Inhalt

OLG München, Endurteil v. 26.06.2024 – 7 U 3846/22
Titel:

Haftung eines Fahrzeugherstellers auf (Differenz-)Schadenersatz bei Verwendung eines Thermofensters (hier: Audi Q7)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Einen Differenzschaden bejahend auch: KG BeckRS 2024, 13983; OLG Celle BeckRS 2023, 32827; OLG Dresden BeckRS 2023, 22299; BeckRS 2023, 32835; OLG Hamburg BeckRS 2023, 26911; BeckRS 2024, 13979; OLG Hamm BeckRS 2023, 25175; BeckRS 2023, 29622; OLG München BeckRS 2024, 5142; BeckRS 2024, 5496; BeckRS 2024, 5589; BeckRS 2024, 6664; BeckRS 2024, 6950; BeckRS 2024, 7525; BeckRS 2024, 8552; BeckRS 2024, 8714; BeckRS 2024, 11301; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; BeckRS 2024, 5526; OLG Schleswig BeckRS 2023, 35465; BeckRS 2024, 3307; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; für Wohnmobil: OLG Naumburg BeckRS 2023, 27644. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Fahrzeugkäufer hat dem Grunde nach gegen den Hersteller einen Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen ist, da der Hersteller in diesem Fall eine unzutreffende Übereinstimmungsbestimmung ausgestellt hat und dem Käufer dadurch ein dementsprechender Vermögensschaden entstanden ist (§§ 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FGV iVm § 823 Abs. 2 BGB). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine etwaige Fehlvorstellung „der Herstellerin“ und damit nicht näher benannter Verantwortlicher der Herstellerin reicht nicht aus, um einen Verbotsirrtum darzulegen und unter Beweis zu stellen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Bemessung des Differenzschadens mit 10% des Kaufpreises ist sachgerecht, wenn es sich um einen durchschnittlichen Fall handelt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
1. Ein Fahrzeugkäufer hat dem Grunde nach gegen den Hersteller einen Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen ist, da der Hersteller in diesem Fall eine unzutreffende Übereinstimmungsbestimmung ausgestellt hat und dem Käufer dadurch ein dementsprechender Vermögensschaden entstanden ist. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Eine etwaige Fehlvorstellung „der Herstellerin“ und damit nicht näher benannter Verantwortlicher der Herstellerin reicht nicht aus, um einen Verbotsirrtum darzulegen und unter Beweis zu stellen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bemessung des Differenzschadens mit 10% des Kaufpreises ist sachgerecht, wenn es sich um einen durchschnittlichen Fall handelt. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, EA897, EA896Gen2 Monoturbo, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Software-Update, unvermeidbarer Verbotsirrtum, Differenzschaden, Restwert
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 24.05.2022 – 41 O 13921/21
Fundstellen:
BeckRS 2024, 15786
FDStrVR 2024, 015786

Tenor

1. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 24.05.2022, Az. 41 O 13921/21, in Ziffer 1 seines Tenors dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klagepartei 3.562,79 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klagepartei 90%, die Beklagte 10%.
4. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren bis 17.05.2014 auf 36.561,63 € und seither auf 5.344,18 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus dem Kauf eines Pkws im Rahmen des sogenannten Dieselskandals.
A.
2
Die vorsteuerabzugsberechtigte Klagepartei erwarb am 08.07.2016 von der ...  GmbH, … den gebrauchten Pkw Audi Q7, 180 kw (245 Ps), EU 5, FIN: …, Erstzulassung 16.07.2013 mit einem Kilometerstand von 7.500 km zum Preis von 42.397,22 € brutto bzw. 35.627,92 € netto (vgl. die verbindliche Bestellung laut Anl. K 1). In der Motorsteuerungssoftware kommt ein Thermofenster zur Anwendung, das bei einer Temperatur von unter + 20 C und über + 30 C die Abgasrückführung reduziert.
3
Am 28.11.2019 wurde bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Software-Update aufgespielt.
4
Mit Schreiben der Klägervertreter vom 16.07.2021 laut Anl. K 3 forderte die Klagepartei die Beklagte auf, die Schadensersatzansprüche der Klagepartei wegen der Implementierung unzulässiger Abschalteinrichtungen in dem streitgegenständlichen Fahrzeug anzuerkennen.
5
Die Klage wurde der Beklagten am 30.11.2021 zugestellt.
6
Die Klagepartei behauptete, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Motor des Typs EA897 verbaut sei. Das Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung.
7
Die Klagepartei beantragte daher:
1. Die Beklagtenseite wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Audi Q7 mit der Fahrgestellnummer … an die Klägerseite den Kaufpreis in Höhe von EUR 42.397,22 abzüglich eines Nutzungsentschädigungsbetrages in Höhe von EUR 6.664,96 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 37.136,25 seit dem 31.07.2021 zu erstatten.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenseite mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagtenseite wird verurteilt, die Klägerseite von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.751,80 freizustellen.
8
In Höhe des überschießenden Betrages erklärte die Klagepartei den Rechtsstreit für erledigt.
9
Die Beklagte beantragte,
Klageabweisung.
10
Sie widersetzte sich der Teilerledigterklärung.
11
Die Beklagte erwiderte, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Motor um einen EA896Gen2 Monoturbo handle. In dem Motor kämen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen zur Anwendung.
12
Mit Endurteil vom 24.05.2022, Az. 41 O 13921/21, wies das Landgericht München I die Klage ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass das unstreitig implementierte Thermofenster unabhängig von seiner Unzulässigkeit jedenfalls nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründe, da die Zulässigkeit von Thermofenstern umstritten gewesen sei. Aus den Messergebnissen der DUH könne ein Sittenwidrigkeitsvorwurf ebenfalls nicht abgeleitet werden. Denn die im NEFZ gemessenen Emissionen seien nicht mit denen im Realbetrieb zu vergleichen.
13
Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
14
Mit ihrer Berufung verfolgte die Klagepartei unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags zunächst ihr erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiter. Sie macht nunmehr aber nur noch den Differenzschaden geltend. Im Übrigen nahm sie die Klage zurück.
15
Die Klagepartei beantragt daher:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I vom 24.05.2022, Az. 41 O 13921/21 verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von € 5.344,18 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das Urteil und beruft sich hinsichtlich des Thermofensters auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum.
18
Der Senat hat am 26.06.2024 mündlich verhandelt. Er hat Hinweise erteilt. Auf die Hinweise vom 08.01.2024, Bl. 181/184 d.A., das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024, Bl. 386/391 d.A., die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
19
Die Klagepartei beschränkte mit Schriftsatz der nunmehrigen Klägervertreter vom 17.05.2024 (Bl. 255/279 d.A.) ihre Berufung auf den Ersatz des Differenzschadens und nahm ihre Berufung im Übrigen zurück.
20
Die zulässige Berufung der Klagepartei ist im Umfang von 3.562,79 € begründet.
21
I. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens in Höhe von 3.562,79 € nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
22
Wie nach der Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 (C-100/21) nunmehr geklärt ist, sind die §§ 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB und hat deshalb ein Fahrzeugkäufer dem Grunde nach gegen den Hersteller einen Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen ist, da der Hersteller in diesem Fall eine unzutreffende Übereinstimmungsbestimmung ausgestellt hat und dem Käufer dadurch ein dementsprechender Vermögensschaden entstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn 28 ff.).
23
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügte jedenfalls zum Zeitpunkt des Kaufes über eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form eines unzulässigen Thermofensters.
24
1. Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird. Bei der Bestimmung, welche Bedingungen bei im Sinne dieser Vorschrift normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnr. 40; BGH Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 50).
25
Die Klagepartei trug bereits in der Klageschrift (dort S. 4) vor, dass infolge des in die Motorsteuerungssoftware implementierten Thermofensters die Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich von + 20 C bis + 30 C uneingeschränkt funktioniere. Die Beklagte hat sich weder in erster noch in zweiter Instanz zum Temperaturbereich des beim Kauf des Fahrzeugs durch die Klagepartei implementierten Thermofensters geäußert. Damit ist der klägerische Vortrag eines Temperaturbereichs von + 20 °C bis + 30 °C, in dem die Abgasrückführung uneingeschränkt aktiv ist, nicht bestritten.
