Titel:
Voraussetzungen der Strafbarkeit der Verwendung eines sog. Judensterns als Volksverhetzung
Normenkette:
StGB § 130 Abs. 3
Leitsatz:
Die Verwendung eines sog. Judensterns oder sonstiger Symbole und Begriffe, die im Zusammenhang mit der Judenverfolgung im Nationalsozialismus Verwendung fanden, kann je nach den Umständen des Einzelfalls eine Assoziation an den Holocaust hervorrufen und ist demzufolge grundsätzlich geeignet, eine strafbare Handlung nach § 130 Abs. 3 StGB zu begründen. (Rn. 16 – 21) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Volksverhetzung, Judenstern, Holocaust, Judenverfolgung, Verharmlosung, Friedensstörung
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 01.02.2024 – 3 NBs 510 Js 16720/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15772
Tenor
I. Auf die Revision der Angeklagten hin wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 1. Februar 2024 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurückverwiesen.
Gründe
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Das Amtsgericht Traunstein hat die Angeklagte mit Urteil vom 9. Mai 2023 der Volksverhetzung schuldig gesprochen und gegen sie deswegen eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20,00 € verhängt.
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Die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Traunstein mit Urteil vom 1. Februar 2024 verworfen.
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Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten, die mit der ausgeführten Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründet wird. Die Revision beantragt, die Angeklagte freizusprechen, hilfsweise, das angegriffene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurückzuverweisen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Stellungnahme vom 8. Mai 2024, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
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Die Revision der Angeklagten hat mit der erhobenen Sachrüge zumindest vorläufigen Erfolg. Die Urteilsgründe leiden unter durchgreifenden Darstellungsmängeln. Der Schuldspruch wird von den getroffenen Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht hinreichend getragen. Es fehlt zudem an der erforderlichen, die besondere Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG berücksichtigenden, sorgfältigen Auslegung des Erklärungsgehalts der festgestellten Äußerung.
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1. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB verurteilt.
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a) Nach dieser Vorschrift macht sich – in der hier allein in Betracht kommenden Variante – strafbar, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung […] verharmlost. § 6 Abs. 1 VStGB regelt in unterschiedlichen Fallvarianten die Strafbarkeit von Völkermord.
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b) Dem Schuldspruch hat das Gericht zusammengefasst folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
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Die Angeklagte begab sich am Nachmittag des 29.1.2022 […] zum Festplatz in […], um dort an der Demonstration „Schluss mit Coronamaßnahmen – Wiederherstellung der Grund- und Freiheitsrechte“ teilzunehmen. An einem Arm ihres Mantels trug sie eine gelbe Binde mit der Aufschrift „ungeimpft“, ferner im linken Brustbereich auf dem Mantel einen weißen Button, welcher einen gelben 6-zackigen Stern, einen sogenannten Davidstern, zeigte. Dieser trug ebenfalls die Aufschrift „ungeimpft“. Der Angeklagten war bewusst, dass der Button von einer nicht eingegrenzten Anzahl von Personen wahrgenommen werden konnte, und dass er geeignet war, bei anderen Personen Assoziationen zwischen den damals aktuellen Corona-Maßnahmen und der Judenverfolgung im „Dritten Reich“ zu wecken, dass ein solcher Zusammenhang in keiner Weise vorlag, und dass die Symbolik geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören und aus einer aufgeheizten Stimmung der Teilnehmer heraus eine latente Gewaltbereitschaft zum Ausdruck zu bringen.
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2. Das Landgericht geht davon aus, dass die Angeklagte durch das vorbeschriebene Handeln die Judenverfolgung im „Dritten Reich“ und die systematisch betriebene Vernichtung der Juden verharmlost habe (UA S.3). Dieses Auslegungsergebnis erscheint möglich, ist jedoch nicht hinreichend begründet.
