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VG München, Urteil v. 16.04.2024 – M 1 K 21.4634
Titel:

Vorbescheid für Wohnhaus, Außenbereichsvorhaben, Abgrenzung Innenbereich/Außenbereich

Normenketten:
BauGB § 35
BauGB § 34
BayBO Art. 71
Schlagworte:
Vorbescheid für Wohnhaus, Außenbereichsvorhaben, Abgrenzung Innenbereich/Außenbereich
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15698

Tenor

  I.    Die Klage wird abgewiesen.
 II.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Errichtung eines Einfamilienhauses.
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Die Klägerin ist Miteigentümerin am Vorhabengrundstück FlNr. … Gem. N. … … … (die im Folgenden genannten Flurstücke gehören alle dieser Gemarkung an). Das Grundstück ist mittig mit einem Einfamilienhaus bebaut, das zur westlichen Grundstücksgrenze einen Abstand von gut 20 m einhält. Direkt westlich angrenzend verläuft in Nord-Süd-Richtung die N. Straße, eine Gemeindestraße. Östlich des bestehenden Wohnhauses befindet sich auf dem Vorhabengrundstück ein weiteres Gebäude.
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Ein Bebauungsplan besteht für das Grundstück nicht. Die Beigeladene hat eine Klarstellungssatzung erlassen, die den mittleren und den östlichen Teil des Vorhabengrundstücks sowie weitere Flächen im Norden und Osten umfasst. Der Vorhabenstandort liegt nicht im Satzungsumgriff.
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Unter dem 15. September 2020 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Bauvorbescheids für das Vorhabengrundstück. Geplant ist ein Baukörper westlich des bestehenden Wohnhauses und östlich der N. Straße. Es wird danach gefragt, ob dieser innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils nach § 34 BauGB liege.
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Die Beigeladene verweigerte dem Vorhaben mit Beschluss vom 2. Februar 2021 das gemeindliche Einvernehmen. Das Vorhaben liege außerhalb des Satzungsgebiets.
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Mit Schreiben vom 4. März 2021 hörte das Landratsamt die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung des Bauvorbescheids an. Es werde beim Vorhabenstandort von einer Innenbereichslage ausgegangen. Jedoch durchbreche das Vorhaben eine faktische Bebauungsgrenze. Die Bebauung auf dem Vorhabengrundstück sowie auf den nördlich gelegenen Grundstücken FlNrn. … sowie … hielten hinsichtlich ihrer Hauptnutzung einen Abstand zur N. Straße ein; das Vorhaben würde diesen Abstand erstmals durchbrechen und somit eine gedachte Baugrenze übertreten.
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Nach Stellungnahme des Klägerbevollmächtigten zur planungsrechtlichen Beurteilung ging das Landratsamt in einem Schreiben vom 30. Juni 2021 von einem unzulässigen Vorhaben im Außenbereich aus und hörte die Klägerin erneut zur beabsichtigten Ablehnung an.
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Mit Bescheid vom 30. Juli 2021 lehnte der Beklagte die Erteilung eines Vorbescheids für das Vorhaben ab. Das Vorhaben liege im Außenbereich. Die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich verlaufe direkt an den Hauswänden der Hauptgebäude entlang, also von Wohngebäude T. 11 zu T. 9 und 9a. Als nicht privilegiertes Vorhaben sei es unzulässig, weil zahlreiche öffentliche Belange beeinträchtigt würden. Im Übrigen entspreche das Vorhaben nicht dem gemeindlichen Planungswillen, weil es außerhalb der Klarstellungssatzung liege.
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Die Klägerin hat am 31. August 2021 Klage erheben lassen und beantragt,
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Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des ablehnenden Vorbescheids vom 30.07.2021 einen Vorbescheid gemäß Antrag vom 15.9.2020 zu erteilen.
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Das Vorhaben sei planungsrechtlich zulässig, insbesondere liege es innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Die Abgrenzungslinie verlaufe nicht, wie im Bescheid angenommen, entlang der Gebäude, sondern werde durch die Straße abgegrenzt. Dieser komme trennende Funktion zwischen Innen- und Außenbereich zu, nicht den Gebäuden. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Straße, noch dazu einer einseitig angebauten, diese Funktion haben könne. Der Außenbereich beginne erst westlich der Straße. Der Eindruck der Geschlossenheit werde durch die Straße und den auf dem Vorhabengrundstück bestehenden Vorgarten vermittelt. Auch ein unbebautes, bauakzessorisch genutztes Grundstück am Rande des Bebauungszusammenhangs gehöre dem Innenbereich an, weil dieser Bereich noch durch die vorhandenen Baulichkeiten geprägt werde. Auch die Klarstellungssatzung könne dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden, weil insoweit die Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich fehlerhaft gezogen worden sei.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Das Vorhaben sei planungsrechtlich unzulässig. Es dürfte sich um ein Außenbereichsvorhaben handeln, weil schon Zweifel daran bestünden, ob die vorhandene Bebauung einen Ortsteil darstelle. Die Grenzziehung zwischen Außen- und Innenbereich wie im Bescheid erfolgt sei jedenfalls zutreffend. Im Übrigen sei hier auch von einer faktischen Baugrenze auszugehen, nämlich zwischen dem nördlichen Gebäude Nr. 16 bis zum südlichen Gebäude Nr. 11. Diese stelle sich nicht als bloßes städtebauliches Zufallsprodukt dar, sondern bringe eine klare städtebauliche Absicht, nämlich die Schaffung eines Freibereichs zur Straße hin zum Ausdruck. Mit dem Vorhaben würde eine zweite Bauzeile eröffnet werden mit der Folge eines entsprechenden Baudrucks auf den freien Flächen bis zum Gebäude Nr. 16.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
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Die Kammer hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 1. August 2023 am 16. April 2024 einen Ortsaugenschein durchgeführt und im Anschluss mündlich zur Sache verhandelt. Auf die Niederschrift samt Lichtbildern wird verwiesen.
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Für den Vortrag im Übrigen und die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids. Die ablehnende Beantwortung im Bescheid vom 30. Juli 2021 erweist sich als rechtmäßig, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
I.
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Streitgegenstand ist der Vorbescheidsantrag vom 15. September 2020. Dieser ist sinngemäß gerichtet auf die Frage, ob das Vorhaben auf dem westlichen Teil des Vorhabengrundstücks planungsrechtlich zulässig ist. Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 71 Satz 1 i.V.m. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO, §§ 29 bis 38 BauGB.
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Das Vorhaben der Klägerin ist als sonstiges Vorhaben im Außenbereich planungsrechtlich unzulässig, § 35 Abs. 2 BauGB.
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1. Der Vorhabenstandort erweist sich nach den Erkenntnissen des gerichtlichen Augenscheins als dem planungsrechtlichen Außenbereich, § 35 Abs. 1 BauGB, und nicht dem Innenbereich, § 34 BauGB, zugehörig.
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a) Für die Beurteilung, ob sich ein Grundstück in einem Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 BauGB befindet, ist maßgeblich, ob eine tatsächlich aufeinanderfolgende, zusammenhängende Bebauung besteht. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um noch als zusammenhängende Bebauung zu erscheinen, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern auf Grund einer umfassenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden. Es ist erforderlich, dass das betreffende Grundstück selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bildet, also selbst am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Am Ortsrand endet der Bebauungszusammenhang – unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen – grundsätzlich hinter dem letzten Gebäude. Ein Grundstück ist daher regelmäßig nur dann dem Innenbereich zuzuordnen, wenn es an mindestens drei Seiten von Bebauung umgeben ist. Für die Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich können auch topographische Verhältnisse wie etwa Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse usw.), eine Rolle spielen. Auch eine Straße, ein Weg oder ein sonstiges Hindernis können je nach den Umständen des Einzelfalls einen Bebauungszusammenhang herstellen oder trennende Funktion zwischen Innen- und Außenbereich haben. Die Berücksichtigung solcher äußerlich erkennbarer Umstände kann dazu führen, dass der Bebauungszusammenhang im Einzelfall nicht am letzten Baukörper endet, sondern dass ihm ein oder auch mehrere unbebaute Grundstücke bis zu einer sich aus der örtlichen Situation ergebenden natürlichen Grenze zuzuordnen sind (zum Ganzen BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 ZB 12.468 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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Unter Beachtung dieser Grundsätze und nach den Eindrücken des Ortsaugenscheins liegt der Vorhabenstandort im Außenbereich. Der Standort grenzt lediglich im Osten an vorhandene Bebauung an, nämlich an das bestehende Wohnhaus auf dem Vorhabengrundstück (vgl. Foto Nr. 2). Nach Norden ist erst in einigem Abstand Bebauung feststellbar, und diese besteht auf der Höhe des geplanten Standorts ohnehin aus Nebennutzungen (Gewächshaus, Gartenlaube) (vgl. Foto 1), die den Standort nicht zu prägen vermag. Vielmehr wirkt von Norden her (Grundstück FlNr. …*) der unbebaute Grünstreifen auf den Vorhabenstandort. Von dort in Richtung Süden erstreckt sich eine weitere, in ihrer Ausdehnung stattliche Grünfläche (Grundstücke FlNrn. …, …*), teils mit Baumbestand. Nach den Wahrnehmungen beim Augenschein ist der Vorhabenstandort Bestandteil dieser zusammenhängenden Grünfläche (vgl. hierzu auch Foto Nr. 2 und 5), die für sich genommen bereits Außenbereichscharakter hat.
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Der Vorhabenstandort nimmt im Übrigen auch an der unbebauten Außenbereichsfläche im Westen jenseits der Gemeindestraße (FlNr. …*) teil. Soweit die Klagepartei der Gemeindestraße im Westen des Vorhabengrundstücks trennende Wirkung zumisst, teilt das Gericht diese Auffassung nicht. Dabei ist auch der „Regelvermutung“ für eine trennende Wirkung einseitig bebauter Straßen zwischen Innen- und Außenbereich hier nicht zu folgen, weil diese die Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten nicht überflüssig macht (BVerwG, B.v. 16.2.1988 – 4 B 19/88 – juris Rn. 2). Der hier vorgefundenen Gemeindestraße kommt keine Zäsurwirkung zu, auch wenn es sich dabei nicht um einen untergeordneten Feldweg handelt. Der Eindruck einer fehlenden Zäsur besteht aufgrund der geringen Straßenbreite von gut fünf Metern (gemessen im BayernAtlas) und ihres geringen Ausbauzustands: Es ist weder Mittel- noch Seitenstreifen, weder Geh-/Radweg, noch ein Bankett vorhanden. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die wahrnehmbar untergeordnete Verkehrsbedeutung der Gemeindestraße. Die Straße vermag daher nichts daran zu ändern, dass beim Vorhabenstandort ein fließender Übergang in die freie Natur auf dem weiter westlich gelegenen, unbebauten Grundstück FlNr. … und darüber hinaus festzustellen ist. Dieser Eindruck ist auch dem Umstand geschuldet, dass die vorhandenen Hauptgebäude in weiten Abständen, nämlich von mindestens 10 m (Hausnr. 9a) bis ca. 20 m (Nr. 7/9, Nr. 11) abgesetzt von der Straße errichtet sind. Da auch keines der genannten Gebäude von der Gemeindestraße erschlossen wird, sondern von der weiter östlich gelegenen Straße, besteht keineswegs die Wahrnehmung, dass die Gemeindestraße im Sinne dieser Rechtsprechung (einseitig) „bebaut“ ist.
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Soweit darauf hingewiesen wird, dass der Bebauungszusammenhang bei einem Wohnhaus auch einen angemessenen Hausgarten oder einen Bereich, der für Erholungszwecke genutzt wird, einschließen könne, berührt dieser Vortrag den hier vorliegenden Fall nicht. Denn ein Gartengrundstück, das wie hier am Ortsrand unmittelbar in den Außenbereich übergeht, kann einen Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 BauGB von vornherein nicht vermitteln (BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 ZB 12.468 – juris Rn. 8)
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2. Das nicht privilegierte Wohnbauvorhaben ist als sonstiges Vorhaben unzulässig, weil es öffentliche Belange beeinträchtigt, § 35 Abs. 2 BauGB. Namentlich widerspricht das Vorhaben der Darstellung des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB), der das Gebiet als Fläche für die Landwirtschaft darstellt. Ferner werden die natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), weil die wesensfremde Wohnbebauung der naturgegebenen Bodennutzung widerspricht und die Erholungsfunktion des Außenbereichs mindert. Ferner ist das Entstehen einer Splittersiedlung zu befürchten, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB, weil die mit ihr vollzogene Streubebauung unorganisch und deshalb zu missbilligen sein würde und zur Zersiedelung der Landschaft – auch mit Vorbildwirkung etwa für die Grundstücke FlNrn. …, …3 und …2 – führen würde.
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3. Angesichts dieses Befunds kann offenbleiben, ob es sich beim Gebäudebestand um einen Ortsteil handelt, § 34 Abs. 1 BauGB, oder wie der Beklagte meint, es sich um einen bloßen Siedlungssplitter handelt. Die Kammer tendiert allerdings zu der Auffassung, dass es sich angesichts der elf vorhandenen Gebäude mit Hauptnutzungen um eine Siedlung mit gewissem Gewicht handelt, die auch mit Blick auf ihre Eigenart und ihre Funktionen nicht als völlig regellos erscheint. Gestützt wird dies durch die siedlungsstrukturellen Gegebenheiten im Gemeindegebiet (vgl. zu diesem Kriterium Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 34 Rn. 14). Neben dem Hauptort (Riedering) bestehen zahlreiche kleine Weiler, die dem hier vorliegenden vergleichbar sind und somit geradezu gemeindetypisch erscheinen.
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c) Ebensowenig muss die Frage entschieden werden, ob hier eine faktische Baugrenze besteht, der das Vorhaben widerspräche. Die Frage, ob sich das Vorhaben nach der überbaubaren Grundstücksfläche (§ 34 Abs. 1 BauGB, § 23 Abs. 2 BauNVO) einfügt, stellt sich nur bei der Annahme eines – hier nicht vorliegenden – Innenbereichsvorhabens. In diesem Falle erschiene es zweifelhaft, eine faktische Baugrenze zu bejahen. Auch wenn die vier an der Gemeindestraße anliegenden Hauptgebäude (Nr. 16, Nr. 9a, Nr. 9/7 und Nr. 11) alle einen Mindestabstand von dieser einhalten, erscheint deren Situierung eher zufällig und ohne städtebaulichen Aussagewert. Abgesehen davon, dass es sich ohnehin nur um eine geringe Anzahl von Gebäuden handelt, haben diese keine gemeinsame vordere oder hintere Gebäudeflucht; auch werden sie nicht einheitlich von einer, sondern von unterschiedlichen Seiten erschlossen.
II.
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Die Klage ist daher mit der Kostenfolge gemäß § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Kosten der Beigeladenen waren nicht erstattungsfähig, weil diese keinen Prozessantrag gestellt hat und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.