Titel:
Keine Ausnahmegenehmigung von Dieselfahrverbot in Umweltzone zum Zwecke der Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen
Normenketten:
VwGO § 123
BImSchG § 40, § 47 Abs. 4a S. 2
35. BImSchV § 1
StVO § 46
Leitsätze:
Es besteht jedenfalls dann kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von einem Dieselfahrverbot, wenn der Betroffene zumutbar auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verwiesen werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Ausnahme vom Dieselfahrverbot besteht für Fahrten von Personen zur Ausübung ihrer Berufstätigkeit in Form der Hin- und Rückfahrt zu ihrer Arbeitsstätte, sofern aufgrund der Uhrzeit von Arbeitsbeginn und/oder -ende ein Ausweichen auf den ÖPNV nicht zumutbar ist. Dies ist bei einer privaten Weiterbildungsmaßnahme, die jeweils dienstags und donnerstags von 18:00 bis 21:00 stattfindet, nicht der Fall. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Verlängerung des Anfahrtsweges begründet keinen Anspruch auf Erteilung einer Einzelausnahme. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz (erfolglos), Antrag auf einstweilige Anordnung, Erteilung einer Ausnahme vom Dieselfahrverbot, Dieselfahrverbot, Luftreinhalteplan, ÖPNV, Wohls der Allgemeinheit, Schadstoffbelastung, Ausnahmegenehmigung, unaufschiebbare und überwiegende Gründe, Zumutbarkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 23.09.2024 – 22 CE 24.1097
Fundstellen:
SVR 2024, 437
LSK 2024, 15703
BeckRS 2024, 15703
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Befahren einer von der Antragsgegnerin eingerichteten Umweltzone.
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Die Antragstellerin ist in der … 11, … O. wohnhaft und arbeitet montags bis donnerstags von 7:00 Uhr bis 16:15 Uhr und freitags von 7:00 Uhr bis 13:00 Uhr als Buchhalterin für ein in der … …, … K. ansässiges Unternehmen. Den zwanzigminütigen Arbeitsweg legte die Antragstellerin bislang mit einem privaten PKW, amtliches Kennzeichen ..., Dieselfahrzeug der Schadstoffklasse Euro 3/III, nachgerüstet mit Partikelminderungsfilter PM 2, sodass die Abgasnorm Euro 4/IV grün erfüllt wird, zurück.
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Seit Februar 2023 gilt in der von der Antragsgegnerin eingerichteten Umweltzone ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge mit der Schadstoffklasse Euro 4/IV und schlechter. Anwohner und der geschäftsmäßige Lieferverkehr sind hiervon generell ausgenommen. Zudem wurde in der 8. Fortschreibung des Luftreinhalteplans der Antragsgegnerin ein Ausnahmekonzept zum Befahren der Umweltzone aufgestellt.
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Seit März 2023 nimmt die Antragstellerin an einer Weiterbildung zur Wirtschaftsfachwirtin teil. Die Schulungen finden regelmäßig dienstags und donnerstags von 18:00 bis 21:00 Uhr, ausnahmsweise auch samstags, in der … …, … M.. Die Schulungsräume befinden sich innerhalb der von der Beklagten im Stadtgebiet eingerichteten Umweltzone (https://geoportal.muenchen.de/portal/umweltzone/). Der Weiterbildungskurs endet voraussichtlich im Oktober 2024.
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Am 9. März 2023 beantragte die Antragstellerin eine Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Umweltzone für die Dauer von einem Jahr ab dem 1. März 2023. Zur Begründung gab sie an, dass sie neben ihrer Vollzeittätigkeit an einer Weiterbildung teilnehme und daher auf die Benutzung ihres Kraftfahrzeuges angewiesen sei.
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Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 22. Mai 2023 wurde die Antragstellerin zur beabsichtigten Ablehnung ihres Antrages angehört. Hierauf teilte sie mit Schreiben vom 31. Mai 2023 mit, dass es ihr nicht möglich sei, den Schulungsort mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und dass die Ablehnung ihres Antrages das Aus ihrer beruflichen Laufbahn bedeuten würde.
