Titel:
Keine Haftung des Motorherstellers in Dieselfall wegen unrichtiger Übereinstimmungsbescheinigung
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 1, § 826, § 830 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 EG-FGV knüpft an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Daher kann der Motorhersteller, der die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar kann Beihilfe auch zu Sonderdelikten geleistet werden, bei denen der Gehilfe nicht Täter sein kann. Voraussetzung ist allerdings nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat. Bedingung einer Beteiligung ist vielmehr weiter eine Vorsatztat der Fahrzeugherstellerin (hier verneint). Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB nicht. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Kfz-Motorhersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 896, Thermofenster, Übereinstimmungsbescheinigung, Sonderdelikt
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 03.06.2022 – 13 O 3772/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15787
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 03.06.2022, Az. 13 O 3772/21, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12.07.2022, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 des Tenors bezeichnete Urteil des Landgerichts Landshut sind ohne Sicherheitsleitung vorläufig vollstreckbar.
Die Klagepartei kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis 02.03.2023 auf 51.197,96 € und seither auf 19.734,33 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus dem Kauf eines Pkws im Rahmen des sogenannten Dieselskandals.
2
Die vorsteuerabzugsberechtigte Klagepartei erwarb am 18.07.2018 von der ... GmbH … den gebrauchten Pkw Porsche Panamera, FIN: …, mit einem Kilometerstand von 30.500 km zum Preis von 64.739,00 € brutto (54.402,52 € netto). In dem Fahrzeug ist ein V-TDI-Motor des Typs EA896 Generation 2 Monoturbo EU 5 mit Automatikgetriebe verbaut. In der Motorsteuerungssoftware kommt ein Thermofenster zur Anwendung, das bei einer Temperatur von unter + 17 C die Abgasrückführung reduziert.
3
Die Beklagte ist Herstellerin des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors.
4
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine Typgenehmigung vom 11.11.2014. Die Fahrzeugherstellerin, die Dr. Ing ... AG, hat für das streitgegenständliche Fahrzeug eine EG-Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben.
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Die Erstzulassung erfolgte am 24.07.2015.
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Mit Schreiben der Klägervertreter vom 07.12.2021 laut Anl. K 3 forderte die Klagepartei die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf.
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Die Klagepartei verkaufte das streitgegenständliche Fahrzeug am 08.02.2023 bei einem Kilometerstand von 51.500 zum Preis von 37.000,00 € brutto (vgl. den Kaufvertrag laut Anl. BK 2).
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Die Klagepartei behauptete, dass in dem Fahrzeug eine „defeat device“ eingebaut sei, da die Motorsteuerungssoftware so programmiert sei, dass sie erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im NEFZ oder im regulären Betrieb befinde, sowohl durch eine Lenkwinkelerkennung als auch durch eine zyklusnahe Bedatung (vgl. Schriftsätze der Klägervertreter vom 13.05.2022, S. 2, Bl. 140 d.A. und vom 22.03.2024, S. 12 und 21, Bl∙ 73 und 82 d.A.). Dadurch würden im Prüfstand geringere NOx-Werte erzielt als im normalen Straßenbetrieb. Deshalb hätten im Zuge der Untersuchungskommission V. durchgeführte Messungen an einem Audi A6 enorme Abweichungen der NOx-Messwerte im NEFZ-Betrieb mit PEMS-Messgerät im Vergleich zum NEFZ-Betrieb auf dem Rollenprüfstand ergeben. Wie sich einer Präsentation der Rechtsabteilung der V. AG vom November 2016 entnehmen lasse, verwende die Beklagte in der Getriebesteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zwei verschiedene Modi. Auf dem Prüfstand komme ein sogenanntes Warmlaufschaltprogramm zum Einsatz. Ansonsten, d.h. insbesondere im normalen Straßenbetrieb, erfolge die Steuerung der Schaltpunkte des Automatikgetriebes über das sogenannte Dynamische Schaltprogramm (DSP). Die Schaltpunkte des Warmlaufschaltprogramms seien auf einen möglichst niedrigen Schadstoffausstoß ausgelegt. Es komme zu unnatürlichem Schaltverhalten, welches nichts mit dem Schaltverhalten eines Fahrers bei Nutzung eines manuellen Schaltgetriebes zu tun habe. Die Nutzung des Warmlaufschaltprogramms habe im Wesentlichen zur Folge, dass auf dem Prüfstand ein künstliches Lastprofil simuliert werde, das wiederum zu einem vergleichsweise niedrigeren NOx-Ausstoß auf dem Prüfstand führe. Bei Nutzung des DSP weise das streitgegenständliche Fahrzeug einen mindestens auf das Dreifache erhöhten Stickoxidausstoß im Vergleich zur Nutzung des Warmlaufschaltprogramms auf.
