gestaltung des § 903 ZPO, der sich mit der Bescheinigung im Generellen auseinandersetzt, so kann entnommen werden, dass die Bestimmungen in solch einer Bescheinigung von der kontoführenden Bank gegenüber allen Gläubigern berücksichtigt werden müssen. Der Bescheinigung wohnt trotz des grundsätzlichen Prinzips der Einzelvollstreckung eine universelle Wirkung inne. Verbunden ist auch damit eine erhebliche Verfahrensvereinfachung, weil nicht in jedem einzelnen Verfahren ein separater Antrag gestellt werden muss. Es existiert lediglich nur ein einzelner Bearbeitungsvorgang. Aufgrund des Verweises in § 904 V 2 ZPO ist der hiesige Beschluss in derselben Weise zu behandeln.
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Zusätzlich spricht die Zuständigkeitsverschiebung des § 910 S. 2 ZPO für diesen umfassenden Wirkungskreis. In dem Fall des § 904 V ZPO tritt ausnahmsweise das Vollstreckungsgericht an die Stelle der Vollstreckungsbehörde und entscheidet über die Freigabe der Nachzahlungen. Dadurch soll nicht nur die Konzentration der Bearbeitung solcher Anträge auf eine Institution beschränkt werden, sondern es bezweckt auch mit Blick auf die Interessen der betroffenen Gläubiger die Vereinfachung des Verfahrens (BT.-Drs. 19/19850, S. 46). Jedoch hat das Vollstreckungsgericht im Grundsatz keine Kenntnis darüber, ob und welche Vollstreckungsbehörden gegen den antragstellenden Schuldner vollstrecken. Eine vorherige Anhörung des Schuldners ist daher unerlässlich und kann Abhilfe schaffen. Nichtsdestotrotz verbleibt stets ein Restrisiko, dass der Schuldner die vollständige Mitteilung versäumt oder eine Pfändung im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung erst während des laufenden Verfahrens erfolgt. Liegt man dagegen dem Beschluss nach § 904 V ZPO einen umfassenden Wirkungsbereich wie der Bescheinigung im Sinne des § 903 I 2 ZPO zugrunde, kann sichergestellt werden, dass auch tatsächlich alle Gläubiger, insbesondere die Verwaltungsbehörden, in den Entscheidungsradius des Beschlusses einbezogen werden.
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Der Gläubiger wurden zu dem Antrag gehört. Die äußerten keine Bedenken.