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Mit Bescheid vom 17. August 2023 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ab (Ziff. 1), legte ihr die Kosten des Verfahrens auf (Ziff. 2) und setzte Gebühren in Höhe von 25,00 Euro und Auslagen in Höhe von 2,96 Euro fest (Ziff. 3). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das Kraftfahrzeug der Antragstellerin dem Verkehrsverbot innerhalb der Umweltzone unterfalle und dass weder gesetzliche Ausnahmen noch die im Ausnahmekonzept vorgesehenen Fallgruppen Anwendung finden würden. Um ihre Arbeitsstelle und Fortbildungsstätte zu erreichen, könne die Antragstellerin auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen. Das öffentliche Interesse am Schutz der Gesundheit der Wohnbevölkerung überwiege die Einzelinteressen der Antragstellerin. Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 29. August 2023 zugestellt.
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Hiergegen erhob die Antragstellerin am 18. September 2023 Klage (M 28 K 23.4575), über die bislang nicht entschieden wurde.
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Am 6. Februar 2024 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
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Der Antragstellerin sei eine Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Umweltzone zu erteilen, da ihr die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zuzumuten sei. Der Arbeitsweg der Antragstellerin verlängere sich durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel von 20 auf 53 bis 75 Minuten. Zu den Weiterbildungskursen müsse die Antragstellerin zudem umfangreiche Schulungsunterlagen und Gesetzestexte transportieren. Ein anderes Kraftfahrzeug stünde ihr nicht zur Verfügung. Sie könne auch nicht auf die Nutzung von Park and Ride Möglichkeiten verwiesen werden, da dies den Zeitaufwand noch weiter erhöhen würde.
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Die Situation der Antragstellerin sei daher mit der in Ziff. 1.2 Buchst. q des Ausnahmekonzeptes der Beklagten vergleichbar. Die Weiterbildung von Arbeitnehmern liege zudem im öffentlichen Interesse, v.a., um dem Fachkräftemangel, der gerade bei Steuerfachangestellten herrsche, entgegenzuwirken. Da der Kurs bereits im Oktober 2024 ende, könne nicht bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zugewartet werden.
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Die Antragstellerin beantragt,
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1. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. August 2023 (Az. KVR-II/4143) wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgehoben.
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2. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin die beantragte Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Umweltzone München für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... zu erteilen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die von der Antragstellerin vorgetragenen Gründe würden die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nicht rechtfertigen, da kein überwiegendes und unaufschiebbares Einzelinteresse dargelegt worden sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass Ausnahmegenehmigungen jeweils nur für konkrete Fahrten erteilt werden könnten, sodass die beantragte Ausnahme für Fahrten zur Weiterbildungsstätte grundsätzlich nicht in Betracht komme.
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Mit Schreiben des Gerichts vom 4. März 2024 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass der erhobene Eilantrag nach Auffassung der Kammer keine Aussicht auf Erfolg habe, da das Gericht weder ein öffentliches Interesse noch überwiegende und unaufschiebbare Interessen Einzelner erkennen könne und die Nutzung der bestehenden Park and Ride Möglichkeiten zumutbar erscheine.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Eil- und Klageverfahrens sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Um den Anspruch der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG zu wahren, legt das Gericht die Anträge ihres Bevollmächtigten gemäß §§ 122, 88 VwGO sachdienlich dahingehend aus, dass der Antragstellerin bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gestattet werden soll, die Umweltzone im Stadtgebiet der Antragsgegnerin mit ihrem Kraftfahrzeug, amtliches Kennzeichen ..., zum Zwecke der Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen in der … …, … M. zu befahren.
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Der hiernach zulässige Antrag ist jedoch unbegründet.
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Nach § 123 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
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Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Hier fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
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Die Antragstellerin beruft sich auf das Vorliegen eines Härtefalles, weil es ihr aufgrund des in der Umweltzone der Antragsgegnerin bestehenden Dieselfahrverbots (Euro 4/IV) nicht möglich sei, ihre Weiterbildungsstätte mit dem eigenen Kraftfahrzeug zu erreichen.
