Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.06.2024 – 11 CS 24.566
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Amphetaminkonsums

Normenketten:
StVG § 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 13, § 14, § 46 Abs. 1, Abs. 3, Anl. 4 Nr. 9.1, Nr. 9.6.2
Leitsatz:
Bei Einnahme von Betäubungsmitteln iSd BtMG (ausgenommen Cannabis), hier Amphetamin, entfällt die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. VGH München BeckRS 2024, 631). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Amphetaminkonsums, Einnahme eines amphetaminhaltigen Medikaments gegen ADHS, Beigebrauch der Droge Amphetamin gutachterlich nachgewiesen, Entziehung der Fahrerlaubnis, Amphetaminkonsums, Einnahme eines amphetaminhaltigen Medikaments, ADHS, Beigebrauch der Droge Amphetamin, Einnahme von Betäubungsmitteln, ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, Fahreignung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 21.03.2024 – RN 8 S 24.63
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15387

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die vorläufige Vollziehbarkeit der Entziehung der ihm am 5. September 2016 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
2
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2023 teilte das Bayerische Polizeiverwaltungsamt der Antragsgegnerin mit, der Antragsteller habe am 3. Juni 2023 gegen 22:20 Uhr ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung berauschender Mittel (Amphetamin) in St. geführt.
3
Mit Schreiben vom 12. Juni 2023 teilte das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. der Polizei mit, der immunologische Vortestbefund für Amphetamine sei „grenzwertig“ und für Cannabinoide „positiv“. Dem nachfolgenden rechtsmedizinischen Gutachten vom 15. August 2023 über die chemisch-toxikologische Untersuchung der dem Antragsteller am 3. Juni 2023 um 23:08 Uhr entnommenen Blutprobe sind Werte von 0,9 ng/ml THC, 26 ng/ml THC-COOH sowie < 12,5 ng/ml Amphetamin zu entnehmen. Der Konsum von Cannabisprodukten und Amphetaminen sei nachgewiesen. Es liege ein Mischkonsum vor. Die festgestellten Konzentrationen an Cannabinoiden und Amphetamin sprächen jeweils für einen geringen bzw. zurückliegenden Konsum und dafür, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Blutentnahme nicht unter einer deutlichen Wirkung von Cannabisprodukten bzw. Amphetamin gestanden habe. Der Grenzwert zur Feststellung einer Ordnungswidrigkeit liege gemäß den Empfehlungen der Grenzwertkommission für THC bei 1 ng/ml und für Amphetamin bei 25 ng/ml.
4
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis ließ der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 27. November 2023 vortragen, das positive Testergebnis könne mit einer medizinisch indizierten und die Fahrtauglichkeit nicht beeinträchtigenden Einnahme von Medikamenten erklärt werden. Er werde eine entsprechende ärztliche Bestätigung nachreichen.
5
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2023 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller wegen des Amphetaminkonsums die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds, seinen Führerschein innerhalb von einer Woche nach der Zustellung des Bescheids abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
6
Am 11. Januar 2024 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erheben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen. Er legte einen ärztlichen Medikationsplan vom 2. November 2023 vor und führte dazu aus, der positive Amphetaminbefund gehe auf die nicht die Fahrtauglichkeit beeinträchtigende Einnahme des Medikaments Elvanse Adult 50 mg mit dem Wirkstoff Lisdexamphetamin zur Behandlung seiner ADHS-Erkrankung zurück. Nach dem ebenfalls vorgelegten betriebsärztlichen Befundbericht vom 21. Dezember 2023 nimmt der Antragsteller das Medikament seit sechs Monaten ein. Zuvor habe er Medikinet Adult eingenommen. Ausweislich der vorgenommenen Leistungstests bestehe uneingeschränkte Fahreignung.
7
Auf Anfrage erläuterte das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25. Januar 2024, dass Medikinet (Wirkstoff Methylphenidat) keine Auswirkung auf den Amphetaminwert habe. Es werde nicht zu Amphetamin verstoffwechselt und Amphetamin oder eine Vorstufe (z.B. Lisdexamphetamin wie in Elvanse) sei auch nicht in Medikinet enthalten.
