Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 21.03.2024 – RN 8 S 24.63
Titel:

Verlust der Fahreignung wegen einmaligem Konsum harter Drogen wie Amphetamin

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5, § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 2
StVG § 2 Abs. 4 S. 1, § 3 Abs. 2 S. 1
FeV § 11 Abs. 1 S. 2, Abs. 7, § 46 Abs. 3, § 47 Abs. 1 S. 1 und 2
Anlage 4 FeV Nr. 9.1, Nr. 9.3
Leitsätze:
1. Der Verstoß gegen die formelle Begründungspflicht in § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO führt nur zur Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung und nicht zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Selbst der einmalige Konsum harter Drogen wie Amphetamin führt zum Verlust der Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. VGH München BeckRS 2019, 15142 mwN). (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die in einem ärztlichen Befundbericht beschriebene Einnahme "seit 6 Monaten" ist zeitlich betrachtet zu unbestimmt und lässt gerade keinen Schluss darauf zu, ob dem Antragsteller am Tattag bereits das amphetaminhaltige Medikaments Elvanse Adult verordnet und ausgehändigt wurde. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fahrerlaubnisentzug, sofortige Vollziehung, einstweiliger Rechtsschutz, Betäubungsmittelkonsum, Medikamenteneinnahme, Fahreignung, Zwangsgeldandrohung, formelle Begründungspflicht, Amphetamin, Medikament Elvanse Adult, amphetaminhaltiges Medikament
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.06.2024 – 11 CS 24.566
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15388

Tenor

I. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer II. des Bescheids der Stadt S. (Az. 2/20.2 143-1/1) vom 07.12.2023 in dessen Ziffer IV. wird aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 11.01.2024 gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer III. des Bescheids wird angeordnet.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch die Stadt S. (Stadt).
2
Der am ...12.1996 geborene Antragsteller war zuletzt Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
3
Mit Schreiben vom 09.10.2023 teilte das Bayerische Polizeiverwaltungsamt der Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller am 03.06.2023 gegen 22:20 Uhr ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung berauschender Mittel (Amphetamin) in S. führte.
4
Ein immunologischer Vortestbefund des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. vom 12.06.2023 fiel „grenzwertig“ hinsichtlich Amphetaminen aus und „positiv“ bezüglich Cannabinoiden. Es wurde ausgeführt, dass positive Vortestbefunde einer Bestätigung bedürfen und ein abschließendes Gutachten folge.
5
Nach dem Rechtsmedizinischen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. vom 15.08.2023, verlief die chemisch-toxikologische Untersuchung über eine dem Kläger am Tattag, 03.06.2023 um 23:08 Uhr entnommene Blutprobe positiv auf Cannabis [THC (0,9 ng/ml), THC-COOH (26 ng/ml) ] und Amphetamin [weniger als 12,5 ng/ml].
6
Im Rahmen der Beurteilung wurde ausgeführt, dass nachgewiesen sei, dass der Kläger Cannabisprodukte und Amphetamine konsumiert habe. Es läge ein Mischkonsum vor. Die festgestellten Konzentrationen an Cannabinoiden sprächen für einen zurückliegenden Konsum, und dafür, dass der Antragsteller nicht unter einer deutlichen Wirkung von Cannabisprodukten gestanden habe. Die festgestellte Amphetaminkonzentration spräche ebenfalls für einen geringen bzw. zurückliegenden Konsum und dafür, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Blutentnahme nicht unter einer deutlichen Wirkung von Amphetaminen gestanden habe. Der Grenzwert zur Feststellung einer Ordnungswidrigkeit liege gemäß den Empfehlungen der Grenzwertkommission für Amphetamin bei 25 ng/ml.
7
Der Antragsteller habe angegeben, in den letzten 24 Std. Medikinet (Wirkstoff: Methylphenidat) eingenommen zu haben.
8
Mit Schreiben vom 26.10.2023, zugestellt mittels PZU am 28.10.2023, hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zum beabsichtigten Fahrerlaubnisentzug aufgrund des Konsums harter Drogen (Amphetamin) an und räumte Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.11.2023 ein.