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Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einzig möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung unterfällt das Kraftfahrzeug dem Dieselfahrverbot innerhalb der Umweltzone der Antragsgegnerin (1.). Es bestehen zugunsten der Antragstellerin jedoch weder Ausnahmetatbestände (2.) noch ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung (3.).
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1. Die Antragstellerin ist mit ihrem Kraftfahrzeug von dem bestehenden Dieselfahrverbot in der Umweltzone der Antragsgegnerin betroffen.
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a) In Umsetzung der in Nr. 7.4 der am 11. Januar 2023 in Kraft getretenen 8. Fortschreibung des Luftreinhalteplanes der Antragsgegnerin (Amtsblatt der Antragsgegnerin der Beklagten Nr. 1/2023, S. 13) vorgesehenen Stufe 1, hat die Antragsgegnerin als zuständige Straßenverkehrsbehörde ab dem 1. Februar 2023 gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG im Wege der Allgemeinverfügung durch das Aufstellen der Verkehrszeichen 270.1 „Umweltzone“ sowie der Zusatzzeichen „grüne Plakette frei“ und „Diesel (außer Lieferverkehr und Anwohner) erst ab Euro 5/V frei“ das Befahren der Umweltzone mit Dieselfahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 4/IV und schlechter untersagt.
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Das Dieselfahrzeug der Antragstellerin mit dem amtlichen Kennzeichen ... unterfällt dem angeordneten Fahrverbot, da es auch nach der durchgeführten Nachrüstung eines Partikelminderungsfilters lediglich die Voraussetzungen der Schadstoffklasse Euro 4/IV erfüllt. Da die Antragstellerin in Ottobrunn – also außerhalb der Umweltzone – wohnhaft ist und die beabsichtigten Fahrten in die Umweltzone zu den Schulungsräumen in der O.straße ihrer Weiterbildung und nicht dem Lieferverkehr dienen, ist sie von dem Dieselfahrverbot betroffen.
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Durchgreifende Gründe, die bei summarischer Prüfung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Verhältnismäßigkeit des dem Fahrverbot zugrundeliegenden Luftreinhalteplanes sprechen würden (vgl. BVerwG, B. v. 11.7.2012 – 3 B 78/11 – juris Rn. 10), wurden weder vorgetragen (VG Berlin, U.v. 12.12.2023 – 11 K 184/19 – juris Rn. 32) noch sind sie sonst ersichtlich (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 21.3.2024 – 22 A 23.40047 – Rn. 88).
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2. Ausnahmetatbestände zugunsten der Antragstellerin bestehen weder nach § 47 Abs. 4a Satz 2 BImSchG (a), § 40 Abs. 3 BImSchG i.V.m. § 2 Abs. 3 der 35. BImSchV i.V.m. Anhang 3 zur 35. BImSchV (b) noch nach der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin (c).
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a) Das Kraftfahrzeug der Antragstellerin erfüllt nicht die technischen Voraussetzungen nach § 47 Abs. 4a Satz 2 BImSchG.
33
b) Das Kraftfahrzeug der Antragstellerin unterfällt auch keinem der in Anhang 3 zu § 2 Abs. 3 der 35. BImSchV aufgeführten Ausnahmetatbestände.
34
c) Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Ausnahmetatbestände der der 8. Fortschreibung des Luftreinhalteplans als Anlage 5 beigefügten Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin (fortan: Allgemeinverfügung), zuletzt geändert am 28. September 2023, berufen.
35
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 BImSchG kann die Straßenverkehrsbehörde im Einvernehmen mit der für den Immissionsschutz zuständigen Behörde Ausnahmen von Verboten oder Beschränkungen des Kraftfahrzeugverkehrs zulassen, wenn unaufschiebbare und überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dies erfordern. Dies ist nach § 1 Abs. 2 35. BImSchV insbesondere dann der Fall, wenn dies zur Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen notwendig ist, oder überwiegende und unaufschiebbare Interessen Einzelner dies erfordern, insbesondere wenn Fertigungs- und Produktionsprozesse auf andere Weise nicht aufrechterhalten werden können.
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Die Antragsgegnerin hat von dieser Ausnahmemöglichkeit im Wege der Allgemeinverfügung Gebrauch gemacht und allgemeine Ausnahmetatbestände vorgesehen.
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Die von der Antragstellerin vorgetragenen Gründe fallen unter keine der in der Allgemeinverfügung enthaltenen Fallgruppen.
38
Insbesondere kann sich die Antragstellerin nicht auf Nr. 1.2 Buchst. q der Allgemeinverfügung berufen. Danach besteht eine Ausnahme vom Dieselfahrverbot für Fahrten von Personen zur Ausübung ihrer Berufstätigkeit in Form der Hin- und Rückfahrt zu ihrer Arbeitsstätte, sofern aufgrund der Uhrzeit von Arbeitsbeginn und/oder -ende ein Ausweichen auf den ÖPNV nicht zumutbar ist und kein anderes Fahrzeug, welches vom Fahrverbot nicht erfasst wird, zur Verfügung steht. Ein Ausweichen auf den ÖPNV ist nicht zumutbar, wenn Arbeitsbeginn oder -ende zwischen 24:00 Uhr und 06:00 Uhr liegen.
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Die Kurse der Antragstellerin finden jeweils dienstags und donnerstags von 18:00 bis 21:00 Uhr und damit innerhalb des Zeitraums statt, in dem das Ausweichen auf den ÖPNV nach der insoweit von der Antragstellerin nicht substantiiert angegriffenen und durch das Gericht nicht zu beanstandenden Einschätzung der Antragsgegnerin zumutbar ist. Zudem handelt es sich um eine private Weiterbildungsmaßnahme, der die Klägerin gerade nicht im Rahmen ihrer Berufstätigkeit nachgeht.
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Sinn und Zweck der Regelung bestehen ausweislich der Begründung zur Änderung der Allgemeinverfügung vom 20. März 2023 (Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 8/2023, S. 200) darin, dass im Schichtdienst arbeitendes Personal die Arbeitsstelle auch zu Uhrzeiten erreichen kann, zu denen ein Ausweichen auf den ÖPNV nicht zumutbar ist. Vor diesem Hintergrund verbietet sich die Anwendung der Vorschrift, die mit Blick auf ihren Ausnahmecharakter eng auszulegen ist, auf die Antragstellerin.
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3. Auch besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Einzelausnahme. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich weder aus § 40 Abs. 1 Satz 2 BImSchG (a), noch aus § 40 Abs. 3 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 35. BImSchV (b) oder § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO (c).
42
a) Ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme nach § 40 Abs. 1 Satz 2 BImSchG besteht nicht, da die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nicht durch unaufschiebbare und überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit gerechtfertigt wäre.
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Unaufschiebbare und überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit liegen nur vor, wenn ohne die Ausnahme gewichtige Belange des Allgemeinwohls gefährdet wären wie z.B. das Leben oder die Gesundheit betroffener Anlieger, eine ausreichende Lebensmittelversorgung oder angemessene Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs (Reese in BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, Stand 1.12.2017, § 40 BImSchG Rn. 11). Unaufschiebbar sind derartige Gründe nur, wenn das angestrebte Ziel nicht auch zu einem späteren Zeitpunkt oder ohne eine Benutzung der Kraftfahrzeuge erreicht werden könnte. Ob die Gemeinwohlgründe überwiegen, ist durch eine Abwägung zwischen den Nachteilen durch Unterlassen der Kraftfahrzeugbenutzung und den gesundheitlichen Risiken durch die Kfz-Emissionen zu ermitteln (Hansmann/Hofmann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 40 BImSchG Rn. 17). Vor dem Hintergrund, dass der Luftreinhalteplan dem Schutz von Leben und Gesundheit der Anwohner der Umweltzone dient, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, sind die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift eng zu interpretieren (Jarass in Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 40 Rn. 15).
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Unter Anwendung dieses Maßstabes liegen keine derartigen unaufschiebbaren und überwiegenden Allgemeinwohlgründe vor. Zwar stellt das Gericht nicht in Abrede, dass im Berufsfeld der Antragstellerin – wie in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft – ein großer Fachkräftemangel herrscht, dies allein vermag dem Antrag jedoch nicht zum Erfolg zu verhelfen.
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Es ist bereits fraglich, ob hier tatsächlich von einem öffentlichen Allgemeinwohlgrund ausgegangen werden kann, da die Weiterbildung überwiegend der Antragstellerin persönlich zugutekommt und es sich bei den Einsatzfeldern von Wirtschaftsfachwirten in der Regel nicht um kritische Infrastruktur wie etwa die öffentliche Lebensmittel- oder Gesundheitsversorgung handelt. Selbst wenn die Teilnahme der Antragstellerin an dem Weiterbildungskurs als uneigennütziger Einsatz im öffentlichen Interesse an der Bekämpfung des Fachkräftemangels gewertet würde, so kann sie die Kursräume mittels öffentlicher Verkehrsmittel erreichen, sodass es insoweit an der Unaufschiebbarkeit fehlt. Jedenfalls tritt aber die Weiterbildung der Antragstellerin, die unter Nutzung des ÖPNV nach wie vor möglich bleibt, hinter dem Nutzen, nämlich dem Gesundheitsschutz der Anwohner, zurück, sodass die so verstandenen Allgemeinwohlgründe nicht überwiegen und sich erst recht nicht zu einem Anspruch der Antragstellerin verdichten.
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b) Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 Satz 2 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 der 35. BImSchV liegen ebenfalls nicht vor.
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Danach kann die zuständige Behörde, in unaufschiebbaren Fällen auch die Polizei, den Verkehr mit von Verkehrsverboten im Sinne des § 40 Abs. 1 BImSchG betroffenen Fahrzeugen von und zu bestimmten Einrichtungen zulassen, soweit dies im öffentlichen Interesse liegt, insbesondere wenn dies zur Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen notwendig ist, oder überwiegende und unaufschiebbare Interessen Einzelner dies erfordern, insbesondere wenn Fertigungs- und Produktionsprozesse auf andere Weise nicht aufrechterhalten werden können. Mit diesen Ausnahmen soll unvorhergesehenen Härten Rechnung getragen werden (VG Stuttgart, U.v. 16.12.2020 – 17 K 6770/19 – juris Rn. 37; BR-Drs. 162/06, S. 23). Sollte ein Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge unzumutbare Folgen ausschließlich zu Lasten Einzelner zeitigen, würde die zweite Alternative der letztgenannten Vorschrift dann ausreichende Möglichkeiten eröffnen, um einer solchen Fallgestaltung Rechnung zu tragen, wenn „von und zu bestimmten Einrichtungen“ stattfindende Verkehrsvorgänge inmitten stehen (BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 22 C 16.1427 – juris Rn. 161).
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Es ist mit Blick auf § 1 Abs. 2 Variante 1 35. BImSchV bereits fraglich, ob die Teilnahme der Antragstellerin an der Weiterbildung insoweit im öffentlichen Interesse erfolgt (s.o.). Jedenfalls führt das Dieselverbot lediglich zu einer Verlängerung des Anfahrtsweges der Antragstellerin, was – wie ausgeführt – durch den Gesundheitsschutz der Wohnbevölkerung der Umweltzone gerechtfertigt ist. Dies entspricht auch der Intention der Verordnungsgeberin, welche die Zulassung von Ausnahmen nur insoweit ermöglichen wollte, als dies nach den örtlichen Verhältnissen, insbesondere nach Art und Maß der lokalen Schadstoffbelastung vertretbar ist (BR-Drcks. 819/07, S. 9). Hiervon kann im Stadtgebiet der Antragsgegnerin derzeit nicht ausgegangen werden (BayVGH, U.v. 21.3.2024 – 22 A 23.40047). Hinzu kommt, dass mit der Erteilung einer Ausnahme, einzig aus dem Grund, dass sich die Anfahrtszeit bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verlängert, ein Bezugsfall geschaffen würde, womit der mit dem Dieselfahrverbot verfolgte Zweck in Frage gestellt würde, da sich das Problem (nicht unzumutbar) verlängerter Anfahrtszeiten in einer Vielzahl von Fällen stellen dürfte.
49
Auch ein überwiegendes und unaufschiebbares Einzelinteresse der Antragstellerin am Befahren der Umweltzone vermag die Kammer nicht zu erkennen.
50
Das Individualinteresse der Antragstellerin daran, die Schulungsräume für ihre Weiterbildung mit dem eigenen Kraftfahrzeug zu erreichen, stellt auch unter Berücksichtigung eines sich aus dem Dieselfahrverbot und dem Ausweichen auf den ÖPNV etwaig ergebenden längeren Anfahrtsweges kein überwiegendes und unaufschiebbares Einzelinteresse dar.
51
Der Antragstellerin stehen im Einzugsgebiet der Antragsgegnerin ein gut ausgebauter ÖPNV sowie umfangreiche Park and Ride Möglichkeiten (z.B. in Neuperlach Süd oder Trudering) zur Verfügung, sodass ihr die Teilnahme an den Weiterbildungskursen nach wie vor möglich bleibt. Selbst wenn sich für die Antragstellerin – wie in der Klageschrift behauptet – für einzelne Wegstrecken eine Fahrtzeit von bis zu 75 Minuten ergeben sollte, so ist dies aus Sicht des erkennenden Gerichts in Anbetracht des überragend wichtigen Gesundheitsschutzes der Wohnbevölkerung vor Stickstoffdioxidimmissionen immer noch zumutbar.
52
Auch ist es der Antragstellerin möglich und zumutbar, die erforderlichen Gesetzestexte und Schulungsunterlagen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Schulungsort zu transportieren. Der Kammer ist aus eigener Erfahrung hinlänglich bekannt, dass es einem gesunden Durchschnittsmenschen ohne Weiteres möglich ist, die für juristische Vorlesungen erforderlichen Gesetzestexte inklusive Kommentarliteratur im Stadtgebiet der Antragsgegnerin unter Nutzung des ÖPNV zu befördern. Gesundheitliche Einschränkungen wurden von der Antragstellerin bislang nicht vorgetragen. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Digitalisierung zwischenzeitlich auch in der juristischen Fortbildung Einzug gehalten hat und die Antragstellerin erforderlichenfalls auf digitale Angebote zurückgreifen kann.
53
c) Die Antragstellerin kann den Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung auch nicht auf § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO stützen.
54
Danach können die Straßenverkehrsbehörden in bestimmten Einzelfällen Ausnahmen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind, genehmigen.
55
Aus Sicht der Kammer bestehen mit Blick auf die Systematik der Vorschrift bereits erhebliche Zweifel, ob für Ausnahmen von nach § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG erlassenen Fahrverboten überhaupt auf diese straßenverkehrsrechtliche Vorschrift zurückgegriffen werden kann, da andernfalls die eng gefassten Ausnahmetatbestände in § 40 Abs. 1 Satz 2 BImSchG und § 1 Abs. 2 35. BImSchV unterlaufen würden (so auch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 8.12.2009 – OVG 11 S 50.09 – juris Rn. 9; VG Stuttgart, U.v. 16.12.2020 – 17 K 6770/19 – juris Rn. 50; Will in BeckOK StVR, Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, Stand 15.10.2023, § 46 StVO Rn. 127).
56
Selbst wenn man die Vorschrift in unions- und verfassungskonformer Auslegung zur Anwendung bringen wollte (so wohl BVerwG, U.v. 27.2.2018 – 7 C 30/17 – juris Rn. 46), so kann dies nur in Fälle erfolgen, in denen die Sachverhaltskonstellation von den bestehenden Ausnahmetatbeständen nicht ausreichend erfasst wird und dies im Einzelfall eine Härte nach sich zöge, die ihrerseits nicht mehr als verfassungskonform angesehen werden könnte (BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 22 C 16.1427 – juris Rn. 162). Mit Blick auf die bestehenden Ausweichmöglichkeiten auf den ÖPNV liegt eine solche Härte indes nicht vor.
57
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. Nummer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai bzw. 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.