Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 05.06.2024 – 18 T 3035/24
Titel:

Erfolglose Beschwerde eines iranischen Staatsangehörigen gegen die Anordnung von Ausreisegewahrsam und dessen sofortige Vollziehbarkeit

Normenketten:
AufenthG § 62a Abs. 1, § 62b
Rückführungs-RL Art. 16, Art. 17
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Die Frage des erforderlichen Maßes von Beschränkungen muss konkret anstaltsbezogen, d. h. unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in der jeweiligen Abschiebehafteinrichtung, beantwortet werden. (Rn. 43)
2. Nach der erforderlichen Gesamtabwägung unterscheiden sich die Haftbedingungen in der Abschiebehafteinrichtung H. von den Haftbedingungen, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist, und wahren die von der Europäischen Grundrechtscharta garantierten Grundrechte als auch die in Art. 16 Abs. 2 – 5 und Art. 17 RL 2008/115/EG verankerten Rechte. (Rn. 45)
§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG stellt es in das pflichtgemäße Ermessen des Beschwerdegerichts, in welchem Umfang es Ermittlungen und Beweiserhebungen wiederholt, wenn die Sache bereits in der ersten Instanz im erforderlichen Umfang mit den Beteiligten erörtert wurde. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausreisegewahrsam, Anordnung, sofortige Vollziehbarkeit, iranischer Staatsangehöriger, Beschwerde, Freiwilligkeitserklärung, Abschiebehafteinrichtung, Ermessen
Vorinstanz:
AG Erlangen, Beschluss vom 28.05.2024 – 4 XIV 45/24 (B)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15998

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 28.05.2024, Az. 4XIV 46/24 (B), wird zurückgewiesen.
2. Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Dolmetscherkosten.
3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Betroffene ist – eigenen Angaben zufolge – iranischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 15.10.2015 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er ist bereits zweimal in Deutschland strafrechtlich in Erscheinung getreten: Vom Amtsgericht Erlangen wurde er am 05.02.2021 aufgrund unerlaubten Aufenthalts zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt und am 04.08.2023 aufgrund illegalen Aufenthalts ohne Pass zu 150 Tagessätzen zu je 10,00 Euro Geldstrafe.
2
Durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom (…) wurde der Antrag des Betroffenen auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt. Eine Klage hiergegen wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 15.11.2017, Az. AN 1K 17.30238, ab. Die Abschiebung wurde dem Betroffenen ordnungsgemäß angedroht (§ 59 AufenthG). Der Aufforderung zur freiwilligen Ausreise ist der Betroffene nicht nachgekommen. Die Abschiebungsanordnung ist seit 23.02.2018 vollziehbar.
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Bei den persönlichen Vorsprachen am 27.07.2022 und am 26.02.2024 bekundete der Betroffene, nicht freiwillig in die Islamische Republik Iran zurückkehren zu wollen.
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Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 24.05.2024 ordnete das Amtsgericht Erlangen gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 24.05.2024 im einstweiligen Anordnungsverfahren Ausreisegewahrsam bis längstens 05.06.2024 und die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses an. Auf den Antrag der beteiligten Behörde vom 24.05.2024 nebst Anlagen und den Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 24.05.2024 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
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Am 28.05.2024 hörte das Amtsgericht Erlangen den Betroffenen an. Ihm wurde ein Rechtsanwalt als Verfahrensbeistand beigeordnet. Der Verfahrensbeistand brachte vor, dass die Durchführbarkeit der Abschiebung nicht gewährleistet sei. Dazu führte er aus, dass der Iran nur freiwillige Rückkehrer einreisen lasse. Er legte dazu dem Amtsgericht folgende Unterlagen vor, welche als Anlage zu Protokoll genommen wurden: Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran mit Stand vom Februar, Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 05.11.2021 (Az. 2-21 T 56/20), Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 11.04.2024 (Az. 27 XIV 448/24 B) und Email des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen, Dienststelle Manching, betreffend Abschiebungen in den Iran vom 15.02.2022. Auf das Protokoll samt Anlagen wird verwiesen.