9
Mit Schreiben vom 27.11.2023 zeigte der Bevollmächtigte des Antragstellers seine Bevollmächtigung an und bat um Akteneinsicht. Er führte aus, dass das positive Testergebnis mit einer Medikamenteneinnahme erklärt werden könne, die medizinisch indiziert gewesen sei und die Fahrtauglichkeit nicht beeinträchtige. Man sei bemüht, eine entsprechende ärztliche Bestätigung beizubringen.
10
Mit Bescheid vom 07.12.2023, an den Antragsteller mittels PZU am 12.12.2023 zugestellt, entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L (Ziffer I.). Der Antragsteller wurde verpflichtet, seinen Führerschein bei der Stadt innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzuliefern, sowie einen evtl. vorhanden ausländischen Führerschein zur Eintragung des Verbotes, innerhalb der BRD Kraftfahrzeuge zu führen, vorzulegen (Ziffer II.). Für den Fall, dass der Antragsteller die Verpflichtungen aus Ziffer II. des Bescheids nicht innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheids erfülle, wurde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 900,00 EUR angedroht (Ziffer III.). In Ziffer IV. wurde die sofortige Vollziehung der Ziffern I. und II. des Bescheids angeordnet. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller laut den vorliegenden polizeilichen und toxikologischen Unterlagen harte Betäubungsmittel (Amphetamin) konsumiert habe und unter diesem Einfluss ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt habe. Bei einem Konsum harter Drogen wie Amphetamin stehe die Fahrungeeignetheit fest. Ein Ermessen bestehe nicht. Die sofortige Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs sei zur Verhinderung von Sicherheitsrisiken für andere Verkehrsteilnehmer erforderlich und die Ablieferungspflicht des Führerscheins ergebe sich aus § 47 Abs. 1 FeV.
11
Mit Schreiben vom 12.01.2024, zugestellt per PZU am 16.01.2024, teilte die Stadt dem Antragsteller die Fälligkeit des angedrohten Zwangsgeldes in Höhe von 900,00 EUR mit, da der Antragsteller bis dato seinen Führerschein nicht abgegeben habe.
12
Mit Schriftsatz vom 11.01.2024, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg am selben Tag, seines Bevollmächtigten hat der Antragsteller Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.12.2023 erheben lassen und mit gleichem Schriftsatz um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen lassen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller das Medikament Elvanse Adult 50 mg jeweils morgens aufgrund der Behandlung einer diagnostizierten ADHS Erkrankung konsumiere, in dem der Wirkstoff Lisdexamfetamin dimesilat enthalten sei. Das Medikament habe beim Antragsteller keine die Fahrtauglichkeit beeinträchtigende Wirkung. Nach Feststellung durch eine vorgenommene verkehrsmedizinische Leistungsuntersuchung in der ärztlichen Praxis … E. bestünde die uneingeschränkte Fahreignung.
13
Aus dem beigefügten Medikationsplan vom 02.11.2023 geht das Medikament Elvanse Adult 50 mg hervor.
14
Nach dem ebenfalls beigebrachten betriebsärztlichen Befundbericht der Arztpraxis … E. vom 21.12.2023 nehme der Antragsteller seit 6 Monaten Elvanse Adult 50 mg, zurzeit 1-0-0. Zuvor sei Medikinet Adult eingenommen worden. Die Medikamente seien durch die Praxis Dr. M. in S. rezeptiert. Es sei am 21.12.2023 eine Eignungsuntersuchung nach FeV Anlage 5 Nr. 2 durchgeführt worden, die bestanden worden sei. Sämtliche Testungen seien ausnahmslos sehr gut gewesen, sodass von einer uneingeschränkten Fahreignung auszugehen sei.
15
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Sofortvollzug des Bescheides vom 07.12.2023 wird wieder hergestellt.