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Bei dem streitgegenständlichen Thermofenster handelt es sich somit um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG. Denn angesichts einer vollen Wirksamkeit nur in einem Temperaturbereich zwischen 20° C und 30° C kann das Thermofenster dazu führen, dass die Abgasrückführung in Abhängigkeit (auch) von der gemessenen Umgebungstemperatur im gewöhnlichen Fahrbetrieb reduziert und dadurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert wird.
27
2. Das hier streitgegenständlichen Thermofenster ist auch eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der genannten Verordnung. Die Funktion kann zu einer Verringerung der Wirkung der Abgasrückführung führen und ist damit grundsätzlich unzulässig.
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Eine Ausnahme nach lit. a) – c) der Vorschrift greift vorliegend nicht. Ernsthaft in Betracht käme nur, dass die Funktion erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 715/2007/EG). Diese beiden Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnr. 62). Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG hat die hierzu darlegungs- und beweisbelastete Beklagte indes schon nicht hinreichend vorgetragen. Insoweit ist beachtlich, dass die von der Beklagten als möglich dargelegten Motorschäden durch eine allmähliche Verrußung oder sonstige Ablagerungen auf entsprechenden Motorbauteilen nicht ausreichen, um die Zulässigkeit des Thermofensters darzulegen. Nach dem Beklagtenvortrag bleibt offen, inwieweit diese Ablagerungen ein plötzliches Ereignis darstellen und weswegen den nachteiligen Folgen entsprechender Ablagerungen nur durch ein Thermofenster und nicht etwa auch durch Wartungs- und Reinigungsintervalle begegnet werden kann.
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Rechtlich kommt hinzu, dass der Gerichtshof der Europäischen Union mit Blick auf das Ziel der Verordnung 715/2007/EG für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres konstatiert. Hiernach kann eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist, nicht unter die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 lit a) VO 715/2007/EG fallen (EuGH Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnrn 63 ff., 70 und EuGH Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnrn 65 f.). Eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist danach ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise während in ihrer Summe längerer Zeitintervalle herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, Rdnr. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, Rdnr. 96). Die Voraussetzungen des Ausschlusskriteriums sind vorliegend erfüllt. Nach dem insoweit zugrundezulegenden Klagevortrag erfolgt durch das ursprüngliche Thermofenster eine Verringerung der Abgasrückführung und damit eine Verminderung der Wirkung des Emissionskontrollsystems bereits bei Temperaturen, die niedriger als + 20 °C sind und bei Temperaturen, die höher als + 30 °C sind. Betrachtet man das von der Verordnung 715/2007/EG erfasste Unionsgebiet insgesamt, dann enthält dieses Gebiet viele besiedelte Gegenden (nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland), in denen die Durchschnittstemperaturen während mehr als der Hälfte eines Jahres unter + 20 °C liegen. In diesen Gebieten wird nach den Parametern des Thermofensters bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs während mehr als der Hälfte eines Jahres die Abgasrückführung und damit die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert. Damit ist das streitgegenständliche Thermofenster auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht als notwendig im Rechtssinne einzustufen, wenn es aus technischer Sicht zum Motorschutz erforderlich wäre.
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3. Die Beklagte hat hinsichtlich des Einsatzes dieser unzulässigen Abschalteinrichtung auch schuldhaft gehandelt. Gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung.
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Grundsätzlich ist die Klagepartei diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastet. Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung. Weil auch das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn 59 ff.). Dies ist der Beklagten nicht gelungen.
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Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum der Beklagten liegt nicht vor.
33
Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken. Ein entlastend wirkender Verbotsirrtum kann vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.
34
Den Beweis kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, wenn diese die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren Einzelheiten umfasst. Zum anderen kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 Rdnrn 64 ff.).
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Vorliegend meint die Beklagte, es sei davon auszugehen, dass das KBA eine entsprechende Anfrage der Beklagten im Zeitpunkt der Typgenehmigung dahin beantwortet hätte, dass es die Verwendung des im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Auslieferungszeitpunkt applizierten Thermofensters aus Gründen des Motorschutzes und sicheren Betriebs des Fahrzeugs als zulässig erachtet. Für das streitgegenständliche Fahrzeug hätte demnach eine Erkundigung beim KBA eine etwaige Fehlvorstellung der Beklagten bestätigt.
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Dies genügt den oben genannten Anforderungen, die der Bundesgerichtshof für eine Entlastung des Fahrzeugherstellers aufgestellt hat, nicht.
37
Die Beklagte hat schon keinen Verbotsirrtum dargelegt und unter Beweis gestellt. Eine etwaige Fehlvorstellung „der Beklagten“ und damit nicht näher benannter Verantwortlicher der Beklagten reicht nicht aus. Letztendlich kommt es darauf aber entscheidungserheblich gar nicht an, da es schon an einer konkreten und vollständigen Darlegung der Funktionsweise der streitgegenständlichen Abschalteinrichtung fehlt, die angeblich hypothetisch vom KBA genehmigt worden wäre. Die Beklagte trägt weder zum Bereich uneingeschränkter Aktivität der Abgasrückführung noch zur Auf- und Abrampung vor.
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Dies entspricht schon mangels Konkretheit nicht den Angaben, die die Beklagte der Behörde hätte machen müssen und die im Verfahren darzulegen sind; schon deswegen scheidet ein Entlastungsbeweis der Beklagten aus.
39
4. Der Senat geht auch davon aus, dass die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug jedenfalls zu dem vereinbarten Kaufpreis nicht gekauft hätte, wenn sie vom Vorhandensein der – wie oben dargelegt – unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst hätte. Nach der Rechtsprechung des BGH und entgegen der Meinung der Beklagten (vgl. Berufungserwiderung S. 25, Rz. 120, Bl. 214 d.A.) kann sich die Klagepartei nämlich auch bei Geltendmachung des Differenzschadens iSd. §§ 823 Abs. 2, 6, 27 Abs. 1 EG-FGV auf den Erfahrungssatz stützen, dass sie den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 55). Insofern die Beklagte zur Erwerbskausalität die Parteivernehmung der Klagepartei beantragte (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 23.12.2021, S. 18 f.), war diesem Beweisangebot nicht nachzugehen. Denn die diesbezüglichen in erster Instanz erhobenen Beweisbehauptungen der Beklagten können als wahr unterstellt werden, ohne dass dadurch die Kausalitätsvermutung widerlegt wäre. Denn ob die konkreten NOx-Werte oder die Umweltfreundlichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs für die Erwerbsentscheidung relevant waren und/oder ob sich die Klagepartei im Rahmen der Vertragsverhandlungen nach einer etwaigen Betroffenheit des Fahrzeugs erkundigt hat, ist unerheblich. Entscheidend ist nämlich nach der oben in Bezug genommenen BGH-Rechtsprechung allein, ob die Klagepartei das Fahrzeug in Kenntnis des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung noch zu dem vereinbarten Kaufpreis gekauft hätte.
40
Abgesehen davon, dass die in der Berufungserwiderung (dort S. 26 Rz. 121 ff., Bl. 215 d.A.) hinsichtlich der Erwerbskausalität erhobenen weiteren Beweisbehauptungen der Beklagten nach § 531 ZPO verspätet und damit nicht zuzulassen waren, sind sie aus den oben angeführten Gründen aber auch irrelevant. Denn sie beziehen sich darauf, ob die (unterstellt) sittenwidrigen Handlungen der Beklagten ursächlich für den Kaufvertragsabschluss wurden. Im Rahmen des Differenzschadens kommt es aber auf (unterstellt) sittenwidriges Verhalten der Beklagten und dessen Kausalität für den Kaufvertragsabschluss nicht an.
41
5. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Differenzschaden vorbehaltlich der im Einzelfall vorzunehmenden Vorteilsausgleichung auf eine Bandbreite zwischen 5 und 15% des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzt (BGH, Urteile vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 73 und vom 20.07.2023 – III ZR 267/20, Rdnr. 34). Für die gemäß § 287 ZPO vorzunehmende Festlegung des Schadens innerhalb dieser Bandbreite sind die Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogenen Betrachtung zu gewichten. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen, welches Ausmaß an behördlichen Anordnungen auf Grund der festgestellten unzulässigen Abschalteinrichtung drohte und wie groß die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Anordnungen war, welches Gewicht dem festgestellten Verstoß des Herstellers bezogen auf das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte zukommt und schließlich mit welchem Verschuldensgrad der Hersteller den Verstoß verwirklicht hat.
42
Hiervon ausgehend erscheint dem Senat die Bemessung des Schadens im vorliegenden Fall mit 10% des Kaufpreises als sachgerecht, da es sich um einen mit Blick auf die genannten Kriterien durchschnittlichen Fall handelt. Besondere Umstände, welche diesen Fall in die eine oder andere Richtung gegenüber anderen Fällen hervorheben würden, sind nicht ersichtlich (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 09.11.2023 – 24 U 14/21, Rdnrn 125 f.). Da die Klagepartei vorsteuerabzugsberechtigt ist (die diesbezügliche Behauptung der Beklagten im Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 23.12.2021, S. 17 unter Rdnr. 62 hat die Klagepartei nicht bestritten), zieht der Senat als Berechnungsgrundlage nicht den Bruttokaufpreis, auch wenn dieser von der Klagepartei an die Verkäuferin bezahlt worden sein mag, sondern den Nettokaufpreis heran. Daraus folgt, dass der Differenzschaden im Streitfall bei einem unstreitigen Bruttokaufpreis von 42.397,22 € und einem sich daraus errechnenden Nettokaufpreis von 35.627,92 € im Ausgangspunkt mit 3.562,79 € zu bemessen ist (§ 287 ZPO) und der Wert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Kaufs (= Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) damit 32.065,13 € betrug.
43
6. Im Wege des Vorteilsausgleichs muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch diejenigen Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Er darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st. Rspr; vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 65). Diese Grundsätze können dazu führen, dass der Klagepartei zum Schluss der mündlichen Verhandlung – dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung der anzurechnenden Vorteile (etwa: BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 23 mwN) – ein Schaden nicht verbleibt.
44
a. Beim Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (ebenso wie beim kleinen Schadensersatz nach § 826 BGB) sind die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges bzw. der beim Verkauf erzielte Erlös nur insoweit und erst dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (vgl. zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn. 44 und 80; zu § 826 BGB BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 22).
45
Demnach ist nach der vom BGH vorgegebenen Rechnung zunächst die Summe von Restwert und Nutzungsvorteilen zu bilden. Übersteigt diese Summe den Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss, der nach der Formel Kaufpreis abzüglich Differenzschaden zu ermitteln ist, so erfolgt eine Anrechnung des überschießenden Betrages auf den Differenzschaden. Erreicht der überschießende Betrag die Höhe des Differenzschadens, besteht kein auszugleichender Schaden mehr (vgl. Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnr. 80; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 09.11.2023 – 24 U 14/21, Rdnr 128).
46
b. aa. Die Bewertung der gezogenen Nutzungen schätzt der Senat auf Basis der vom Bundesgerichtshof für zulässig erachteten Methode der linearen Wertminderung (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, Rdnrn 12 f. und Beschluss vom 12.10.2021 – VIII ZR 255/20, Rdnrn 22 f.) gemäß § 287 ZPO unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km, woraus sich eine Restlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Kaufs von 292.500 km (= 300.000 km – 7.500 km Stand bei Kauf) ergibt.
47
Der aktuelle Kilometerstand (26.06.2024) des Fahrzeugs beträgt unstreitig 67.560 km. Die Beklagte hat den diesbezüglichen Vortrag der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024 (vgl. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024, Bl. 387 d.A.) nicht bestritten.
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Damit ergibt sich bei einer Restlaufleistung von 292.500 km, 60.060 von der Klagepartei mit dem Fahrzeug zurückgelegten Kilometern (67.560 km – 7.500 km) und einem Nettokaufpreis von 35.627,92 € ein Nutzungsvorteil von 7.315,60 €.