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Hätte die Klagepartei gewusst, dass die Betriebserlaubnis für das streitgegenständliche Fahrzeug unter Einsatz einer Manipulationssoftware bzw. einer unzulässigen Abschalteinrichtung erwirkt wurde, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben.
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Die Klagepartei beantragte,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 50.876,83 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageeinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstands zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Porsche Panamera Diesel mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ….
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.147,83 € freizustellen.
11
Die Beklagte beantragte.
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Sie erwiderte, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien.
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Die Beklagte habe aus Anlass der von der Klagepartei in Bezug genommenen Präsentation der Rechtsabteilung der V. AG vom November 2016 die Getriebekonfigurationen von Millionen von Fahrzeugen zu überprüfen. Auch das im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp zum Einsatz kommende Getriebe sei in diesem Zusammenhang zwischen 2016 und 2018 geprüft worden. Diese Untersuchungen seien im Detail dem KBA vorgestellt und intensiv besprochen worden. Diese Untersuchungen hätten gezeigt, dass es bei fast 100% der untersuchten Fälle zu keinen Abweichungen im Schaltverhalten gekommen sei, die für die Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen Grenzwert relevant seien. Auf dieser Grundlage habe das KBA nur für wenige tausend Fahrzeuge des Typs Audi A7/A8 V-TDI EU 5 einen Rückrufbescheid erlassen. Das streitgegenständliche Fahrzeug gehöre nicht dazu. Ein Rückrufbescheid wegen einer fehlerhaften Konfiguration des Getriebes liege nicht vor. Deswegen habe das KBA auch im Jahr 2020, d.h. vier Jahre nach der vorgelegten Präsentation, ausdrücklich bestätigt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien (vgl. Auskunft des KBA vom 11.09.2020 laut Anl. B 1).
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Mit Endurteil vom 03.06.2022, Az. 13 O 3772/21, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12.07.2022, Bl. 178 d.A., wies das Landgericht Landshut die Klage ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass es sich keine Überzeugung dahingehend bilden könne, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug ein verbindlicher Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliege. Die Klagepartei trage weder substanziiert zum Inhalt eines solchen Rückrufbescheids vor noch werde ein solcher Bescheid vorgelegt. Soweit von der Klagepartei Rückrufbescheide vorgelegt würden, beträfen sie Fahrzeuge mit einem anderen Motortyp. Ein Rückschluss von anderen Motoren in anderen Fahrzeugen auf den streitgegenständlichen Motor sei jedoch nicht zulässig. Ebenso unzulässig sei ein Rückschluss von Fahrzeugen, die der Euronorm 6 unterlägen, auf das streitgegenständliche Fahrzeug mit der Euronorm 5. Das unstreitig implementierte Thermofenster begründe unabhängig von seiner Unzulässigkeit jedenfalls nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit, da die Zulässigkeit von Thermofenstern umstritten gewesen sei.
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Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
16
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klagepartei ihr erstinstanzliches Klageziel unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verkaufs des Fahrzeugs und unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Sachvortrags weiter. Sie ergänzt ihren Vortrag dahingehend, dass die Fahrzeugherstellerin von den im Fahrzeug implementierten unzulässigen Abschalteinrichtungen gewusst habe, sodass sie vorsätzlich eine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung in Verkehr gegeben habe. Auch die Beklagte habe die diesbezügliche Kenntnis gehabt.
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Die Klagepartei beantragt daher:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 19.734,33 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
a. hieraus seit dem 08.02.2023 sowie
b. aus einem Betrag von 51.197,96 € vom Zeitpunkt der Rechtshängigkeit bis zum 07.02.2023.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.147,83 € freizustellen.
18
Im Übrigen erklärt die Klagepartei den Rechtsstreit für erledigt.
19
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, und stimmt der teilweisen Erledigterklärung nicht zu.
20
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.
21
Der Senat hat am 26.06.2024 mündlich verhandelt. Er hat Hinweise erteilt und die Klagepartei informatorisch angehört. Auf die Hinweise vom 08.01.2024, Bl. 52/55 d.A., das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
22
Die zulässige Berufung der Klagepartei ist unbegründet.
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I. Zutreffend hat das Landgericht einen Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte auf den großen Schadensersatz und damit die Rückabwicklung des Kaufvertrags verneint.
24
1. Aufgrund der fehlenden vertraglichen Beziehung zwischen den Parteien kommt ein vertraglicher Schadensersatzanspruch der Klagepartei gegen die Beklagte nicht in Betracht. Ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei auf Rückabwicklung des Kaufvertrags aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 263 Abs. 1 StGB scheidet beim Gebrauchtwagenkauf mangels Stoffgleichheit zwischen dem erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteil und dem Vermögensschaden aus.
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2. Es besteht auch kein Schadensersatzanspruch der Klagepartei nach § 826 BGB.
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Nach der Rechtsprechung des BGH ist sittenwidrig ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnr. 10).
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Im Falle einer von der Mutter der Beklagten in Fahrzeugmotoren des Typs EA 189 implementierten Motorsteuerungssoftware, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus schaltet, in dem eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß stattfindet, während im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands der Motor in den Abgasrückführungsmodus 0 schaltet, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist, hat der BGH ein solches sittenwidriges Verhalten angenommen und dem jeweiligen Fahrzeugkäufer dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB zugebilligt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19).
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3. Zu Recht ist das Landgericht insoweit davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klagepartei keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer in die streitgegenständliche Motorsteuerung implementierten Manipulationssoftware in Gestalt einer Umschaltlogik (Warmlaufschaltprogramm) darlegt.
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a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.
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Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Gemäß § 403 ZPO hat die Partei, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen will, die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch dazu äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in die Sachkenntnis des Sachverständigen gestellten Behauptung habe.
31
Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte sie rechtfertigen können (BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnrn 26 – 28).
32
b. Nach diesen Grundsätzen verfehlt der Vortrag der Klagepartei die Substantiierungsanforderungen zur Sittenwidrigkeit des Warmlaufschaltprogramms.
33
Nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag der Klagepartei (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 18.05.2022, S., Bl. 157 d.A.) verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug über zwei verschiedene Steuerungsprogramme zur Getriebesteuerung (Dynamisches Schaltprogramm/Warmlaufschaltprogramm). Damit kann jedoch eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB nicht begründet werden. Wie aus der veröffentlichten obergerichtlichen Rechtsprechung bekannt vertritt das KBA die Auffassung, dass die Schaltpunktsteuerung des automatischen Getriebes nicht Teil des Emissionskontrollsystems sei, da es die Emissionsstrategien des Emissionskontrollsystems nicht berühre und deshalb schon aus formalen Gründen keine Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 vorliege (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 14.07.2022 – 5 U 80/21, Rdnr. 45 und OLG München, Beschluss vom 31.03.2023 – 27 U 6731/22, Rdnr. 23). Zwar vermag die rechtliche Bewertung durch das KBA die Beurteilung, ob eine Abschalteinrichtung nach dem Maßstab des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO (EG) 715/2007 zulässig