16
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
17
Die Begründung entspricht im Wesentlichen dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Insbesondere sei durch die vorgenommene chemisch-toxikologische Untersuchung ein Konsum von Cannabisprodukten sowie Amphetamin nachgewiesen. Nach Rückfrage beim Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B., sei am 25.01.2024 von Frau Dr. … ausgeführt worden, dass die Einnahme des Medikaments „Medikinet“ keinerlei Auswirkungen auf den festgestellten Amphetaminwert habe. Die Aufnahme von Amphetamin habe keinen anderen Rechtsschluss als den Entzug der Fahrerlaubnis zugelassen. Erst im Rahmen der Klageerhebung bzw. des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO habe der Antragsteller die Verordnung und die Einnahme des Medikaments Elvanse geltend gemacht, welches zu dem hinsichtlich Amphetamin positiven Blutprobenergebnis geführt habe. Eine Verordnung bzw. Einnahme von Elvanse am Tattag bzw. zum Zeitpunkt der Blutentnahme am 03.06.2023 sei nicht hinreichend nachgewiesen worden. Mit Schreiben der Stadt vom 18.01.2024 sei der Antragsteller zur Vorlage weiterer ärztlicher Nachweise aufgefordert worden, welches unbeantwortet geblieben sei.
18
Nach einer zwischenzeitlich eingeholten Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B., sei nicht ausgeschlossen, dass die Einnahme des Medikaments „Elvanse“ zu einem positiven Amphetaminbefund führen könnte. Jedoch sei neben dieser Erkenntnis der Zeitpunkt der Verordnung sowie der Einnahme von „Elvanse“ entscheidend.
19
Auf Frage der Antragsgegnerin hat das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. am 25.01.2024 mitgeteilt, dass Medikinet (Wirkstoff Methylphenidat) keine Auswirkungen auf den Amphetaminwert in dem Sinne habe, dass es nicht zu Amphetamin verstoffwechselt werde und Amphetamin oder eine Vorstufe (z.B. Lisdexamphetamin wie im Präparat Elvanse) davon auch nicht in Medikinet enthalten sei. Durch weitergehende Analysen sei die Abgrenzung der Aufnahme von Lisdexamphetamin zur Abgrenzung von Straßen-Amphetamin möglich.
20
Mit Schreiben vom 01.02.2024 hat die Stadt den Antragsteller erneut aufgefordert, ein Attest des behandelnden Facharztes bis zum 09.02.2024 beizubringen, aus dem der Zeitpunkt der Umstellung von Medikinet auf Elvanse, der Zeitpunkt der erstmaligen verordnungsgemäßen Einnahme, die eingenommene Dosis sowie der Zeitraum und im welchen Rhythmus das Medikament einzunehmen war bzw. ist, hervorgehe.
21
Mit Schreiben vom 02.02.2024 forderte das Gericht den Antragsteller auf, bis zum 14.02.2024 Unterlagen beizubringen, aus denen die Aushändigung des Medikaments Elvanse Adult an den Antragsteller zum Zeitpunkt der Anlasstat der Fahrerlaubnismaßnahme (03.06.2023) hervorgehe. Nach einer Beibringung werde bei der Antragsgegnerin angeregt, entsprechende Zusatzuntersuchungen durchführen zu lassen, insbesondere hinsichtlich der Aufnahme von Lisdexamphetamin in Abgrenzung zu Straßen-Amphetamin und somit dahingehend, ob der positive Amphetaminkonsum auf die behauptete Medikamenteneinnahme oder den Konsum illegaler Betäubungsmittel zurückzuführen sei.
22
Auf Antrag des Antragstellerbevollmächtigten wurde die Frist zur Beibringung der angeforderten Unterlagen, zweimal, schließlich bis zum 04.03.2024 verlängert. Die geforderten Unterlagen wurden nicht beigebracht.
23
Der Antragsteller hat bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, seinen Führerschein noch nicht bei der Antragsgegnerin abgegeben.
24
Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Hauptsacheverfahren (RN 8 K 24.64) sowie auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
25
Der zulässige Antrag ist nur teilweise begründet.
