Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.05.2024 – 16a DS 20.2040
Titel:

Vorläufige Dienstenthebung bei gleichzeitiger Einbehaltung von Dienstebezügen

Normenketten:
BayDG Art. 39 Abs. 1 S. 1, Art. 61
SGB IX § 178
Leitsatz:
In einer kumulativen Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und der Kürzung der Dienstbezüge liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sofern die vorläufige Dienstenthebung auf Art. 39 Abs. 1 S. 1 BayDG gestützt wurde, bestehen keine besonderen Begründungsanforderungen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufige Dienstenthebung, Einbehaltung von Dienstbezügen, Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 26.08.2020 – M 19L DA 20.1651
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15401

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die mit Verfügung des Polizeipräsidiums ... vom 7. Februar 2020 ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von 35 v.H. der Dienstbezüge auszusetzen, zu Recht abgelehnt.
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1. Der Antragsteller rügt, die Schwerbehindertenvertretung sei im Verfahren gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Der Vertrauensmann habe sich nicht mit dem umfangreichen Akteninhalt befasst; ihm seien nicht sämtliche erforderlichen Akten zur Kenntnis gebracht worden. Diese seien jedoch erforderlich, um sich ein eigenes vollständiges Bild machen zu können. Das Verwaltungsgericht lasse unberücksichtigt, dass die Schwerbehindertenvertretung/der Vertrauensmann im Oktober 2019 neu gewählt worden sei und keine Kenntnis vom vorangegangenen Verfahren gehabt habe. Diese Kenntnis werde vielmehr rechtsfehlerhaft unterstellt.
3
Dieser Einwand greift nicht durch. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist eine Verletzung der Pflicht des Dienstherrn, die Schwerbehindertenvertretung umfassend zu unterrichten, nicht ersichtlich. Die Vertrauensperson der Schwerbehinderten hat unter dem 15. Januar 2020 festgestellt, dass sie keine durchgreifenden Einwände vorbringe und die Akten eingehend geprüft habe (Disziplinarakten Bl. 599). Anhand ihres Empfangsbekenntnisses über die davor erfolgte Aktenzusendung vom 10. Dezember 2019 (a.a.O. Bl. 598) ergibt sich, dass ihr der Vorentwurf der vorläufigen Dienstenthebung, die Disziplinarakte des Polizeipräsidiums ... Süd/West, die Disziplinarakte der Disziplinarbehörde sowie die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Kempten vorlagen. Wenn der Antragsteller weiter vorträgt, der Schwerbehindertenvertreter habe weder Einsicht in die ärztliche Sachbearbeitungsakte noch in die Personalakte erhalten, ist darauf zu verweisen, dass die Disziplinarakte des Polizeipräsidiums ... Süd/West u.a. das polizeiärztliche Gutachten vom 27. Juni 2017 und den Entlassungsbericht der Fachklinik E. vom 23. Mai 2018 enthält. Aktuellere Befunde sind in der Personalakte nicht vorhanden; auf die Akten des Amtsarztes hat der Dienstherr regelmäßig keinen Zugriff. Wenn der Antragsteller weiter behauptet, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts missachtet, wonach gegenüber dem Betriebsrat und nach der Milkova-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs analog auch der Schwerbehindertenvertretung die Arbeitnehmer benannt hätten werden müssen, welche nach § 167 Abs. 2 SGB IX die Voraussetzungen für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements erfüllen, verkennt er, dass er mit im Entwurf der Disziplinarverfügung wiedergegebenen Anwaltsschriftsatz vom 6. Juni 2018 selbst geschildert hatte, dass er in den letzten sieben Jahren nur drei Krankheitstage aufgewiesen habe. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller später den Tatbestand der genannten Bestimmung erfüllt hätte. Demnach hätte die vom Antragsteller vermisste Fehlzeitenstatistik bei der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung offenkundig nichts zur Sache getan. Dass der Antragsteller der Auffassung ist, er habe trotz Schwerbehinderung überdurchschnittlichen Einsatz gezeigt, lässt sich dem im Entwurf der Disziplinarverfügung wiedergegebenen, bereits angeführten Anwaltsschriftsatz ebenfalls entnehmen.