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Das Amtsgericht Erlangen ordnete sodann durch Beschluss den Ausreisegewahrsam und dessen sofortige Vollziehbarkeit bis längstens 05.06.2024 an.
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Gegen diesen, in Anwesenheit des Betroffenen verkündeten, Beschluss hat der Verfahrensbeistand mündlich zu Protokoll Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG).
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Zur Begründung der Beschwerde führte der Verfahrensbeistand an, dass die Abschiebung tatsächlich nicht durchgeführt werden könne. Neben der zu erwartenden Verweigerung der Einreise durch die Islamische Republik Iran sei zu berücksichtigen, dass eine Abschiebung des Betroffenen wegen dessen Verweigerung der freiwilligen Ausreise nur mittels unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden könne, dies aber an der fehlenden Anordnung einer Begleitung des Betroffenen auf dem Flug scheitere. Zudem sei die derzeitige Unterbringung des Betroffenen in der Abschiebehafteinrichtung H. unzulässig. Den zunächst gestellten Antrag auf Akteneinsicht nahm der Verfahrensbeistand zurück.
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Mit Verfügung vom 29.05.2024 hat die Kammer die Ausländerakte beigezogen.
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Weiterhin hat die Kammer Auskünfte bei den beteiligten Behörden zur Durchführbarkeit von Abschiebungen in die Islamische Republik Iran bei fehlender Freiwilligkeit des Betroffenen eingeholt: Die ZAB M. teilte dabei mit, dass der IMK-Beschluss zum vorübergehenden Absehen von Abschiebungen in die Islamische Republik Iran zum 31.12.2023 ausgelaufen und nicht verlängert worden sei. Einer Freiwilligkeitserklärung bedürfe es nicht; diese finde lediglich bei der Einleitung eines Passersatzpapierverfahrens, d. h. einer Heimreise ohne Pass mittels Heimreisescheins, Anwendung. Tatsächlich würden Abschiebungen in den Iran auch ohne Freiwilligkeit durchgeführt.
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Das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR), teilte telefonisch am 29.05.2024 mit, dass der geplante Flug ab F. seitens (…) storniert wurde und nun ein Flug für (…) gebucht wurde.
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Ferner wurden bei der AHE H. Erkundigungen über die Haftbedingungen in Bezug auf die Besuchsmöglichkeiten und die Einschlusszeiten eingeholt. Auf die Stellungnahme der AHE H. wird Bezug genommen.
13
Auf die Telefonvermerke vom 31.05.2024 wird verwiesen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg und war demgemäß kostenpflichtig zurückzuweisen.
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1. Die Beschwerde ist statthaft und zulässig erhoben, §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 68 Abs. 2 FamFG. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FamFG.
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2. In der Sache ist der Antrag unbegründet, da der angefochtene Beschluss rechtsfehlerfrei ergangen ist und den Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten verletzt. Der angeordnete Ausreisegewahrsam ist formell und materiell rechtmäßig.
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a) Das Gericht darf den Ausreisegewahrsam nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen, § 417 Abs. 1 FamFG. Das Vorliegen eines zulässigen Antrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (vgl. BGH 20.05.2020 – XIII ZB 22/19, BeckRS 2020, 14455 Rn. 11; BGH 20.05.2020 – XIII ZB 30/19, BeckRS 2020, 16583 Rn. 7; BGH 23.06.2020 – XIII ZB 103/19, BeckRS 2020, 18744 Rn. 6; BGH 14.07.2020 – XIII ZB 74/19, BeckRS 2020, 21498 Rn. 7). Der Antrag ist zu begründen, §§ 51 Abs. 1 Satz 2, 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG, und muss die Identität des Betroffenen, den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen, die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung, die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie Tatsachen zur Verlassenspflicht des Betroffenen und den Voraussetzungen samt Durchführbarkeit der Abschiebung enthalten, § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG. Die Ausführungen zur Begründung des Antrags dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte – mit Bezug zum konkreten Fall – ansprechen (vgl. BGH 20.05.2020 – XIII ZB 22/19, BeckRS 2020, 14455 Rn. 11; BGH 20.05.2020 – XIII ZB 30/19, BeckRS 2020, 16583 Rn. 7 ff.; BGH 14.07.2020 – XIII ZB 74/19, BeckRS 2020, 21498 Rn. 7).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die i. S. d. § 71 AufenthG i. V. m. dem einschlägigen Landesrecht zuständige Ausländerbehörde hat am 24.05.2024 gegenüber dem Amtsgericht Erlangen die vollziehbare Ausreisepflicht des Betroffenen mitgeteilt und beantragt, den Betroffenen ab 27.05.2024 bis zum 05.06.2024 in Ausreisegewahrsam zu nehmen und diesbezüglich ausgeführt, dass die Abschiebung durchführbar sei, jedoch dringende Gründe dafür bestünden, dass der Betroffene eine solche erschweren werde. Dies wurde für den konkreten Fall des Betroffenen ausgeführt und belegt, insbesondere wurde die Straffälligkeit des Betroffenen benannt und mitgeteilt, dass er mehrfach bekundet hat, nicht freiwillig ausreisen zu wollen.
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b) Der Beschluss wurde durch das Amtsgericht ausreichend begründet, § 38 Abs. 3 FamFG. Es hat sämtliche Tatsachen, von welchen das Amtsgericht ausgegangen ist, in seinem Beschluss dargelegt.
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c) Gemäß § 62b Abs. 1 AufenthG ist die Anordnung des Ausreisegewahrsams von bis zu 28 Tagen unabhängig von den Voraussetzungen der Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 3 AufenthG zulässig, wenn die kumulativen Voraussetzungen des § 62b Abs. 1 AufenthG erfüllt sind. Dies ist vorliegend der Fall.
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aa) Die dem Betroffenen gesetzte Frist zur Ausreise ist bereits seit dem 23.02.2018 abgelaufen. Die Überschreitung der Ausreisefrist beträgt zwischenzeitlich mehr als 6 Jahre und ist damit erheblich. Es sind keinerlei Umstände ersichtlich oder dargelegt, dass der Betroffene unverschuldet an der Ausreise gehindert war (§ 62b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG). Der Betroffene ist im Besitz eines gültigen Reisepasses, mit welchem eine freiwillige Ausreise jederzeit möglich wäre. Der behördliche Abschiebungsstopp hindert keine freiwillige Ausreise.
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bb) Es steht fest, dass die Abschiebung bis spätestens zum Ablauf des 05.06.2024 durchgeführt werden kann; der notwendige Flug dazu wurde bereits im Rahmen einer Einzelabschiebung organisiert (§ 62b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR) plant, den Betroffenen für die am 05.06.2024 stattfindende Abschiebung in die Islamische Republik Iran vom Flughafen M1. ein.
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Das Vorbringen, eine Abschiebung sei nicht durchführbar, da der Betroffene nicht zur freiwilligen Ausreise bereit sei, geht dabei fehl.
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Die Durchführbarkeit der Abschiebung hat die beteiligte Behörde dem Gericht darzulegen. Das Gericht hat sodann eine Prognoseentscheidung zu treffen. Insoweit ist die Rspr. des BGH zu Prognoseentscheidungen bei der Sicherungshaft übertragbar: Die Haft darf nicht angeordnet werden, wenn feststeht, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der Höchstfrist durchgeführt werden kann. Der Haftrichter hat dazu eine Prognose anzustellen und diese auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Umstände zu erstrecken, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können (NK-AuslR/Keßler, 3. Aufl. 2023, AufenthG § 62b Rn. 7).
