Titel:
Pflicht zum Beweisantritt im Arzthaftungsprozess
Normenketten:
ZPO § 139 Abs. 1, § 144
BGB § 630a
Leitsätze:
1. Reines Parteivorbringen in der Berufungsbegründung ist grundsätzlich nicht geeignet, gutachterliche Feststellungen zu einer medizinischen Diagnose in Frage zu stellen. (Rn. 16)
2. Die aus § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO resultierende Pflicht des Gerichts darauf hinzuwirken, dass „die Beweismittel bezeichnet“ werden, geht nicht so weit, dass eine Partei zur Benennung weiterer möglicher Beweismittel aufzufordern ist. (Rn. 17)
3. Die schlüssige Behauptung eines Behandlungsfehlers setzt voraus, dass der Vortrag mindestens in groben Zügen erkennen lassen muss, welches ärztliche Verhalten fehlerhaft gewesen und welcher Schaden hieraus entstanden sein soll; die bloße Vorlage einer Anlage, mit der nach dem schriftsätzlichen Vortrag lediglich eine Schadensfolge bewiesen werden soll, reicht hierfür nicht aus. (Rn. 18)
Schlagworte:
Haftung des Orthopädietechnikers, Hinweispflicht des Gerichts bei fehlendem Beweisantritt, Substantiierungspflicht der Partei zum behaupteten Behandlungsfehler, Behandlungsfehler, Arzthaftungsprozess, Beweismittel, Sachverständigengutachten
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Urteil vom 12.09.2023 – 13 O 422/19
Fundstellen:
MDR 2024, 1109
LSK 2024, 15450
BeckRS 2024, 15450
FDZVR 2024, 015450
MedR 2025, 390
NJOZ 2024, 946
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 12.09.2023, Az. 13 O 422/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Berufungsstreitwert auf 12.345,50 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 10.06.2024.
Entscheidungsgründe
1
Wegen einer sich bei der Klägerin (geb. 2014) entwickelnden Hüftdezentrierung wurde die Versorgung mit einem Stehgerät ärztlich verordnet. Das Stehgerät wurde am 29.06.2018 durch einen Mitarbeiter der Beklagten in der Wohnung der Klägerin angeliefert und die Klägerin dort in das Stehgerät „eingespannt“.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich unter Berufung auf eine ärztliche Bescheinigung (K6) behauptet, dass es aufgrund einer fehlerhaften Einstellung des Stehgeräts beim „Einspannen“ am 29.06.2018 zu einer Patellaluxation am linken Knie gekommen sei. Auch in der Folgezeit sei es bis zu einer operativen Versorgung des Knies im Universitätsklinikum … am 11.11.2021 immer wieder zu Kniegelenkluxationen gekommen, die sämtlich auf die fehlerhafte Anwendung des Stehgeräts und der deswegen erstmals verursachten Kniegelenkluxation zurückzuführen seien.
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Erstinstanzlich hat die Klägerin deswegen Schmerzensgeld (mindestens 10.000,- €), materiellen Schadensersatz (Fahrtkosten) in Höhe von 287,80 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 526,58 € gefordert. Ferner hat sie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus der mangelhaften Lieferung des Stehgeräts und der dadurch entstandenen Verletzung des linken Knie zu ersetzen hat.
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Die Beklagte hat die Vorwürfe der Klägerin zurückgewiesen.
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Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme (Zeugeneinvernahme des Mitarbeiters der Beklagten A., Einholung von schriftlichen Gutachten auf dem Gebiet der Orthopädietechnik (Sachverständiger B.) und der Orthopädie (Sachverständiger Dr. med. C.) sowie mündliche Anhörung der Gutachter im Termin vom 13.07.2023) und informatorischer Anhörung der Mutter der Klägerin mit Endurteil vom 12.09.2023 teilweise stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Gutachters B. davon auszugehen, dass es aufgrund einer fehlerhaften Einstellung des Stehgeräts oder einer fehlerhaften Bedienung bei der Anpassung am 29.06.2018 zu einer unphysiologischen Valgus-Fehlstellung des linken Beins gekommen sei. Diese habe, entsprechend den Angaben des Sachverständigen C., im Zusammenwirken mit einer vorhandenen habituellen Stabilitätsproblematik zu einer Patellaluxation geführt. Allerdings sei die am 29.06.2018 von der Beklagten zu verantwortende Fehlstellung nicht auch für die nachfolgenden Luxationen kausal gewesen, sondern seien letztere durch die habituelle Disposition aufgrund des bei der Klägerin bestehenden Deletionssyndroms 22q11 verursacht worden.