26
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung, soweit dies durch Bundesgesetz oder Landesgesetz vorgeschrieben ist, oder soweit die sofortige Vollziehung durch die den Verwaltungsakt erlassende Behörde besonders angeordnet wird. Hinsichtlich der Ziffer I. und II. des Bescheids hat die erlassende Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer IV.). Hinsichtlich der Ziffer III. des Bescheids besteht die sofortige Vollziehbarkeit kraft Gesetzes (Art. 21a Satz 1 VwZVG). Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen und im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
27
In diesem Sinne ist der Antrag nach §§ 88, 123 Abs. 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Sofortvollzug des Bescheides vom 07.12.2023 auszulegen.
28
Der zulässige Antrag führt zur Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer II. des streitgegenständlichen Bescheids sowie zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer III. Im Übrigen bleibt der Antrag ohne Erfolg.
29
I. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer I. des Bescheids vom 07.12.2023 bleibt ohne Erfolg.
30
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
31
1. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist in formeller Hinsicht bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis ordnungsgemäß erfolgt, hinsichtlich der Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins jedoch zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs nur hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis hinreichend begründet. Hinsichtlich der Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins fehlt eine formell ordnungsgemäße Begründung. An den Inhalt der Begründung sind im vorliegenden Fall zwar keine hohen Anforderungen zu stellen. Denn für bestimmte Arten behördlicher Anordnungen ist das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch. In solchen Fällen ist die Behörde nicht verpflichtet, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft, weil in derartigen Fällen für eine einzelfallbezogene Argumentation regelmäßig kein Raum ist (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 46 und 55). Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht zählt (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris Rn. 6 m.w.N.). Die Umstände, aus denen sich die Fahrungeeignetheit des Fahrerlaubnisinhabers ergibt, sind regelmäßig auch geeignet, gleichzeitig das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der angeordneten Fahrerlaubnisentziehung zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2005 – 11 CS 05.1967 – juris Rn. 13). Ist ein Fahrerlaubnisinhaber ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, liegt es auf der Hand, dass ihm im Hinblick auf die Gefährlichkeit seiner Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr und der zu schützenden Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit der anderen Verkehrsteilnehmer grundsätzlich sofort das Führen von Kraftfahrzeugen untersagt werden muss und nicht bis zum Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens abgewartet werden kann. Entbehrlich ist die Begründung indes auch in diesen Fällen nicht. Wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde aber darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass nach ihrer Auffassung diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55 m.w.N.). Dies ist in der Begründung des Bescheids nur hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis geschehen. Die auf Seite 4 des Bescheids unter „3.“ enthaltenen Ausführungen beziehen sich inhaltlich nur auf die Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs. Den Ausführungen lässt sich keine Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins entnehmen. Der erfolgte Verweis auf § 47 Abs. 1 FeV ist lediglich floskelartig und als Hinweis darauf zu verstehen, dass sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs auf das Bestehen (nicht die Vollziehung) der Ablieferungspflicht auswirkt. Eine Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ablieferungspflicht geht damit nicht einher und erfolgte auch im Übrigen nicht.
32
Der Verstoß gegen die formelle Begründungspflicht in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO führt nur zur Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung und nicht zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Diese Entscheidung dient den Interessen der Beteiligten, denn auf diesem Weg ist die Behörde nicht gehindert, die sofortige Vollziehung erneut anzuordnen. Andernfalls bedürfte es eines Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO, was bei bloß formeller Fehlerhaftigkeit nicht angemessen wäre und für den Antragsteller ein zusätzliches Kostenrisiko bedeuten würde (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 98). Im gerichtlichen Verfahren erfolgt im Übrigen keine materielle Überprüfung der Sofortvollzugsanordnung, sondern das Gericht trifft eine eigene Interessenabwägung.
33
2. Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs von der Kammer als offen angesehen werden.
34
Jedoch ergibt die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung, dass das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers an der aufschieben-den Wirkung seines Rechtsbehelfs überwiegt.