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a) Bei dem Auftritt der Angeklagten unter Verwendung der in den Feststellungen beschriebenen Symbole handelt es sich um die Äußerung einer Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Bei deren strafrechtlicher Beurteilung sind verfassungsrechtliche Maßstäbe zu berücksichtigen.
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aa) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Bei Meinungen handelt es sich um Äußerungen, die durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind. Diese fallen stets in den Schutzbereich von Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden (st. Rspr. des BVerfG; BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018, 1 BvR 673/18, NJW 2018, 2858 Rn. 19; BayObLG, Beschluss vom 26. Januar 2024, 206 StRR 362/23, juris Rn. 14).
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bb) Bei der Prüfung, ob eine Meinungsäußerung strafbar ist, ist dem Grundrecht des Art. 5 GG angemessen Rechnung zu tragen. Dies gilt bereits für die Auslegung der Äußerung. Zunächst ist ihr objektiver Sinn zu ermitteln, wobei nicht die subjektive Absicht des sich Äußernden und nicht das subjektive Verständnis eines ggf. von einer Äußerung Betroffenen maßgeblich ist, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen – soweit eine verbale Äußerung vorliegt –, zudem ist ihr Kontext einzubeziehen; fernliegende Deutungen sind auszuscheiden (st. Rspr; vgl. nur BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 19. Dezember 2021, 1 BvR 1073/20, NJW 2022, 680 Rn. 28 m.w.N.; vgl. auch BayObLG a.a.O. Rn. 16 sowie Beschluss vom 15. November 2022, 206 StRR 289/22, juris Rn. 16). Im Falle von mehrdeutigen Äußerungen ist grundsätzlich maßgeblich, ob eine der nicht auszuschließenden Bedeutungsvarianten straffrei wäre (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995, 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 103/92 und 1 BvR 221/92, NJW 1995, 3303, 3305).
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b) Diesen Begründungsanforderungen genügt das angegriffene Urteil nicht.
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§ 130 Abs. 3 StGB stellt die Verwendung von Symbolen, die auf die Judenverfolgung im Nationalsozialismus hinweisen, nicht schon für sich unter Strafe – anders als § 86a StGB die Verwendung von Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen –, sondern nur dann, wenn ihnen – neben anderen Voraussetzungen – ein bestimmter Aussagegehalt beizumessen ist, im gegenständlichen Fall eine Verharmlosung des Holocaust.
aa) Verweisung auf den Völkermord an den Juden
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(1) Die Verwendung eines sog. Judensterns oder sonstiger Symbole und Begriffe, die im Zusammenhang mit der Judenverfolgung im Nationalsozialismus Verwendung fanden, kann, wie das Bayerische Oberste Landesgericht bereits mehrfach entschieden hat, je nach den Umständen des Einzelfalls eine Assoziation an den Holocaust hervorrufen und ist demzufolge grundsätzlich geeignet, eine strafbare Handlung nach § 130 Abs. 3 StGB zu begründen (zum sog. Judenstern: BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 205 StRR 240/20, BeckRS 2020, 52510, juris [dazu BVerfG, Beschluss vom 21. September 2021, 1 BvR 1787/20, BeckRS 2021, 38103: Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen]; Beschluss vom 12. Mai 2022, 207 StRR 108/22 [n.v.]; zum Begriff „Geltungsjude“: Beschluss vom 17. Februar 2023, 207 StRR 32/23, NStZ-RR 2023, 174, juris; zur Floskel „Impfen macht frei“: Beschluss vom 20. März 2023, 206 StRR 1/23, BeckRS 2023, 4591, juris); im Ausgangspunkt ebenso, jedoch im konkreten Kontext eine Verharmlosung des Holocaust verneinend BayObLG, Beschluss vom 15. Januar 2024, 207 StRR 440/23, BeckRS 2024, 187 Rn. 5 (zur Auslegung der Äußerung, die Politik suche immer „Sündenböcke“, das seien 1938 die Juden gewesen, heute die Ungeimpften).
