Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.06.2024 – 1 ZB 23.1806
Titel:

Baugenehmigung für einen Rinderlaufstall im Außenbereich

Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 86 Abs. 1
Leitsatz:
Bei der Auslegung des Merkmals "Dienen" ist darauf abzustellen, ob ein vernünftiger Landwirt – auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebotes größtmöglicher Schonung des Außenbereichs – das Bauvorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachträgliche Baugenehmigung für ein bereits im Rohbau errichtetes Gebäude, Einschränkung der Privilegierung durch das Merkmal „Dienen“, Landwirtschaft, Dienen, Stall, Aufklärungspflicht
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 25.07.2023 – M 1 K 20.1063
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15406

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 8.280 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Genehmigung für die Errichtung eines Rinderlaufstalls im Außenbereich.
2
Die Klagen gegen die Baueinstellung und Beseitigungsverfügung für das im Rohbau bereits errichtete Gebäude, das der Kläger als Unterstand nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO verfahrensfrei in Betonbauweise errichten wollte, wurden mit Urteilen des Verwaltungsgerichts vom 15. September 2015 (M 1 K 15.2604 und M 1 K 15.2382) abgewiesen. Die zugelassenen Berufungen wurden mit Urteilen des Senats vom 11. April 2017 (1 B 16.2510 und 1 B 16.2509) zurückgewiesen. Nichtzulassungsbeschwerden beim Bundesverwaltungsgericht blieben erfolglos.
3
Die nunmehr auf Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Vorhaben diene nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers. Das in massiver Betonbauweise errichtete Gebäude könne jedem beliebigen Zweck zugeführt werden und sei aufgrund seiner Ausführung als Stall nicht geeignet. Es sei zu vermuten, dass dem unpassenden Gebäude ein Nutzungszweck untergeschoben werden solle, um der bestandskräftigen Beseitigungsanordnung zu entgehen. Die nach Angaben des Klägers im Bestand anzunehmenden Tierzahlen passten ausweislich der Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 10. November 2020 nicht in den Stall und es fehle an der erforderlichen Anzahl der Fressplätze. Unabhängig davon fehle es an einem überzeugenden, hinreichend konkreten Betriebskonzept und damit an einer funktionalen Zuordnung zur Hofstelle. Dem sonstigen Vorhaben im Sinn des § 35 Abs. 2 BauGB stünden öffentliche Belange (§ 35 Abs. 3 BauGB) entgegen.
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Mit seinem Zulassungsantrag verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Vorhaben sei „dienlich“ im Sinn des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. Es werde insbesondere auf das im Zulassungsverfahrens vorgelegte Betriebskonzept vom 10. November 2023 verwiesen.
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Der Beklagte beantragt, den Antrag abzulehnen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte Bezug genommen.
II.
7
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
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Das Zulassungsvorbringen zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers dient (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB).
10
Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend darauf gestützt, dass das Gebäude jedem beliebigen Zweck zugeführt werden kann und als Stall nicht geeignet ist, weil ein Stallgebäude keine Ausführung mit fünf Meter hohen Wänden und mit kleinen Fenstern sowie eine Aufteilung in zwei Räume mit einer Trennwand aus Beton, die einer variablen Stallnutzung entgegensteht, erfordert. Beruht das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts – so wie hier – auf mehreren selbständig tragenden Gründen (Mehrfachbegründung), darf die Berufung nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der tragenden Gründe ein Zulassungsgrund besteht (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2020 – 1 ZB 19.1444 – juris Rn. 4; vgl. zu den Darlegungsanforderungen im Revisionsverfahren BVerwG, B.v. 12.1.2017 – 4 BN 1.17 – juris Rn. 2). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (vgl. BVerwG, B.v. 21.8.2018 – 4 BN 44.17 – BauR 2018, 1982).
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Hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers dient (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB), weil es jedem beliebigen Zweck zugeführt werden kann und in seiner Gestaltung und Ausstattung als Stall nicht geeignet ist, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, sodass die Frage offen bleiben kann, ob eine Privilegierung unabhängig davon auch deshalb zu verneinen ist, weil es – unabhängig von fehlenden baulichen Änderungen – an einem überzeugenden, hinreichend konkreten Betriebskonzept und damit an einer funktionalen Zuordnung zur Hofstelle fehlt.
12
Bei der Auslegung des Merkmals „Dienen“ ist darauf abzustellen, ob ein vernünftiger Landwirt – auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebotes größtmöglicher Schonung des Außenbereichs – das Bauvorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde. Mit dem Tatbestandsmerkmal des „Dienen“ in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB soll sichergestellt werden, dass das Bauvorhaben zu dem privilegierten Betrieb tatsächlich in einer funktionalen Beziehung steht (vgl. BVerwG, U.v. 19.6.1991 – 4 C 11.89 – NVwZ-RR 1992, 401).
13