8
Mit Beschluss vom 21. März 2024 hob das Verwaltungsgericht Regensburg die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins auf, ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Zwangsgeldandrohung an und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, hinsichtlich der Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins fehle es an einer formell ordnungsgemäßen Begründung im Sinne von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, was nur zur Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung, nicht zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage führe. Die Gründe des Bescheids bezögen sich insoweit nur auf die Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs. Die nur floskelartige Bezugnahme auf § 47 Abs. 1 FeV sei als Hinweis darauf zu verstehen, dass sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs auf das Bestehen (nicht die Vollziehung) der Ablieferungspflicht auswirke. Die Antragsgegnerin habe dem Antragsteller zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen, ohne dass ihr insoweit ein Ermessen zugestanden habe. Aufgrund des rechtsmedizinischen Gutachtens vom 15. August 2023 stehe fest, dass der Antragsteller eine harte Droge (Amphetamin) konsumiert habe. Die Behauptung, der positive Amphetaminbefund sei auf die Einnahme von Medikinet zurückzuführen, werde durch die Ausführungen des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. vom 25. Januar 2024 widerlegt. Die erst im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorgebrachte Behauptung, der positive Amphetaminbefund sei auf die Einnahme des Medikaments Elvanse Adult 50 mg zurückzuführen, sei unsubstantiiert. Zwar habe das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums B. am 25. Januar 2024 bestätigt, dass der in Elvanse Adult 50 mg enthaltene Wirkstoff Lisdexamphetamin eine Vorstufe von Amphetamin sei, was ein positives Befundergebnis hinsichtlich Amphetamin möglicherweise erklären könne. Doch sei weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Antragsteller am Tattag dieses Medikament ordnungsgemäß verschrieben und ausgehändigt worden sei. Aus dem betriebsärztlichen Befundbericht vom 21. Dezember 2023 gehe lediglich hervor, dass er wohl seit sechs Monaten Elvanse Adult 50 mg einnehme. Die zeitliche Angabe sei zu unbestimmt und lasse keinen Schluss darauf zu, dass dem Antragsteller das Medikament bereits am Tattag, dem 3. Juni 2023 verordnet und ausgehändigt worden sei. Auch der am 2. November 2023 ausgestellte Medikationsplan lasse keine Rückschlüsse darauf zu. Ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2024 und eine schriftliche Aufforderung des Gerichts vom 2. Februar 2024, Unterlagen beizubringen, aus denen die Verordnung und Aushändigung des Medikaments Elvanse Adult an den Antragsteller zum Zeitpunkt am 3. Juni 2023 hervorgehe, sei trotz zweifacher, antragsgemäßer Fristverlängerung unbeantwortet geblieben. Der Antragsteller sei der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO nicht nachgekommen, die ihn im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sogar in gesteigertem Maße treffe. Das Gericht sei daher nicht gehalten, allen denkbaren Möglichkeiten nachzugehen, wie sich die Tatsachen verhalten könnten. Im Übrigen sei weder eine Ausnahme vom Regelfall im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 zur Anlage 4 FeV ersichtlich noch die Wiedererlangung der Fahreignung im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Für eine Überprüfung der Fahreignung nach Entgiftung und Entwöhnung (Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV) fehle es am Nachweis einer hinreichend langen Abstinenz.
9
Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsteller unter Vorlage einer Bescheinigung seines Neurologen und Psychiaters vom 4. März 2024, wonach er seit dem 4. Mai 2023 Elvanse Adult einnehme, die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis.
10
Dem trat die Antragsgegnerin unter Vorlage eines rechtsmedizinischen Zusatzgutachtens vom 2. Mai 2024 entgegen. Danach wird Amphetamin in Form des Enantiomers Dexamphetamin (Handelsname u.a. Attentin) oder dessen Vorläufersubstanz Lisdexamphetamin (Handelsname u.a. Elvanse) zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) eingesetzt. Der Inhaltsstoff von Elvanse sei das nicht aktive Prodrug Lisdexamphetamin, das nach Aufnahme im Körper zu dem pharmakologisch aktiven Wirkstoff Dexamphetamin ((S)-Amphetamin) verstoffwechselt werde. Bei einer ausschließlichen Aufnahme von Elvanse wäre lediglich enantiomerenreines (S)-Amphetamin nachweisbar. In illegal erhältlichen Amphetaminzubereitungen sei grundsätzlich das Racemat bzw. eine Mischung des (S)- und des (R)-Amphetamins enthalten. Da in der Blutprobe des Antragstellers sowohl (R)-Amphetamin (ca. 8,0 ng/ml) als auch (S)-Amphetamin (ca. 6,4 ng/ml) nachweisbar gewesen seien, ließen sich die erhaltenen Untersuchungsbefunde nicht mit einer ausschließlichen Aufnahme von enantiomerenreinem (S)-Amphetamin bzw. der ausschließlichen Aufnahme von Elvanse in Einklang bringen. Der in Medikinet enthaltene Wirkstoff Methylphenidat werde nicht zu Amphetamin verstoffwechselt. Darüber hinaus sei Amphetamin oder eine Amphetamin-Vorstufe (z.B. Lisdexamphetamin) kein Bestandteil von Medikinet. Folglich führe eine Aufnahme von Methylphenidat nicht zu einem positiven Amphetaminbefund. Aus diesem Ergebnis schloss die Antragsgegnerin auf den Beigebrauch von illegalem „Straßenamphetamin“.
11
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
12
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
13
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
14
Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansehen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen durfte.
15
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. November 2023 (BGBl I Nr. 315), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl I Nr. 199), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis), hier Amphetamin (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III), die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2025 – 11 CS 23.1639 – juris Rn. 18 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 26.7.2023 – 6 A 1/21 – juris Rn. 7; OVG LSA, B.v. 26.10.2022 – 3 M 88/22 – juris Rn. 5; OVG SH, B.v. 11.2.2022 – 5 MB 2/22 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 23.7.2015 – 16 B 656/15 – juris Rn. 2 ff.; B.v. 5.1.2015 – 16 B 1026/14 – juris Rn. 7; vgl. auch BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 9.18 – Buchholz 442.10 § 3 StVG Nr. 21 Rn. 30). Bei einer Dauerbehandlung mit Arzneimitteln entfällt die Fahreignung gemäß Anlage 4 FeV in Nr. 9.6.2 nur bei einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß.
16
Der Antragsteller wendet sich allein gegen die erstinstanzliche Annahme des Konsums einer sog. harten Droge. Sein Vortrag, der gutachterliche Befund nach rechtsmedizinischer Untersuchung seiner Blutprobe vom 3. Juni 2023 sei auf die Einnahme des amphetaminhaltigen ADHS-Medikaments Elvanse adult (vgl. dazu Patzak in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl. 2024 Stoffe „Lisdexamphetamin“ Rn. 389) zurückzuführen, ist durch das rechtsmedizinische Zusatzgutachten vom 2. Mai 2024 jedoch widerlegt. Dem hat er nichts entgegengesetzt.
17
Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
18
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die ausgeschiedenen Nebenverfügungen bleiben bei der Streitwertberechnung außer Betracht.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).