Inhalt

OLG München, Beschluss v. 02.02.2024 – 7 AktG 2/22
Titel:

Erstattung von Reisekosten des nicht notwendigerweise beauftragten auswärtigen Rechtsanwalts

Normenkette:
ZPO § 91 Abs. 1
Leitsätze:
1. Erfolgt die Prozessführung einer Gesellschaft am eigenen Gerichtsstand, sind zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung grundsätzlich nur die Kosten aus der Mandatierung eines ortsansässigen Rechtsanwalts notwendig iSd § 91 Abs. 1 ZPO. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Inanspruchnahme auswärtigen Rechtsbeistands ist der dadurch entstehende Mehraufwand grundsätzlich nicht erstattungsfähig (sog. Kostenschonungsgebot). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Ausnahme hiervon kommt in Betracht, wenn ein entlegenes oder besonders schwieriges Rechtsgebiet die Fachkunde eines Spezialisten erfordert und ein geeigneter Anwalt vor Ort nicht verfügbar ist. Dies ist bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten im Allgemeinen und aktienrechtlichen Freigabeverfahren im Besonderen nicht der Fall, wenn vor Ort (hier: München) eine größere Anzahl von (auch) auf das Aktienrecht spezialisierter nationaler und internationaler (Groß-)Kanzleien vertreten ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
4. Allein die aufgrund vorprozessualer Befassung erworbene Sachkenntnis über den Streitfall rechtfertigt die Beauftragung eines auswärtigen Anwalts im späteren Prozess nicht, weil eine vorausschauende Partei bereits im Zeitpunkt der Mandatserteilung auf die Ortsnähe des Anwalts geachtet hätte und im Übrigen auch bei einem erst später eingeschalteten gerichtsansässigen Prozessbevollmächtigten eine gründliche Einarbeitung vorausgesetzt werden kann. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die fehlende Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts führt nicht zum vollständigen Ausschluss eines Anspruchs auf Erstattung von dessen Reisekosten gegenüber dem unterlegenen Prozessgegner. Eine Partei, die ihren Sitz innerhalb des Gerichtsbezirks hat, jedoch einen auswärtigen Rechtsanwalt beauftragt, kann Reisekosten insoweit beanspruchen, als sie entstanden wären, wenn sie einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks mandatiert hätte (BGH NJW 2019, 681 Rn. 14). Bei einem Freigabeverfahren ist dabei maßgeblich der OLG-Bezirk des mit dem Freigabeverfahren erstinstanzlich befassten Gerichts. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reisekosten, Kostenschonungsgebot, auswärtiger Rechtsanwalt, Gerichtsbezirk
Vorinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 29.06.2022 – 7 AktG 2/22
OLG München, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.12.2022 – 7 AktG 2/22
Fundstellen:
AG 2024, 594
RPfleger 2024, 261
LSK 2024, 1577
NZG 2024, 460
BeckRS 2024, 1577

Tenor

1. Auf die Erinnerungen der Antragsgegner zu 1) bis 3) wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 19.12.2022, Az. 7 AktG 2/22, aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Entscheidung an den Rechtspfleger zurückverwiesen.

Gründe

1
Die Parteien stritten um die Freigabe eines Beschlusses der Hauptversammlung der Antragstellerin über den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages vom 03.02.2022. Mit Beschluss vom 29.06.2022, Az. 7 AktG 2/22, (Bl. 99/122 d.A.) gab der Senat nach § 246a AktG den Beschluss der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 03.02.2022 antragsgemäß frei und ordnete an, dass die Antragsgegner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hätten.
2
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.12.2022, Az. 7 AktG 2/22, den Antragsgegnern zu 1) und 2) am 20.12.2022 und dem Antragsgegner zu 3) am 02.01.2023 zugestellt, setzte der Rechtspfleger des Oberlandesgerichts München die von den Antragsgegnern zu 1) bis 3) an die Antragstellerin nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 29.06.2022 zu erstattenden Kosten auf insgesamt 6.075,23 € fest.
3
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 27.12.2022 (Bl. 145/149 d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, legte der Antragsgegner zu 2) Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ein.
4
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 02.01.2023 (Bl. 151/152 d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, legte die Antragsgegnerin zu 1) Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ein.
5
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 02.01.2023 (Bl. 153/157 d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, legte schließlich auch der Antragsgegner zu 3) Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ein.
6
Mit Beschluss des Rechtspflegers vom 17.01.2024 half das Oberlandesgericht München den Erinnerungen der Antragsgegner zu 1) bis 3) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts vom 19.12.2022 insoweit ab, als die Reise- und Abwesenheitskosten des Rechtsanwalts Dr. G. abzusetzen seien und reduzierte die von den Antragsgegnern der Antragstellerin zu erstattenden Kosten auf 4.969,26 € fest. Im Übrigen half es den Erinnerungen nicht ab.
II.
7
1. Die Erinnerungen sind statthaft. Da das Oberlandesgericht in Freigabeverfahren nach § 246a AktG in erster Instanz entscheidet, war es nach § 104 Abs. 1 S. 1 ZPO auch sachlich für den Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses zuständig, wobei die funktionelle Zuständigkeit gemäß § 21 Nr. 1 RPflG beim Rechtspfleger liegt. Da gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichts gemäß § 567 Abs. 1 ZPO eine Beschwerde nicht statthaft ist, ist als Rechtsbehelf gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 RpflG nur die Erinnerung gegeben. Gemäß § 11 Abs. 2 S. 7 RPflG i.V.m. § 568 S. 1 ZPO entscheidet das Oberlandesgericht durch den Einzelrichter.
8
2. Die Erinnerungen der Antragsgegner zu 1) bis 3) sind zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 11 Abs. 2 S. 1 RPflG) eingelegt.
9
3. Nach dem Teilabhilfebeschluss des Rechtspflegers vom 17.01.2024, demzufolge – was auch nach Meinung des Senats zutreffend ist – nur die Kosten eines Anwalts notwendig iSd. § 91 Abs. 1 ZPO seien und deshalb die Kosten des Rechtsanwalts Dr. … zur Gänze abzusetzen seien, war auf die Erinnerungen der Antragsgegner zu 1) bis 3) nur noch über die Kosten des Rechtsanwalts Dr. … zu entscheiden. Die Erinnerungen sind nur teilweise begründet.
10
a. Hinsichtlich der Kosten der Bahnfahrt des Rechtsanwalts Dr. … von Frankfurt nach München und zurück gilt Folgendes:
11
Da Sitz der Antragstellerin München ist, erfolgte die Prozessführung im eigenen Gerichtsstand, sodass zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig iSd. § 91 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nur die Kosten aus der Mandatierung eines ortsansässigen Rechtsanwalts sind. Bei Inanspruchnahme auswärtigen Rechtsbeistands ist der dadurch entstehende Mehraufwand grundsätzlich nicht erstattungsfähig (Kostenschonungsgebot).
12
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt in Betracht, wenn ein entlegenes oder besonders schwieriges Rechtsgebiet die Fachkunde eines Spezialisten erfordert und ein geeigneter Anwalt vor Ort nicht verfügbar ist. Dies ist – wie der Senat aufgrund seiner jahrelangen Befassung mit gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten im Allgemeinen und mit aktienrechtlichen Freigabeverfahren im Besonderen weiß – in München jedoch nicht der Fall, da dort eine größere Anzahl von (auch) auf das Aktienrecht spezialisierter nationaler und internationaler (Groß-)Kanzleien vertreten ist. Allein die aufgrund vorprozessualer Befassung der Antragstellervertreter erworbene Sachkenntnis über den Streitfall rechtfertigt die Beauftragung eines auswärtigen Anwalts im späteren Prozess dagegen nicht, weil eine vorausschauende Partei bereits im Zeitpunkt der Mandatserteilung auf die Ortsnähe des Anwalts geachtet hätte und im Übrigen auch bei einem erst später eingeschalteten gerichtsansässigen Prozessbevollmächtigten eine gründliche Einarbeitung vorausgesetzt werden kann (vgl. Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, München 2020, Rdnr. 71 zu § 91 ZPO m.w.N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung).
13
Diese fehlende Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts führt jedoch entgegen der Ansicht der Antragsgegner nicht zum vollständigen Ausschluss eines Anspruchs auf Erstattung von Reisekosten des Rechtsanwalts gegenüber dem unterlegenen Prozessgegner. Vielmehr kann die Partei grundsätzlich fiktive Reisekosten geltend machen (BGH, Beschluss vom 04.12.2018 – VIII ZB 37/18, Rdnr. 12). Demnach kann eine Partei, die ihren Sitz innerhalb des Gerichtsbezirks hat, jedoch einen Rechtsanwalt außerhalb des Bezirks beauftragt, Reisekosten insoweit beanspruchen kann, als sie entstanden wären, wenn sie einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks mandatiert hätte (BGH, Beschluss vom 04.12.2018 – VIII ZB 37/18, Rdnr. 14). Maßgeblich ist dabei der Bezirk des Oberlandesgerichts München als des mit dem Freigabeverfahren erstinstanzlich befassten Gerichts und nicht derjenige des Landgerichts München I (vgl. Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, München 2020, Rdnr. 79 aE zu § 91 ZPO). Der vom Antragsgegner zu 3) vorgelegte Hinweis des Landgerichts München I vom 23.01.2023, Az. 5 HK O 2654/22, besagt nichts Gegenteiliges, da es sich bei dem dortigen Verfahren um das Hauptsacheverfahren zu dem vorliegend streitgegenständlichen Freigabeverfahren handelt, für das das Landgericht München I zuständig war, sodass für die dortigen Reisekosten auch auf dessen Bezirk abzustellen war.
14
b. Die Taxikosten des Dr. … waren, obwohl sie grundsätzlich – wie im Kostenfestsetzungsbeschluss mit zutreffender Begründung richtig dargelegt – grundsätzlich anzuerkennen wären, im vorliegenden Fall abzusetzen, da sich aus dem eingereichten Beleg nicht ergibt, von welchem Ort und nach welchem Ort die Fahrt erfolgte.
15
c. Die geltend gemachten Hotelkosten von 194,30 € waren entsprechend der regelmäßigen Übung im Bezirk des Oberlandesgerichts München (vgl. insoweit den Beschluss des OLG München vom 16.11.2020 – 11 W 1408/20) nur bis zu einem Betrag von 100,00 € netto zu berücksichtigen. Im Übrigen sind sie abzusetzen.
III.
16
Da demzufolge noch weitere Ermittlungen zur Höhe der Reisekosten vom am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks des Oberlandesgerichts München zu treffen sind, war der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.12.2022 gemäß § 11 Abs. 2 S. 7 RPflG i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung unter Berücksichtigung der Ausführungen unter II. 3. a. an den Rechtspfleger zurückzuverweisen.
17
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 11 Abs. 4 RPflG).