Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.05.2024 – 4 ZB 23.1064
Titel:

Dichtigkeits- und Funktionsfähigkeitsnachweis einer Entwässerungsanlage

Normenketten:
BayGO Art. 88
kommunale Entwässerungssatzung (EWS) § 12 Abs. 1
Leitsatz:
Durch den Verweis in der kommunalen Entwässerungssatzung (EWS) auf eine näher bezeichnete DIN-Norm liegt keine (partielle) Übertragung der kommunalen Rechtsetzungshoheit auf einen demokratisch nicht legitimierten Normgeber; die Norm wird dadurch nicht zu Satzungsrecht erhoben, so dass ihr Inhalt für den von der Entwässerungssatzung betroffenen Personenkreis unmittelbar rechtsverbindlich wäre, sondern dient lediglich der Konkretisierung des Inhalts der getroffenen Regelung. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
kommunaler Eigenbetrieb, Organzuständigkeit der Werkleitung, Grundstücksentwässerungsanlage, Nachweis der Dichtigkeit und Funktionsfähigkeit, Dichtigkeitsdruckprüfung, Verweis auf DIN 1986 Teil 30, Verweis auf DIN-Norm, Bestimmtheit, Ermessen
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 08.05.2023 – Au 7 K 21.1489
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15412

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich als Eigentümer eines Hausgrundstücks gegen die Verpflichtung zur Vorlage eines Dichtigkeits- und Funktionsfähigkeitsnachweises zu seiner Grundstücksentwässerungsanlage.
2
Mit Bescheid vom 28. Oktober 2020 verpflichtete der für die Abwasserentsorgung zuständige Eigenbetrieb der Beklagten den Kläger, spätestens bis zum 30. November 2020 den Nachweis der Dichtigkeit und Funktionsfähigkeit seiner Entwässerungsanlage inklusive Kanalplan des Schmutzwasserkanals vorzulegen. In der Begründung wurde insbesondere auf die in § 12 Abs. 1 der Entwässerungssatzung (EWS) der Beklagten enthaltene Verpflichtung der Eigentümer zu einer regelmäßigen Überprüfung der Anlagen verwiesen. Ein Verzicht auf die Vorlage des Dichtigkeits- und Funktionsfähigkeitsnachweises könne nicht gewährt werden. Trotz der vom Kläger getätigten Aussage zu erschwerten baulichen Problemen (Aufbruch des Kellerbodens) sei eine Sondersituation bei ihm nicht zu ermitteln.
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Gegen den Bescheid erhob der Kläger nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Anfechtungsklage, die das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Mai 2023 abwies.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
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a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.).
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aa) Der Kläger trägt vor, der angegriffene Bescheid sei bereits wegen fehlender „funktioneller Zuständigkeit“ formell rechtswidrig, da der Werkleiter des kommunalen Eigenbetriebs für den Erlass von Bescheiden nach § 2 Abs. 5 der Betriebssatzung nicht zuständig gewesen sei. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, Fehler bei der Organzuständigkeit blieben nach außen unberücksichtigt, sei bei belastenden Verwaltungsakten unzutreffend. Der Bescheid sei auch materiell rechtswidrig. Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 EWS sei wegen des dort enthaltenen Verweises auf DIN-Vorschriften mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam; die DIN-Vorschriften seien auch nicht mit der Satzung veröffentlicht worden. Entgegen der Annahme des Gerichts sei hier eine Dichtigkeitsdruckprüfung nicht erforderlich; die bereits erfolgte Kamerabefahrung reiche aus. Eine weitere Überprüfung mittels Druckprüfung könne nach der DIN 1986 bei häuslichen Abwässern und überbauten Leitungen nicht verlangt werden. Zu unbestimmt sei der Bescheid überdies deshalb, weil nicht angegeben werde, welche technischen Maßnahmen dem geforderten Nachweis beizufügen seien und worin das Sanierungsmittel bestehe. Der Bescheid sei zudem ermessensfehlerhaft, da die Beklagte kategorisch davon ausgehe, dass auf einen Nachweis nicht verzichtet werden könne. Das Gericht sei zur Amtsermittlung bezüglich der aus seiner Sicht unsubstanziierten Angaben des Klägers zur baulichen Sondersituation, zu den unverhältnismäßig hohen Sanierungskosten und zur Dichtheit des Kanals verpflichtet gewesen. Es gehe zudem zu Unrecht davon aus, dass es sich um einen Fall intendierten Ermessens handle; § 22 EWS sei aber eine generalklauselartige Vorschrift. Jedenfalls ergebe sich aus den Besonderheiten des Falles ein Überwiegen der Belange des Klägers. Die Regelungen führten zu einer unangemessenen und unzumutbaren Kostenbelastung, da in drei Kellerräumen Leitungen abgebrochen und Fundamente durchbrochen sowie Heizungsteile entfernt werden müssten.
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b) Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen.