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bb. Hinsichtlich des für das Fahrzeug anzusetzenden Restwerts legt der Senat den Händlereinkaufspreis des Fahrzeuges zu Grunde (§ 287 ZPO), welchen er über die allgemein bekannte Datenbank der DAT unter Angabe der FIN ... des Fahrzeuges, des Datums der Erstzulassung und der aktuellen Laufleistung von 67.560 km ermittelt. Demnach ist zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung von einem Händlereinkaufswert von 18.050,00 € auszugehen.
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cc. Die Summe aus Restwert (18.050,00 €) und Nutzungsvorteilen (7.315,60 €) beträgt damit 25.365,60 € und übersteigt den wahren Wert des Fahrzeugs bei Kauf (32.065,13 €) nicht. Eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen ist daher nicht vorzunehmen, sodass es bei einem Differenzschaden von 3.562,79 € verbleibt.
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c. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind etwaige, der Beklagten durch die Geltendmachung von Absetzungen für Abnutzung (AfA) entstehende Steuervorteile nicht schadensmindernd zu berücksichtigen. Denn zum einen handelt es sich dabei nicht – wie für eine schadensmindernde Berücksichtigung erforderlich – um außergewöhnliche Steuervorteile (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.1986 – IVa ZR 76/84, Rdnrn 30 ff. und OLG Hamm, Urteil vom 25.09.2023 – I-22 U 32/23, Rdnr. 42). Zum anderen muss sich – wie oben unter b dargelegt – der Käufer eines Fahrzeugs für gefahrene Wegstrecken einen Ausgleich in Form einer Nutzungsentschädigung entgegenrechnen lassen. Diese gezogenen Nutzungen sind ein Spiegel des wirtschaftlichen Werteverzehrs. Denn mit Ende der durchschnittlichen Lebensdauer eines Fahrzeugs egalisiert der Vorteilsausgleich den Schadensersatzanspruch. Der Nutzungsersatz hat insoweit mittelbar die Funktion, den Werteverzehr schadensersatzrechtlich einzupflegen. Würde die AfA zusätzlich als schadensersatzmindernde Position einbezogen, würde der Werteverzehr des Fahrzeugs beim Schadensersatz doppelt berücksichtigt und berechnet (vgl. OLG München, Urteil vom 09.10.2023 – 36 U 7055/22, Rdnr. 92).
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7. Der der Klagepartei entstandene Differenzschaden ist auch nicht durch das unstreitig am 28.11.2019 aufgespielte NFD-Software-Update entfallen (den diesbezüglichen Vortrag der Beklagten in den Schriftsätzen der Beklagtenvertreter vom 30.04.2024, S. 4, Rdnr. 21, Bl. 193 d.A. und vom 17.06.2024, dort S. 14, Bl. 304 d.A.) hat die Klagepartei nicht bestritten), mit dem nach dem Vortrag der Beklagten in der Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein Thermofenster implementiert wurde, bei dem im Temperaturbereich zwischen + 3° C und + 37° C keine aktive Veränderung der AGR-Rate bewirkt wird.
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a. Zum einen geht der Senat davon aus, dass das bereits seit dem Jahr 2019 verfügbare Software-Update in den vom Senat im Juni 2024 über eine SilverDAT-Abfrage ermittelten Händlereinkaufspreis miteinbezogen ist, sodass sich das Software-Update unmittelbar im Restwert des Fahrzeugs niederschlägt, der wiederum ein Rechnungsposten bei der Bestimmung des der Klagepartei entstandenen Schadens ist, und deshalb nicht noch einmal herangezogen werden kann, um einen völligen Wegfall des Differenzschadens zu begründen.
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b. Zum anderen stellt das mit dem Software-Update implementierte Thermofenster ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung dar.
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Denn wie oben unter 1. und 2. ausgeführt entnimmt der Gerichtshof der Europäischen Union der Verordnung 715/2007/EG mit Blick auf deren Ziel für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres. Um diesen Ausschlussgrund zu widerlegen und die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung darzulegen, müsste die Beklagte substanziiert vortragen, dass das Thermofenster unter normalen Betriebsbedingungen nicht den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist. Denn eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise während in ihrer Summe längerer Zeitintervalle herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, Rdnr. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, Rdnr. 96).