ist, einer eigenständigen zivilrechtlichen Prüfung nicht zu entziehen. Die vom KBA vertretene Rechtsauffassung, das Getriebe sei kein Teil des Emissionskontrollsystems und die Programmierung des Automatikgetriebes durch die Beklagte folglich keine Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung, ist aber zumindest nicht unvertretbar (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 14.07.2022 – 5 U 80/21, Rdnr. 37). Im Übrigen wurden Fahrzeuge mit einem EA896 VTDI Generation 2 (Monoturbo) EU5-Motor, der unstreitig auch im streitgegenständlichen Fahrzeug der Klagepartei verbaut ist, vom KBA einer Überprüfung unterzogen, in deren Rahmen das KBA – wie die Beklagte unbestritten vorträgt (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 18.05.2022, S. 1 und 2, Bl. 157/158 d.A.) – seit Juli 2017 bei Fahrzeugen der Beklagten gezielt dem Verdacht auf unerlaubte Abschalteinrichtungen im Zusammenhang mit dem Warmlaufschaltprogramm nachging (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Beschluss vom 04.05.2021 – 3 U 679/20, Rdnr. 40). Diese Untersuchung durch das KBA endete jedoch ohne Feststellung einer unerlaubten Abschalteinrichtung und einem Rückruf. Vielmehr hat das KBA – wie sich aus seiner in einem ebenfalls einen Porsche Panamera betreffenden Verfahren des OLG Stuttgart „allgemeingültig für die Gruppe an Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns mit de(n) V6-TDI Euro 5 Generation 2 Motoren“ erteilten Auskunft vom 11.09.2020 laut Anl. B 1 ergibt – in dem unstreitig auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten V6-TDI Euro 5 Generation 2 Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Liegen dem Gericht für den im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebauten Dieselmotor aber „amtliche Auskünfte des KBA aus Parallelverfahren vor“, in denen „das KBA explizit erklärt“ hat, „dass der Motor verschiedentlich überprüft und unter keinem Gesichtspunkt beanstandet“ wurde, kommt eine Haftung des Herstellers nach § 826 BGB nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.05.2022 – VIa ZR 303/21).
34
Soweit die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht (vgl. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2022, Bl. 162 d.A.) vortrug, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von zwei Rückrufen des KBA betroffen gewesen sei, einmal bezüglich der Motorsteuerung und einmal bezüglich des Getriebes, ist nicht ersichtlich, um welche Rückrufe es sich dabei handeln solle. Die von der Klagepartei in der Klageschrift in Bezug genommenen Rückrufe des KBA u.a. vom 08.12.2017 betreffend den VW Touareg Euro 6, vom 23.01.2018 betreffend Audi-Fahrzeuge des Typs A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5 und Q7 Euro 6, vom 14.05.2018 betreffend Porsche Cayenne Euro 6 und vom 16.05.2018 betreffend Porsche Macan Euro 6 sind jedenfalls schon deshalb nicht einschlägig, da sie sich auf Fahrzeuge mit Motoren der Euro-6-Norm bezogen, während es sich bei dem streitgegenständlichen Porsche Panamera um ein Fahrzeug mit EU-5-Motor handelt. Im Übrigen handelt es sich um Rückrufe, die andere Fahrzeugmodelle betrafen (Porsche Macan S und Cayenne II, Audi A8). Zudem liegen alle diese von der Klagepartei angeführten Rückrufe zeitlich vor der oben angeführten Auskunft des KBA vom 11.09.2020 laut Anl. B 1, sodass sich schon deshalb diese Rückrufe nicht auf das streitgegenständlichen Fahrzeug beziehen können. Dies gilt auch für die im Serviceheft laut Anl. K 2 dokumentierte Maßnahme.
35
Warum – wie die Klagepartei nunmehr in der Berufung behauptet (vgl. Berufungsbegründung S. 11, Bl. 24 d.A.) – die Auskunft des KBA vom 11.09.2020 laut Anl. B 1 „aufgrund allgemeinbekannter Umstände offensichtlich unrichtig“ sein soll, erschließt sich nicht. Ob das KBA zum Zeitpunkt der Typgenehmigung Kenntnis von unzulässigen Abschalteinrichtungen und deren technischer Ausgestaltung im streitgegenständlichen Fahrzeug hatte, spielt keine Rolle. Entscheidend ist nur, ob das KBA vor der Erteilung der Auskunft vom 11.09.2020 eine Prüfung diesbezüglich durchführte und zu welchem Ergebnis diese Prüfung führte. Dass eine solche Prüfung durchgeführt wurde, lässt sich der Auskunft entnehmen. Anhaltspunkte dafür, dass das KBA entgegen seiner Auskunft keine Prüfung durchführte und die Auskunft deshalb schon deswegen falsch wäre, gibt es nicht. Solche benennt die Klagepartei auch nicht. Welche Meinung das KBA zur Zulässigkeit der im Motor EA189 implementierten Umschaltlogik vertrat (vgl. Berufungsbegründung S. 13, Bl. 26 d.A.), ist für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung.
36
4. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend ebenfalls nicht.
37
Denn der Einsatz einer derart temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 26 f.; BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 16). Denn anders als eine Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 19; Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rdnr. 28).
38
Davon ist hier nicht auszugehen.
39
Denn die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, war auch noch bei der Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs am 24.07.2015 umstritten. So ging sogar noch der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte, mithin sittenwidrig gehandelt hätte (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 30).
40
Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 32, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnr. 23).
41
Nach alledem scheitert ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei aus § 826 BGB.
42
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Der Anspruch scheitert daran, dass die Beklagte nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und damit auch nicht Verantwortliche für die Typengenehmigung ist.
43
1. Zwar hat der Bundesgerichtshof (Urteile vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann.
44
2. Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, trifft jedoch den Fahrzeughersteller, nicht den Motorhersteller und damit nicht die Beklagte. Der BGH (Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, Rdnrn 28 ff.) hat die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnrn 78 ff., 91) auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typengenehmigung gemäß Art. 18 Abs. 1 der RL 2007/46/EG jedem Fahrzeug beilegt und die gemäß Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV knüpft daher an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt (BGH, Urteil vom 10.07.2023, VIa ZR 1119/22, Rdnr. 20).
45
3. Eine bei Sonderdelikten mögliche Beteiligung der Beklagten als Motorherstellerin im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB an einer durch die Fahrzeugherstellerin begangenen deliktischen Schädigung kommt vorliegend nicht in Betracht. Zwar kann Beihilfe auch zu Sonderdelikten geleistet werden, bei denen der Gehilfe nicht Täter sein kann. Voraussetzung ist allerdings nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2018 – IX ZR 103/17, Rdnr. 66). Bedingung einer Beteiligung ist vielmehr weiter eine Vorsatztat der Fahrzeugherstellerin. Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB nicht (BGH, Urteil vom 10.07.2023, VIa ZR 1119/22, Rdnr. 21).
46
Zur Überzeugung des Senats fehlt es jedoch sowohl an einer Vorsatztat der Fahrzeugherstellerin als auch am Vorsatz der Beklagten als Motorherstellerin.
47
a. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt unstreitig über ein Thermofenster, das bei einer Temperatur unterhalb von + 17 C die Abgasrückführung reduziert. Die Beklagte hat den diesbezüglichen Vortrag der Klagepartei nicht bestritten (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 22.03.2022, S. 2, Bl. 72 d.A.).
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aa. Bei dem streitgegenständlichen Thermofenster handelt es sich somit um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG. Denn angesichts einer vollen Wirksamkeit nur in einem Temperaturbereich über + 17 C kann das Thermofenster dazu führen, dass die Abgasrückführung in Abhängigkeit (auch) von der gemessenen Umgebungstemperatur im gewöhnlichen Fahrbetrieb reduziert und dadurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert wird.
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bb. Das hier streitgegenständlichen Thermofenster ist auch eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der genannten Verordnung. Die Funktion kann nämlich zu einer Verringerung der Wirkung der Abgasrückführung führen und ist damit grundsätzlich unzulässig.
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Eine Ausnahme nach lit. a) – c) der Vorschrift greift vorliegend nicht. Ernsthaft in Betracht käme nur, dass die Funktion erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 715/2007/EG). Diese beiden Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnr. 62). Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG hat die hierzu darlegungs- und beweisbelastete Beklagte indes schon nicht hinreichend vorgetragen. Insoweit ist beachtlich, dass die von der Beklagten als möglich dargelegten Motorschäden durch eine allmähliche Verrußung oder sonstige Ablagerungen auf entsprechenden Motorbauteilen nicht ausreichen, um die Zulässigkeit des Thermofensters darzulegen. Nach dem Beklagtenvortrag bleibt offen, inwieweit diese Ablagerungen ein plötzliches Ereignis darstellen und weswegen den nachteiligen Folgen entsprechender Ablagerungen nur durch ein Thermofenster und nicht etwa auch durch Wartungs- und Reinigungsintervalle begegnet werden kann.