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aa) Der angegriffene Bescheid, der von der Werkleitung des Eigenbetriebs der Beklagten erlassen wurde, ist nicht wegen Handelns eines unzuständigen Organs formell rechtswidrig.
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Der Adressat einer gemeindlichen Maßnahme kann sich allerdings entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch auf die Einhaltung der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Gemeindeorganen berufen, so dass in der fehlenden Organkompetenz ein rechtlich beachtlicher Verfahrensmangel liegt (vgl. BayVGH, U.v. 31.3.2003 – 4 B 00.2823 – VGH n.F. 56, 98/102 f.; U.v. 25.7.2007 – 4 BV 06.3308 – juris Rn. 22). Dies gilt auch für das Tätigwerden eines unzuständigen Organs eines kommunalen Eigenbetriebs, da es auch insoweit um die Beachtung normativ festgelegter Zuständigkeitsbereiche geht (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 4.3.2024 – 20 B 21.645 – juris Rn. 27).
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Im vorliegenden Fall liegt jedoch kein Zuständigkeitsverstoß vor. Der kommunale Eigenbetrieb der Beklagten war nach der zum Erlasszeitpunkt geltenden Fassung des § 2 Abs. 5 der Betriebssatzung (BS) in Erfüllung seiner (u.a. die Abwasserableitung und -behandlung betreffenden) Aufgaben für die Regelungen nach kommunalrechtlichen Vorschriften einschließlich des Bescheidserlasses sowie für die Durchführung aller weiteren Maßnahmen im Vollzug zuständig. Innerhalb des Eigenbetriebs lag die Organzuständigkeit im Rahmen der gesetzlichen Zuweisung der „laufenden Geschäfte“ (Art. 88 Abs. 3 Satz 1 GO) nach der insoweit klarstellenden Regelung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 BS bei der Werkleitung. Dass die letztgenannte Vorschrift zum damaligen Zeitpunkt noch auf § 2 Abs. 3 BS verwies, beruhte auf einem Redaktionsversehen und stand im Widerspruch zu der erkennbaren Regelungsabsicht des Satzungsgebers. Die ursprünglich in § 2 Abs. 3 BS geregelte Zuständigkeit des Eigenbetriebs zum Erlass von Abgabenbescheiden und weiteren Vollzugsmaßnahmen war nach der durch die Änderungssatzung vom 25. Mai 2017 erfolgten Einfügung der beiden neuen Absätze 3 und 4 inhaltlich unverändert in Absatz 5 enthalten. Dass diese Verschiebung des Standorts der Vorschrift nicht zu einer Veränderung des Zuständigkeitsbereichs der Werkleitung in § 5 BS führen sollte, geht aus der Begründung des damaligen Beschlussvorschlags unmissverständlich hervor (vgl. https://www.stadtlindau.de/media/custom/2715_1097_1.PDF?1500361836 S. 2). Mit dem zeitweilig in § 5 Abs. 2 Nr. 3 BS enthaltenen Verweis auf § 2 Abs. 3 BS konnte daher nur die nunmehrige Bestimmung des § 2 Abs. 5 BS gemeint sein. Dies ergab sich ebenso aus dem Sinn und Zweck der Norm, da nur die dort angesprochenen Vollzugsmaßnahmen, nicht dagegen die in dem neuen § 2 Abs. 3 BS vorgesehene Erstellung von Satzungsentwürfen als ein der Werkleitung zustehendes laufendes Geschäft im Sinne von § 5 Abs. 2 BS gelten konnten.
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bb) Gegen die dem angegriffenen Bescheid zugrundeliegende Vorschrift des § 12 Abs. 1 EWS bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Dass der örtliche Satzungsgeber insoweit mit der Forderung nach einer Dichtigkeitsdruckprüfung nach DIN 1986 Teil 30 über die Anforderungen der Mustersatzung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 6. März 2012 (AllMBl. S. 182) hinausgeht, ist in Anbetracht der fehlenden Bindungswirkung dieser staatlichen Empfehlung und des weiten Gestaltungsspielraums des örtlichen Satzungsgebers nicht zu beanstanden. In dem Verweis auf eine näher bezeichnete DIN-Norm liegt auch keine (partielle) Übertragung der kommunalen Rechtsetzungshoheit auf einen demokratisch nicht legitimierten Normgeber, sondern lediglich eine Verdeutlichung des Inhalts der getroffenen Regelung (vgl. BayVGH, B.v. 26.6.2015 – 4 ZB 15.150 – BayVBl 2016, 168 Rn. 14). Da es sich nur um eine der Bestimmtheit dienende Präzisierung des Tatbestandsmerkmals „Dichtigkeitsdruckprüfung“ und nicht um eine aus sich heraus geltende Rechtsvorschrift handelt, musste der Inhalt der DIN 1986 Teil 30 auch nicht wie eine Satzung nach Art. 26 Abs. 2 GO öffentlich bekanntgemacht werden.
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cc) Der Verweis in § 12 Abs. 1 EWS erfasst nicht die DIN 1986 Teil 30 in ihrer Gesamtheit, sondern betrifft nur die dort näher bestimmte Form einer Druckprüfung. Daher kann der Kläger sich nicht darauf berufen, dass in der DIN-Norm unter bestimmten Voraussetzungen als Nachweis der Dichtheit grundsätzlich nur eine optische Inspektion gefordert wird, so dass die bereits erfolgte Kamerabefahrung als ausreichend anzusehen wäre. Im Übrigen kommt hier aufgrund der bereits festgestellten Undichtigkeit eine Prüfung allein anhand des optischen Eindrucks ohnehin nicht mehr in Betracht.
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dd) Wegen der in den Bescheidsgründen enthaltenen Bezugnahme auf die Satzungsbestimmungen des § 12 EWS bestehen auch keine Bedenken gegen die inhaltliche Bestimmtheit der dem Kläger aufgegebenen Handlungsverpflichtung. Der Beklagten kam es ersichtlich nicht darauf an, auf welchem technischen Weg die geforderte Dichtigkeit und Funktionsfähigkeit der klägerischen Grundstücksentwässerungsanlage wiederhergestellt werden würde. Es entspricht vielmehr dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Sanierungspflichtigen die Auswahl unter den in Betracht kommenden Mitteln zu überlassen, weil er in der Regel selbst am besten beurteilen kann, auf welche Weise das von ihm Geforderte am zweckmäßigsten und wirtschaftlichsten zu erreichen ist (vgl. BayVGH, U.v. 24.9.1984 – 22 B 82 A.436 – BayVBl 1985, 149/152). Dass der vorzulegende Nachweis der nach einer erfolgreichen Sanierung bestehenden Dichtigkeit und Funktionsfähigkeit ebenso wie die periodische Prüfung nach § 12 Abs. 1 EWS nur durch eine schriftliche Bestätigung eines fachlich geeigneten Unternehmens geführt werden konnte, verstand sich von selbst und musste daher im Bescheid nicht ausdrücklich erwähnt werden.
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ee) Die Beklagte hat auch das ihr nach der Befugnisnorm des § 22 Abs. 1 EWS zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Sie hat den Vortrag des Klägers, wonach die geforderten Maßnahmen wegen eines notwendigen Aufbruchs des Kellerbodens einen unzumutbaren Aufwand erforderten, bereits im angegriffenen Bescheid erörtert und dabei die Möglichkeit eines Verzichts auf einen Dichtigkeitsnachweis ausdrücklich in Erwägung gezogen; von einem Ermessensausfall kann demnach keine Rede sein. Ob hier wegen der alle Anschlussnehmer treffenden satzungsrechtlichen Verpflichtung zur regelmäßigen Vorlage eines solchen Nachweises bereits von einem intendierten Ermessen auszugehen war, so dass es nur noch in Ausnahmefällen gesonderter Ermessenserwägungen bedurfte, kann offenbleiben, da die Beklagte jedenfalls ihren Ermessensspielraum erkannt und die im Bescheid angestellten Erwägungen im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens noch gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt hat.
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Die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung, auf der Forderung nach einem Dichtigkeits- und Funktionsfähigkeitsnachweis trotz der damit verbundenen nicht unerheblichen Kosten zu bestehen, stellte keinen unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff dar. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, muss ein solcher finanzieller Aufwand angesichts des damit bezweckten Schutzes des Grundwassers als eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts und im Hinblick auf die Sozialbindung des Grundeigentums in aller Regel als zumutbare Belastung hingenommen werden. Dass die Kosten im vorliegenden Fall völlig außer Verhältnis zum angestrebten Sanierungserfolg und zum Grundstückswert stehen könnten, hat der Kläger auch auf gerichtliche Nachfrage nicht ansatzweise dargelegt. Insbesondere geht aus seinem Vorbringen nicht hervor, weshalb die von der Beklagten für möglich gehaltene grabenlose Reparatur mittels sogenannter Schlauchliner, bei der die Bodenplatte nicht aufgestemmt werden muss, wegen einer auf seinem Grundstück bestehenden baulichen Sondersituation von vornherein ausscheiden soll. Auf spezielle fachkundige Stellungnahmen Dritter hat sich der Kläger insoweit nicht berufen, sondern ersichtlich nur eigene Mutmaßungen angestellt. Unter diesen Umständen war das Gericht nicht gehalten, dem unsubstanziierten klägerischen Vorbringen durch eigene Aufklärungsmaßnahmen weiter nachzugehen.
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b) Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Auf die hierzu im Zulassungsantrag aufgeworfene Frage, ob bei einem belastenden Verwaltungsakt Fehler in der Organzuständigkeit zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führen, kommt es vorliegend nicht an, da aus den oben genannten Gründen kein Zuständigkeitsverstoß vorlag.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).