Inhalt

VG München, Urteil v. 12.04.2024 – M 11 K 22.32287
Titel:

Asyl (Somalia), Rückkehrort: ... (Lower Shabelle), Vorfluchtgründe nicht glaubhaft

Normenketten:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7
Schlagworte:
Asyl (Somalia), Rückkehrort: ... (Lower Shabelle), Vorfluchtgründe nicht glaubhaft
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15693

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der am ...geborene Kläger ist nach eigenen Angaben somalischer Staatsangehöriger vom Clan der Ogaden. Er reiste am 23. Februar 2022 im Wege einer Dublin-Familienzusammenführung von Griechenland zu seiner bereits im Bundesgebiet lebenden Schwester und stellte am 8. März 2022 durch seine Vormundin einen Asylantrag.
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Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 3. August 2022 gab der Kläger an, er habe mit seiner Mutter, dem Stiefvater und seinen Geschwistern in einem eigenen Haus in C. …, einem Dorf in der Nähe von M. … gelebt. Er habe 8 Jahre lang eine Schule besucht. Die Familie würde noch im Heimatort leben, es bestehe häufiger Kontakt. In Somalia würden noch viele weitere Verwandte über das Land verteilt leben, wobei nicht zu allen Kontakt bestehe. Zu seinen Fluchtgründen trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe sein Heimatland verlassen, da er von derA. Sh. bedroht worden sei. Nachdem er zunächst Telefonanrufe der Miliz erhalten habe, sei er eines nachts aus dem Haus der Familie entführt und in einem Lager gefangen gehalten worden. Nach ca. 1 Woche sei das Lager von Regierungsgruppen befreit worden. Etwa 2 Monate nach seiner Rückkehr aus dem Lager habe er einen erneuten Anruf der Miliz erhalten. Seine Familie habe daraufhin nach Ausreisemöglichkeiten gesucht. Da seine Tante zur Behandlung einer Krankheit eine Reise in die Türkei geplant habe, sei der Kläger zusammen mit ihr über M. … ausgereist. Viele Somalis würden dorthin fliegen und sich behandeln lassen. In der Türkei habe seine in Deutschland lebende Schwester vergeblich versucht, eine Familienzusammenführung zu beantragen. Seine Familie habe ihm dann 1.000,- USD geschickt, mit denen er seine Weiterreise nach Griechenland finanziert habe. Dort habe er dann die Familienzusammenführung beantragt und sei so nach Deutschland gekommen. In der Folge habe das Zusammenleben mit seiner im Bundesgebiet lebenden Schwester allerdings nicht geklappt, da diese ihn z.B. nicht Fußballspielen gelassen habe.
3
Mit Bescheid vom 18. November 2022, der Klagepartei zugestellt am 24. November 2022, lehnte das Bundesamt die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), auf Asylanerkennung (Ziff. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Ziff. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung zuvorderst nach Somalia angedroht (Ziff. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Der Kläger hat durch seine Vormundin am 29. November 2022 Klage erhoben und beantragt,
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1. den Bescheid des Bundesamts vom 18. November 2022 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
7
3. hilfsweise, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen,
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4. hilfsweise festzustellen, dass bei dem Kläger Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung wurde auf den Sachvortrag des Klägers gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2022 beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Das Gericht konnte den Rechtsstreit trotz Ausbleibens der Beklagtenseite verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die begehrte Entscheidung hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
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Hinsichtlich des von dem Schutzsuchenden geltend gemachten Schicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6/13 – juris Rn. 18). Angesichts des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Schutzsuchende insbesondere hinsichtlich fluchtbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dabei obliegt es dem Schutzsuchenden, einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen. Der Schutzsuchende muss die persönlichen Umstände der ihm Verfolgung hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
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Gemessen an diesen Grundsätzen konnte das Gericht bereits nicht die Überzeugung erlangen, dass dem Kläger in Somalia mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Für das Vorliegen einer Verfolgung durch den somalischen Staat ist nichts ersichtlich und wurde vom Kläger auch nichts vorgetragen. Ferner droht dem Kläger keine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, insbesondere nicht durch dieA. Sh.-Miliz.
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Das Gericht hält die Einlassungen des Klägers zu seinen Fluchtgründen für insgesamt unglaubhaft. Die Ausführungen weisen in zentralen Punkten erhebliche Unstimmigkeiten und nicht aufzulösende Widersprüche auf.
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Insbesondere schilderte der Kläger seine Ankunft in dem Lager derA. Sh. bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt (vgl. Anhörungsniederschrift, S. 8) so, dass er zunächst in einen Raum gebracht worden sei, wo sich bereits andere Jungen befunden hätten; erst danach seien alle getrennt und für ca. 1 Woche in Einzelhaft gehalten worden. In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger demgegenüber vor, dass er von dem Laster aus unmittelbar in seine Zelle gebracht worden sei. Ein Übersetzungsfehler liegt ersichtlich nicht vor. Zum einen hat der Kläger, der bei seiner damaligen Anhörung sowohl von seiner Vormundin als auch einer Sonderbeauftragten für Minderjährige begleitet wurde, ausweislich des Anhörungsprotokolls bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben hat. Das Protokoll ist dem Kläger auch rückübersetzt und mitgegeben worden. Zum anderen hat der Kläger die Angabe, wonach er sei zunächst in einen größeren Raum gebracht worden sei, wiederholt vorgetragen und die beiden Räume auf Nachfrage auch unterschiedlich geschildert. Angesichts des einschneidenden Entführungsereignisses und dem besonderen Eindruck, den gerade die ersten Momente bei der Ankunft im Lager bei dem Kläger hinterlassen haben müssten, wäre trotz der zwischenzeitlich vergangenen Zeitdauer zu erwarten gewesen, dass der Kläger die Ankunft im Lager in sich stimmig und insbesondere ohne die in der mündlichen Verhandlung zutage getretenen Widersprüche zu schildern vermag. Insgesamt fällt auf, dass der Vortrag des Klägers in Bezug auf seine Zeit in dem Lager sowohl bei der Anhörung als auch in der mündlichen Verhandlung auffällig vage und knapp blieb. Weitere Unstimmigkeiten ergeben sich daraus, dass der Kläger seine in der mündlichen Verhandlung angefertigte Zeichnung des Gebäudes mit den Zellen, auf Nachfrage des Gerichts unmittelbar anpasste. Insgesamt entstand für das Gericht nicht der Eindruck, dass der Kläger insoweit persönlich Erlebtes wiedergab.
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In der Gesamtschau des Sachvortrags und nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung vermochte Kläger damit nicht glaubhaft darzulegen, dass er vor seiner Ausreise aus Somalia einer Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG ausgesetzt war und ihm im Fall der Rückkehr erneut Verfolgung droht. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU greift insofern nicht zu seinen Gunsten ein.
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2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
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Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
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2.1 Dass dem Kläger in Somalia die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht, ist nicht ersichtlich. Ferner hat der Kläger eine ihm drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch dieA. Sh. nicht glaubhaft gemacht (s.o.), sodass kein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG besteht.
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2.2 Dem Kläger droht im Falle einer Rückkehr zudem keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
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Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris Rn. 17). Im vorliegenden Fall ist insoweit auf … … abzustellen, einem in der Region … … gelegenen Vorort von M., wo der Kläger aufgewachsen ist und seine Familie weiterhin in einem eigenen Haus lebt. Nach dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung dürften zudem weitere, bereits verheiratete Geschwister in eigenen Haushalten in M. … leben, sodass u.U. auch in Betracht käme, dass der Kläger bei diesen unterkäme.
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Zwar geht das Gericht weiterhin davon aus, dass im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt in Süd-/ Zentralsomalia einschließlich der Hauptstadt M. ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht (offengelassen für die Provinz … …: OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 30.11.2023 – OVG 4 B 8/22 – juris). Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 15. Mai 2023 (im Folgenden: Lagebericht). Der Kläger wäre im Falle einer Rückkehr im Rahmen dieses Konflikts allerdings keiner ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt.
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Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt. Vielmehr ist zu prüfen, ob von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellt. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann dabei auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen, wie etwa berufsbedingter Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 − 10 C 13/10; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – jew. juris). Beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände kann eine Individualisierung ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19 und U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 21). Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls, bei der neben einer annährungsweisen quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos insbesondere auch Faktoren wie die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte und die Dauer des Konflikts, das geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt, der tatsächliche Zielort des Antragstellers bei einer Rückkehr und die Aggression der Konfliktparteien gegen Zivilpersonen, die eventuell mit Absicht erfolgt, zu berücksichtigen sind (vgl. dazu insgesamt: EuGH, U.v. 10.6.2021 – Rs. C-901/19 – juris Rn. 33 ff.; BVerwG, B.v. 13.12.2021 – 1 B 85.21 – juris Rn. 4).
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Gemessen daran ergibt sich für normale Zivilisten in der Region … … – wie auch in der Hauptstadt M. – bei wertender Gesamtbetrachtung nach den verfügbaren Erkenntnismitteln (vgl. insbesondere: Lagebericht; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia, Stand 8.1.2024 – im Folgenden: BFA-Länderinformation) nicht, dass sie aufgrund der bloßen Anwesenheit in der Stadt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssten, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden (konkret zur Situation in der Region … …: BayVGH, U.v. 12.2.2020 – 23 B 18.30809 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 30.11.2023 – OVG 4 B 8/22 -juris; zur Situation in M. vgl. aktuell etwa: VG Cottbus, U.v. 7.3.2024 – 5 K 636/22.A – juris).
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2.2.1 Somalia gilt zwar nicht mehr als „failed state“, bleibt aber ein sehr fragiler Staat. Nach Schätzungen sind im somalischen Bürgerkrieg zwischen 2007 und 2011 über 20.000 Zivilisten zu Tode gekommen sind, davon der größte Teil in Süd- und Zentralsomalia. Nach wie vor herrscht in weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias Bürgerkrieg. Die aktuelle Lage in Süd- und Zentralsomalia (außerhalb von M.) ist nach wie vor unübersichtlich und uneinheitlich – von einer wesentlichen und ausreichend dauerhaften Verbesserung der Sicherheitslage kann trotz einer gewissen Stabilisierung nicht ausgegangen werden. Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Relativ sichere Zufluchtsgebiete sind schwierig zu bestimmen und von Ausweichgrund sowie den persönlichen Umständen abhängig. Das Clansystem hat weiterhin eine hohe Bedeutung und auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es zu Diskriminierungen aufgrund der Clanzugehörigkeit. Rückkehrer sind auf eine Unterstützung durch Clanmitglieder bzw. Mitglieder der Kernfamilie angewiesen, andernfalls besteht die Gefahr, dass Rückkehrer unter prekären Verhältnissen in Lagern für Binnenvertriebene unterkommen müssen. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) weiterhin gegen die radikalislamistischeA. Sh.-Miliz. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle derA. Sh. oder anderer Milizen.A. Sh. führt weiterhin Angriffe auf Stellungen der AMISOM und der somalischen Armee sowie auf zivile Ziele durch. Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, durch Sprengsätze oder Handgranaten ums Leben oder werden verwundet. DieA. Sh. wurde zwar aus vielen Städten vertrieben, es ist aber nicht möglich zu definieren, wie weit der Einfluss oder die Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee von einer Stadt hinausreicht. Der Übergang zum Gebiet der Miliz ist fließend und unübersichtlich. Im Umfeld (Vororte, Randbezirke) der meisten Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung in Süd-/ Zentralsomalia verfügtA. Sh. über eine verdeckte Präsenz, in den meisten Städten selbst über Schläfer. Manche Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung können als „Inseln“ im Gebiet derA. Sh. beschrieben werden. Jedenfalls verfügtA. Sh. über ausreichend Kapazitäten, um auch in Städten unter Kontrolle von AMISOM und Regierung Anschläge zu verüben. Es gibt in allen Regionen in Süd-/ Zentralsomalia Gebiete, woA. Sh. Präsenz und Einfluss hat und die lokale Bevölkerung insbesondere zu Steuerzahlungen zwingt. Grundsätzlich finden in fast allen Regionen Somalias südlich von Puntland regelmäßig örtlich begrenzte Kampfhandlungen zwischen AMISOM bzw. somalischen Sicherheitskräften undA. Sh. statt.
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Während die Hälfte der Hauptstadt M. noch vor zehn Jahren durch dieA. Sh. kontrolliert wurde, steht die Stadt heute unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dassA. Sh. die Kontrolle über M. zurückerlangt. In M. besteht kein Risiko, vonA. Sh. zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach M., um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen. Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren verbessert. Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu erhöhen.A. Sh. kann weniger Material und Operateure nach M. schleusen. Allerdings werden Sicherheitsmaßnahmen nicht permanent aufrechterhalten; werden sie vernachlässigt, steigt auch die Zahl der Anschläge durchA. Sh.. Die in M. gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte reicht weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen. Zugleich bietet die Stadt fürA. Sh. aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele. Es kommt täglich zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit der Miliz. M. bleibt ein Hotspot terroristischer Gewalt, wobei nicht alle Teile der Stadt gleich unsicher sind. Im Visier vonA. Sh. stehen v.a. Regierungseinrichtungen, Restaurants und Hotels, die von nationalen und internationalen Offiziellen frequentiert werden. Ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierte Orte sind dagegen kein Ziel vonA. Sh.. Die Miliz ist im gesamten Stadtgebiet verdeckt präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich.A. Sh. kann weiterhin das Stadtgebiet infiltrieren und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet auch größere Anschläge zu verüben und verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben. Hauptziele vonA. Sh. sind die Regierung und die internationale Gemeinde. Dabei hat sich die Miliz in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt, wobei sie sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele (z.B. Restaurants, Hotels und Märkte) vorgeht. Üblicherweise verfolgtA. Sh. zielgerichtet jene Personen, derer sie habhaft werden will. Unklar ist, für welche Ziele die Miliz bereit ist, ihre Kapazitäten tatsächlich einzusetzen. Einem erhöhten Risiko sind v.a. solche Personen ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von der Miliz als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (zu den einzelnen Risikogruppen vgl. BFA-Länderinformation, S. 233 ff.). „Normale“ Zivilisten greiftA. Sh. nicht spezifisch an (vgl. BFA-Länderinformation, S. 69 ff.; 233 ff.). Für die Zivilbevölkerung besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu sein und so zum „Kollateralschaden“ von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden. Die Menschen wissen dabei um die Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Ungeachtet der Konflikte mitA. Sh. ist jedoch auch die allgemeine Gewaltkriminalität in M. hoch, zudem kommt es zu Rachemorden im Zuge von Clankonflikten. Insgesamt bleibt die Sicherheitslage in M. volatil.
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Die Region Lower Shabelle ist eine der am stärksten vonA. Sh. betroffenen Gebiete. Sie ist stark militarisiert und durch die Präsenz somalischer Streitkräfte, der Afrikanischen Union und der US-Streitkräfte gekennzeichnet. Trotz der militärischen Offensiven gegen die Gruppe unterhältA. Sh. ein aktives Netzwerk in der gesamten Region und verübt weiterhin Anschläge, kontrolliert Straßen und erhebt Steuern von der lokalen Bevölkerung. Die Gruppe war an 915 der 960 Sicherheitsvorfälle beteiligt, die zwischen dem 1. Juli 2021 und dem 30. November 2022 in Lower Shabelle gemeldet wurden. Die Streitkräfte der Afrikanischen Union und der Regierung kontrollieren die Städte Merka, Baraawe, Afgooye, Wanla Weyn, Awdhegle und Qoryooley. Die Kontrolle über die ländlichen Gebiete rund um die Städte ist zwischenA. Sh. und der Koalition aus Kräften der Afrikanischen Union sowie des Bundesstaates umstritten oder unklar. Die ländlichen Gebiete im Süden und Südwesten der Region befinden sich weiterhin unter der Kontrolle vonA. Sh.. Lower Shabelle war die von improvisierten Sprengsätzen am stärksten betroffene Region in Somalia. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung besuchter Ort ist jedoch auch dort grundsätzlich kein Ziel der Miliz (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 30.11.2023 – OVG 4 B 8/22 – juris Rn. 42 f.).
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2.2.2 Eine quantitative Bewertung der Gefahrendichte erscheint mangels belastbarer aktueller Zahlen zu den Einwohnerzahlen einerseits und zu den Opferzahlen in Hinblick auf das Tötungs- und Verletzungsrisiko andererseits kaum verlässlich möglich (vgl. bereits BayVGH, U.v. 12.2.2020 – 23 B 18.30809 – juris Rn. 42 ff; U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663 – juris Rn. 34; VGH Hessen, U.v. 1.8.2019 – 4 A 2334/18.A – juris Rn. 40 ff; VGH BaWü, U.v. 16.12.2021 – A 13 S 3196/19 – juris Rn. 48.). Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer weiterhin unklar und heterogen. Speziell zu den Zahlen für die Region Lower Shabelle hat sich zuletzt das OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 30.11.2023 (a.a.O. – juris Rn. 44) geäußert. Demnach verzeichnete die Organisation Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED) zwischen dem 1. Juli 2021 und dem 30. November 2022 in dieser Region 960 Sicherheitsvorfälle. Von diesen Vorfällen wurden 743 als „Kämpfe“, 165 als „Explosionen/entfernte Gewalt“ und 52 als „Gewalt gegen Zivilisten“ erfasst. Im Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis 14. April 2023 wurden in Lower Shabelle 175 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. In allen sieben Bezirken von Lower Shabelle kam es zu Sicherheitsvorfällen, wobei sich die größte Gesamtzahl in Afgooye (512 Vorfälle) ereignete, gefolgt von der Hauptstadt von Lower Shabelle, Merka (292 Vorfälle). In den 17 Monaten zwischen Juli 2021 und November 2022 erfasste ACLED insgesamt 1.004 Todesopfer in der Region. In den viereinhalb Monaten zwischen Dezember 2022 und Mitte April 2023 dokumentierte ACLED insgesamt 267 Todesopfer in dem Gebiet. Verglichen mit den Bevölkerungszahlen der Region ab 2021 entspricht dies etwa 94 Todesopfern pro 100.000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum. Im Jahr 2023 gab es im ersten Quartal 100 Vorfälle mit 241 Toten, im zweiten Quartal 164 Vorfälle mit 485 Toten.
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2.2.3 Dessen ungeachtet stellt sich die Situation in Lower Shabelle – wie auch in M. – bei wertender Gesamtbetrachtung nicht so dar, dass jede Zivilperson aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Gesamtzahl der zivilen Opfer zu einem nicht unerheblichen Teil Personen mit erhöhten Gefährdungspotentialen betroffen haben dürfte. Bedingt durch die vonA. Sh. verfolgte Strategie der asymmetrischen Kriegsführung und der strategischen Auswahl der Anschlagsziele waren und sind bestimmte Berufsgruppen wie Regierungsmitarbeiter, Angehörige von AMISOM, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte bzw. generell mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker, Deserteure mutmaßliche Spione und Kollaborateure in besonderer Weise betroffen. Auch wenn dieA. Sh. einige Menschen in Somalia als „legitime Ziele“ erachtet, gilt dies für die meisten Zivilisten nicht (vgl. hierzu etwa die Entschuldigung und Beileidsbekundung der Miliz gegenüber zivilen Opfern eines verheerenden Sprengstoffanschlags in M. Ende 2019, www. tageschau.de/ausland/anschlag-somalia-al-shabaab-101.html). Hierin sieht das Gericht einen wesentlichen Punkt (so auch: VGH BaWü, U.v. 16.12.2021 – A 13 S 3196/19 – juris Rn. 52). Zwar besteht für Zivilisten immer das Risiko, „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu sein, Opfer nimmt dieA. Sh. insoweit in Kauf. Einfache Zivilisten können ihr Risiko, zufällig Opfer eines Anschlags zu werden, zwar nicht vollständig ausschließen, zumindest aber minimieren, indem sie Gebiete oder Einrichtungen meiden, die vonA. Sh. bevorzugt angegriffen werden. Dazu gehören vor allem Hotels und Restaurants, in denen Angehörige der Streitkräfte, Mitglieder oder Mitarbeiter der Regierung oder Mitarbeiter internationaler Organisationen verkehren, Regierungseinrichtungen sowie Stellungen und Stützpunkte von Regierungskräften und AMISOM. Generell ist ein „normaler Zivilist“ (ohne Verbindung zur Regierung, zu Sicherheitskräften, zu Behörden, zu NGOs oder internationalen Organisationen) damit keinem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt (vgl. zum Ganzen ausführlich: BFA-Länderinformation, S. 172 ff. m.w.N.). Auch nach Einschätzung der Asylagentur der Europäischen Union reicht die bloße Anwesenheit in dem Gebiet Lower Shabelle – wie auch in M. – nicht aus, um eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bzw. Art. 15 Buchst. c der RL 2011/95 in dieser Region anzunehmen (siehe hierzu EUAA, Country Guidance: Somalia – Common analysis and guidance note, August 2023, S. 51 f., 152, 169).
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Insgesamt ist das Risiko des Klägers in Somalia Opfer bürgerkriegsbedingter Gewaltakte zu werden, daher nicht ungleich höher zu bewerten, als für die dort ansässige Zivilbevölkerung. Allein die schlechte wirtschaftliche oder humanitäre Situation in einem Land genügt weder für die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG noch auf Grundlage des§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (vgl. jew. in Bezug auf Somalia: BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 30.11.2023 – OVG 4 B 8/22 – juris).
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3. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen bei dem Kläger auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel nicht vor.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Für eine Verletzung des Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23; U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 10). Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Bedingungen im Herkunftsland allein können nur in „äußersten Ausnahmefällen“ (EGMR, U.v. 10.9.2015 – Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] – NVwZ 2016, 1785 ff., Rn. 60 a.E.) Art. 3 EMRK verletzen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O., Rn. 25; U.v. 20.5.2020, a.a.O., Rn. 10 a.E.). In Bezug auf Somalia geht der EGMR in nunmehr gefestigter Rechtsprechung – und in Abkehr zu seiner früheren Rechtsprechung – nicht (mehr) davon aus, dass die allgemeine Lage dort so ernst wäre, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt (EGMR, U.v. 10.9.2015 – Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] – NVwZ 2016, 1785; BayVGH, U.v. 12.7.2018 – 20 B 17.31292 – juris Rn. 32; VGH BaWü, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 33 ff. jew. m.w.N.). Demnach sind die vorhersehbaren Folgen der Rückführung im Einzelfall zu beurteilen und zu prüfen, ob die Abschiebung ins Heimatland Art. 3 EMRK unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Betroffenen verletzen würde (vgl. EGMR, U.v. 10.9.2015, a.a.O. – Rn. 60 und 68 a.E.). Gerade im Falle Somalias ist dabei von besonderer Bedeutung, inwieweit Rückkehrer auf die Unterstützung von im Herkunftsland verbliebenen Familien- bzw. Clanmitgliedern zurückgreifen können (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2018 – 20 B 17.31292 – juris Rn. 34, VGH BaWü, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 30).
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Daran gemessen ist die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel weiterhin nicht derart, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. ausführlich: OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 30.11.2023 – OVG 4 B 8/22 – juris; SächsOVG, U.v. 12.10.2022 – 5 A 78/19.A; VGH BaWü, U.v. 16.12.2021 – A 13 S 3196/19 – jew. juris).
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Somalia gehört zu den ärmsten Ländern der Erde. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet, wobei das Ausmaß der historischen Dürre seit Ende 2020 sowie der anhaltende Konflikt mit derA. Sh. das Problem verschärfen (vgl. im Einzelnen: Lagebericht, S. 23; BFA-Länderinformation, S. 274 ff.). Infolge von fünf aufeinanderfolgend ausgefallenen Regenzeiten stand Somalia trotz humanitärer Hilfe am Rande einer Hungersnot. Viele, vor allem ländliche Haushalte haben eine Erosion ihrer Lebensgrundlagen sowie ihrer Krisenbewältigungskapazitäten erlebt und sahen sich mit wachsenden Lücken in der Nahrungsmittelversorgung konfrontiert. Diese Faktoren haben zum Anstieg der Zahl von Menschen geführt, die aus ländlichen Gebieten in IDP-Lager geflüchtet sind. Von der Dürre waren fast 50% der Bevölkerung betroffen. Die GU-Regenzeit 2023 brachte das Ende der Dürrebedingungen in den meisten Teilen Somalias, allerdings brachte das Wetterphänomen El Niňo in der Folge ungewöhnlich starke Regenfälle, Gewitter und extreme Überschwemmungen. Generell ist festzustellen, dass Überschwemmungen und Dürren für Somalia kein neues Phänomen darstellen und humanitäre Hilfsleistungen in den vergangenen Jahren verstärkt wurden. Zudem ist die Betroffenheit der Gebiete und Bevölkerungsgruppen nach der Erkenntnislage durchaus unterschiedlich (vgl. etwa Übersichten der BFA-Länderinformation, S. 77 und S. 280 ff. sowie die regelmäßig aktualisierten Übersichten und Berichte der FSNAU, jew. abrufbar unter https://reliefweb.int/country/som).
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Besonders prekär ist demnach insbesondere die Lage der Binnenflüchtlinge, während zumindest für nicht vulnerable Personen in M. und in Gebieten, wo humanitäre Hilfe grundsätzlich erreichbar ist, derzeit weiterhin nicht ohne Weiteres angenommen werden kann, dass diese bei einer Rückkehr ins Heimatland stets einer Art. 3 EMRK widersprechenden Situation ausgesetzt wären; maßgeblich bleiben vielmehr die jeweiligen familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse.
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Der Kläger ist in seinem Heimatort … … in der Nähe von M. … aufgewachsen und mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut. Er spricht die Landessprache und hat in Somalia bis zur 8. Klasse die Schule besucht. Er ist jung, gesund und arbeitsfähig und es ist davon auszugehen, dass er in Somalia bei seinen zahlreichen Geschwistern, zu denen auch weiterhin Kontakt besteht, Unterkunft finden und insgesamt auf ein tragfähiges Netzwerk familiärer oder clanbasierter Unterstützung zurückgreifen kann. Insgesamt geht das Gericht daher davon aus, dass die in und auch außerhalb Somalias lebende (Groß-)Familie des Klägers bzw. dessen Clannetzwerk willens und in der Lage war, für die vergleichsweise kostspieligen Fluchtkosten des Klägers per Flugreise aufzukommen und dort auch weiterhin entsprechende Mittel vorhanden sind, die es ausschließen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia in eine existenzielle Notlage gerät. Es spricht vorliegend sogar einiges dafür, dass der Kläger aus durchaus wohlhabenden Verhältnissen stammt. Insbesondere fällt auf, dass es für den Kläger völlig normal zu sein scheint, dass sich gleich mehrere seiner Angehörigen zur medizinischen Behandlung ins Ausland begeben haben. Der Kläger selbst begleitete im Jahr 2021 seine Tante auf einer Flugreise in die Türkei, wo sich diese nach seinen Angaben behandeln lassen wollte; aktuell befindet sich nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung seine Mutter zu Behandlungszwecken in Indien. Die Einschätzung des Klägers, dass sich viele Somalis in der Türkei oder Indien behandeln lassen würden, mag in der Sache zwar zutreffen, dennoch dürften Flugreisen und kostspielige Behandlungsmöglichkeiten vorrangig höher gestellten bzw. vermögenden Bevölkerungsschichten vorbehalten bleiben. Auf die Frage, wie die aktuelle Behandlung der Mutter finanziert werde, antwortete der Kläger auffällig vage und ausweichend. Soweit er angab, dass alle seine in Somalia lebenden Geschwister nicht arbeiten würden, spricht dies – sofern dem überhaupt Glauben geschenkt werden kann – dafür, dass offenbar selbst ohne deren Erwerbstätigkeit ausreichendes Einkommen über die Ehegatten bzw. sonstiges Vermögen vorhanden ist. Erforderlichenfalls könnte im Übrigen die im Bundesgebiet lebende Schwester den Kläger im Heimatland finanziell unterstützen (zur Unterstützung durch im Ausland lebende Angehörige vgl.: BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 sowie B.v. 19.2.2020 – 23 B 17.31791 – jew. juris).
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Ebenso liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor, da es im Hinblick auf die den Kläger in Somalia erwartenden Lebensbedingungen aus den eben dargestellten Gründen an der erforderlichen verfassungswidrigen Schutzlücke fehlt (vgl. BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 41).
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 3 AsylG) Bezug genommen.
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4. Nach alledem ist die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
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5. Schließlich begegnet die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen des Bundesamts im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung sind nicht zu beanstanden und insbesondere auch unter Berücksichtigung der im Bundesgebiet des Klägers lebenden Schwester des Klägers erfolgt. Substantiierte Einwendungen wurden insoweit von Klägerseite nicht vorgebracht.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.