Titel:
Schadensersatz – verspätet erfolgte Zielvorgabe.
Normenkette:
BGB § 252 S. 2, § 254 Abs. 1, § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283, § 315 Abs. 1
Leitsätze:
Erfolgt eine Zielvorgabe entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht oder zu einem so späten Zeitpunkt, dass ihr keinerlei Anreizfunktion mehr zukommen kann, kann der Arbeitgeber sich schadensersatzpflichtig machen (LAG Köln 06.02.2024 – 4 Sa 390/23). (Rn. 28)
1. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen stehen Zielvorgaben nicht zur Disposition des Arbeitnehmers, sondern werden allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSd § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist bei der Schadensberechnung wegen einer verspäteten Zielvorgabe grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zielvorgaben, einseitiges Leistungsbestimmungsrecht, sinnvolle Anreizfunktion, verspätete Zielvorgabe, arbeitsvertragliche Vereinbarung, Arbeitsvertrag, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Schadensersatzanspruch
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Endurteil vom 31.10.2023 – 2 Ca 404/23
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt vom -- – 10 AZR 124/24
Weiterführende Hinweise:
Revision wurde am 11.04.2024 unter dem Az.: 10 AZR 124/24 eingelegt.
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15491
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 31.10.2023, Az. 2 Ca 404/23, wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf eine weitere Bonuszahlung für das Jahr 2021 in Höhe von EUR 13.252,27 brutto sowie Zinsforderungen des Klägers.
2
Der Kläger ist seit dem 01.10.2022 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Im Kalenderjahr 2021 erzielte er ein Jahresgrundgehalt in Höhe von EUR 82.625,18 brutto. Das Geschäftsjahr der Beklagten beginnt jeweils am 01.01. und endet am 31.12.
3
Teil der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung der Parteien ist das „H. Bonus System“. Dieses lautet auszugsweise wie folgt (vgl. Bl. 6 – 9 d. A.).:
„Jeder Leistungsträger, der das Erreichen der Unternehmensziele durch seinen Beitrag erkennbar beeinflussen kann, ist ein potentieller Kandidat für die Teilnahme am Bonus System.
Es besteht allerdings kein Anspruch auf Teilnahme an diesem System. Es liegt außerdem im Ermessen des Vorstandes, die Berechnungsmodalitäten für den Bonus der aktuellen Entwicklung anzupassen. […]
Der Bonus wird zusätzlich zum fixen Jahreseinkommen gezahlt. Der Bonus ist im Geschäftsjahr 2003 auf 26% vom Bruttojahreseinkommen begrenzt. Er wird nach Abschluss des Geschäftsjahres berechnet und ausgezahlt.
Der Bonus besteht aus 3 Elementen:
Basis für die Berechnung ist die Zielerreichung von 2-5 individuellen Zielen, definiert in den jährlichen Zielvereinbarungsgesprächen. […]
Das Erreichen von 100% der individuellen Ziele bedeutet einen Bonus in Höhe von 12% des fixen Bruttojahreseinkommens.
Basis für dieses Element ist der Grad der Zielerreichung der nächsthöheren Organisationseinheit des Mitarbeiters. Gewöhnlich wird dies der Grad der Zielerreichung des direkten Vorgesetzten sein. Falls neben dem disziplinarischen weitere, funktionale Vorgesetzte existieren, soll der Durchschnittswert von deren Zielerreichungsgrad einbezogen werden. Das Erreichen von 100% der Ziele einer Organisationseinheit bedeutet einen Bonus in Höhe von 7% des fixen Bruttojahreseinkommens. […]
Basis für diesen Tei[l] des Bonus ist das finanzielle Ergebnis der H. Group. Maßstab ist der Net Operating Profit und ggf. weitere messbare Unternehmensziele.
Das Erreichen von 100% der Ziele dieser Ebene bedeutet einen zusätzlichen 7% Bonus auf das fixe Jahresbruttoeinkommen.