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(2) Hieran hält der Senat fest. Eine in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, wonach die Verwendung eines Judensterns unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch das Wort „ungeimpft“ bereits grundsätzlich nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB verwirklichen könne, weil die Verpflichtung zum Tragen eines Judensterns für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstelle (OLG Braunschweig, Urteil vom 7. September 2023, 1 ORs 10/23, BeckRS 2023, 24623, juris), hält der Senat in dieser Allgemeinheit nicht für überzeugend.
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Zutreffend ist, dass in der Verwendung des Symbols keine unmittelbare Bezugnahme auf den Holocaust liegt. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der deutschen Geschichte hält der Senat jedoch dafür, dass der „Judenstern“ als solcher eine Assoziation zur massenhaften physischen Vernichtung der Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft – zum Völkermord – grundsätzlich hervorrufen kann und dies in vielen Konstellationen auch der Fall sein wird. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933 wurden deutsche Juden öffentlich aus der Gesellschaft ausgegrenzt, wobei der Stern im Zusammenhang mit erheblichen Diskriminierungen der jüdischen Mitbürger verwendet wurde. Er steht damit zum einen als Symbol für die Ausgrenzung und Diskriminierung der Juden, nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch aus der Gesellschaft heraus. Durch „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 (RGBl. I, S. 547) wurden schließlich fast alle Personen im Deutschen Reich, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden einschließlich der Geltungsjuden definiert wurden, vom vollendeten sechsten Lebensjahr an verpflichtet, einen gelben Judenstern „sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstückes in Herznähe fest aufgenäht zu tragen“. Das Symbol hatte „handtellergroß“ zu sein und die Aufschrift „Jude“ zu tragen. Bei Zuwiderhandlungen drohte eine Geldbuße oder Haftstrafe bis zu sechs Wochen. Später wurden Verstöße auch durch Deportation oder Zuführung in das nächstgelegene Konzentrationslager geahndet. Die schon zuvor eingeführten vielfältigen Beschränkungen für Juden ließen sich nach Einführung der äußerlichen Kennzeichnung leichter kontrollieren. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung begannen im Oktober 1941 die Deportationen; auch diese wurden durch die Kennzeichnung entscheidend erleichtert. Der gelbe Stern ist im historischen Kontext bereits ab der „Machtergreifung“ als ein Symbol der Ausgrenzung und diskriminierenden Stigmatisierung von Juden zu sehen, spätestens seit September 1941 (erzwungene Anbringung des Judensterns auf der Kleidung) steht er auch für ihre Verfolgung und Ermordung. Eine „Überdehnung“ des Wortlauts des § 130 Abs. 3 StGB vermag der Senat in einer Auslegung, wonach in einer Verwendung des Symbols in zeitgenössischen Kontexten ein Verweis auf den Holocaust liegen kann, anders als das OLG Braunschweig (a.a.O. Rn. 15) nicht zu erkennen. Entscheidend bleiben stets die Umstände des Einzelfalles.
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(3) Das Landgericht hat seiner Entscheidung erkennbar eine Auslegung im vorgenannten Sinne zugrunde gelegt, diese aber nicht ausreichend begründet. Ob die Verwendung eines Judensterns inzident auf den Holocaust Bezug nimmt, mag, wie dargelegt, häufig naheliegen, hängt aber gleichwohl jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter festzustellen und – auch im Lichte der Meinungsfreiheit – auszulegen hat.
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Im gegenständlichen Fall sind die tatsächlichen Feststellungen, die insoweit maßgeblich wären, lückenhaft. Bereits das objektive Erscheinungsbild des Buttons ist nicht ausreichend beschrieben. Es lässt sich ersehen, dass die Angeklagte diesen auf der linken Körperseite getragen hat. Über seine nähere Beschaffenheit, insbesondere über die Form und die Größe des Buttons sowie die Größe des darauf angebrachten Sterns (offensichtlich war der weiße Untergrund des Buttons noch erkennbar), sind keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Von Bedeutung kann für die Auslegung auch die Schriftart sein, in der die Aufschrift „ungeimpft“ aufgebracht war, sowie deren Größe und Erkennbarkeit (über diejenige des Buttons als solchen hinaus); hierzu ist ebenfalls nichts ausgeführt. In die vorzunehmende Auslegung wird ferner noch das Gesamtgeschehen, innerhalb dessen das Symbol verwendet wurde, bereits auf dieser Auslegungsebene einzubeziehen sein.
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(3) Einer Vorlegung der Sache an den Bundesgerichtshof wegen der von der Auffassung des OLG Braunschweig abweichenden Meinung des Senats zur Symbolik des Judensterns bedarf es nicht. Die genannten Gründe waren für das OLG Braunschweig nicht tragend, denn die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Instanzurteil ist verworfen worden, weil jedenfalls die dort gegenständlichen Erklärungen des Angeklagten nicht geeignet gewesen seien, den öffentlichen Frieden im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB zu stören (OLG Braunschweig a.a.O. Rn. 18). Im Hinblick auf den von der Revision in Bezug genommenen Beschluss des BayObLG vom 8. April 2024, 205 StRR 119/24 [n.v.] gilt dies entsprechend. Zwar weisen die Beschlussgründe ebenfalls darauf hin, dass das verpflichtende Tragen des Judensterns keinen Völkermord i.S.d. § 130 Abs. 3 StGB darstelle. Jedoch machen die Beschlussgründe deutlich, dass dies nicht verallgemeinernd gemeint, sondern die Besonderheiten des Einzelfalls zu der vorgenommenen Auslegung veranlasst hatten (BA S. 3). Auch ist für den gegenständlichen Aufhebungsbeschluss die bezeichnete Auffassung nicht entscheidungserheblich, denn die Aufhebung erfolgt bereits, weil es an der erforderlichen umfassenden Auslegung dahin, ob eine Aussage (auch) zum Holocaust getroffen wurde, anhand aller maßgeblichen Umstände fehlt. Diese wird das neue Tatgericht nachzuholen haben.
bb) Verharmlosung des Völkermordes
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Das Landgericht hat in der von der Angeklagten verwendeten Darstellung eine konkludente Verharmlosung der „Judenverfolgung im Dritten Reich“ gesehen (UA S. 3), womit es erkennbar den Völkermord meint.
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(1) Ein Verharmlosen im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB liegt vor, wenn eine unter der NS-Herrschaft begangene Tat in tatsächlicher Hinsicht heruntergespielt, beschönigt oder ihr wahres Gewicht verschleiert wird (BGH, Urteil vom 6. April 2000, 1 StR 502/99, BGHSt 46, 36, 40 = NJW 2000, 2217, 2218).
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(2) Die von der Angeklagten verwendete Darstellung verharmlost den von den Nationalsozialisten begangenen Völkermord an den Juden nicht explizit. Das Landgericht hat seine vorgenannte Auslegung nicht weiter begründet. Sie versteht sich jedenfalls nicht von selbst. Mit anderen Deutungsmöglichkeiten hat sich das Urteil, obwohl es sich aufgedrängt hätte, nicht auseinandergesetzt.