35
Maßgeblich für diese Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Führt eine im vorläufigen Rechtschutz gebotene summarische Prüfung dazu, dass der Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so wird regelmäßig das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegen. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt nach der gebotenen summarischen Prüfung erfolglos bleiben, weil keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, kann der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt werden, ohne dass es einer zusätzlichen Interessenabwägung bedarf. Denn der Bürger hat grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen offen, so verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
36
a. Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde jemandem, der sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dabei handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, d.h. um eine Entscheidung ohne Ermessensspielraum der zuständigen Behörde. Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis (§ 3 Abs. 2 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 6 Satz 1 FeV).
37
Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nach summarischer Prüfung nicht. Gemäß § 46 Abs. 3, § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird.
38
Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) einnimmt, ist im Regelfall zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (§ 11 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Anlage 4 Nr. 9.1 FeV). Dies gilt bei sog. harten Drogen unabhängig davon, ob der Betroffene betäubungsmittelabhängig ist oder nicht (vgl. Anlage 4 Nr. 9.3 FeV).
39
Selbst der einmalige Konsum harter Drogen führt zum Verlust der Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 27.6.2019 – 11 CS 19.961 – juris Rn. 12 m.w.N.). Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen, hier Amphetamin (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III) im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 27.6.2019 – 11 CS 19.961 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die Fahrerlaubnisbehörde hat insoweit auch kein Ermessen. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens (BayVGH, B.v. 17.12.2021 – 11 CS 21.2179 – juris Rn. 14 m.w.N.; B.v. 1.7.2015 – 11 CS 15.1151 – juris Rn. 11.
40
Gemessen daran hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis des Antragstellers nach summarischer Prüfung zu Recht entzogen, ohne dass ihr hierbei ein Ermessen zugestanden hätte. Bei dem Antragsteller steht der Konsum harter Drogen (Amphetamin) aufgrund des Rechtsmedizinischen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. vom 15.08.2023 fest. Die am Tattag entnommene Blutprobe wurde positiv auf Amphetamin getestet, sodass ein Konsum anzunehmen ist.
41
Die Behauptung des Antragstellers, dass er am Tattag Medikinet eingenommen habe und der positive Amphetaminbefund darauf zurückzuführen sei, ist durch die Ausführungen des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. vom 25.01.2024 wiederlegt. Nach den Ausführungen des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. hat Medikinet (Wirkstoff Methylphenidat) keine Auswirkungen auf den Amphetaminwert in dem Sinne, dass es nicht zu Amphetamin verstoffwechselt wird und Amphetamin oder eine Vorstufe davon auch nicht in Medikinet enthalten ist.
42
Die erstmals im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgebrachte Behauptung, der positive Amphetaminbefund sei auf den Konsum des Medikaments Elvanse Adult 50 mg zurückzuführen, ist unsubstantiiert. Richtig ist zwar, dass wie vom Antragsteller ausgeführt und vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. mit E-Mail vom 25.01.2024 insoweit bestätigt, der im Medikament Elvanse Adult 50 mg enthaltene Wirkstoff Lisdexamphetamin (vgl auch: Bruhn in Deutsche Apothekerzeitung, Nr. 23/2019, S. 23, https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-23-2019/lisdexamfetamin-fuer-erwachsene) eine Vorstufe von Amphetamin ist. Stünde die Verordnung und Aushändigung des Medikaments Elvanse Adult an den Antragsteller zum Tattag hin fest, wäre das positive Befundergebnis hinsichtlich Amphetamin damit möglicherweise erklärbar. Wie vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. mit E-Mail vom 25.01.2024 ausgeführt, wäre sodann eine entsprechende Analyse durchzuführen hinsichtlich der Aufnahme von Lisdexamphetamin in Abgrenzung zu Straßen-Amphetamin.