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Rechtlich kommt hinzu, dass der Gerichtshof der Europäischen Union mit Blick auf das Ziel der Verordnung 715/2007/EG für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres konstatiert. Hiernach kann eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist, nicht unter die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 lit a) VO 715/2007/EG fallen (EuGH Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnrn 63 ff., 70 und EuGH Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnrn 65 f.). Eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist danach ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise während in ihrer Summe längerer Zeitintervalle herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, Rdnr. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, Rdnr. 96). Die Voraussetzungen des Ausschlusskriteriums sind vorliegend erfüllt. Nach dem insoweit zugrundezulegenden Klagevortrag erfolgt durch das ursprüngliche Thermofenster eine Verringerung der Abgasrückführung und damit eine Verminderung der Wirkung des Emissionskontrollsystems bereits bei Temperaturen, die niedriger als + 17° C sind. Betrachtet man das von der Verordnung 715/2007/EG erfasste Unionsgebiet insgesamt, dann enthält dieses Gebiet viele besiedelte Gegenden (nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland), in denen die Durchschnittstemperaturen während mehr als der Hälfte eines Jahres unter + 17° C liegen. In diesen Gebieten wird nach den Parametern des Thermofensters bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs während mehr als der Hälfte eines Jahres die Abgasrückführung und damit die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert. Damit ist das streitgegenständliche Thermofenster auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht als notwendig im Rechtssinne einzustufen, wenn es aus technischer Sicht zum Motorschutz erforderlich wäre.
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cc. Da das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, ist der für den Vorwurf einer vorsätzlichen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung relevante Zeitpunkt derjenige des Kaufvertragsschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 61), d.h. der 18.07.2018. Zu diesem Zeitpunkt war die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Thermofenster zulässig ist, aber noch hoch umstritten. So ging noch der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Thermofensters aus. Eine Klärung dieser Rechtsfragen erfolgte erst durch die im Juli 2022 einsetzende Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, C-134/20 und C-145/20). Für eine Kenntnis der Fahrzeugherstellerin oder zumindest ein Fürmöglichhalten der Unzulässigkeit des im streitgegenständlichen Fahrzeug von der Beklagten implementierten Thermofensters am 18.07.2018 gibt es deshalb im Hinblick auf die damals unsichere Rechtslage keine Anhaltspunkte. Aus diesem Grund schließt der Senat auch einen Vorsatz der Fahrzeugherstellerin und der Beklagten bezüglich der Unzulässigkeit des verwendeten Thermofensters aus.
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Die von der Klagepartei vorgetragene Notwendigkeit der Einrichtung eines Qualitätsmanagementsystems auf Seiten der Fahrzeugherstellerin (vgl. Schriftsatz der Klägervertreter vom 22.03.2024, S. 50 ff., Bl. 111 ff. d.A.) ändert an der zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses bestehenden Rechtsunsicherheit nichts und führt deshalb nicht zur Annahme vorsätzlichen Handelns.
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b. Der Senat sieht auch keinen Vorsatz der Fahrzeugherstellerin und der Beklagten hinsichtlich der Unzulässigkeit des Warmlaufschaltprogramms zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 18.07.2018. Denn diesbezüglich vertritt das KBA (wie oben unter I dargelegt) die Ansicht, dass es sich bei dem Warmlaufschaltprogramm schon begrifflich nicht um eine Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO (EG) 715/2007 handele, sodass es auch keine unzulässige Abschalteinrichtung sein könne. Diese vom KBA vertretene Rechtsauffassung, das Getriebe sei kein Teil des Emissionskontrollsystems und die Programmierung des Automatikgetriebes durch die Beklagte folglich keine Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung, ist zumindest nicht unvertretbar (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 14.07.2022 – 5 U 80/21, Rdnr. 37).
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Da andere (unzulässige) Abschalteinrichtungen nicht ersichtlich sind, kommt ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV schon dem Grunde nach nicht in Betracht.
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III. Die Klage der Klagepartei von Anfang an unbegründet war, konnte auch die teilweise Erledigung nicht festgestellt werden.
57
IV. Nachdem die Klagepartei gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz hat, kann sie von der Beklagten auch nicht die Freistellung von den ihr entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.
58
I. Die Klagepartei trägt gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens, da sie zur Gänze unterlag.
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II. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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III. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht besteht.
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Die Festsetzung des Streitwerts erfolgte gemäß § 47 GKG.