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Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 9.000,- € und den Ersatz weiterer materieller Schäden und Rechtsanwaltskosten fordert. Sie rügt, dass der Sachverständige, ohne dass er dies selbst überprüft hätte oder dies aus den vorgelegten ärztlichen Untersuchungsberichten hervorginge, von einer habituellen Kniegelenksinstabilität ausgehe. Insbesondere habe er einen Untersuchungsbericht von Prof. Dr. D. vom 26.05.2018 (Anlage K3) unberücksichtigt gelassen, worin Stabilitätsprobleme ausdrücklich verneint werden. Die Klägerin trägt darüber hinaus vor, dass ein Deletionssyndrom 22q11 keine Patellainstabilität hervorrufe, eine solche sei bei der Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt diagnostiziert worden. Ferner rügt die Klägerin, dass das Landgericht die erstinstanzlich vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 21.08.2018 (Anlage K 6) insoweit nicht berücksichtigt habe, als daraus hervorgehe, dass die Klägerin nach der ersten Luxation von der Beklagten mit einer nicht passenden Lagerungsschiene versorgt worden sei, was zu einer von der Beklagten verschuldeten weiteren Luxation der linken Patella geführt habe.
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Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren:
1. Die Beklagte wird in Abänderung des Urteils vom 12.09.2023 verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 9.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird unter Abänderung des am 12.09.2023 verkündeten Urteils verurteilt an die Klägerin weitere 2.342,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Die Beklagte wird unter Abänderung des am 12.09.2023 verkündeten Urteils verurteilt an die Klägerin weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 916,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2019 zu zahlen.
die Zurückweisung der Berufung und – im Wege der Anschlussberufung – die vollständige Abweisung der Klage. Sie rügt, dass ihre Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen B. nicht ausreichend und damit unzutreffend gewürdigt worden seien.
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Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Endurteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht, noch die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 513 Abs. 1, 529, 546 ZPO).
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Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb erneute Feststellungen durch das Berufungsgericht gebieten.
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Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen nur dann vor, wenn – aufgrund konkreter Anhaltspunkte – aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle erneuter Tatsachenfeststellungen die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGHZ 158, 269 ff. = NJW 2004, 1876 ff.; BGHZ 162, 313 ff. = NJW 2005, 1583 ff.; BGH NJW 2003, 3480 ff.).
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Diese Voraussetzungen für den Wegfall der Bindung an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen liegen hier nicht vor. Das Landgericht hat den Sachverhalt auch rechtlich zutreffend gewürdigt. Der Senat schließt sich dem angefochtenen Urteil an und nimmt vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen auf die dort getroffenen Feststellungen und die Begründung des Urteils Bezug.
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1. Die Annahme des Landgerichts, dass die fehlerhafte Anpassung des Stehgeräts und die dadurch am 29.06.2018 verursachte Patellaluxation nicht auch für weitere in der Folgezeit entstandene Luxationen der linken Patella der Klägerin ursächlich geworden ist, ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat sich hierbei den Ausführungen des für diese Fragestellung als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie unzweifelhaft qualifizierten Sachverständigen C. angeschlossen.
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Die von der Klägerin gegen das schriftliche Gutachten oder die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen geltend gemachten Einwendungen sind nicht dazu geeignet, diese in einer Weise in Frage zu stellen, dass eine ergänzende Begutachtung oder die Begutachtung durch einen neuen Sachverständigen gem. § 412 ZPO anzuordnen wäre. Soweit die Klägerin rügt, dass der Sachverständige zu Unrecht eine habituelle Stabilitätsproblematik auf eine bei der Klägerin bestehende Mikrodeletion 22q11 zurückgeführt habe, obwohl er eine habituelle Stabilitätsproblematik weder auf Grundlage einer eigenen Untersuchung der Klägerin festgestellt habe noch sich eine solche aus den vorgelegten ärztlichen Behandlungsunterlagen ergebe, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Insoweit war nämlich zu berücksichtigen, dass der Sachverständige die Annahme einer habituellen Stabilitätsproblematik damit begründet hat, dass die Klägerin andernfalls beim „Einspannen“ in das Stehgerät keine Luxation der Kniescheibe erlitten hätte, da dies keine ausreichende Belastung für das Kniegelenk darstelle, um eine traumatische Patellaluxation zu verursachen, und auch die beobachtete spontane Reposition typisch für eine habituelle Instabilität sei. Der Sachverständige hat damit gerade nicht das Vorliegen einer habituellen Instabilität des Kniegelenks mit der bestehenden Mikrodeletion 22q11 begründet, sondern diese als Risikofaktor und daher mögliche Erklärung für das Vorhandensein einer entsprechenden Instabilität bewertet. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang unter Vorlage eines „Katalogs Symptomatik Deletion 22q11“ (Anlage BK7) und Zeugenangebot bestreitet, dass es einen Zusammenhang zwischen einer habituellen Patellaluxation und einer Mikrodeletion 22q11 gebe, wird darauf hingewiesen, dass es in der entsprechenden Publikation, in der die von der Klägerin vorgelegte Tabelle enthalten ist (Donna M McDonald-McGinn, et al., GeneReviews, 22q11.2 Deletion Syndrome, abgerufen am 13.05.2024 unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK1523/), unter dem Stichwort „Musculoskeletal system“ lautet: „The most common extremity manifestation is pes equinovarus (clubfoot) which was described in 15 studies (2,115 individuals), with a prevalence of 1.1%-13.3%. Patellar dislocation was observed in three studies with a prevalence of 10%-20%, though this evidence was weaker. Other anomalies reported included polydactyly, shoulder deformities, and overfolded toes.“ Hieraus ergibt sich zwar kein zwingender Schluss, dass im Falle einer Mikrodeletion 22q11 (immer) eine Instabilität der Patella vorliegt, allerdings liegt hierin eine vom Sachverständigen im Ergebnis auch so dargestellte Erklärungsmöglichkeit.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Sachverständige auch nicht den Arztbericht vom 26.05.2018 (Anlage K3 bzw. BK2) übergangen, sondern ist im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vom 13.07.2023 ausweislich des Protokolls (S. 3) auf die Frage, wie das dortige Untersuchungsergebnis (kein Instabilitätsphänomen bei der Untersuchung der unteren Extremität) mit seiner Einschätzung in Einklang gebracht werden könne, auf diesen (vermeintlichen) Widerspruch eingegangen. Die entsprechende Antwort des Sachverständigen, dass er aufgrund dieses Attests nicht sagen könne, was und wie untersucht wurde, ist nachvollziehbar; wie auch die Tatsache, dass der Sachverständige deswegen an seiner These des Vorliegens einer habituellen Instabilität festgehalten hat.
16
Soweit die Klägerin vorträgt, dass sich auch aus weiteren ärztlichen Berichten ergebe (Anlagen BK3, BK4), dass eine habituelle Patellainstabilität nicht vorliege, handelt es sich um Parteivortrag, der nicht geeignet ist, die gutachterlichen Feststellungen in Frage zu stellen. Die entsprechenden Befundberichte standen dem Sachverständigen zur Verfügung und werden im schriftlichen Sachverständigengutachten vom 16.11.2022 auch erwähnt. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist daher davon auszugehen, dass der Sachverständige deren Inhalt zur Kenntnis genommen, aber für die Beweisfrage nicht für erheblich angesehen hat.
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2. Das Landgericht war auch nicht gehalten, aufgrund eines nach Auffassung der Klägerin im Arzthaftungsprozess anwendbaren „Amtsermittlungsgrundsatzes“ von Amts wegen die Ersteller der erstinstanzlich vorgelegten ärztlichen Berichte ohne entsprechenden Beweisantrag als Zeugen für das Vorliegen eines bestimmten Befundergebnisses einzuvernehmen, das möglicherweise (über die schriftliche Dokumentation hinaus) als weitere Tatsachengrundlage für den Sachverständigen hätte dienen können. Unabhängig davon, ob die für den Arzthaftungsprozess entwickelten Grundsätze (geringere Substantiierungsanforderungen, Pflicht zur Amtsermittlungen in einzelnen Bereichen) auch im orthopädietechnischen Bereich anzuwenden sind (die Regelungen über den Behandlungsvertrag gem. §§ 630a ff. BGB geltend jedenfalls nicht: Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 83. Aufl., Vorb. v. 630a, Rn. 3), würden diese im vorliegenden Fall jedoch nicht dazu führen, dass das Landgericht ohne einen entsprechenden Antrag entgegen dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz (Zöller/Greger, ZPO, 35 Aufl., vor § 284, Rn. 2) gehalten gewesen wäre, Beweis durch Einvernahme von Zeugen zu erheben oder auf eine entsprechende Möglichkeit hinweisen zu müssen. Zwar besteht im Arzthaftungsprozess eine gesteigerte Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung. Dies kann zur Gewährleistung prozessualer Waffengleichheit auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen beinhalten, soweit ein Patient darauf angewiesen ist, dass der Sachverhalt durch ein Gutachten aufbereitet wird (BGH, Urteil v. 12.03.2019, Az. VI ZR 278/18, NJW 2019, 2399, Rn. 9). Während jedoch die Einholung eines Sachverständigengutachtens auch ohne einen entsprechenden Beweisantritt nach § 144 ZPO möglich ist, fehlt es an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung für den Zeugenbeweis. Eine Hinweispflicht des Landgerichts gem. § 139 Abs. 1 ZPO auf die Möglichkeit der Benennung der Verfasser der ärztlichen Untersuchungsberichte als Zeugen bestand ebenfalls nicht. Die aus § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO resultierend Pflicht des Gerichts darauf hinzuwirken, dass „die Beweismittel bezeichnet“ werden, geht nicht so weit, dass eine Partei zur Benennung weiterer möglicher Beweismittel aufgefordert wird (Zöller/Greger, a.a.O., § 139, Rn. 16). Darüber hinaus lagen hier, insbesondere aus Sicht eines medizinischen Laien (also auch aus Sicht des Gerichts) keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich aufgrund einer Vernehmung der behandelnden Ärzte der Klägerin ein weiterer Erkenntnisgewinn ergeben könnte. Auch aufgrund der Angabe des Sachverständigen im Termin vom 13.07.2023 zum Vorhalt, dass sich bei einer einen Monat vor dem Ereignis durchgeführten Untersuchung keine Instabilität gezeigt habe (was offensichtlich auf das Untersuchungsergebnis des Arztes Prof. D. vom 26.05.2018, Anlage K3/BK2 bezogen ist), resultierte keine Hinweispflicht des Gerichts auf die Möglichkeit diesen Arzt als Zeugen zu benennen hinzuweisen. Vielmehr lag aufgrund der Aussage des Sachverständigen, dass er nicht sagen könne, „was und wie untersucht wurde“, auch für einen medizinischen Laien klar auf der Hand, dass hierzu der untersuchende Arzt Auskunft geben und diese Auskunft möglicherweise Einfluss auf das Beweisergebnis des Sachverständigengutachtens haben könnte. Ein Hinweis des Gerichts auf die Möglichkeit der Benennung des behandelnden Arztes als Zeugen war in dieser Situation daher nicht nur nicht geboten, sondern hätte vielmehr die richterliche Pflicht zu Neutralität und Gleichbehandlung der Parteien verletzt (Zöller/Greger, a.a.O., Rn. 2).
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3. Das Landgericht war, auch bei Anlegung nur maßvoller und geringer Anforderungen an die Substantiierungspflicht, nicht gehalten, Feststellungen zum Vorwurf der Versorgung der Klägerin mit einer nicht ordnungsgemäß angepassten Knieschiene am 05.07.2018 zu treffen. Erstinstanzlich wurde die ärztliche Bescheinigung vom 21.08.2018 (Anlage K6), aus der sich der Vorwurf der Versorgung mit einer zu großen Schiene ergeben kann, zwar vorgelegt. Dies allerdings nur als Beweismittel für die Behauptung, dass das „Einspannen“ am 29.06.2018 fehlerhaft vorgenommen worden sei und in der Folge immer wieder Patellaluxationen am linken Knie aufgetreten seien (S. 5 der Klageschrift). Der Vorwurf der Versorgung mit einer zu großen Schiene wurde schriftsätzlich jedoch nicht erhoben. Auch bei einer eingeschränkten Substantiierungspflicht setzt die schlüssige Behauptung eines Behandlungsfehlers aber voraus, dass der Vortrag mindestens in groben Zügen erkennen lassen muss, welches ärztliche Verhalten fehlerhaft gewesen und welcher Schaden hieraus entstanden sein soll (Geiß/Greiner, ArzthaftpflichtR, 8. Aufl., E. Prozessuale Grundsätze, Rn. 2a, m.w.N.). Die bloße Vorlage einer Anlage, mit der nach dem schriftsätzlichen Vortrag lediglich eine Schadensfolge bewiesen werden soll, reicht hierfür nicht aus.
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4. Damit wird erstmals in der zweiten Instanz der Vorwurf der Versorgung mit einer nicht ordnungsgemäß angepassten Schiene erhoben (den die Beklagte in der Berufungserwiderung bestreitet). Allerdings fehlt es an einem Zulassungsgrund nach § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO. Auch für einen medizinischen Laien ergibt sich aus dem ärztlichen Bericht vom 21.08.2018 ein hinreichender Verdacht auf ein fehlerhaftes Verhalten der Beklagten. Dort wird geschildert, dass das Bein der Klägerin wegen der „Übergröße“ der Lagerungsschiene überstreckbar gewesen sei und somit eine erneute Kniescheibenluxation provozierte. Es ist nicht ersichtlich und geht auch aus der Berufungsbegründung nicht hervor, weshalb der entsprechende Vorwurf nicht auch schon in erster Instanz erhoben wurde oder erhoben werden konnte.
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Entsprechendes gilt unter Berücksichtigung der Darlegungen unter Ziff. 2 auch für die erstmals in zweiter Instanz benannten Zeugen.
21
Gemäß § 524 Abs. 4 ZPO führt eine (beabsichtigte) Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ebenso wie eine Rücknahme der Berufung kraft Gesetzes zur Wirkungslosigkeit der Anschlussberufung. Ausführungen zu den Erfolgsaussichten der Anschlussberufung des Beklagten sind daher nicht veranlasst.
22
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor.
23
Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht.
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Der festzusetzende Streitwert für das Berufungsverfahren ergibt sich wie folgt: 11.342,80 € (Anträge im Berufungsverfahren) + 1.002,70 € (Beschwer der Beklagten durch das angefochtene Endurteil) = 12.345,50 €.
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Der Senat regt deshalb die Rücknahme der von der Klägerin eingelegten Berufung an und weist auf die im Falle einer Rücknahme eintretende Ermäßigung der Gerichtsgebühren hin (KV Nr. 1220, 1222).
26
Der Senat weist weiter darauf hin, dass für den Fall der Zurückweisung der Berufung der Klägerin durch Beschluss für die Kostenentscheidung die Vornahme einer Kostenquotelung entsprechend § 92 ZPO beabsichtigt ist (BGH, GrZS, Beschluss vom 11.03.1981, GSZ 1/80, Tz. 12 – 14 juris; Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 524, Rn. 42).