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Zur Überprüfung der Angaben des Rechtsbeistands zur Notwendigkeit einer Freiwilligkeitserklärung zur Einreise in den Iran hat die Kammer telefonisch Erkundigungen bei der ZAB M. eingeholt. Demnach ist eine Freiwilligkeitserklärung nicht für eine Einreise in den Iran notwendig, sondern vielmehr für die Beantragung eines Passersatzpapiers. Der Betroffene ist jedoch bereits im Besitz eines Passes. Hinsichtlich der vom Rechtsbeistand vorgelegten Unterlagen und der Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 05.11.2021 (Az. 2-21 T 56/20) ist zu berücksichtigen, dass es sich um einen Sachstand aus den Jahren 2020 bis 2022 handelt, worauf das Landgericht Frankfurt am Main in seiner Entscheidung auch verweist. Aus der Entscheidung des Amtsgerichts Hof vom 11.04.2024 (Az. 27 XIV 448/24 B) geht nicht hervor, weshalb es von der Notwendigkeit einer Freiwilligkeitserklärung ausgeht. Es verweist auf die iranische Verfassung im Allgemeinen, was durch die Kammer nicht nachvollzogen werden kann. Nach den glaubhaften Angaben des ZAB sind seit der Aufhebung des Abschiebestopps im Januar 2024 Abschiebungen in den Iran jedoch unproblematisch durchführbar und nichts von der Notwendigkeit einer Freiwilligkeitserklärung für die Einreise in den Iran bekannt. Auf dieser Grundlage sieht die Kammer kein Hindernis für die Durchführbarkeit der Abschiebung.
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Es ist auch trotz Stornierung des Fluges von F. durch (…) auch weiterhin von der Durchführbarkeit der Abschiebung auszugehen. Es konnte bereits wieder ein neuer Flug organisiert werden. Der Betroffene ist für einen Flug ab M1. mit (…) vorgesehen.
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Ferner ist nicht ersichtlich, dass eine Durchführung der Abschiebung wegen der mangelnden Anordnung einer Begleitung des Betroffenen während des Flugs scheitere. Denn eine zwangsweise Verbringung des Betroffenen in das Flugzeug erfordert nicht, dass der Betroffene während des Flugs begleitet wird. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Betroffene wegen einer Weigerung der Fluggesellschaft oder des verantwortlichen Piloten an dem Flug nicht teilnehmen dürfe.
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cc) Der Betroffene hat zudem ein Verhalten gezeigt, das erwarten lässt, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird (§ 62b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Es liegen die Vermutungstatbestände des § 62b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c und d AufenthG vor.
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Der Betroffene wurde bereits wegen zweier vorsätzlicher Straftaten verurteilt worden: vom Amtsgericht Erlangen wurde er am 05.02.2021 aufgrund unerlaubten Aufenthalts zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt und am 04.08.2023 aufgrund illegalen Aufenthalts ohne Pass zu 150 Tagessätzen zu je 10,00 Euro Geldstrafe.
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Weiterhin ist die Frist zur Ausreise um weit mehr als 30 Tage überschritten. Die dem Betroffenen gesetzte Ausreisefrist ist bereits am 23.02.2018 abgelaufen. Umstände, welche die Vermutung, dass der Betroffene die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird, widerlegen würden, sind nicht ersichtlich oder dargetan. Vielmehr hat der Betroffene zuletzt noch bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Erlangen am 28.05.2024 bekundet, nicht freiwillig in den Iran zurückreisen zu wollen.
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dd) Von der Anordnung des Ausreisegewahrsams ist auch nicht gemäß § 62b Abs. 1 Satz 2 AufenthG abzusehen. Denn es ist weder offensichtlich noch glaubhaft gemacht, dass sich der Betroffene nicht der Abschiebung entziehen will. Im Gegenteil ließ der Beschwerdeführer in der Anhörung vor dem Amtsgericht Erlangen über seinen Anwalt noch vortragen, dass er nicht freiwillig ausreisen werde.