Gemessen an diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass ein vernünftiger Landwirt das Vorhaben mit gleicher Gestaltung und Ausstattung nicht verwirklichen würde (vgl. die Ausführungen des Senats in der Entscheidung vom 11. April 2017 (1 BV 16.2509). Dem zur Genehmigung gestellten Bauantrag liegt im Wesentlichen der bereits fertiggestellte Rohbau mit seinen massiven Betonwänden und der Ausgestaltung u.a. mit sieben kleinen Fenstern und einer Trennwand aus Beton zugrunde; lediglich zum Zweck der Belichtung- und Belüftung ist nunmehr ein Lichtdach mit Entlüftung vorgesehen. Dass dies nicht der praxisüblichen Bauweise für einen Stall entspricht, ergibt sich aus der fachlichen Einschätzung des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für einen (zu diesem Zeitpunkt in den Blick genommenen) Mutterkuhstall (vgl. Stellungnahme vom 10. November 2020) und wird in der Einschätzung vom 6. Dezember 2023, die dem Schriftsatz des Beklagten vom 21. Dezember 2023 beigefügt war, nochmals bekräftigt. Soweit in der Zulassungsbegründung unter Bezugnahme auf das im Zulassungsverfahren vorgelegte Betriebskonzept vorgetragen wird, dass die innenliegende Trennwand aus Beton nicht zu beanstanden sei, die Wandhöhe von 5 m für ein gutes Stallklima sorge und kein Fachberater eine niedrigere Bauweise fordere, sind die pauschalen Ausführungen nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zu begründen. Die Anforderungen an ein Vorhaben im Außenbereich sind aufgrund des Schutzes des Außenbereichs an den Erfordernissen eines privilegierten Betriebs zu messen. Auch soweit der Kläger beanstandet, dass der Beklagte ihn nicht ausreichend beraten habe und unklar geblieben sei, welche Modifikationen (für eine nachträgliche Genehmigungsfähigkeit) erforderlich sein sollten, übersieht der Kläger – unabhängig davon, ob der Vortrag den Anforderungen an das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt – dass es Sache des Bauherrn ist, den Umfang der zu erteilenden Baugenehmigung zu bestimmen und sich mit den Fachbehörden rechtzeitig abzustimmen. Zudem besteht für das Gebäude bereits eine bestandskräftige Beseitigungsanordnung. Der Erhalt des im Rohbau bereits fertiggestellten Gebäudes mag dem Wunsch des Klägers entsprechen, er ist aber nicht von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gedeckt. Für diese rechtliche Schlussfolgerung bedarf es auch keiner vertieften Prüfung des im Zulassungsverfahrens vorgelegten Betriebskonzepts. Nur ergänzend wird auf die vom Beklagten zutreffend aufgezeigte Unsicherheit bezüglich der künftigen Stallnutzung verwiesen, da die nach den Angaben des Klägers im Bestand anzunehmenden Tierzahlen (Mutterkühe und Färsen sowie Ochsen) nach der Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 10. November 2020 nicht in den Stall passen und nicht ausreichend Fressplätze vorhanden sind, und in dem aktuellen Betriebskonzept nunmehr (alternativ) eine Belegung des Stalls mit 16 Mastochsen für möglich gehalten wird.
14
Dazu, dass das geplante Vorhaben als sonstiges Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB im Außenbereich nicht zulässig ist, weil öffentliche Belange beeinträchtigt werden können, verhält sich die Zulassungsbegründung nicht.
15
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist. Die in der Zulassungsbegründung monierte unterlassene sachverständige Begutachtung und die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und den Kläger genügen nicht für die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Im Übrigen war eine Begutachtung nach den vorstehenden Erwägungen weder erforderlich noch geboten.
16
3. Den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt (vgl. zur Darlegungslast BVerwG, U.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage.
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4. Die Berufung ist auch nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensfehlers in Form der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO) zuzulassen.
18
Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO erfordert u.a. die Darlegung, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2015 – 5 B 36.14 – juris Rn. 7; B.v. 25.1.2005 – 9 B 38.04 – NVwZ 2005, 447). Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat (§ 86 Abs. 2 VwGO). Der Kläger hat ausweislich der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts zu dem gerügten Aufklärungsdefizit keinen Beweisantrag gestellt. Die Aufklärungsrüge dient aber nicht dazu, Versäumnisse Beteiligter, insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2015 a.a.O.; B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30.06 – NVwZ-RR 2007, 285). Im Übrigen hat der Kläger, der zur Aktualisierung des ursprünglichen Betriebskonzepts beantragt hatte, den vom Verwaltungsgericht festgesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung zu verschieben, den von ihm beauftragten Sachverständigen zum Termin zur fachlichen Unterstützung mitgebracht. In der Sache wendet sich der Kläger mit der Rüge eines Verfahrensfehlers gegen die aus seiner Sicht unrichtige Bewertung des Sachverhalts. Hierauf kann ein Verfahrensfehler nicht gestützt werden.
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5. Der erstmals im Zulassungsverfahren gestellte Hilfsantrag stellt eine Klageänderung im Sinn des § 91 VwGO dar, die im Zulassungsverfahren nicht möglich ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 36).
20
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene, die sich nicht geäußert hat, ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
21
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).