Insgesamt können also 26% des Bruttojahreseinkommen als Bonusleistung erzielt werden.“
4
Mit Schreiben vom 13.04.2015 hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten die H. AG mit Bekanntmachung Nr. 864 den Mitarbeitenden mitgeteilt, dass mit Beginn des Geschäftsjahres 2016 eine neue regionale Organisationsstruktur definiert worden sei und das Bonussystem der neuen regionalen Ausrichtung angepasst werde. Die Änderung des Bonussystems lautete wie folgt:
„(…) das erste Element, die individuellen Ziele beinhaltet bei 100% Zielerreichung einen Bonus in Höhe von 10% des gezahlten Jahresgrundgehaltes. Das zweite Element, die regionalen Unternehmensziele bzw. das finanzielle Ergebnis der H. Gruppe in I. beinhaltet bei 100% Zielerreichung einen 16prozentigen Bonus auf das gezahlte Jahresgrundgehalt (…)“
5
Die zwischen den Parteien im Hinblick auf einen Bonus für das Geschäftsjahr 2021 vereinbarten individuellen Ziele erreichte der Kläger zu 100%. Zu keinem Zeitpunkt wurden mit dem Kläger die unternehmerischen Ziele vereinbart.
6
Am 26.10.2021 veröffentlichte die Beklagte Unternehmensziele.
7
Mit Schreiben vom 16.05.2022 wurde allen bonusberechtigten Mitarbeitern mitgeteilt, dass für das Geschäftsjahr 2021 es zu keiner Bonusauszahlung kommen werde. Mit Bekanntmachung vom 20.07.2022 teilte die Beklagte ihren bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es doch zur Auszahlung eines anteiligen Bonus kommen werde. Der Kläger erhält sodann mit der Abrechnung für den Monat August 2022 eine in der Vergütungsabrechnung titulierte „Zielvereinbarung MBO“ in Höhe von EUR 8.230,28 brutto.
8
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie der genauen Antragstellung wird auf den Tatbestand im Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
9
Das Arbeitsgericht Würzburg – Kammer Aschaffenburg – hat mit Endurteil vom 31.10.2023 der Klage stattgegeben. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger einen vertraglichen Anspruch nach dem H. Bonussystem habe und dieses aus drei Elementen bestehen würde. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei das von den Parteien vereinbarte Bonussystem auch nicht im Kalenderjahr 2015 geändert worden. Der in der vertraglichen Regelung des Bonussystems vorgesehene Anpassungs- bzw. Widerrufsvorbehalt sei unwirksam, da in der verwendeten vertraglichen Klausel die Richtung, aus der zur Anpassung bzw. zum Widerruf berechtigten Gründe stammen würden, nicht angegeben seien. Eine Änderung der Bonusregelung sei auch nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger in den Jahren 2016 bis 2020 widerspruchslos Bonuszahlungen entgegengenommen hätte, deren Berechnung der Höhe nach nicht der ursprünglich vereinbarten Regelung entsprochen hätten, sondern den im Kalenderjahr 2015 abgeänderten Regelungen. Der Kläger habe einen Anspruch auf weitere Bonuszahlungen in Höhe von EUR 13.252,27 brutto für das Kalenderjahr 2021, da die von der Beklagten vorgenommene Leistungsbestimmung, die Festsetzung und Auszahlung eines Bonus nicht billigem Ermessen entsprochen habe und daher die Leistungsbestimmung durch Urteil zu bestimmen sei (§ 315 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BGB). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe im Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
10
Das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Aschaffenburg – vom 31.10.2023 ist der Beklagten am 08.11.2023 zugestellt worden. Die Berufungsschrift der Beklagten vom 04.12.2023 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am gleichen Tag eingegangen.
11
Die Berufungsbegründungsschrift ging beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 08.02.2024 innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist ein.