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ee) Es liegt ferner kein Verstoß wegen der beabsichtigten zeitlichen Dauer der Ingewahrsamnahme vor. Die Frist des § 62b Abs. 1 AufenthG wurde eingehalten, da die Ingewahrsamnahme auf 12 Tage befristet war. Die Ingewahrsamnahme wurde zudem gemäß § 62b Abs. 3 i. V. m. § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf die kürzest mögliche Dauer beschränkt. Das Beschleunigungsgebot wurde von der zuständigen Ausländerbehörde durchgängig beachtet. Die angeordnete Dauer des Freiheitsentzugs ist tragfähig begründet und nicht zu beanstanden. Innerhalb dieser Frist wird die Abschiebung unter der anzustellenden Prognose, welche die Kammer unter Zugrundelegung der in der Akte hinreichend zum Ausdruck kommenden, vollständig ermittelten Tatsachengrundlage eigenständig nachempfunden hat, vollzogen sein.
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d) Der Ausreisegewahrsam ist auch nicht wegen dessen Vollzugs in der Abschiebungshafteinrichtung H. (nachfolgend „AHE H.“) rechtswidrig.
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Der geplante Vollzug in einer Abschiebungshafteinrichtung verstößt nicht gegen § 62b Abs. 2 AufenthG. Danach kann der Ausreisegewahrsam nicht nur im Transitbereich eines Flughafens, sondern auch in einer anderen Unterkunft vollzogen werden, von der aus die Ausreise des Ausländers ohne Zurücklegen einer größeren Entfernung zu einer Grenzübergangsstelle möglich ist. Abschiebungshafteinrichtungen stellen solche Unterkünfte dar (vgl. BGH 10.11.2020 – XIII ZB 25/20, BeckRS 2020, 36933, Rn. 16 ff.).
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Es liegt auch kein Verstoß gegen § 62b Abs. 3 i. V . m. § 62a Abs. 1 AufenthG vor. Die AHE H. ist eine spezielle Hafteinrichtung i.S.d. §§ 62b Abs. 3 i.V.m. § 62a Abs. 1 S. 1 AufenthG.
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aa) Ausweislich § 62a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (i. V. m. § 62b Abs. 3 AufenthG) sowie Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115/EG hat die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Abschiebehafteinrichtungen zu erfolgen. Diese sind nicht legaldefiniert. Eindeutig legen die Gesetze jedenfalls fest, dass eine getrennte Unterbringung von gewöhnlichen Strafgefangenen zu erfolgen hat, § 62a Abs. 1 Satz 1 a. E. AufenthG (i. V. m. § 62b Abs. 3 AufenthG), Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2008/115/EG. Ebenfalls ist dem Wortlaut zu entnehmen, dass sich „spezielle“ Hafteinrichtungen von „gewöhnlichen“ Haftanstalten zu unterscheiden haben, d. h. dass die Haftbedingungen in diesen Einrichtungen gewisse Besonderheiten gegenüber normalen Bedingungen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen in gewöhnlichen Haftanstalten aufweisen müssen (EuGH 10.3.2022 – C-519/20, NVwZ 2022, 783 Rn. 36). Dass die Inhaftnahme dabei „keinerlei auf Bestrafung gerichtete Zielsetzung“ verfolgen darf (EuGH 10.3.2022 – C-519/20, NVwZ 2022, 783 Rn. 38), versteht sich von selbst. Da die Unterbringung gleichwohl in einer Hafteinrichtung erfolgen darf – wenngleich in einer „speziellen“ – darf der illegal Aufhältige durch die Gestaltung und Ausstattung der Räumlichkeiten sowie durch die vorhandenen Organisations- und Funktionsmodalitäten gezwungen werden, ständig in einem eingegrenzten, geschlossenen Bereich zu verbleiben. Die Haftbedingungen müssen jedoch so gestaltet sein, dass mit ihnen so weit wie möglich verhindert wird, dass die Unterbringung in der Abschiebehafteinrichtung einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist, und dass sowohl die von der Europäischen Grundrechtscharta garantierten Grundrechte als auch die in Art. 16 Abs. 2- 5 und Art. 17 RL 2008/115/EG verankerten Rechte beachtet werden (EuGH 10.3.2022 – C-519/20, NVwZ 2022, 783 Rn. 57; BayObLG 30.10.2023 – 203 StObWs 290/23, BeckRS 2023, 44762 Rn. 22). Ob es sich um eine „spezielle“ Hafteinrichtung in diesem Sinne handelt (oder um eine gewöhnliche Hafteinrichtung), ist somit im Wege einer Gesamtwürdigung zu entscheiden (EuGH 10.3.2022 – C-519/20, NVwZ 2022, 783 Rn. 48).
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Nach Ansicht des BGH sei die vom EuGH geforderte Gesamtabwägung auf Grund einer europarechtskonformen Auslegung von § 62a Abs. 1 AufenthG hingegen dann nicht nötig, wenn bereits einzelne Haftbedingungen über das Maß hinausgingen, welches unbedingt erforderlich sei, um ein wirksames Rückkehrverfahren zu gewährleisten. Ob und inwieweit sich die Unterbringungsbedingungen von einer Gefängnisumgebung, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist, im Übrigen unterschieden, solle in einem solchen Fall nicht von Belang sein (Beschluss vom 26.03.2024 – XIII ZB 85/22 Rn. 10, 12).
38
bb) Ist absehbar, dass der Betroffene rechtswidrig untergebracht werden wird oder untergebracht ist, muss der Haftrichter im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) die Anordnung von Haft ablehnen (BGH 26.03.2024 – XIII ZB 85/22 Rn. 11). Dabei ist die durch den Haftrichter vorzunehmende Prüfung auf im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende oder absehbare strukturelle Defizite beschränkt. Kommt es im Einzelfall während des Vollzugs zu einem rechtswidrigen Grundrechtseingriff, berührt dies die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung nicht (BGH 26.03.2024 – XIII ZB 85/22 Rn. 11).
39
cc) Nach diesen Maßstäben stellt die Abschiebehafteinrichtung H. eine spezielle Hafteinrichtung dar und die Unterbringung des Betroffenen ist nicht absehbar rechtswidrig:
40
(1) Die Haftbedingungen sind auf das Maß beschränkt, das unbedingt erforderlich ist, um ein wirksames Rückkehrverfahren zu gewährleisten.
41
Insbesondere sind die Besuchszeiten – im Gegensatz zu den Haftbedingungen, wie sie dem Beschluss des BGH vom 26.03.2024 (Az. XIII ZB 85/22 Rn. 12) zugrunde lagen – nicht mehr auf vier Stunden monatlich begrenzt. Vielmehr können nach den glaubhaften Angaben der AHE H. Besuche ohne monatliche zeitliche Obergrenze empfangen werden.
42
Auch die Einschlusszeiten sind auf das zum Zwecke der Rückführung erforderliche Mindestmaß beschränkt. Nach den Erkenntnissen der Kammer findet in der AHE H. zwischenzeitlich ein Einschluss zwischen 19:00 Uhr und 07:30 Uhr sowie während der Essensausgabe des Mittagessens von maximal einer Stunde statt.
43
Diese Einschlusszeiten sind kürzer als die Einschlusszeiten, welche der BGH zuletzt als nicht erforderliche Beschränkung für die Inhaftierten, angesehen hat (vgl. BGH 26.03.2024 – XIII ZB 85/22 Rn. 12). Die Kammer verkennt nicht, dass der BGH zur Begründung der Überschreitung des unbedingt erforderlichen Maßes ausgeführt hat, dass andere Abschiebehaftanstalten einen kürzeren Einschluss hätten. Indes ist den Ausführungen des BGH nicht zu entnehmen, dass Beschränkungen für die Gewährleistung eines wirksamen Rückkehrverfahrens nur dann das unbedingt erforderliche Maß einhalten, wenn sie nicht über das Maß hinausgehen, welche diejenige Abschiebehafteinrichtung mit den geringsten Beschränkungen (im bundes- oder möglicherweise europaweiten Vergleich) vorsieht. Dies würde auch zu dem wenig einleuchtenden Ergebnis führen, dass immer dann, wenn eine Abschiebehafteinrichtung in einem Teilaspekt der Haftbedingungen geringere Beschränkungen vorsieht, die Durchführung der Abschiebehaft in allen anderen Abschiebehafteinrichtungen automatisch bis zu einer Anpassung der Haftbedingungen unzulässig wird. Deswegen muss die Frage des erforderlichen Maßes konkret anstaltsbezogen, d. h. unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in der jeweiligen Abschiebehafteinrichtung, beantwortet werden.
44
Die Einschlusszeiten sind aufgrund der nachvollziehbaren Angaben der Leitung der AHE H. zur Erhaltung der Sicherheit der Inhaftierten und der Bediensteten erforderlich. So ist aufgrund von Erfahrungswerten aus anderen Anstalten zu befürchten, dass ohne Einschluss während der Mittagessensausgabe einige Inhaftierte anderen Inhaftierten das Essen (teilweise) wegnehmen. Bei einer Ausdehnung der Aufschlusszeiten außerhalb der normalen Dienstzeiten besteht nachvollziehbar die erhöhte Gefahr von tätlichen Übergriffen von Abschiebungsgefangenen untereinander oder gegenüber Bediensteten, welche nicht hinreichend unter Kontrolle gebracht werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass außerhalb der normalen Dienstzeiten weniger Dienstkräfte, insbesondere weniger uniformiertes Vollzugspersonal, in der Einrichtung anwesend ist und dass in den Abendstunden Vollzugspersonal zusätzlich vermehrt mit der Aufnahme von neuen Abschiebegefangenen beschäftigt ist. Daher kann je Etage, in der jeweils zwei Abteilungen bestehen und in der jeweils bis zu 34 Abschiebungsgefangenen untergebracht sind, nur ein Beamter des allgemeinen Vollzugsdienstes für die Beaufsichtigung eingeteilt werden. Weiter ist zu berücksichtigen, dass zwischen den Abschiebungsgefangenen ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial besteht. Dies gilt umso mehr, als in der AHE H. regelmäßig Abschiebungsgefangene mit unterschiedlicher Nationalität und Ethnien inhaftiert sind und die Erfahrung in der AHE H. gezeigt hat, dass einige Abschiebungsgefangene eine verminderte Impulskontrolle und erhöhte Aggressivität aufweisen. Aufgrund der belastenden Situation für die Betroffenen ist dies auch objektiv nachvollziehbar.
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(2) Nach der erforderlichen Gesamtabwägung unterscheiden sich die Haftbedingungen in der AHE H. von den Haftbedingungen, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist, und wahren die von der Europäischen Grundrechtscharta garantierten Grundrechte als auch die in Art. 16 Abs. 2 – 5 und Art. 17 RL 2008/115/EG verankerten Rechte. Insoweit kann auf die Ausführungen des BayObLG (Beschluss vom 30.10.2023, BeckRS 2023, 44762 Rn. 24 -33) und des LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 30.01.2024, BeckRS 2024, 6679 Rn. 31-40) und die dortigen Feststellungen, welche sich die Kammer zu Eigen macht, Bezug genommen werden. Die von der Kammer im hiesigen Verfahren festgestellten verkürzten Einschlusszeiten vergrößern sogar den Abstand zwischen den Haftbedingungen der AHE H. im Vergleich zu einer gewöhnlichen Strafhaft.
