Titel:
Widmung eines beschränkt-öffentlichen Wegs
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 80 Abs. 5, § 146
BayStrWG Art. 6, Art. 8 Abs. 1 S. 2, Art. 53 Nr. 1, Nr. 2
FlurbG § 41, § 58
BayVwVfG Art. 47
Leitsatz:
Ein Anlieger hat keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Widmung einer Straße uneingeschränkt oder anders eingeschränkt ausgesprochen wird oder unterbleibt. Ihm kann im Einzelfall aber ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, insbesondere auf sachgerechte Abwägung der sich aus der Widmungsbeschränkung für ihn ergebenden Folgen zustehen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz, Widmung als beschränkt-öffentlicher Weg (Geh- und Radweg), Widmungsfiktion im Flurbereinigungsverfahren, Wege- und Gewässerplan, Umdeutung in eine Teileinziehung (verneint)
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 11.04.2024 – RO 2 S 24.218
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15414
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklagen gegen die Widmung eines beschränkt-öffentlichen Wegs.
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Der Antragsteller zu 1 ist Eigentümer der Grundstücke FlNrn. …5 und ...6 Gemarkung S. … Er betreibt dort einen Pensionspferde- und Ausbildungsstall. Zudem ist er Pächter der als Koppeln genutzten Grundstücke FlNrn. …0, …0/11, …5 Gemarkung S. … und FlNr. …9 Gemarkung R. … Das Grundstück FlNr. …5 liegt südöstlich der S. …; eine Brücke führt von dort auf einen Weg (FlNrn. …6 [Teilstück], …7 [Teilstück] und …3 Gemarkung S. ….), der entlang der Schwarzach verläuft. Die Straßengrundstücke FlNrn. …3 und …6 Gemarkung S. … sind in dem am 5. August 1976 erstellten Flurbereinigungsplan Teil II als öffentlicher Feld- und W.weg verzeichnet; der Wege- und Gewässerplan war vorab am 24. Februar 1969 vorläufig festgestellt worden.
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Der Antragsteller zu 2 ist ein Reit- und Fahrverein.
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Nach dem Ausbau des Wegs im Jahr 2023 beschloss der Bau- und Umweltausschuss des Antragsgegners am 7. September 2023, den neu errichteten Weg (FlNrn. …6 [Teilstück], …7 [Teilstück] und …3) von der Abzweigung von der Kreisstraße NM … bei FlNr. …8 bis zur Einmündung in die H.straße bei FlNr. …9/4 als beschränkt-öffentlichen Weg (Geh- und Radweg) zu widmen. Die Widmung wurde im Mitteilungsblatt des Antragsgegners am 15. September 2023 amtlich bekanntgemacht.
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Am 11. Oktober 2023 erhoben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Widmung. Daraufhin ordnete der Antragsgegner am 22. Dezember 2023 die sofortige Vollziehung der Widmungsverfügung an. Am 31. Januar 2024 beantragten die Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen.
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Mit Beschluss vom 11. April 2024, berichtigt mit Beschluss vom 30. April 2023, stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers zu 1 wieder her; den Antrag des Antragstellers zu 2 lehnte es als unzulässig ab. Die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers zu 1 seien offen. Die Rechtmäßigkeit der Widmung sei zweifelhaft; es spreche viel dafür, dass jedenfalls ein Teil des Wegs infolge des Flurbereinigungsverfahrens als gewidmet gelte. Zudem könne die Betroffenheit des Antragstellers zu 1 in seinem Anliegergebrauch im Eilverfahren nicht abschließend überprüft werden. Bei der Interessenabwägung überwiege das Interesse des Antragstellers zu 1 an der Nutzung des Wegs; durch die Mischnutzung der unterschiedlichen Verkehrsarten seien keine besonderen Gefahrenquellen zu erkennen.
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Mit seiner am 24. April 2024 erhobenen Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die teilweise Stattgabe des Eilrechtsschutzantrags. Dem Antragsteller zu 1 fehle die Antragsbefugnis, weil sein Grundstück zugänglich bleibe und er nicht Teilnehmer der Flurbereinigung gewesen sei. Eine Widmungsfiktion infolge des Flurbereinigungsverfahrens scheide aus, weil dieses förmliche Verfahren im Zeitpunkt des Außerkrafttretens des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayStrWG i.d.F.d. Bekanntmachung vom 25. April 1968 noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Selbst wenn man dies annähme, wäre die angegriffene Widmung in eine Teileinziehung umzudeuten. Jedenfalls überwögen seine Interessen, weil das Reiten aus Gründen der Verkehrssicherheit und zum Schutz des Wegs vor Beschädigungen ausgeschlossen worden sei.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. April 2024, Az.: RO 2 S 24.218, berichtigt durch Beschluss vom 30. April 2024, wird dahingehend abgeändert, dass auch der Antrag des Antragstellers zu 1 abgelehnt wird.