12
Die Beklagte hält unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages daran fest, dass die Klage abzuweisen sei. Fehlerhaft gehe das Arbeitsgericht davon aus, dass eine wirksame Änderung des Bonussystems im Hinblick auf die Berechnungsmodalitäten nicht stattgefunden hätte. Hierbei sei darauf hinzuweisen, dass aus dem erstinstanzlichen Vorbringen der Klägerseite klar hervorgehe, dass auch dieser davon ausgehe, dass das in den Berechnungsmodalitäten geänderte Bonussystem zugrunde zu legen sei und sich der Kläger selbst in seiner Klagebegründung auf das in den Berechnungsmodalitäten geänderte Bonussystem berufen habe. Im Übrigen habe die Beklagte von der im H. Bonussystem vorgesehenen Anpassung Gebrauch gemacht, demnach es im Ermessen des Vorstandes läge, die Berechnungsmodalitäten für den Bonus der aktuellen Entwicklung anzupassen. Ein Widerruf sei im Jahr 2015 nicht ausgeübt worden, da die Beklagte lediglich die Berechnungsmodalitäten geändert habe. Der Vorbehalt der Anpassung der Berechnungsmodalitäten stelle ein Bestimmen der Leistung durch den Arbeitgeber gemäß § 315 Abs. 1 BGB dar, so dass die Anpassung im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen müsse. Die Beklagte habe mit der Anpassung die Grenzen billigen Ermessens auch gewahrt, da die Beklagte zum 01.04.2015 zum Beginn des damaligen Geschäftsjahres (01.04.2015 bis 31.03.2016) eine neue regionale Organisationsstruktur errichtet habe. Der Errichtung der regionalen Organisationsstruktur hätte eine unternehmerische Entscheidung zugrunde gelegen, die von der damaligen Arbeitgeberin H. AG getroffen und umgesetzt worden sei. Die Einteilung in Regionen entspreche der Einteilung der Welt in drei Wirtschaftsräume. Die Höhe eines zu erzielenden Bonus sei mit 26% des Jahresgrundgehaltes nicht verändert worden, des Weiteren sei nicht verändert worden die Kombination von persönlichen Zielen und Unternehmenszielen, ebenso wenig der Abschluss von Zielvereinbarungen. Damit seien die Grenzen billigen Ermessens im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB gewahrt worden. Der Kläger habe dieser Änderung auch zugestimmt, wie sich aus einem Schreiben des Klägervertreters vom 21.09.2022 ergäbe, demnach der Kläger seine Klageforderung mit dem geänderten Bonussystem begründet habe. Ein Schadensersatzanspruch bestünde nicht. Der Umfang eines zu ersetzenden Schadens richte sich nach § 249 ff BGB, wobei der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn umfasse. Als entgangener Gewinn gelte ein Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit hätte erwartet werden können. Im vorliegenden Fall sei zu unterscheiden zwischen persönlichen Zielen und den Unternehmenszielen. Die persönlichen Ziele hätte der Kläger erreicht, die Beklagte habe den Kläger jedoch so gestellt, als habe er die persönlichen Ziele im vollen Umfang, das heißt zu 100%, erreicht, so dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch in Höhe der geleisteten Zahlung nicht bestehe. In Bezug auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch, der sich auf die Unternehmensziele beziehe, sei jedoch darauf hinzuweisen, dass aufgrund der besonderen Umstände die Annahme, dass die Unternehmensziele zu 100% erreicht worden wären, auszuschließen sei, da sich die Beklagte bedingt durch die Corona-Pandemie in einer Krise befunden habe und sie aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten das Werk 2 in B-Stadt-J. mit einem größeren Personalabbau hätte schließen müssen. Weiter hätte die Beklagte aufgrund eines bestehenden Liquiditätsengpasses einen Sanierungstarifvertrag im Hinblick auf die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld abschließen müssen. Unternehmensziele seien demgemäß auch lediglich die Verringerung der Verluste, nicht etwa ein Gewinn, gewesen. Die am 26.10.2021 veröffentlichten, realistisch gesetzten Unternehmensziele hätten aufgrund unvorhersehbarer Entwicklung nicht erreicht werden können und seien tatsächlich nur noch zu 20% erreicht worden, so dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers lediglich 20% und damit allenfalls in Höhe von EUR 2.633,98 brutto gegeben wäre.
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Die Beklagte hat im Berufungsverfahren beantragt,
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg Kammer Aschaffenburg vom 31.10.2023 Aktenzeichen 2 Ca 404/23 wird abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
14
Der Kläger hat beantragt,
Die Berufung der Beklagten ist zurückzuweisen.