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e) Die Anordnung des Ausreisegewahrsams gemäß § 62b AufenthG steht im Ermessen des Gerichts (BGH 20.04.2018 – V ZB 226/17, NVwZ-RR 2018, 746 (747) Rn. 11). Die Entscheidung über die Anordnung des Ausreisegewahrsams erfordert deshalb – insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – eine Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen und dem staatlichen Interesse an der zügigen Durchführung der Abschiebung (BGH 20.04.2018 – V ZB 226/17, NVwZ-RR 2018, 746 (747 f.) Rn. 12)
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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist vorliegend gewahrt. Es sind keine milderen Mittel ersichtlich, welche gleich geeignet gewesen wären, um die Ausreise des Betroffenen mit gleicher Sicherheit zu gewährleisten. Insbesondere ist aufgrund des Verhaltens des Betroffenen in der Vergangenheit nicht ersichtlich, dass der Betroffene einer bloßen Aufforderung zur Ausreise Folge geleistet hätte, zumal er in der persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht den Unwillen seiner Ausreise noch einmal bekundete.
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Der Ausreisegewahrsam ist auch nach Abwägung aller Umstände angemessen. Insbesondere ist der Ausreisegewahrsam nicht deswegen unverhältnismäßig im engeren Sinne wegen der allgemeinen politischen Situation im Iran. Es ist dabei darauf hinzuweisen, dass diese allgemeinen Erwägungen hinsichtlich der Folgen einer möglichen Abschiebung nicht in die Abwägung mit einzubeziehen und Ermessensmaßstab sind. Das Gericht überprüft allein die Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung des Ausreisegewahrsams. Der Betroffene zeigt durch sein Handeln seinen ernsthaften Willen, sich der Abschiebung zu entziehen. Es verbleibt die Befürchtung, dass Meldeauflagen oder die Einbehaltung von Reisedokumenten beim Betroffenen keine Wirkung erzielen würden. Hierbei war neben dem Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen auch das staatliche Interesse an einer zügigen und erfolgreichen Durchführung der Abschiebung zu berücksichtigen.
49
Das Amtsgericht hat die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gründe – wenn auch in knapper Form – in der Entscheidung dargelegt und sein Ermessen ausgeübt. Einen Ermessensfehler vermag die Kammer daher nicht zu erkennen.
III.
50
Die Kammer konnte ohne erneute persönliche Anhörung des Betroffenen in der Beschwerdeinstanz entscheiden, da der Sachverhalt auch ohne eine solche hinreichend ermittelt ist. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG stellt es in das pflichtgemäße Ermessen des Beschwerdegerichts, in welchem Umfang es Ermittlungen und Beweiserhebungen wiederholt, wenn die Sache bereits in der ersten Instanz im erforderlichen Umfang mit den Beteiligten erörtert wurde (BGH 04.03.2010 – V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 = NJOZ 2010, 2041 (2043) Rn. 13; BGH 10.10.2013 – V ZB 127/12, FGPrax 2014, 39 Rn. 8; BGH 02.06.2021 – XII ZB 126/21, BeckRS 2021, 18056 Rn. 10). Der Betroffene hat im Rahmen seiner amtsgerichtlichen Anhörung, bei der auch keine zwingenden Verfahrensvorschriften verletzt wurden, Angaben zur Sache gemacht, und diese über seinen Anwalt schriftlich ergänzen lassen. Die Kammer hat das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung auch nicht abweichend gewertet. Auf den besonderen persönlichen Eindruck des Beschwerdegerichts von dem Betroffenen kommt es vorliegend nicht an. Es war demnach nicht zu erwarten, dass eine erneute Anhörung des Betroffenen zu Erkenntnissen geführt hätte, die für die Beschwerdeentscheidung von Bedeutung gewesen wären.
IV.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, 84 FamFG. Analog Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK waren die Dolmetscherkosten auszunehmen (BGH 04.03.2010 – V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 = NJOZ 2010, 2041 (2044) Rn. 21; BGH 08.07.2010 – V ZB 203/09, BeckRS 2010, 17865 R. 12). Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 79 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 2, Abs. 3 GNotKG.