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Der Antragsteller zu 1 beantragt,
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Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
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Die Widmung folge aus dem Wege- und Gewässerplan. Eine Umdeutung der Widmung in eine Teileinziehung scheide mangels Bekanntgabe einer solchen Absicht aus. Der Antragsteller sei als Anlieger und Rechtsnachfolger eines Teilnehmers des Flurbereinigungsverfahrens (Grundstück FlNr. …5) antragsbefugt; zudem sei er für den Betrieb seines Reiterhofs auf die Nutzung des streitbefangenen Wegs angewiesen.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers zu 1 gegen die Widmung des Antragsgegners vom 7. September 2023 im Ergebnis zu Recht angeordnet (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage des Antragstellers zu 1 hat voraussichtlich Erfolg. Die Widmungsverfügung des Antragsgegners vom 7. September 2023 hält einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; B.v. 23.1.2015 – 7 VR 6.14 – NVwZ-RR 2015, 250 = juris Rn. 8, jeweils m.w.N.) nicht stand.
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1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass das in der Hauptsache begehrte Klageziel durch Anfechtung der Widmungsverfügung verfolgt werden kann.
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Der Antragsteller zu 1 will die Zulassung weiterer Teilbereiche des Gemeingebrauchs erstreiten (insbesondere Reiten und Kutschfahrten), die den Straßennutzern aufgrund der Einordnung als beschränkt-öffentlicher Weg (Geh- und Radweg) nicht eingeräumt sind. Damit begehrt er den Erlass einer neuen Widmung, die ihm umfassendere Nutzungsmöglichkeiten bietet. Ein solches Begehren ist grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen (vgl. BayVGH, U.v. 5.12.2002 – 8 B 96.3098 – BayVBl 2003, 526 = juris Rn. 26). Im vorliegenden Fall besteht aber die Besonderheit, dass vor Erlass der Widmung bereits ein öffentlicher Feld- und W.weg bestand, den der Antragsteller zu 1 für seine weitergehenden Nutzungszwecke über lange Zeit in Anspruch genommen hat. Der Antragsteller zu 1 erstrebt, diesen vormaligen Rechtszustand durch Aufhebung der angegriffenen Widmung wiederherzustellen. In einem solchen Fall kann der Kläger den ihn in seiner Gesamtheit belastenden Widmungsakt anfechten (vgl. BayVGH, U.v. 19.7.1988 – 8 B 87.00028 u.a. – BayVBl 1989, 146/147).
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2. Der Antragsteller zu 1 ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.
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Zwar hat er als Anlieger keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Widmung uneingeschränkt oder anders eingeschränkt ausgesprochen wird oder unterbleibt. Ihm kann im Einzelfall aber ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, insbesondere auf sachgerechte Abwägung der sich aus der Widmungsbeschränkung für ihn ergebenden Folgen zustehen (vgl. BayVGH, U.v. 24.10.2002 – 8 B 98.873 – BayVBl 2003, 337 = juris Rn. 22; Herber in Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, § 7 Rn. 86). Dies erscheint vorliegend möglich. Der Antragsteller zu 1 macht geltend, als Betreiber seines Reiterhofs auf die Nutzung des streitbefangenen Wegs u.a. für Reiter und Kutschenfahrer angewiesen zu sein. Damit macht er konkrete Umstände geltend, die über seine bloße Stellung als Anlieger des gewidmeten Wegs hinausgehen (vgl. auch Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2023, Art. 6 Rn. 28 m.w.N.).
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3. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Weg auf den Grundstücken FlNrn. …6 und …3 bereits als öffentlicher Feld- und W.weg (Art. 53 Nr. 1 Bay-StrWG) gewidmet war. Für die Widmungsfiktion nach Art. 6 Abs. 6 BayStrWG i.d.F.v. 25. April 1968 (GVBl S. 64) war auf die Anordnung im Wege- und Gewässerplan nach § 41 FlurbG abzustellen und nicht auf den Flurbereinigungsplan (§ 58 FlurbG).
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Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayStrWG i.d.F.v. 25. April 1968 (GVBl. S. 64) galt eine Straße mit der Verkehrsübergabe als gewidmet, wenn im Rahmen eines aufgrund anderer Rechtsvorschriften durchgeführten förmlichen Verfahrens ihr Bau oder ihre Änderung angeordnet wurden. Der Gesetzgeber hatte diesbezüglich vor allem das Flurbereinigungsrecht vor Augen; nach § 41 FlurbG werden die wegerechtlichen Verhältnisse durch den Wege- und Gewässerplan geregelt (vgl. Gesetzentwurf der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, 3. Legislaturperiode, Beilage 2832 S. 23). Der Umstand, dass der Flurbereinigungsplan für die Flurbereinigung S. …, der den Wege- und Gewässerplan umfasst hat (§ 58 Abs. 1 Satz 2 FlurbG), erst am 5. August 1976 und damit nach Außerkrafttreten dieser Gesetzesfassung zum 1. Juli 1974 (GVBl. S. 116) erlassen wurde, ist rechtlich unerheblich. Die „Anordnung“ im Sinn des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayStrWG i.d.F.v. 25. April 1968 erfolgte bereits mit der vorläufigen Feststellung des Straßen- und Gewässerplan am 24. Februar 1969 (§ 41 Abs. 3 Satz 1 FlurbG i.d.F.v. 14.7.1953; vgl. elektronische Gerichtsakte [eGA] S. 140 und VG-Akte S. 55). Die vorläufige Feststellung des Wege- und Gewässerplans war als echte (endgültige) Planfeststellung anzusehen; die Änderung in § 41 FlurbG i.d.F.v. 15. März 1976 (BGBl I S. 533) erfolgte nur zur Klarstellung (vgl. BT-Drs. 7/3020 S. 26; Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 41 Rn. 1; Blümel/Ronellenfitsch, Die Planfeststellung in der Flurbereinigung, S. 46 ff.; vgl. auch Mayr, BayVBl 1992, 646/647).
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Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die fingierte Widmung sei ohne ihre Bekanntmachung nach Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayStrWG i.d.F.v. 25. April 1968 wirksam geworden (vgl. Beschlussabdruck S. 18), greift die Beschwerde nicht an. Für diese Auslegung spricht auch der mit der Widmungsfiktion verfolgte Zweck, eine verfahrensmäßige Angleichung des straßenrechtlichen Verfahrens an das bundesrechtlich bestimmte Flurbereinigungsverfahren zu erreichen (vgl. Gesetzentwurf der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, 3. Legislaturperiode, Beilage 2832 S. 23). Dementsprechend wurde in der Literatur vertreten, dass der Bekanntmachung nur deklaratorische Wirkung zukommt (vgl. Prandl/Gillessen, BayStrWG, 1. Aufl. 1968, Art. 6 Anm. 5).
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4. Die Voraussetzungen des Art. 47 BayVwVfG für eine Umdeutung der streitbefangenen Widmung in eine Teileinziehung gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG, mit der die im Flurbereinigungsverfahren fingierte Widmung als öffentlicher Feld- und W.weg (vgl. Art. 53 Nr. 1 BayStrWG) nachträglich auf den öffentlichen Fußgänger- und Radverkehr (vgl. Art. 53 Nr. 2 BayStrWG) beschränkt wird, liegen nicht vor.
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Zwar richten sich die Teileinziehung und die Widmungsbeschränkung (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG) auf das gleiche Ziel. Sie beschränken den Gemeingebrauch auf bestimmte Benutzungsarten, weshalb auch von einer Ergebnissymmetrie dieser beiden Rechtsinstitute gesprochen wird (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 8 Rn. 18). Die formellen Voraussetzungen für den Erlass einer Teileinziehungsverfügung sind vorliegend aber nicht erfüllt, weil der Antragsgegner seine Einziehungsabsicht nicht drei Monate vorher ortsüblich bekanntgemacht hat (vgl. Art. 47 Abs. 1 BayVwVfG a.E. i.V.m. Art. 8 Abs. 2 BayStrWG). Die Bekanntmachungspflicht gilt auch für eine Teileinziehung (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 8 Rn. 31 und Art. 53 Rn. 28).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Anwendung von Nr. 1.5 und 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass der Eilantrag des Antragstellers zu 2 nicht Beschwerdegegenstand ist.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).