15
Der Berufungsbeklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Entgegen der Darstellung der Beklagten bestehe das Bonussystem aus drei Elementen und sei auch von den Parteien nicht geändert worden. Es mag sein, dass ein Anpassungsvorbehalt im Bonussystem formuliert sei. Eine solche Vereinbarung sei jedoch schlichtweg unwirksam und nicht angemessen. Dies habe das Arbeitsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Alleine durch die widerspruchslose Hinnahme der Bonuszahlungen in den Kalenderjahren 2016 bis 2020 sei eine Abänderung des vertraglichen Bonusanspruches nicht erfolgt. Die Beklagte habe es versäumt, Unternehmensziele für das Kalenderjahr 2021 zu setzen. Die von der Beklagten vorgenommene Leistungsbestimmung sei bereits deswegen unbillig, da die Beklagte diese nicht gemäß den arbeitsvertraglichen Regelungen vorgenommen habe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts in Tatbestand und Entscheidungsgründen des arbeitsgerichtlichen Urteils und die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
17
Die Berufung ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 219, 520 ZPO).
18
Die Berufung ist unbegründet.
19
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Leistung in der begehrten Höhe wegen schuldhafter Verletzung der Beklagten ihrer arbeitsvertraglichen Pflicht der rechtzeitigen Bekanntgabe einer Zielvorgabe.
20
1. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes ist davon auszugehen, dass die Grundlage für die Bonusberechnung das im Kalenderjahr 2015 geänderte H. Bonussystem ist. Der Kläger hat zum einen die geänderte Bonusberechnung seit 2015 bis einschließlich 2020 rügelos hingenommen. Darüber hinaus hat er jedoch auch seine Klage erkennbar nach dem geänderten Bonussystem ausgerichtet. Des Weiteren hat der Kläger mit Schreiben seines Prozessvertreters am 21.09.2022 die Zahlung restlicher Bonusansprüche für das Kalenderjahr 2021 geltend gemacht. Aufgrund der dort enthaltenen Formulierung, demnach sich nach dem derzeitigen Vertragsstand (zweigliedrige Bonusregelung) sich noch eine weitere Bonuszahlung zugunsten des Klägers ergäbe, lässt sich entnehmen, dass der Kläger der Umstellung des bisherigen dreigliedrigen Bonussystems auf ein zweigliedriges Bonussystem zugestimmt hat.
21
2. Der Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich als Schadensersatzanspruch. Die Beklagte hat ihre arbeitsvertragliche Pflicht schuldhaft dadurch verletzt, dass sie die laut arbeitsvertraglicher Regelung zum Bonussystem erforderliche Vorgabe der Unternehmensziele des Klägers erst zu spät mitteilte, dass die einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich wurde (§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 275, 252 BGB).
22
Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, kann der Gläubiger nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB Ersatz hieraus entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Nach § 280 Abs. 3 BGB kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung allerdings nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 BGB, § 82 BGB und § 283 BGB verlangen. Insoweit bestimmt § 283 Satz 1 BGB, dass der Gläubiger, sofern der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB nicht zu leisten braucht, unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann.
23
Die Beklagte war aufgrund des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages und der Vereinbarung vom 13.04.2015 zur Vorgabe der Unternehmensziele der C. I.-Group verpflichtet. Das Berufungsgericht schließt sich insoweit umfassend den zutreffenden Entscheidungsgründen in den vergleichbaren Fällen der 2. und 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg im Urteil vom 27.03.2024, Az.: 2 Sa 293/23, sowie Urteil vom 26.04.2024, Az.: 8 Sa 292/23, an.
24
a) Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach den vertraglichen Regelungen die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird (BAG, Urteil vom 17.12.2020 – 8 AZR 149/20 – in juris recherchiert).
25
Der Anhang zum Arbeitsvertrag unter Berücksichtigung der einvernehmlichen Änderung des Bonussystems vom 13.04.2015 differenziert klar zwischen zwei Elementen der Bonuszahlung, sowohl sprachlich als auch grafisch, unter anderem durch das Bilden von Absätzen. Der Begriff des Zielvereinbarungsgesprächs findet sich lediglich im ersten Abschnitt, also im Bereich der individuellen Ziele. Dass auch eine gemeinsame Festlegung der Unternehmensziele durch die Arbeitsvertragsparteien bzw. durch die Gesprächsteilnehmenden stattfinden soll, ergibt sich nach Ansicht des Berufungsgerichts aus der vertraglichen Regelung nicht. Hieran ändert die Tatsache, dass die Unternehmensziele in diesem Gespräch ebenfalls thematisiert und zur Ausrichtung der individuellen Ziele verwendet werden, nichts. Die klare Trennung zwischen den Elementen lässt vielmehr darauf schließen, dass sie sich auch wesentlich voneinander unterscheiden. Andernfalls könnte sich die arbeitsvertragliche Regelung auf das Zielvereinbarungsgespräch als solches beschränken. Aus dem zweiten Absatz ergeben sich aus Sicht des Berufungsgerichts ebenfalls keinerlei Anknüpfungspunkte, dass die Unternehmensziele gemeinsam mit dem Arbeitnehmer bestimmt werden. Zuletzt entspricht es wohl auch allgemeiner Lebenserfahrung, dass Unternehmensziele einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben werden, dies vor allem bei global tätigen Unternehmen.
26
b) Mit der Veröffentlichung der Unternehmensziele am 26.10.2021 – wie die Beklagte behauptet – hat die Beklagte die Leistungsbestimmung in jedem Falle zu spät vorgenommen. Ob diese Bestimmung billigem Ermessen entsprach, kann dahingestellt bleiben.
27
Zwar ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag keine Zeitvorgabe. Zweck von Bonussystemen ist aber die Förderung der Mitarbeitermotivation. Der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus als zusätzliche Vergütung dient als Anreiz. Diese Funktion kann ein an das Erreichen von Zielen geknüpfter Bonus nur erfüllen, wenn der Arbeitnehmer die von ihm zu verfolgenden Ziele bereits bei Ausübung seiner Tätigkeit kennt (BAG, Urteil vom 12.12.2007, 10 AZR 97/07, Rn. 25). Deshalb ist nicht entscheidend auf die (bestrittene) interne Festlegung der Unternehmensziele im März 2021 abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Mitteilung. Den Mitarbeitern wurden die Unternehmensziele nach dem Vortrag der Beklagten jedoch erst am 26.10.2021 im Intranet bekannt gegeben.
28
Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist. (LAG Köln, Urteil vom 06.02.2024, 4 Sa 390/23, Rn. 64 juris). Geschäftsjahr ist im hiesigen Fall das Kalenderjahr. Die Veröffentlichung der Unternehmensziele erfolgte am 26.10.2021, also wenige Wochen vor Ende des Geschäfts- und Kalenderjahres.
29
3. Die Pflichtverletzung hat die Beklagte auch gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu vertreten, entgegenstehende Gründe sind nicht ersichtlich. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Unternehmensziele nach dem Vortrag der Beklagten bereits im März 2021 von der globalen Geschäftsleitung in den USA festgelegt und an die oberste Leitungsebene in Europa kommuniziert wurden. Gründe, die einer Weiterleitung entgegengestanden haben könnten, sind nicht vorgetragen.
30
4. Der Kläger kann gemäß § 280 Abs. 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden ist.
31
a) Nach Auffassung der Berufungskammer ist eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung (ebenso LAG Köln 06.02.2024 – 4 Sa 390/23 Rn 63 mwN auch zur Gegenansicht, juris), allerdings ohne dass ein Mitverschulden des Arbeitnehmers in Betracht kommt. Zwar unterliegt die einseitige Zielvorgabe als Leistungsbestimmung der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB, mit der Folge, dass bei einem Unterbleiben der Zielvorgabe die Leistungsbestimmung grundsätzlich durch Urteil vorzunehmen ist (vgl. BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 23, BAGE 125, 147; LAG Köln 15.12.2014 – 5 Sa 580/14 – Rn. 73, zitiert nach juris). Nach teilweise vertretener Auffassung gilt dies auch dann, wenn die Zielperiode abgelaufen und wegen der Bonuszahlung ein Rechtsstreit anhängig ist (LAG Düsseldorf 29.10.2003 – 12 Sa 900/03 – Rn. 19; LAG Köln 15.12.2014 – 5 Sa 580/14 – Rn. 73; jeweils zitiert nach juris). Hiergegen spricht jedoch, dass die Gründe, aus denen das Bundesarbeitsgericht im Falle einer unterbliebenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode eine Festlegung der Ziele durch Urteil für ausgeschlossen hält und grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch annimmt, für den Fall der unterbliebenen einseitigen Zielvorgabe unterschiedslos ebenso zutreffen; auch im Hinblick auf die einseitige Zielvorgabe ist deren Zweck, nämlich die Motivation der Mitarbeiter durch das Setzen eines Leistungsanreizes, nicht mehr erreichbar, wenn die Zielperiode abgelaufen ist (LAG Köln 06.02.2024 – 4 Sa 390/23 Rn 63 mwN, juris). Gleiches gilt für die betreffend der unterbliebenen Zielvereinbarung erfolgte Erwägung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 26, BAGE 125, 147), die nachträgliche Ermittlung angemessener, fallbezogener Ziele durch die Gerichte sei angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Gewichtung möglicher Ziele und auf Grund sich ständig ändernder Rahmenbedingungen in der Regel mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden oder sogar gar nicht möglich (LAG Köln a.a.O. mwN). Mit dieser Begründung lehnte das Bundesarbeitsgericht die Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB auf Fälle der unterbliebenen Zielvereinbarung ab. Zudem ist es nicht möglich, den Umstand, dass die Leistungsbestimmung verzögert wurde, im Urteil zu berücksichtigen (LAG Köln a.a.O. mwN auch zur Gegenansicht).
32
b) Der Zeitpunkt der von der Beklagten behaupteten Veröffentlichung der Unternehmensziele am 26.10.2021 lag so spät, dass bereits Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB eingetreten war. Die Vornahme der Zielvorgabe war nicht mehr erfüllungstauglich. Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr – wie hier – bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist (LAG Köln a.a.O Rn 64 mwN). Der Klägerin blieb keine Zeit mehr, die vorgegebenen Ziele effektiv zu verfolgen.
33
Der Vortrag der Beklagten, es wäre für den Kläger von keinerlei Relevanz, ob er die Unternehmensziele im Januar, Februar oder irgendeinem anderen Monat des laufenden Jahres erfahre oder nicht, er selbst könne zum Unternehmenserfolg außer durch die Erfüllung seiner persönlichen Ziele und ordnungsgemäßer Arbeitsleistung im Allgemeinen nichts beitragen, überzeugt nicht. Zwar dienen auch individuelle Ziele dem Anreiz und der Mitarbeitermotivation, jedoch unterstreichen daneben bestehende Unternehmensziele diese Funktionen nochmal deutlich. Durch die Ausweitung entsteht regelmäßig eine noch höhere Identifikation mit dem Unternehmen, aber auch ein für die Motivation eines Mitarbeiters nicht unerheblicher Teamgedanke. Zuletzt aber verkennt der Vortrag der Beklagten vor allem, dass es sich beim Kläger sehr wohl um einen Mitarbeiter gehandelt haben muss, der das Erreichen der Unternehmensziele durch seinen Beitrag erkennbar beeinflussen kann. Aus dem Anhang 1 der arbeitsvertraglichen Regelung ergibt sich nämlich, dass nur solche Leistungsträger potenzielle Kandidaten für die Teilnahme am Bonussystem sein können. (siehe hierzu auch LAG Köln, Urteil vom 06.02.2024, 4 Sa 390/23, Rn. 65, juris). Wäre dies anders, wäre es auch nicht gerechtfertigt, diese zum Gegenstand einer Zielvorgabe zu machen, deren Erreichen im Fall des Klägers immerhin ca. 16% seines Jahreszielgehalts ausmacht. Auch das Bundesarbeitsgericht behandelt persönliche und unternehmensbezogene Ziele im Hinblick auf ihre Motivations- und Anreizfunktion gleich (vgl. BAG 17.12.2020 – 8 AZR 149/20 – Rn. 40; 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 47; LAG Köln a.a.O.).
34
Ob und wann der Kläger von der Bekanntmachung tatsächlich Kenntnis hatte, kann nach oben Gesagtem letztlich dahinstehen. Insofern ist es nicht maßgeblich, ob die Unternehmensziele tatsächlich am 26.10.2021 (wirksam) im Intranet veröffentlicht wurden oder dem Kläger erst zu einem späteren Zeitpunkt mitgeteilt wurden.
35
5. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach §§ 249 ff. BGB.
36
a) Nach § 252 Satz 1 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit eine Bonuszahlung. Als entgangen gilt gemäß § 252 S. 2 BGB der Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
37
Grundlage bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB ist in den Fällen, in denen die Festlegung von Zielen schuldhaft unterblieben ist, der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen (BAG 12.12.2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 50).
38
b) Umstände, die die Annahme, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, entkräften, sind nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht (ausreichend) vorgetragen. Die von der Beklagten vorgetragenen Umstände (Schließung Werk 2 in B-Stadt-J. sowie Sanierungstarifvertrag) stammen – wie sich aus deren eigenem Vortrag ergibt – aus dem Jahr 2020. Die hier gegenständlichen Unternehmensziele stammen dagegen von März bzw. Oktober 2021. Sie entstanden also zu einem Zeitpunkt, in dem die vorgetragenen Umstände längst vorgelegen hatten und bei der Aufstellung der Unternehmensziele hätten berücksichtigt werden können bzw. müssen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wie sich die Schließung eines einzelnen Werkes in Bayern sowie ein Sanierungstarifvertrag auf die Erreichung der Unternehmensziele, die offensichtlich von der globalen Geschäftsleistung in den USA festgelegt werden, hätten auswirken können bzw. sollen.
39
Ein Mitverschulden des Klägers i. S. v. § 254 BGB scheidet aus. Wie oben dargestellt, handelt es sich aus Sicht des Berufungsgerichts um eine Zielvorgabe. Solche stehen gerade nicht zur Disposition des Arbeitnehmers und werden allein vom Arbeitgeber getroffen, weshalb ein Mitverschulden nicht in Betracht kommt.
40
Die Beklagte kann sich nicht auf einen Widerruf der Bonusregelung berufen. Der in der arbeitsvertraglichen Regelung des Bonussystems vorgesehene Anpassungsvorbehalt, nach dem es sich die Unternehmensführung vorbehält, das Bonussystem der aktuellen Entwicklung und entsprechend den Erfordernissen anzupassen, ist unwirksam.
41
1. Bei den Klauseln des zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen Arbeitsvertrages handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen. Darauf lässt bereits das äußere Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung schließen.
42
Dieser Anpassungsvorbehalt, der als Widerrufsvorbehalt ausgelegt werden kann, unterliegt als eine von Rechtsvorschriften abweichende Bestimmung der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Verwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen der Inhaltskontrolle. Sie weichen von dem allgemeinen Grundsatz pacta sunt servanda ab (BAG, Urteil vom 24.01.2017, Az. 1 AZR 774/14, in juris recherchiert).
43
2. Dieser Vorbehalt ist aus formellen Gründen unwirksam.
44
Ein Anpassungs-/Widerrufsvorbehalt muss den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB gerecht werden. Bei den Widerrufsgründen muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, z.B. wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers (BAG, Urteil vom 24.01.2017, a.a.O.). Dabei ist zu beachten, dass der Verwender vorgibt, was ihn zum Widerruf bzw. zur Anpassung berechtigen soll.
45
Diesem Transparenzgebot wird die Anpassungsklausel nicht gerecht. Der Grad der wirtschaftlichen Störung, die einen Widerruf ermöglichen soll, wird darin jedoch nicht konkretisiert. Was unter einer „aktuellen Entwicklung“ zu verstehen sei bzw. welcher Grad der wirtschaftlichen Störung einen Widerruf ermöglichen soll, wird in keinster Weise konkretisiert. Unter welchen Umständen eine „wirtschaftlich schwierige Lage“ gegeben sein soll, die eine entsprechende Anpassung erforderlich machen sollen, kann der Klausel in keinster Weise entnommen werden.
46
Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB. Der Bonus war unstreitig mit der Abrechnung für Juni 2022 fällig, also am Schluss des Monats (§ 64 HGB).
47
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
48
Die Zulassung der Revision erfolgt im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.