Titel:
Erfolgloser Berufungszulassungsantrag wegen Nebenbestimmung zur Herstellung und Instandhaltung eines Wendehammers
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1 u. Nr. 2
GG Art. 19 Abs. 4
BGB § 242
Leitsatz:
Das Rechtsschutzbedürfnis kann im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG entfallen, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs bei der vorzunehmenden Einzelfallwürdigung gegen Treu und Glauben verstößt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis einer Klage gegen eine Nebenbestimmung wegen Verstoßes gegen Treu- und Glauben, Berufungszulassungsverfahren, ernstliche Richtigkeitszweifel, bes. tatsächl. od. rechtliche Schwierigkeiten, Baurecht, Rechtsschutzinteresse, treuwidriges Verhalten, Auflage, Nebenbestimmung, Konkretheit, Herstellung eines Wendehammers, Instandhaltung eines Wendehammers
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 07.04.2022 – M 11 K 18.4921
Fundstellen:
BayVBl 2024, 813
BeckRS 2024, 15405
LSK 2024, 15405
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich gegen die in der Baugenehmigung für das Wohnhaus auf seinem Grundstück FlNr. …, Gemarkung L. …, enthaltene Nebenbestimmung zur Herstellung und Instandhaltung eines Wendehammers im Bereich seines Grundstücks.
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Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „Nördlich der W. … Straße“ der Stadt S. … Der Bebauungsplan sieht im nordöstlichen Bereich des Grundstücks eine öffentliche Verkehrsfläche vor, die sich nach Norden zu einem Wendehammer ausweitet. Der Kläger hat mit notariellem Vertrag vom 17. April 2015 dem Freistaat Bayern eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit mit dem Inhalt bestellt, dass die näher bezeichnete Fläche, die sich mit der als Verkehrsfläche im Bebauungsplan ausgewiesenen Fläche deckt, als Feuerwehraufstellfläche und als Wendemöglichkeit von Versorgungs- und Rettungsfahrzeugen aller Art genutzt werden kann. Weiter verpflichtete er sich, die Wendefläche nicht zu überbauen. Schuldrechtlich wurde vereinbart, dass der jeweilige Eigentümer die Kosten der erstmaligen Herstellung der Wendefläche trägt. Im Anschluss an die Bestellung der Dienstbarkeit erteilte das Landratsamt dem Kläger am 22. April 2015 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit der Auflage, dass der „durch Grunddienstbarkeit herzustellende Wendehammer bis zur Aufnahme der Nutzung des Gebäudes zu errichten und auf Dauer instand zu halten ist“. In der Folge kam es während der Bauarbeiten für das Vorhaben des Klägers zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Landratsamt über die Höhenlage des Gebäudes, die in neuen Eingabeplänen mündete. Die mit Baugenehmigung vom 4. September 2018 genehmigten Eingabepläne vom 5. Juni 2018 sehen im nordöstlichen Bereich des Vorhabengrundstücks eine Fläche vor, die dem im Bebauungsplan vorgesehenen Wendehammer entspricht. Die Baugenehmigung enthält eine Auflage zur Herstellung und Instandhaltung des Wendehammers, die mit der in der Genehmigung vom 22. April 2015 enthaltenen Nebenbestimmung identisch ist.
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Mit seiner Klage wendet er sich gegen diese Auflage. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Sie sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da die Anfechtung der Auflage gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße. Der Kläger setze sich zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch. Er habe durch die Einräumung der Dienstbarkeit sein Einverständnis mit der Entstehung des Wendehammers zu erkennen gegeben. Weiter habe er die Auflage in der früheren Baugenehmigung akzeptiert und durch seine Eingabepläne den Anschein erweckt, den Wendehammer tatsächlich errichten zu wollen, obschon er nach seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung dies tatsächlich nicht beabsichtigt habe. Jedenfalls aber sei die Klage unbegründet, da die Nebenbestimmung die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens sicherstelle. Eine Berufung des Klägers auf eine etwaige Unwirksamkeit des Bebauungsplans wegen einer etwaigen unbestimmten Höhenfestsetzung im Bebauungsplan verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, da er die für ihn günstigen Festsetzungen des Bebauungsplans ausgenutzt habe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist hier nicht der Fall.
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Das Vorbringen des Klägers zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass die Klage gegen die Nebenbestimmung wegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es mit dem in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleisteten Gebot effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist, die Rechtsschutzgewährung von einem vorhandenen und fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen (vgl. BVerfG, B.v. 14.12.2004 – 2 BvR 1451/04 – NJW 2005, 1855). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird unter anderem aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben sowie dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte abgeleitet. Das Rechtsschutzbedürfnis kann mithin im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG entfallen, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs bei der vorzunehmenden Einzelfallwürdigung gegen Treu und Glauben verstößt (vgl. BVerwG, B. v. 11.2.2019 – 4 B 28.18 – juris Rn. 7).
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Das Verwaltungsgericht hat die hiernach erforderliche Einzelfallwürdigung vorgenommen. Der Kläger hat durch sein Gesamtverhalten den Eindruck erweckt, dass er den im Bebauungsplan vorgesehenen Wendehammer, der Gegenstand der streitgegenständlichen Auflage ist, errichten wird. In den Eingabeplänen, die Bestandteil der Baugenehmigung sind, hat er ihn als Teil des genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens zur Genehmigung gestellt. Weiter hat er der Bauaufsichtsbehörde eine entsprechende Dienstbarkeit für die Nutzung des Wendehammers eingeräumt. Seine Hoffnung, dass er hinsichtlich des Wendehammers eine Änderung des Bebauungsplans erreichen könne, ist für den Vorwurf der Treuwidrigkeit ohne Belang, ebenso wie der Umstand, dass er die Einräumung der Dienstbarkeit bzw. die Darstellung in den Eingabeplänen nur vorgenommen habe, da er befürchtete, andernfalls die Baugenehmigung nicht zeitnah zu erhalten. Gerade letzteres begründet den Vorwurf der Unredlichkeit. Er hat bewusst den Anschein erweckt, die im Bebauungsplan vorgesehene Wendemöglichkeit, die Teil der Erschließungsplanung ist, hinzunehmen und umzusetzen, obschon er dies tatsächlich zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt hat. Damit setzt er sich mit der Klage nicht nur zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, sondern er handelt gleichsam unredlich. Der Vorwurf der Treuwidrigkeit entfällt auch nicht dadurch, dass er im Vorfeld der Erteilung der Baugenehmigung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zu erkennen gegeben hat, dass er den Wendehammer in der festgesetzten Art und Weise für nicht erforderlich oder angemessen halte. Denn letztlich hat er seine Eingabeplanung entsprechend angepasst und die Dienstbarkeit bestellt. Andernfalls wäre er gehalten gewesen, gegen die Versagung einer Baugenehmigung mangels Bestellung der Dienstbarkeit Verpflichtungsklage zu erheben, um die Frage einer Klärung zuzuführen, ob eine ausreichende Erschließung auch ohne Errichtung bzw. rechtlicher Sicherung des Wendehammers vorliegt bzw. ob bei geltend gemachter Unwirksamkeit des Bebauungsplans überhaupt ein Baurecht im nördlichen Grundstücksbereich besteht. Die angefochtene Nebenbestimmung setzt im Ergebnis den Eingabeplan des Klägers, der in dem Bereich des Wendehammers nicht nur eine Freifläche, sondern eine wassergebundene Decke vorsieht, und mit dem er das Gesamtvorhaben zur Genehmigung gestellt hat, sowie die von ihm bereits eingeräumte Dienstbarkeit und die schuldrechtliche Verpflichtung um.
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Dass es einem Bauherrn grundsätzlich unbenommen ist, im Nachgang zu einer Genehmigung Änderungen zur ursprünglichen Eingabeplanung zu beantragen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn der Treuwidrigkeitsvorwurf liegt hier darin, dass der Kläger ein Gesamtvorhaben zur Genehmigung gestellt hat, das er tatsächlich zu keinem Zeitpunkt so verwirklichen wollte, sondern vielmehr die Planung einzig und allein darauf abzielte, eine Genehmigung für den Hauptbaukörper zu erhalten. Ob sich der Verstoß gegen Treu und Glauben zusätzlich daraus ergibt, dass der Kläger die identische Auflage in der Genehmigung aus dem Jahr 2015 nicht angegriffen hat, kann offenbleiben, da sich der Verstoß bereits aus den oben genannten Umständen ergibt. Dem steht auch nicht die Wertung des Art. 55 i.V.m. Art. 57 BayVwVfG entgegen, da die prozessualen Grundsätze des Ausschlusses des Rechtsschutzbedürfnisses wegen Treuwidrigkeit neben den verwaltungsverfahrensrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten eines Rechtsbehelfsverzichts in öffentlich-rechtlichen Verträgen stehen.
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Das Verwaltungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen ist, dass der gegen die Nebenbestimmung gerichteten Klage das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Hierdurch wird der Kläger auch nicht rechtlos gestellt. Ihm ist es lediglich verwehrt, die Nebenbestimmung dem Grunde nach gerichtlich anzugreifen. Die von ihm monierte fehlende Bestimmtheit der Nebenbestimmung kann er gegebenenfalls in einem nachfolgenden Vollstreckungsverfahren zur Durchsetzung der Nebenbestimmung geltend machen, da eine Vollstreckung nach allgemeinen Grundsätzen erfordert, dass der Betroffene den Inhalt der aufgegebenen Pflichten konkret feststellen kann und es andernfalls an einem vollstreckungsfähigen Inhalt fehlt (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2023 – 8 CE 22.2113 – juris Rn. 35). Im Übrigen begegnet die Bestimmtheit der Nebenbestimmung aber auch – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – keinen rechtlichen Bedenken. Die inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsakts ist nach dem objektiven Erklärungsinhalt der behördlichen Regelung aus der Sicht des Adressaten (Empfängerhorizont) zu beurteilen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 3 C 7.14 – BVerwGE 153, 335). Das bedeutet, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Es reicht aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 30.5.2018 – 6 A 3.16 – BVerwGE 162, 179). Die gewählte Formulierung der Auflage lässt bei der gebotenen Auslegung hinreichend deutlich die auferlegte Verpflichtung erkennen. Der Kläger soll den Wendehammer so herstellen wie er im Bebauungsplan vorgesehen und durch die von ihm zugunsten der Bauaufsichtsbehörde bestellten Dienstbarkeit abgesichert ist.
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Da die Klage gegen die Nebenbestimmung mangels Rechtschutzbedürfnisses bereits unzulässig ist, bedarf es keiner Ausführungen dazu, ob die Klage auch noch unbegründet gewesen wäre.
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2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).