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Aus Sicht des Senats reicht hierfür der Temperaturbereich nicht aus, denn bezogen auf das gesamte Unionsgebiet und damit unter Einbeziehung etwa der nördlichen Teile von Schweden und Finnland sind in Herbst, Winter und Frühling und damit im überwiegenden Teil eines Jahres Temperaturen unter + 3° C üblich. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024 geäußerten Ansicht der Beklagten (vgl. S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024, Bl. 388 d.A.) kommt es dabei auch nicht auf die in Finnland vorherrschende Durchschnittstemperatur bzw. die Mediantemperatur an, die nach dem Beklagtenvortrag bei + 6 C liege. Insoweit kann schon nicht – wie die Beklagte es aber meint – auf die auf ganz Finnland bezogene Durchschnitts- bzw. Mediantemperatur abgestellt werden. Denn dies würde dazu führen, dass die Abgasrückführung bei ansonsten identischen Fahrtumständen wegen der allgemein bekannt in Nordfinnland (bspw. in Kiruna, wo ausweislich W die mittlere Tagestemperatur von Oktober bis einschließlich April unter dem Gefrierpunkt liegt) im Vergleich zu Südfinnland (bspw. Turku) vorherrschenden niedrigeren Temperaturen in Nordfinnland über einen, auf das Jahr betrachtet überwiegenden Zeitraum nicht oder nur eingeschränkt aktiv wäre. Dies wiederum würde in Nordfinnland einen gegenüber Südfinnland erhöhten Stickoxidausstoß bedeuten. Es ist aber nicht zu erkennen, warum der mit Art. 5 VO 715/2007/EG beabsichtigte Schutz der Umwelt in Nordfinnland geringer ausfallen solle als im restlichen Finnland bzw. dem übrigen Unionsgebiet (siehe dazu auch Erwägungsgrund 1 und Erwägungsgrund 27 der Verordnung 715/2007/EG, dene zufolge durch die Verordnung die Vorschriften harmonisiert werden, um den Binnenmarkt zu vollenden und ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen). Eine „weitere Aufsplitterung des räumlichen Bezugspunktes (z.B. letztes Dorf vor der russischen Grenze)“ – um es mit den Worten des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024 auszudrücken – ist daher sehr wohl veranlasst. Die unionsrechtlichen Vorgaben sind im gesamten Unionsgebiet zu erfüllen (siehe auch Art. 191 Abs. 3 AEUV, wonach die Union bei der Erarbeitung ihrer Umweltpolitik die Umweltbedingungen in den einzelnen Regionen der Union berücksichtigt). Im Übrigen ist die von der Beklagten angeführte Temperatur auch deshalb irrelevant, weil es sich dabei offensichtlich um die Jahresdurchschnittstemperatur handelt. Diese lässt jedoch keinen Rückschluss darauf zu, welche Temperaturen im Jahresverlauf auftreten. Darauf ist aber abzustellen, um feststellen zu können, ob infolge des Temperaturfensters die Abgasrückführung den überwiegenden Teil des Jahres uneingeschränkt aktiv ist.
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Nach alledem ist die Berufung in der Hauptsache im Umfang von 3.562,79 € € begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
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II. Die Verzinsung des Schadensersatzanspruchs ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB. In der Berufung werden nur noch Rechtshängigkeitszinsen geltend gemacht.
C.
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I. Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien sowie die teilweise Berufungsrücknahme durch die Klagepartei (§ 516 Abs. 3 S. 1 ZPO).
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II. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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III. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere auch die Frage, was der Fahrzeughersteller vorzutragen hat, um einen Verbotsirrtum (dessen Vorliegen der Frage der Unvermeidbarkeit vorgelagert ist) schlüssig darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 25.09.2023 – VIa ZR 1/23, Rdnr. 14), sind höchstrichterlich geklärt. Zu würdigen waren vorliegend die Umstände des Einzelfalles.
D.
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Die Festsetzung des Streitwerts erfolgte gemäß § 47 GKG.