43
Es ist jedoch weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Antragsteller am Tattag das Medikament Elvanse ordnungsgemäß verschrieben und ihm das Medikament auch ausgehändigt wurde. Aus dem betriebsärztlichen Befundbericht der Arztpraxis … E. vom 21.12.2023 geht lediglich hervor, dass der Antragsteller seit 6 Monaten das Medikament Elvanse Adult 50 mg wohl einnehme. Die im betriebsärztlichen Befundbericht beschriebene Einnahme „seit 6 Monaten“ ist zeitlich betrachtet zu unbestimmt und lässt gerade keinen Schluss darauf zu, ob dem Antragsteller am Tattag (03.06.2023) bereits das Medikament Elvanse Adult verordnet und ausgehändigt wurde. Der vorgelegte Medikationsplan des Antragstellers, ausgestellt von Dr. M. am 02.11.2023 lässt ebenfalls keine Rückschlüsse zu, ob dem Antragsteller am Tattag bereits das Medikament Elvanse Adult verschrieben und ausgehändigt wurde.
44
Ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 01.02.2024 sowie eine schriftliche Aufforderung des Gerichts vom 02.02.2024 an den Antragsteller, Unterlagen beizubringen, aus denen die Verordnung sowie die Aushändigung des Medikaments Elvanse Adult an den Antragsteller zum Zeitpunkt der Anlasstat der streitgegenständlichen Fahrerlaubnismaßnahme (03.06.2023) hervorgeht, blieb trotz zweifacher, antragsgemäßer Fristverlängerung unbeantwortet. Der Antragsteller hat es mithin versäumt, der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht, im besonderen Maße hinsichtlich der „in seine Sphäre fallenden Ereignisse“, gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO nachzukommen (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 86 Rn. 11). Es ist auszuführen, dass den Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutz sogar eine gesteigerte Mitwirkungspflicht trifft (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 86 Rn. 11). Unterlässt es der Antragsteller – wie vorliegend – zur Klärung der ihn betreffenden, für ihn günstigen Tatsachen beizutragen, obwohl es für ihn offensichtlich unschwer möglich und auch zumutbar gewesen wäre, so ist das Gericht von sich aus nicht gehalten, allen denkbaren Möglichkeiten nachzugehen, wie sich die Tatsachen verhalten könnten, insbesondere dann, wenn das Gericht – wie vorliegend – auf die Erheblichkeit bestimmter Umstände hingewiesen und entsprechende Unterlagen angefordert hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 86 Rn. 11).
45
Im Übrigen ist auch weder ersichtlich, dass eine Ausnahme vom Regelfall im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 zur Anlage 4 FeV vorliegen würde, noch, dass der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also des Entziehungsbescheids vom 28.12.2023, die Fahreignung wieder erlangt haben könnte. Für eine Überprüfung der Fahreignung nach Entgiftung und Entwöhnung (Anlage 4 Nr. 9.5 FeV) würde die Voraussetzung der nachgewiesenen hinreichend langen Abstinenz fehlen.
46
b. Die Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV. Nach der Entziehung sind von einer deutschen Behörde ausgestellte nationale und internationale Führerscheine unverzüglich der entscheidenden Behörde abzuliefern. Die Verpflichtung zur Ablieferung oder Vorlage des Führerscheins besteht auch, wenn die Entscheidung angefochten worden ist, die zuständige Behörde jedoch die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung angeordnet hat.
47
II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer III. des Bescheids vom 07.12.2023 hat Erfolg, da die Klage gegen die Ablieferungspflicht des Führerscheins wegen der Aufhebung der Sofortvollzugsanordnung aufschiebende Wirkung hat, da derzeit kein für eine Zwangsgeldandrohung erforderlicher vollziehbarer Grundverwaltungsakt im Sinne von Art. 19 Abs. 1 VwZVG vorliegt.
48
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
49
Soweit sich der Antrag des Antragstellers auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis richtet, unterliegt er und obsiegt die Antragsgegnerin. Soweit sich der Antrag des Antragstellers auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins richtet sowie auf die Anordnung der aufschiebenden der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung, obsiegt der Antragsteller und unterliegt die Antragsgegnerin. Es erscheint daher angemessen, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben.
50
IV. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. dem Streitwertkatalog der Verwaltungsgerichtsbarkeit.