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Die Angeklagte hat sich nach den Feststellungen von Anfang an dahin eingelassen, dass sie sich durch die Corona-Maßnahmen „wie zur Nazizeit diskriminiert“ fühle, und dies zum Ausdruck habe bringen wollen. Das Landgericht hätte daher erwägen müssen, ob die Aussage dahin ausgelegt werden konnte, dass die Angeklagte nicht den Völkermord an den Juden verharmlost, sondern lediglich umgekehrt ihre eigene Betroffenheit von staatlichen Maßnahmen, denen sie sich als nicht gegen Covid-19 geimpfte Person ausgesetzt sah, übersteigert dargestellt haben könnte. Sollte eine solche Deutungsmöglichkeit nach einer durch den neuen Tatrichter vorzunehmenden Auslegung in Betracht kommen, wird er auch zu entscheiden haben, ob einem derartigen Erklärungsinhalt bei grundrechtsfreundlicher Auslegung (dazu oben 2. a) bb)) der Vorrang einzuräumen sein wird; auch maßlose, geschmacklose, polemische, geschichtsvergessene und selbst hysterische Übertreibungen genießen grundsätzlich den Schutz der Meinungsfreiheit (eine Verharmlosung des Holocaust in ähnlichen Fällen verneinend z.B. OLG Oldenburg, Urteil vom 16. Oktober 2023, 1 ORs 46/23, BeckRS 2023, 30330; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 21. November 2023, 2 ORs 38/23, BeckRS 2023, 41704).
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Das neue Tatgericht wird dabei andererseits auch, je nach den weiteren festzustellenden Umständen, zu prüfen haben, ob eine Erklärung, die sich eine eigene Opferstellung in der Weise anmaßt, dass sie die Einschränkungen für ungeimpfte Personen während der Corona-Pandemie mit der Diskriminierung von Juden im Dritten Reich gleichsetzt, zwingend und gleichsam untrennbar mit einer Bagatellisierung der damals begangenen massenhaften Vernichtung jüdischen Lebens einhergeht (so BayObLG, Beschluss vom 20. März 2023, 206 StRR 1/23, juris Rn. 34 betreffend eine Darstellung des Tores zum KZ Auschwitz mit der Aufschrift „Impfen macht frei“; eine untrennbare Verknüpfung verneinend Hoven/Obert, NStZ 2022, 331, 334).
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Der Senat vermag eine eigene Auslegung, die grundsätzlich dem Tatgericht obliegt, bereits deshalb nicht vorzunehmen, weil die lückenhaften Feststellungen keine ausreichende Grundlage hierfür bieten.
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(3) Für den Fall, dass sich bei der Auslegung in objektiver Hinsicht das Vorliegen einer Verharmlosung des Holocaust ergibt, wird im Hinblick auf die Einlassung der Angeklagten zu prüfen sein, ob ein derartiger Erklärungsgehalt in subjektiver Hinsicht von einem – zumindest bedingten – Vorsatz umfasst war (vgl. beispielhaft OLG Brandenburg, Urteil vom 17. April 2024, 1 ORs 23/23, BeckRS 2024, 9866 Rn. 20, bezüglich eines Judensterns mit der Aufschrift „ungeimpft“ an der Eingangstür eines Ladengeschäfts).
cc) Geeignetheit zur Störung des öffentlichen Friedens
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Der Senat bemerkt noch ergänzend, dass das Landgericht die Geeignetheit der Tathandlung – in der von ihm angenommenen Auslegung – zur Störung des öffentlichen Friedens nicht ausreichend dargetan hat. Das neue Tatgericht wird, wenn es für seine Entscheidung darauf ankommt, hierzu noch ergänzende Feststellungen zu treffen und die Eignung zur Friedensstörung zu begründen haben.
Der Senat weist hierzu auf Folgendes hin:
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(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Eignung zur Friedensstörung in der Tatbestandsvariante des „Verharmlosens“ im Sine des § 130 Abs. 3 StGB anders als in den Tatvarianten des Billigens oder Leugnens nicht „indiziert“, sondern sie ist eigens festzustellen (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018, 1 BvR 2083/15, NJW 2018, 2861 Rn. 23). Auch an die Eignung einer Äußerung zur Störung des öffentlichen Friedens sind im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG besondere Anforderungen zu stellen. Eingriffe in die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Das Anliegen, die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern, ist ebenso wenig ein Grund, Meinungen zu beschränken, wie deren Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit. Legitim ist es demgegenüber, Rechtsgutverletzungen zu unterbinden (BVerfG a.a.O. Rn. 25.).
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Nicht tragfähig ist daher ein Verständnis des öffentlichen Friedens, dass auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt, ebenso wenig der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ oder der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte (BVerfG a.a.O.). Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind auch nicht schon dann überschritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind von ihr auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen (BVerfG a.a.O. Rn. 29; vgl. auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. März 2021, Ss 72/20 (2/21), BeckRS 2021, 4322 Rn. 21).
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Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Friede hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Diese kann durch Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, beeinträchtigt sein. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierung, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen, Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern (BVerfG a.a.O. Rn. 27 m.w.N.) Eine Verurteilung wegen einer Meinungsäußerung kommt in Betracht, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt ist und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierung oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen kann (BVerfG a.a.O. Rn. 27 m.w.N.).
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(2) Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall gegeben sind, ist stets anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände festzustellen, bei der insbesondere die Art, der Inhalt, die Form und das Umfeld der Äußerung zu berücksichtigen sind. Je nach den Umständen des Einzelfalls können auch die Stimmungslage in der Bevölkerung und die politische Situation eine Rolle spielen (BayObLG, Beschluss vom 2. August 2023, 203 StRR 287/23, NJW 2023, 3525 Rn. 10 m.w.N.).
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Im Hinblick darauf wird das neue Tatgericht weitere Feststellungen zu treffen haben, so etwa zur Größe der Versammlung, zur herrschenden Stimmungslage und zur Erkennbarkeit nicht nur des gegenständlichen Buttons, sondern auch der darauf angebrachten Symbolik.
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(3) Das BayObLG sowie Oberlandesgerichte hatten sich bereits mehrfach mit der rechtlichen Beurteilung von Äußerungen gegen staatliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-2-Pandemie, die als den Holocaust verharmlosend auszulegen waren, und deren Geeignetheit zur Friedensstörung zu befassen.
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Bejaht wurde diese für die Verwendung eines Plakats beim Bundesparteitag der AfD, auf welchem mittels Verwendung des Judensterns die Behandlung von AfD-Anhängern mit dem Schicksal der Juden gleichgesetzt wurde (BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 205 StRR 240/20, BeckRS 2020, 52510, juris; vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 21. September 2021, 1 BvR 1787/20, BeckRS 2021, 38103 sowie EGMR, Entscheidung vom 5. Juli 2022, 1854/22 [Lanzerath/Deutschland], NJW 2023, 1929), für den bildlichen Vergleich von Coronaimpfungen mit dem Tor zum KZ Auschwitz, das mit der Aufschrift „Impfen macht frei“ versehen war (BayObLG, Beschluss vom 20. März 2023, 206 StRR 1/23, BeckRS 2023, 4591 Rn. 36 ff.), für die öffentliche Verwendung des Begriffs „Geltungsjude“ zur Bezeichnung eigener vermeintlicher Diskriminierung (BayObLG, Beschluss vom 17. Februar 2023, 207 StRR 32/23, NStZ-RR 2023, 174, 176) und für den öffentlich gezogenen Vergleich des eigenen individuellen Schicksals mit NS-Opferschicksalen (BayObLG, Beschluss vom 2. August 2023, 203 StRR 287/23, NJW 2023, 3525 Rn. 10); verneint wurde sie für den Fall der Verwendung eines „Judensterns“ u. a. mit der Aufschrift „ungeimpft“ in einem für jedermann sichtbaren Facebook-Profil (OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. März 2021, Ss 72/20 (2/21), BeckRS 2021, 4322 Rn. 18 ff.).
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(4) Einen konkreten Hinweis für das weitere Verfahren im vorliegenden Fall vermag der Senat wegen der insoweit nicht ausreichenden Feststellungen nicht zu erteilen.
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Auf die Revision der Angeklagten ist das angefochtene Urteil aus den angeführten Gründen mit den zugrunde liegenden Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1, Abs. 2 StPO aufzuheben. Es wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurückverwiesen.