Titel:
Temporäre Genehmigung einer Asylbewerberunterkunft unter Ausnahme von einer von der Gemeinde erlassenen Veränderungssperre
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 14 Abs. 2, § 15 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 1, Abs. 2, § 34 Abs. 2, § 246 Abs. 11, Abs. 12, Abs. 13a, Abs. 14
BauNVO § 8 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Bei temporären Bauvorhaben, die lediglich als „Zwischennutzung“ im Wege der Ausnahme zugelassen werden (vorliegend: eine Asylbewerberunterkunft als "Containeranlage" mit Rückbauverpflichtung trotz erlassener "Veränderungssperre"), ist nicht davon auszugehen, dass sie wegen Widerspruchs zur beabsichtigten Planung unzulässig sind. Es kommt bei solchen Vorhaben vielmehr darauf an, ob sie die beabsichtigte Planung und deren Verwirklichung wesentlich erschweren. Dies ist nicht der Fall, wenn die Gemeinde auf die befristet genehmigte Zwischennutzung bei ihrer Planung keine Rücksicht nehmen muss, da das Vorhaben nach Ablauf der Frist rückgebaut werden muss und danach gerade keinen Bestandsschutz genießt (darüber hinaus war die von der Gemeinde beabsichtigte Planung kurzfristig nicht gegen den Willen des Grundstückseigentümers möglich). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Befristete Baugenehmigung, Asylbewerberunterkunft, Klage der Standortgemeinde, Faktisches Gewerbegebiet, Veränderungssperre, Beabsichtigter Ausschluss von ausnahmsweise zulässigen Nutzungen, Erteilung einer Ausnahme, Befristete gesetzliche Regelungen für Asylbewerberunterkunft, Dringlichkeit, Lärmimmissionen, Erschließung (Straße)., Erschließung (Straße), befristete gesetzliche Regelungen für Asylbewerberunterkunft, faktisches Gewerbegebiet, befristete Baugenehmigung, Baurecht, Gemeinde, Ausnahme, Baugenehmigung, Containeranlage, befristet, Zwischennutzung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 26.02.2024 – AN 3 S 24.169
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15418
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich als Standortgemeinde im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für eine auf drei Jahre befristete Errichtung einer Asylbewerberunterkunft für 100 Personen in Containerbauweise auf den Grundstücken FlNrn. … … und … der Gemarkung ...
2
Die Grundstücke sind Teil einer ehemaligen ca. 10 ha umfassenden Möbelfabrik, gelegen zwischen einer Bundesstraße und einer Bahnstrecke (sog. …-Gelände). Es handelt sich gegenwärtig um ein faktisches Gewerbegebiet.
3
Ein ursprünglich von der Antragstellerin im Jahr 2021 gefasster Aufstellungsbeschluss für eine Nutzung des Geländes mit Wohnflächen, Mischflächen und Gewerbeflächen wurde mangels Investoren und laut Beschlussvorlage der Antragstellerin „vermutlich aufgrund extremer Preisvorstellungen des Eigentümers“ nicht weiterverfolgt.
4
Nachdem das Landratsamt die Antragstellerin im September 2023 über die Absicht, dass auf dem Grundstück FlNr. … eine Asylbewerberunterkunft errichtet werden soll, unterrichtet hatte, fasste die Antragstellerin am 25. Oktober 2023 einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan Nr. 24 „Gewerbegebiet …-Gelände“ und beschloss am 26. Oktober 2023 den Erlass einer Veränderungssperre. Der Aufstellungsbeschluss sieht die Ausweisung eines reinen Gewerbegebiets vor, in dem ausnahmsweise zulässige Nutzungen i.S.v. § 8 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 BauNVO ausgeschlossen sein sollen. Das Baugrundstück liegt im beabsichtigten Plangebiet.
5
Nach Anhörung der Antragstellerin, die das Einvernehmen zum Bauvorhaben und zu der Erteilung von Ausnahmen und Abweichungen verweigert hatte, erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen mit Bescheid vom 3. Januar 2024 die Baugenehmigung für das eingangs genannte Vorhaben – befristet für drei Jahre – auf den Grundstücken FlNrn. …, … und … (Nrn. 1 und 2 Satz 1). Der Bescheid enthält in Nr. 2 Satz 2 eine Rückbauverpflichtung des Beigeladenen nach Fristablauf. Von der von der Antragstellerin am 2. November 2023 bekannt gemachten Veränderungssperre Nr. 3 für den Bereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans Nr. 24 erteilte der Antragsgegner nach Maßgabe der Befristung gemäß § 14 Abs. 2 BauGB eine Ausnahme (Nr. 3). Hilfsweise wurde von der Veränderungssperre gemäß § 246 Abs. 14 BauGB eine Abweichung erteilt (Nr. 4). Das Bauvorhaben wurde im faktischen Gewerbegebiet gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 246 Abs. 11 BauGB ausnahmsweise zugelassen (Nr. 5). Das Einvernehmen der Antragstellerin zu Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 wurde ersetzt (Nr. 6).
6
Nach den genehmigten Bauplänen befindet sich das Containergebäude ausschließlich auf Grundstück FlNr. …; bei dem Grundstück FlNr. … handelt es sich um eine Zufahrtsstraße von der Bundesstraße; auf dem bebauten Grundstück FlNr. … ist die konkrete Zufahrt für die Unterkunft vorgesehen; beide Grundstücke stehen im Eigentum des Grundstückseigentümers von FlNr. …
7
Gegen den Bescheid ließ die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben. Den weiter gestellten Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 3. Januar 2024 anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Februar 2024 ab. Zur Begründung führte es aus, die erteilte Ausnahme von der Veränderungssperre gemäß § 14 Abs. 2 BauGB sei rechtmäßig. Zwar dürfe ein Vorhaben, das mit der gemeindlichen Planung nicht vereinbar sei oder diese wesentlich erschweren würde, nicht im Wege einer Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden, jedoch stünden hier keine überwiegenden öffentlichen Belange entgegen. Hierzu habe der Antragsgegner die Befreiungsvorschrift des § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB inzident für die Frage des Entgegenstehens überwiegend öffentlicher Belange in Bezug nehmen dürfen. Bestehe für ein Vorhaben sowohl hinsichtlich der aktuell gültigen Bauleitplanung als auch bezüglich der zukünftigen (zu sichernden) Bauleitplanung ein Anspruch auf Befreiung, so seien die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Veränderungssperre gegeben. Die Veränderungssperre könne keine stärkere Abwehrwirkung gegen ein Vorhaben haben als der zu sichernde Bebauungsplan. Das Gebiet, in dem das Bauvorhaben errichtet werden solle, sei als faktisches Gewerbegebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO einzustufen. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung der Flüchtlingsunterkunft als soziale Einrichtung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO seien gegeben. Die Voraussetzungen des § 246 Abs. 13a BauGB für die Anwendbarkeit der Absätze 8 bis 13 des § 246 BauGB lägen vor, da dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, ansonsten nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden könnten. Der Antragsgegner habe insoweit im Kern darauf abgestellt, dass seine Notunterkunft in Scheinfeld für eine dauerhafte Unterbringung ungeeignet sei. Es handle sich hierbei um einen ehemaligen Supermarkt, in dem die Asylbewerber auf engstem Raum lebten und die Parzellen dort nur durch Bauzäune und Plastikfolien getrennt seien. Es erscheine nachvollziehbar, dass diese Unterkunft nur eine erste Anlaufstation sein solle und die Asylbewerber für einen längerfristigen Aufenthalt in besser geeignete Unterkünfte umverteilt werden sollten. Dass die Belegung in dieser Notunterkunft zwischenzeitlich zurückgegangen sei, könne nicht als Indiz für einen mangelnden dringlichen Bedarf gewertet werden. Insoweit komme es ohnehin auf den Zeitpunkt des Bescheidserlasses an. Ein dringlicher Bedarf könne aber auch für die Zukunft nicht verneint werden. Eine anderweitige Bereitstellung von Unterkünften auf dem Gemeindegebiet sei gescheitert. Nach § 246 Abs. 11 Satz 1 BauGB gelte bei der Erteilung einer Ausnahme für Anlagen für soziale Zwecke betreffend die Unterbringung von Asylbewerbern § 31 Abs. 1 BauGB mit der Maßgabe, dass die Ausnahme in der Regel zugelassen werden solle. Insofern handle es sich um ein intendiertes Ermessen. Soweit auf eine Immissionsbelastung abgestellt werde, könnten bei einer befristeten Baugenehmigung auch die tatsächlichen Gegebenheiten stärker in den Blick genommen werden. Das …-Gelände läge zu erheblichen Teilen brach, dort finde kaum eine gewerbliche Nutzung statt, sodass keine unzumutbaren Immissionsbelastungen zu erwarten seien. Grundsätzlich müssten zwar auch befristet errichtete Flüchtlingsunterkünfte die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse einhalten; jedoch sei der Schutzanspruch bei Realisierung in Industrie- und Gewerbegebieten entsprechend den dort (ausnahmsweise) zulässigen (Betriebs-) Wohnnutzungen verringert. Auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung von der zu sichernden Planung gemäß § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB seien gegeben. Die Ausnahme nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB erschwere nicht die Realisierung der Planung der Antragstellerin oder mache diese unmöglich. Zu beachten sei, dass die Planung erhebliche Zeit beanspruchen dürfte und die Antragstellerin faktische Umsetzungsperspektiven nicht benannt habe. Einen dringenden Bedarf an Gewerbeflächen habe sie nicht gemeldet. Aufgrund der Befristung der Planung könne nicht von einer wesentlichen Erschwerung oder Unmöglichkeit der Planung ausgegangen werden.
8
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, der der Antragsgegner entgegentritt.
9
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
10
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
11
1. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage zu Recht als unbegründet abgelehnt. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
12
Die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 3. Januar 2024 wird voraussichtlich keinen Erfolg haben. Dieser Bescheid erweist sich nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig. Zur Begründung wird zunächst auf die Begründung des Bescheids selbst und auf die zutreffenden Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Beschluss verwiesen (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
13
a) Die in Nr. 3 des Bescheids erteilte Ausnahme gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB von der Veränderungssperre Nr. 3 der Antragstellerin für den Bereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans Nr. 24 erscheint rechtmäßig.
14
Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB kann, wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen, von der Veränderungssperre eine Ausnahme zugelassen werden. Die Zulassung einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB ist hier für die Genehmigung der Asylbewerberunterkunft notwendig, da sie als Anlage für soziale Zwecke gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373 – juris Rn. 3 m.w.N.) der beabsichtigten Planung der Antragstellerin widerspricht. Überwiegende öffentliche Belange stehen hier in der Gesamtschau nicht entgegen. Zwar weist die Antragstellerin in ihrer Beschwerde zu Recht darauf hin, dass grundsätzlich nach der Rechtsprechung ein Vorhaben, das der beabsichtigten Planung widerspricht oder sie wesentlich erschweren würde (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB zur Zurückstellung von Baugesuchen) nicht im Wege einer Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden kann und dass das zugelassene Vorhaben nicht mit der beabsichtigten Planung der Antragstellerin vereinbar ist. Jedoch ist dieser Grundsatz für lediglich befristet genehmigte Bauvorhaben mit Rückbauverpflichtung, die über die festgelegte Frist hinaus keinen Bestandsschutz haben, unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 246 Abs. 12 BauGB differenziert zu sehen. Die Veränderungssperre dient der Sicherung der Bauleitplanung. Die Aufstellung eines Bebauungsplans ist nicht ohne Aufwand an Zeit denkbar. Die Veränderungssperre soll verhindern, dass die Planung durch tatsächliche Veränderungen baulicher oder sonstiger Art während der von der Verwaltung benötigten Bearbeitungszeit durch Schaffung vollendeter Tatsachen vereitelt oder wesentlich erschwert wird (vgl. BVerwG, B.v. 30.9.1992 – 4 NB 35/92 Rn. 6). Das kann grundsätzlich auch bei einer befristeten Baugenehmigung anzunehmen sein. Bei der hier auf drei Jahre befristeten Baugenehmigung für eine Containeranlage mit Rückbauverpflichtung ist das nicht der Fall.
15
Bei temporären Bauvorhaben, die lediglich als „Zwischennutzung“ im Wege der Ausnahme zugelassen werden, ist nicht davon auszugehen, dass sie wegen Widerspruchs zur beabsichtigten Planung unzulässig sind; es kommt bei solchen Vorhaben vielmehr darauf an, ob sie die beabsichtigte Planung und deren Verwirklichung wesentlich erschweren. Die beabsichtigte Planung wird nicht erschwert, da die Gemeinde auf die befristet genehmigte Zwischennutzung bei ihrer Planung keine Rücksicht nehmen muss, da das Vorhaben nach Ablauf der Frist rückgebaut werden muss und danach gerade keinen Bestandsschutz genießt. Davon, dass auch die Verwirklichung der Planung, die kurzfristig gegen den Willen des Grundstückseigentümers ohnehin nicht möglich ist, nicht wesentlich erschwert wird, gehen der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht zutreffend aus.
16
Zu Recht weist das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss darauf hin, dass die Aufstellung eines Bebauungsplans bis zum endgültigen Satzungsbeschluss erhebliche Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Bebauungspläne sind gemäß § 3 Abs. 2 BauGB auszulegen, etwaige Einwendungen der Eigentümer der im Plangebiet gelegenen Grundstücke und etwaig auch der Plangebietsnachbarn sind abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB) und die Stellungnahmen von Behörden und sonstiger Träger öffentlicher Belange (vgl. § 4 BauGB) zu berücksichtigen. Schließlich hat die Antragstellerin schon einmal versucht, einen Bebauungsplan für das maßgebliche Gebiet aufzustellen, ist aber daran mangels Investoren gescheitert. Da eine Bauleitplanung Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt, sind insbesondere die Rechte der Eigentümer und gemäß Art. 12 GG auch der Gewerbetreibenden auf den maßgeblichen Grundstücken zu beachten.
17
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch auf die fehlenden Umsetzungsperspektiven hingewiesen. Die Antragstellerin hat nicht vorgetragen, dass bereits Planungen von Grundstückseigentümern vorliegen oder Investoren bereitstehen. Aber selbst wenn dem so wäre, würde auch diese Planung und deren Umsetzung erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Zumindest der Grundstückseigentümer, der dem Beigeladenen seine Grundstücke befristet für die Errichtung einer Asylbewerberunterkunft zur Verfügung stellt, hat offenbar nicht die Absicht, Vorhaben, wie sie gemäß § 8 Abs. 1 und 2 BauNVO zulässig sind, zu errichten. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass dieser seine Absicht jederzeit ändern könne, steht dem schon seine vertragliche Bindung entgegen. Insgesamt kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren, für den die Baugenehmigung erteilt wurde, die gemeindliche Planung und deren Umsetzung wesentlich erschwert werden würden. Entgegen der Beschwerdebegründung ist die Möglichkeit einer Verlängerung der Baugenehmigung um weitere drei Jahre schon deswegen nicht zu berücksichtigen, weil das einer erneuten – anfechtbaren – Baugenehmigung bedarf, bei der diese Frage wiederum zu prüfen sein wird.
18
Die im streitgegenständlichen Bescheid sowie im verwaltungsgerichtlichen Beschluss genannte Vorschrift des § 246 Abs. 12 BauGB kann im Wege des „Erstrechtschlusses“ zur Begründung für die Erteilung einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift kann bis zum Ablauf des 31. Dezember 2024 für die auf längstens drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Eine Befreiung darf auch erteilt werden, wenn die Grundzüge der Planung berührt werden (vgl. BT-Drs. 18/6185 S. 54; OVG Hamburg, B.v. 14.4.2016 – 2 Bs 29.16 – BeckRS 2016, 44948 Rn. 35). Vor dem Hintergrund der generell geltenden Befristung auf längstens drei Jahre ist dies gerechtfertigt (vgl. Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 246 Rn. 36). Wenn aber selbst eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans möglich ist, kann auch eine Ausnahme von einer Veränderungssperre für eine künftige Planung erteilt werden. Davon dürfte auch der Gesetzgeber des § 246 BauGB ausgegangen sein; sonst hätte er sicherlich auch eine Übergangsregelung zur Erteilung einer Ausnahme von einer Veränderungssperre in der Vorschrift normiert. Es wäre widersinnig anzunehmen, man könne zwar eine befristete Befreiung von der Festsetzung eines Bebauungsplans erteilen, obwohl die Grundzüge der Planung berührt sind, aber während des Aufstellungsverfahrens dieses Bebauungsplans keine Ausnahme von der Veränderungssperre zulassen.
19
Ein Rückgriff auf § 246 Abs. 14 BauGB ist daher für die Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nicht nötig, wenn die Voraussetzungen für eine Befreiung von den Festsetzungen des (künftigen) Bebauungsplans vorliegen.
20
Die in § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB genannte Voraussetzung, wonach die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, ist nach dem oben Dargelegten erfüllt, da nicht ersichtlich ist, dass die gemeindliche Planung und deren Umsetzung durch die temporäre Zulassung einer Asylbewerberunterkunft wesentlich erschwert würde. Insbesondere wird auch die Verwirklichung eines etwaigen gewerblichen Vorhabens auf anderen Grundstücken des Plangebiets während des Bestehens der Asylbewerberunterkunft nicht behindert, da Anlagen für soziale Zwecke nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO im Gewerbegebiet zulässig sind und der Verwirklichung gewerblicher Vorhaben nach § 8 Abs. 1 und 2 BauNVO nicht entgegenstehen, zumal Gewerbebetriebe im Plangebiet Rücksicht auf die dem Plangebiet benachbarte Wohnbebauung nehmen müssen. Dass es ein dringendes Bedürfnis gibt, Anlagen für soziale Zwecke im Plangebiet auch für eine Übergangszeit auszuschließen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
21
b) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 246 Abs. 13a BauGB liegen entgegen der Beschwerdebegründung vor. Nach dieser Vorschrift darf von den Absätzen 8 bis 13 des § 246 BauGB nur Gebrauch gemacht werden, soweit dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können. Die Dringlichkeit der benötigten Unterkünfte ist im streitgegenständlichen Bescheid (S. 6) und im verwaltungsgerichtlichen Beschluss (BA S. 11 ff.) ausreichend und zutreffend begründet. Sie ergibt sich schon daraus, dass die Notunterkunft des Beigeladenen in Scheinfeld für eine dauerhafte Unterbringung ungeeignet ist. Es handelt sich dabei um einen ehemaligen Supermarkt, in dem die Asylbewerber auf engstem Raum leben und die Parzellen dort nur durch Bauzäune und Plastikfolien getrennt sind. Das stellt auf Dauer keine menschenwürdige Unterbringung dar. Auch muss davon ausgegangen werden, dass die Unterbringung für einen längeren Zeitraum notwendig ist, da der allgemeine Wohnungsmarkt gerade für diesen Personenkreis kaum aufnahmefähig ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Belegungszahl in der Notunterkunft in Scheinfeld zum – maßgeblichen – Zeitpunkt des Bescheidserlasses von 280 auf 180 Personen zurückgegangen ist und im Jahr 2024 weniger Asylbewerber als früher zugewiesen wurden. Darüber hinaus ist entgegen der Beschwerdebegründung nicht nur auf die akute Unterbringungsmöglichkeit abzustellen, da auch die Errichtung mobiler Asylbewerberunterkünfte – wie hier – einen zeitlichen Vorlauf hat. Daher ist eine Prognose anzustellen, um eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen auch in Zukunft sicherzustellen. Schon deshalb besteht entgegen der Beschwerdebegründung auch kein Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung, wenn Flüchtlingszahlen zwischenzeitlich sinken.
22
c) Auch die zu erwartenden Lärmimmissionen stehen dem streitgegenständlichen Bauvorhaben nicht entgegen. Das ergibt sich dem Grunde nach schon aus der Vorschrift des § 246 Abs. 11 Satz 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift gilt, soweit in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 7 BauNVO (auch in Verbindung mit § 34 Abs. 2 BauGB) Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können, § 31 Abs. 1 BauGB mit der Maßgabe, dass dort bis zum Ablauf des 31. Dezember 2024 Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende in der Regel zugelassen werden sollen. Wenn das Gesetz bestimmt, dass auch in Gewerbegebieten solche Unterkünfte zugelassen werden sollen, ergibt sich daraus, dass Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbegehrende ebenso wie betrieblichen Wohnungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO im Hinblick auf den ihnen zumutbaren Lärm nur das Schutzniveau eines Gewerbegebiets zukommt.
23
Zwar hat die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2024 – 2 CS 23.2010 – juris Rn. 15) § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO auch in den Fällen des § 246 Abs. 11 BauGB anwendbar bleibt, und daher die Zumutbarkeit der Lärmimmissionen anhand des Rücksichtnahmegebots zu prüfen ist. Jedoch hat der Antragsgegner in seiner Erwiderung überzeugend dargelegt, dass die genehmigte Asylbewerberunterkunft gemäß der derzeit vorhandenen gewerblichen Tätigkeit im faktischen Gewerbegebiet lediglich Lärm ausgesetzt ist, die den Immissionsrichtwerten für ein Mischgebiet entsprechen. Danach werden die ehemaligen Produktionshallen der Möbelfabrik seit Jahren ausschließlich für Lagerhaltung vermietet, und findet der Betrieb – überwiegend An- und Abfahrtsverkehr – ausschließlich in der Tagzeit statt. Auch die Baugenehmigung für die gewerbliche Lagerhalle auf dem Grundstück Flur Nr. …, auf die die Beschwerdebegründung abstellt, enthält Lärmschutzauflagen zugunsten von Wohnbebauung außerhalb des faktischen Gewerbegebiets, die nach der Rückrechnung des Umweltingenieurs des Landratsamts zu Lärmwerten an der geplanten Asylbewerberunterkunft führen, wie sie in etwa einem Mischgebiet entsprechen. Auch künftige Gewerbebetriebe im Plangebiet müssen auf die dem Plangebiet benachbarte Wohnbebauung Rücksicht nehmen.
24
d) Die streitgegenständliche Baugenehmigung dürfte auch nicht mangels ausreichender straßenmäßiger Erschließung rechtswidrig sein. Die Antragstellerin macht insoweit geltend, das Baugrundstück sei durch die Privatstraße auf Grundstück FlNr. … nicht erschlossen, weil diese nicht in der erforderlichen Breite, sondern nur mit seinem spitzen Ende an die Bundesstraße angrenze und die Zufahrt zur Bundesstraße im Übrigen über das als Feld- und Waldweg gewidmete gemeindliche Grundstück FlNr. … führe, was für eine Erschließung nicht ausreiche. Der Antragsgegner weist in seiner Beschwerdeerwiderung darauf hin, dass die Zufahrt zum Gewerbegebiet mit einer straßenrechtlich nach § 8 FStrG gestatteten und ordnungsgemäß ausgebauten Abbiegespur von der Bundesstraße 470 gesichert ist. Damit dürfte die im Bereich der Zufahrt liegende Teilfläche des (gemeindlichen) Grundstücks FlNr. … – unabhängig von dessen Widmung – Erschließungsfunktion auch für den gewerblichen Anliegerverkehr haben. Diese Zufahrt diene bereits der Erschließung aller anderen Gewerbebetriebe auf dem ehemaligen Möbelfabriksgelände.
25
Dass die Antragstellerin nunmehr die Berechtigung aller Gewerbetreibenden im faktischen Gewerbegebiet, diese Zufahrt zu nutzen, bestreitet, ist nicht nachvollziehbar. Es ist aufgrund des Zuschnitts des gemeindlichen Grundstücks FlNr. … schon nicht davon auszugehen, dass das gesamte Grundstück als Feld- und Waldweg gewidmet ist. Aber selbst, wenn das der Fall wäre, dürfte es sich bei der seit vielen Jahren bestehenden Zufahrt von der Bundesstraße in das Gewerbegebiet um eine tatsächlich öffentliche Verkehrsfläche handeln, die entsprechend für die Erschließung des Gewerbegebiets genutzt werden darf, z.B. für das Grundstück FlNr. …, bei dem nach dem Vortrag der Antragstellerin ein erheblicher Zu- und Abfahrtsverkehr stattfindet. Ein Verkehrsraum ist dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird ((BayVGH, B.v. 8.1.2024 – 8 CS 23.1629 – juris). Die Widmung als Feld- und Waldweg dürfte mit der Anlegung einer Bundestraßenzufahrt zum Gewerbegebiet obsolet geworden sein.
26
Zutreffend weist der Antragsgegner auch darauf hin, dass die Antragstellerin die Zufahrt zu dem Grundstück, auf dem die Asylbewerberunterkunft errichtet werden soll, aus Gleichbehandlungsgründen nicht untersagen kann. Entgegen der Beschwerdebegründung ist nicht davon auszugehen, dass die gewerblich genutzten östlichen Nachbargrundstücke zum Bauvorhaben, FlNrn. …, … und …, durch die nördlich vorhandene Privat straße entlang der Bundesstraße erschlossen sind. Denn nach der Neuaufteilung des ehemaligen Fabrikgeländes erstreckt sich ausweislich des Bayern-Atlas das Eigentum der jeweiligen Anlieger auch auf diese Straße. Unabhängig von der Frage, ob das Grundstück FlNr. … und das Zufahrtsgrundstück FlNr. … verschiedene Buchgrundstücke sind, wird im streitgegenständlichen Bescheid (S. 8) ausreichend begründet, dass die Erschließung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht gesichert ist. Im Übrigen kann eine etwaige bauordnungsrechtlich erforderliche Grunddienstbarkeit bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren noch erteilt werden. Ferner erfolgt die Zufahrt zum Baugrundstück über das sich ebenfalls im Eigentum des Grundstückseigentümers des Baugrundstücks befindlichen bebauten Grundstücks FlNr. …, zu dem eine weitere Straße von Süden her hinführt.
27
e) Auch der Vortrag der Antragstellerin, dass eine am 23. Januar 2024 anberaumte Feuerbeschau ergeben habe, dass die beiden vorhandenen Hydranten nicht funktionsfähig seien und deshalb der im Brandschutznachweis zum Bauantrag nachzuweisende Löschwasserbedarf nicht gewährleistet werden könne, dürfte im Hauptsacheverfahren nicht zur Aufhebung der Baugenehmigung führen. Die Antragstellerin trägt selbst vor, dass der Antragsgegner den Bauherrn aufgefordert hat, die nicht funktionsfähigen Hydranten auszutauschen. Das dürfte bis zur Benutzungsfähigkeit der Asylbewerberunterkunft zu bewerkstelligen sein.
28
f) Die umfangreichen Ausführungen in der Beschwerdebegründung zur Verfassungswidrigkeit des § 246 Abs. 14 BauGB können nicht zum Erfolg der Beschwerde führen, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht darauf gestützt hat. Zwar hat es ausgeführt, hilfsweise würden „obige Erwägungen auch die Abweichung von den bauplanungsrechtlichen Vorgaben nach § 246 Abs. 14 BauGB rechtfertigen“, hat dann jedoch hinzugefügt, dass dies keiner vertieften Auseinandersetzung bedürfe. Da die gewährte Ausnahme von der Veränderungssperre voraussichtlich rechtmäßig ist, bedurfte und bedarf es auch keiner Darlegung, ob die im streitgegenständlichen Bescheid (Nr. 4) gemäß § 246 Abs. 14 BauGB hilfsweise erteilte Abweichung von der Veränderungssperre rechtmäßig ist.
29
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
30
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.10 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
31
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).