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2. Als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rügt der Antragsteller, dass das Verwaltungsgericht hinsichtlich des angeschuldigten Arbeitszeitbetrugs auf die tatsächlichen Feststellungen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Kempten vom 30. Juli 2018 abgestellt habe, obwohl diese von ihm substantiiert angegriffen worden seien. Es trifft indes nicht zu, dass das Verwaltungsgericht insoweit keine eigene Würdigung vorgenommen hätte. Dass es dem Sachvortrag des Antragstellers nicht gefolgt ist und die Feststellungen des Strafbefehls daneben als nicht widerlegt zugrunde gelegt hat, ist nicht zu beanstanden. Die vom Verwaltungsgericht ausführlich begründete Feststellung, dass der Antragsteller die ihm zur Last gelegten Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat, ist nicht rechtsfehlerhaft. Das Verwaltungsgericht hat den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit bei der innerdienstlich begangenen Untreuehandlung gesehen; dazu äußert sich die Beschwerde nicht. Dass das Verwaltungsgericht die Prognose, nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage sei es überwiegend wahrscheinlich, dass gegen den Antragsteller die disziplinare Höchstmaßnahme verhängt werde, weiter auch damit begründet, dieser könne sich auch dann nicht über die Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung hinwegsetzen, wenn er insgesamt mehr als 40 Stunden wöchentlich gearbeitet haben sollte, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Es erschließt sich schon nicht, weshalb das gewährte, „von der allgemein geltenden Arbeitszeitverordnung abweichende Arbeitszeitmodell“ „per se geeignet“ sein soll, den objektiven Tatbestand eines Arbeitszeitbetrugs auszuschließen. Auf Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Vorschriften der Arbeitszeiterfassung bezieht sich dieser Sachvortrag nicht. Beweisschwierigkeiten bei der vom Antragsteller vorgetragenen, von ihm nicht dokumentierten Mehrarbeit lassen eine abweichende Prognose, es werde voraussichtlich nicht zur Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme kommen, nicht zu. Gleiches gilt unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Antragstellers vom 2. April 2020 für den Sachvortrag, es habe subjektiv keine Betrugs- und Schädigungsabsicht bestanden. Diese Stellungnahme widerlegt insoweit zumindest einen dolus eventualis nicht.
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Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt auch nicht in der kumulativen Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und der Kürzung der Dienstbezüge. Weshalb das Ermessen des Dienstherrn insoweit nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden sein soll, erschließt sich nicht. Besondere Begründungsanforderungen bestanden, da die vorläufige Dienstenthebung auf Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayDG gestützt wurde, nicht (vgl. Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand August 2020, Art. 39 Rn. 24, 27).
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3. Für eine teilweise Aussetzung der Einbehaltung von Bezügen besteht keine Veranlassung. Der von den Bevollmächtigten des Antragstellers in erster Instanz mit Schreiben vom 22. April 2020 verlangte Gebührenvorschuss für Portoauslagen und Kopien gehört zum vorliegenden Verfahren und kann nicht bereits vorab Berücksichtigung finden. Insoweit ist der Antragsteller nach Abschluss des Verfahrens gegebenenfalls auf einen Abänderungsantrag bei der Disziplinarbehörde zu verweisen. Die notwendigen Kosten des ersten Verfahrens nach Art. 61 BayDG trug nach der Kostenentscheidung des Senatsbeschlusses vom 21. August 2019 (16a DS 19.388) der Antragsgegner. Kosten, die wegen der doppelten rechtsanwaltlichen Vertretung als nicht notwendig anzusehen sind, bleiben weiter unberücksichtigt (Punkte 4.3 und 4.4 der Beschwerdebegründung).
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Die in Bezug auf die Autoreparaturrechnung vom 16. September 2020 geltend gemachten Kosten in Höhe von 720,29 Euro (entsprechen monatlich 60,02 Euro) wirken sich nicht bedarfserhöhend aus, weil die Posten Telefon/Internet und Miete für Keller als Lager in der Sozialhilfevergleichsberechnung nicht (gesondert) zu berücksichtigen sind.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 3 BayDG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO).