Titel:
Vorläufiger Rechtschutz gegen Entziehung der Fahrerlaubnis
Normenketten:
StVG § 2 Abs. 4 S. 1 Alt. 2, § 3 Abs. 1 S. 1, § 4
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5, Abs. 5, § 46 Abs. 1 S. 1, S. 2
Anlage 4a zur FeV
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5, § 88, § 113 Abs. 1 S. 1 analog, § 122
Leitsätze:
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (ebenso BVerwG BeckRS 2022, 15310). (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Aufklärung der Frage, ob eine Person zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, kann die Behörde die Beibringung eines medizinischen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens insbesondere dann anzuordnen, wenn gesichert ist, dass eine (erhebliche) Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen wurde. (Rn. 46) (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Derartige Anlasstaten setzen keine rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen voraus, sondern es genügt, wenn sich ihr Vorliegen aus Feststellungen der Polizei oder aus anderen Erkenntnissen in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hinreichend zuverlässig ergibt. Dabei können insbesondere auch Vorfälle berücksichtigt werden, in denen strafrechtliche Verfahren eingestellt wurden oder von der Erhebung öffentlicher Klage abgesehen wird. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, (erhebliche) Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, negatives Fahreignungsgutachten, verwertbar, vorläufiger Rechtschutz, medizinisch-psychologischen Gutachtens, Fahreigungsgutachten
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.06.2024 – 11 CS 24.811
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15384
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der ihm gegenüber ausgesprochenen Fahrerlaubnisentziehung und Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins und begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner hiergegen erhobenen Klage.
2
1. Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
3
Ausweislich einer Mitteilung der Verkehrspolizeiinspektion Schweinfurt Werneck vom 2. November 2020 verursachte der Antragsteller am 21. September 2020 auf der BAB … an der Anschlussstelle G* … einen Verkehrsunfall, bei welchem er und sein Beifahrer leichte Verletzungen erlitten. Der Beifahrer des Antragstellers stellte gegen diesen Strafantrag wegen fahrlässiger Körperverletzung.
4
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Schweinfurt vom 16. November 2020 verwies diese die Anzeige mangels öffentlichen Interesses auf den Privatklageweg und gab das Verfahren zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten an die Verwaltungsbehörde ab.
5
Aufgrund des Vorfalls wurde für den Antragsteller ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen.
6
Mit Bescheid vom 5. Februar 2021 ordnete die Fahrerlaubnisbehörde am Landratsamt Schweinfurt (in der Folge: Fahrerlaubnisbehörde) die Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar für Fahranfänger an, an welchem dieser im Zeitraum vom 25. März bis 9. April 2021 teilnahm.
7
Unter dem 26. Januar 2022 teilte die Polizeiinspektion Schweinfurt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass der Antragsteller versucht habe, mit einem verfälschten Führerschein bei einer Fahrzeugvermietung ein Fahrzeug anzumieten, für welches die Fahrerlaubnis der Klasse C erforderlich ist. Der Kläger habe durch die Verfälschung des Führerscheins den Anschein erwecken wollen, die notwendige Fahrerlaubnis innezuhaben und damit eine Urkundenfälschung begangen.
8
Mit Verfügung vom 25. März 2022 sah die Staatsanwaltschaft Schweinfurt von der Verfolgung gemäß § 45 Abs. 2 JGG gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 250,00 EUR ab.
9
Mit Schreiben vom 27. April 2022 wurde der Antragsteller von der Fahrerlaubnisbehörde zur persönlichen Vorsprache zur Klärung von Eignungszweifeln betreffend die Kraftfahreignung aufgefordert. Eine Vorsprache fand am 9. Mai 2022 statt.
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Ein gegen den Antragsteller wegen Nötigung und Freiheitsberaubung im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Sicherheitskraft bei einer Festveranstaltung eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Schweinfurt vom 9. Mai 2023 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
11
Am 19. April 2023 kam es auf der Bundesstraße … zu einem Verkehrsunfall unter Beteiligung eines vom Antragsteller geführten Fahrzeugs mit Anhänger.
12
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Haßfurt vom 12. August 2023 wurde der Antragsteller aufgrund des Vorfalls vom 19. April 2023 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist zur Wiedererteilung von sieben Monaten entzogen.
13
Auf einen vom Antragsteller eingelegten und in der Hauptverhandlung auf die Rechtsfolgen beschränkten Einspruch hin, änderte das Amtsgericht Haßfurt den Strafbefehl mit rechtskräftigem Urteil vom 27. September 2023 ab und verurteilte den Antragsteller wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen und sprach ein Fahrverbot für die Dauer von sechs Monaten aus.
14
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2023 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf, welches zu folgender Frage Stellung nehmen sollte:
„Ist trotz der aktenkundigen erheblichen Straftat/en (im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr/im Zusammenhang mit der Fahreignung zu er warten, dass [der Antragsteller] zukünftig nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen oder Strafgesetze verstoßen wird?“
15
Zur Begründung stützt sich die Fahrerlaubnisbehörde auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV, wonach bei einer erheblichen Straftat oder Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, eine medizinisch-psychologische Untersuchung angeordnet werden könne. Hier lägen mit der Urkundenfälschung eines Führerscheins im Oktober 2021 und dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis erhebliche Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr vor. Nachdem der Antragsteller wegen dieser Straftaten schuldig gesprochen worden sei bzw. ihm Auflagen auferlegt worden seien, bestünden Zweifel an der charakterlichen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen.
16
Am 1. März 2024 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten ein medizinisch-psychologisches Gutachten der TÜV Thüringen Fahrzeug GmbH & Co. KG vom 5. Februar 2024 vorlegen. Dieses kommt zum Ergebnis, dass aufgrund der aktenkundigen erheblichen Straftaten zu erwarten sei, dass der Antragsteller zukünftig erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde.
17
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller aufgrund einer verminderten Kontroll- und Anpassungsfähigkeit vermehrt oder erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen habe. Es seien diagnostisch relevante Merkmale festzustellen. Der Antragsteller habe eine erneute Auffälligkeit im Straßenverkehr nach einer qualifizierten fahreignungsfördernden Intervention (Aufbauseminar) gezeigt und sei nach einem schweren, selbst verursachten Verkehrsunfall mit Fremdschädigung erneut mit risikobereitem Verhalten im Straßenverkehr aufgefallen. Es habe zudem in der Vorgeschichte eine Strafanzeige vorgelegen. Der Antragsteller habe eine überhöhte Selbstwirksamkeitserwartung bei der Bewältigung von Verkehrssituation aufgewiesen und sich unreflektiert gegenüber gefährlichen Einflussfaktoren auf die Verkehrssicherheit, wie Übermüdung, Ablenkung oder gesundheitliche Beeinträchtigungen, gezeigt. Die mit seinem Verhalten einhergehende Fremdgefährdung habe er entweder nicht wahrgenommen oder diese habe nicht zu einer Verhaltensänderung geführt. Eine positive Prognose entsprechend der Beurteilungskriterien könne für den Antragsteller nicht gestellt werden. Der Antragsteller habe zwar angegeben, sich zukünftig an die Verkehrsregeln halten zu wollen, an der Umsetzung bestünden aber Zweifel. Er habe außer einem psychologischen Gespräch keine fachlichen Maßnahmen zur Aufarbeitung seines Fehlverhaltens in Anspruch genommen und die Hintergründe des problematischen Verhaltens unabhängig davon nicht erkannt und aufgearbeitet sowie keine nachvollziehbaren Einstellungs- und Verhaltensänderungen vorgenommen. Die Akzeptanz einer Eigenverantwortung für die Deliktvorgeschichte werde nicht deutlich. Die Schilderungen des Antragstellers seien gekennzeichnet von Verleugnungs- bzw. Schuldabschiebungstendenzen und insgesamt nicht nachvollziehbar. Sie stünden zudem im Widerspruch zu aktenkundigen Informationen. Er zeige noch keine selbstkritische Einschätzung seines früheren Verhaltens im Straßenverkehr und das von der Norm Abweichende werde auch rückblickend noch nicht klar realisiert. Es bestünden insoweit noch deutliche Bagatellisierungstendenzen. Ein ausreichendes Problembewusstsein und eine entsprechende Motivation zur Einstellungsänderung seien beim Antragsteller nicht erkennbar. Als Grund für seine Verhaltensvorsätze führe der Antragsteller vor allem die derzeitigen Probleme im Hinblick auf die Fahrerlaubnis an. Eine solche Sichtweise beinhalte regelmäßig einen abnehmenden Veränderungsdruck nach Abschluss des Verfahrens zur Belassung der Fahrerlaubnis; die Motivation zur dauerhaften Verhaltensänderung müsse in Frage gestellt werden. Der Antragsteller habe sich mit den persönlichen Hintergründen seiner Auffälligkeiten noch nicht auseinandergesetzt. Der Antragsteller habe auch keine konkreten Strategien zur Vermeidung erneuter Auffälligkeiten entwickelt und nur vage Vorsätze geäußert. Insgesamt seien die Voraussetzungen für eine günstige Prognose nicht erfüllt und es könne nicht von einer verantwortungsbewussten und regelkonformen Verkehrsteilnahme ausgegangen werden.
18
Der Bevollmächtigte des Antragstellers führt mit Vorlage des Gutachtens aus, dass die Ausführungen im Gutachten mangelhaft und unzutreffend seien. Die Gutachterin habe sich mit dem Sachverhalt, in dem ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu Grunde gelegt worden sei, in keiner Weise ordnungsgemäß auseinandergesetzt. Die Ausführungen aus dem Strafverfahren fänden keine Berücksichtigung.
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Mit Schreiben vom 5. März 2024 hörte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis an.
20
Mit Bescheid vom 19. März 2024 – dem Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 21. März 2024 – wurde dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen entzogen (Nr. 1 des Bescheides) und er wurde verpflichtet, seinen Führerschein spätestens sieben Tage nach Zustellung des Bescheides abzugeben (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3) und dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR angedroht, falls er der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins nicht oder nicht fristgerecht nachkommt (Nr. 4). Dem Antragsteller wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 5) und für den Bescheid eine Gebühr in Höhe von 205,00 EUR sowie Auslagen in Höhe von 4,45 EUR festgesetzt (Nr. 6).
21
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Entziehung der Fahrerlaubnis stütze sich auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV. Danach habe die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise. Dies sei beim Antragsteller auf Grund des Ergebnisses des medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 5. Februar 2024 der Fall. Dieses komme nachvollziehbar und schlüssig zu dem Ergebnis, dass aufgrund der aktenkundigen erheblichen Straftaten zu erwarten sei, dass der Antragsteller zukünftig erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Dass das Amtsgericht Haßfurt den Strafbefehl abgeändert und anstelle einer Entziehung der Fahrerlaubnis ein Fahrverbot verhängt habe, sei für die Bewertung der Fahreignung nicht weiter von Relevanz, da die Fahrerlaubnisbehörde nicht an die strafrechtliche Entscheidung im Gerichtsverfahren gebunden sei. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung nahelegten, seien nicht ersichtlich oder vorgebracht. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei daher geboten. Die privaten Interessen des Antragstellers hätten hinter die Interessen der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurückzutreten. Die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins beruhe auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV. Der sofortige Vollzug der Entziehung der Fahrerlaubnis sei dringend geboten, um die Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr aufrechtzuerhalten. Fahrerlaubnisinhaber, deren Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zumindest zweifelhaft sei, stellten eine erhebliche Gefahr für den öffentlichen Straßenverkehr dar und es bestehe ein öffentliches Interesse, dass diese nicht bis zum Abschluss eines eventuellen Verwaltungsstreitverfahrens weiter am Straßenverkehr teilnähmen. Das private Interesse des Antragstellers habe hinter den elementaren Sicherheitsbedürfnissen aller anderer Verkehrsteilnehmer zurückzustehen. Hinsichtlich der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins sei der Sofortvollzug anzuordnen gewesen, da durch das weitere Vorliegen eines Führerscheindokuments der falsche Rechtsschein einer bestehenden Fahrerlaubnis erweckt werden könne.
22
Am 25. März 2024 gab der Antragsteller seinen Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde ab.
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2. Am 5. April 2024 ließ der Antragsteller im Verfahren W 6 K 24.563 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren sinngemäß beantragen,
Die sofortige Vollziehung der Nr. 1, 2 und 3 des Bescheides des Landratsamtes Schweinfurt vom 19. März 2024, Az.: … ist auszusetzen und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen und dem Antragsgegner aufzugeben, den vom Antragsteller abgegeben Führerschein unverzüglich wieder an diesen zurückzugeben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV habe bereits nicht erfolgen dürfen, da zum einen der Sachverhalt der behaupteten Urkundenfälschung im Oktober 2021 nicht nachgewiesen sei und zum anderen die besonderen Umstände des Sachverhaltes am 19. April 2023 in keiner Weise Berücksichtigung gefunden hätten. Der Antragsteller habe sowohl im Strafverfahren als auch gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde bestritten, eine Urkundenfälschung begangen zu haben. Der Sachverhalt sei nach dem Absehen von der Verfolgung nach § 45 Abs. 2 JGG in keiner Weise bewiesen und habe daher sowohl im streitgegenständlichen Bescheid als auch in der medizinisch-psychologischen Untersuchung keine Berücksichtigung finden dürfen. Insbesondere die Ausführungen auf S. 7 des Gutachtens und die dazu gehörenden Fragen und Vorhalte hätten so nicht gestellt werden dürfen. Der Antragsteller habe auch nicht wie von der Gutachterin behauptet, eine Geldstrafe zahlen müssen, sondern eine Auflage erfüllt. Das Gutachten sei auch deshalb mangelhaft, da dem Antragsteller in Bezug auf die Deliktsverarbeitung und -vermeidung eine Anzeige wegen Nötigung und Freiheitsberaubung vom 19. März 2023 vorgehalten worden sei, obwohl dieses Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei, da kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorgelegen habe. Dies dürfe daher auch keine Berücksichtigung hinsichtlich der Fahreignung des Antragstellers finden. Das Gutachten berücksichtige zudem hinsichtlich des Vorfalls am 19. April 2023 nicht, dass der Antragsteller aufgrund der Weisung seines Arbeitgebers bis zum nächsten Ort weitergefahren und sich in einer absoluten Zwangslage befunden habe. Auch sei er von seinem Arbeitgeber angewiesen worden, das Fahrzeug zu fahren. Dies werde in der medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht berücksichtigt. Der vom Gutachten behauptete Widerspruch zu aktenkundigen Informationen liege nicht vor. Der Sachverständige berücksichtige auch hinsichtlich des Vorfalls vom 27. September 2020 nicht, dass der Strafanzeige mangels öffentlichen Interesses nicht Folge gegeben worden sei und kein strafrechtliches Verhalten vorliege. Trotzdem werde dem Antragsteller der Sachverhalt vorgehalten und sich dabei nur auf die Aussage des damaligen Beifahrers gestützt. Aufgrund des mangelhaften Gutachtens habe die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis nicht entziehen dürfen.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 26. April 2024 ließ der Antragsteller sein Vorbringen vertiefen und ergänzend vortragen: Der Antragsgegner berücksichtige nicht, dass der Antragsteller die Urkundenfälschung im Strafverfahren bestritten habe. Auch hinsichtlich des Vorfalls am 19. April 2023 werde das Vorbringen nicht hinreichend berücksichtigt. Zwar sei der Antragsgegner bzw. die begutachtende Stelle bei der Bewertung nicht an die strafrechtlichen Entscheidungen gebunden, allerdings dürfe kein nachweisbar falscher Sachverhalt konstruiert werden.
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Das Landratsamt Schweinfurt beantragt für den Antragsgegner:
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Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
28
Zur Begründung wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen und ergänzend ausgeführt: Die Nichteignung stehe aufgrund des vorgelegten Gutachtens fest. Dieses stelle eine eigenständige Tatsache dar, welche von der Fahrerlaubnisbehörde unabhängig von der Rechtmäßigkeit der zugrundliegenden Gutachtensanordnung verwertet werden dürfe. Dass die Begutachtungsstelle den Antragsteller auf die nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellte Nötigung anspreche, sei nicht geeignet, die Verwertbarkeit des Gutachtens zu verneinen. Dieser Sachverhalt sei nicht unrechtmäßig verwertet worden, da dieser bei der Bewertung der Befunde im Gutachten in keiner Weise Erwähnung finde. Der Sachverhalt vom 19. März 2023 sei im Gutachten ausreichend beachtet worden. Die Gutachterin sei auf alle vom Antragsteller begangenen Verkehrsverstöße und Straftaten eingegangen. Der negative Ausgang des Gutachtens sei zudem nicht allein auf das unerlaubte Entfernen von Unfallort zurückzuführen, sondern auch darauf, dass der Antragsteller die Tat vom 21. September 2020 im Rahmen der Begutachtung anders dargestellt habe, als sie sich laut Unfallaufnahme durch die Polizei, der Aussage des Beifahrers und auch der eigenen Aussage des Antragstellers im Rahmen der Unfallaufnahme ereignet habe. Die Schlussfolgerung, dass der Antragsteller noch keine selbstkritische Einschätzung seines früheren Verhaltens im Straßenverkehr zeige, sei nachvollziehbar. Es werde verkannt, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei der Bewertung der Fahreignung nicht an die strafrechtlichen Entscheidungen gebunden sei und auch solche Sachverhalte heranziehen dürfe, die durch Gerichte nach Auflagenerfüllung eingestellt worden seien. Aufgrund der Vielzahl an Auffälligkeiten sei eine kritische Gesamtwürdigung der charakterlichen Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geboten gewesen.
29
3. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich des Verfahrens W 6 K 24.563) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
30
Der Antrag hat keinen Erfolg.
31
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) sind die in den Schriftsätzen vom 4. April und 16. April 2024 formulierten Anträge dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner im Verfahren W 6 K 24.563 erhobenen Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheides des Landratsamtes Schweinfurt vom 19. März 2024 begehrt (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO). Der weitere Antrag, dem Antragsgegner aufzugeben, dem Antragsteller seinen Führerschein unverzüglich wieder auszuhändigen, hat daneben keine eigenständige Bedeutung, da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Antragsgegner im Falle eines Obsiegens des Antragstellers seiner dahingehenden Verpflichtung nicht nachkommen würde.
32
Der so verstandene Antrag ist statthaft, da die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit aufgrund der in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides angeordneten sofortigen Vollziehung entfällt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
33
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind und trifft im Übrigen eine eigene Abwägungsentscheidung. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
34
Gemessen hieran hat der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheides vom 19. März 2024 keinen Erfolg, da diese sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweisen und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).
35
Der Antragsgegner ist zu Recht von der Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen und hat ihm die Fahrerlaubnis entzogen und die Herausgabe seines Führerscheins angeordnet. Das Vorbringen des Antragstellers führt zu keiner abweichenden Sichtweise.
37
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere auch soweit er sich auf die Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides bezieht. Zwar hat der Antragsteller seinen Führerschein am 25. März 2024 bei der Fahrerlaubnisbehörde abgegeben. Jedoch hat sich die darauf bezogene Ziffer des Bescheides trotz Erfüllung der angeordneten Verpflichtung nicht erledigt, da von ihr weiterhin Rechtswirkungen ausgehen, als dass sie den Rechtsgrund für das vorläufige Behalten dürfen dieses Dokuments darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris Rn. 22; VG München, B.v. 9.10.2023 – M 19 S 23.2625 – juris Rn. 28). Dem Antrag kommt damit auch insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis zu.
38
2. Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 3 des Bescheides vom 19. März 2024 liegen vor.
39
Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist gleichwohl eine auf den konkreten Einzelfall abstellende, nicht lediglich formelhafte Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 80 Rn. 85 m.w.N.). Maßgebend ist, dass der Antragsgegner mit seiner Begründung in hinreichender Weise zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Anordnung des Sofortvollzugs wegen der besonderen Situation im Einzelfall für unverzichtbar hält. Ausreichend ist jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalles eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind. Je nach Fallgestaltung können die Gründe für die sofortige Vollziehung auch ganz oder teilweise mit den Gründen für den Erlass des Verwaltungsaktes identisch sein und sich hierdurch das Begründungserfordernis reduzieren.
40
Es ist zu beachten, dass sich die Behörde im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört, zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken kann, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt. Der Umstand, dass im streitgegenständlichen Bescheid angesprochene Gesichtspunkte auch in einer Vielzahl anderer Verfahren zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verwendet werden können, führt deshalb nicht zu einem Verstoß gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO (st.Rspr., vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.7.2019 – 11 CS 19.1041 – Rn. 16, juris, m.w.N.).
41
Gemessen hieran hat der Antragsgegner in der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides hinreichend dargelegt, warum beim Antragsteller erhebliche Zweifel an der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges bestehen bzw. dieser insoweit ungeeignet ist. Das besondere öffentliche Interesse, die Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr sofort zu unterbinden und die Bestandskraft des Bescheids nicht abzuwarten, wird mit der Nichteignung bzw. den erheblichen Eignungszweifeln und der damit einhergehenden Gefährdung des Straßenverkehrs begründet. Dieses öffentliche Interesse wurde mit den persönlichen Interessen des Antragstellers abgewogen, was den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Hinsichtlich der Nr. 2 stellt die Begründung in ausreichender Weise darauf ab, dass durch das Belassen der entsprechenden Dokumente der Rechtsschein erweckt werde, dass die damit verbundenen Fahrerlaubnisse weiterbestehen.
42
Dem rein formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist damit genügt. Ob die angegebenen Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen, ist eine Frage des materiellen Rechts (vgl. VG Würzburg, B.v. 31.5.2023 – W 6 S 23.588 – juris Rn. 37 m.w.N.).
43
3. Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geboten, aber auch ausreichend ist, ergibt, dass die Klage in der Hauptsache gegen die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
44
Diese erweisen sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog). Das Gericht verweist insoweit zunächst auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Das Vorbringen des Antragstellers führt zu keiner anderen Beurteilung.
45
Ergänzend ist auszuführen:
46
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere der Fall, wenn erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat damit die Möglichkeit, zur Aufklärung der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers die Beibringung eines medizinischen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.
47
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides (stRspr.; zuletzt etwa: BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – juris Rn. 13; U.v. 11.4.2019 – 3 C 14/17 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 7.9.2023 – 11 CS 23.1298 – juris Rn. 12).
48
Vorliegend hat die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 6. Dezember 2023 die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgrund aus ihrer Sicht bestehender Eignungszweifel wegen zweier erheblicher, im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehenden Straftaten angefordert und dies auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV gestützt. Danach kann ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, angeordnet werden.
49
Dabei setzt § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV hinsichtlich der Anlasstaten keine rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen voraus, sondern es genügt, wenn sich ihr Vorliegen aus Feststellungen der Polizei oder aus anderen Erkenntnissen in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hinreichend zuverlässig ergibt, wobei insbesondere auch Vorfälle berücksichtigt werden können, in denen strafrechtliche Verfahren eingestellt wurden oder von der Erhebung öffentlicher Klage abgesehen wurde (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 11 FeV, Rn. 35a m.w.N. zur Rechtsprechung). Es ist in diesem Zusammenhang aber zu berücksichtigen, dass die Regelungen des Fahreignungsbewertungssystems nach § 4 StVG im Bereich der verkehrsrelevanten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bei Fahrerlaubnisinhabern gegenüber den allgemeinen Vorschriften zur Überprüfung der Fahreignung und Entziehung der Fahrerlaubnis als speziellere Vorschriften Vorrang haben und bei mit Punkten zu bewertenden erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen Verkehrsvorschriften oder Strafgesetze nur im Ausnahmefall ein Abweichen vom Fahreignungsbewertungssystem zulässig ist, dessen Vorliegen in der Gutachtensanordnung explizit zu begründen ist (vgl. BayVGH, U.v. 6.8.2012 – 11 B 12.416 – juris Rn. 24).
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Ob die Beibringungsaufforderung vom 6. Dezember 2023 diese Anforderungen erfüllt, kann vorliegend allerdings dahinstehen, da – wie der Antragsgegner bereits zutreffend ausgeführt hat – der Antragsteller das geforderte Fahreignungsgutachten vorgelegt hat und dieses als neue Tatsache ungeachtet der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Gutachtensanordnung von der Fahrerlaubnisbehörde verwertet werden darf (stRspr.; vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2012 – 3 C 30.11 – juris Rn. 11; U.v. 28.4.2010 – 3 C 2.10 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 28.6.2022 – 11 CS 22.1009 – juris Rn. 15; B.v. 18.1.2022 – 11 CS 21.1767 – juris Rn. 12). Das Gericht weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass bei summarischer Prüfung aufgrund der Aktenlage keine Bedenken an der Heranziehung des Vorfalls aus dem Oktober 2021 bestehen. Das Absehen von Verfolgung nach § 45 Abs. 2 JGG hindert die Fahrerlaubnisbehörde – wie oben dargelegt – nicht daran, den Vorfall als Anlass zur Überprüfung der Fahreignung zu nehmen, zumal die tatsächlichen Umstände aufgrund des vorliegenden Polizeiberichts (Bl. 129 ff. der Behördenakte) und der Verfügung der Staatsanwaltschaft Schweinfurt (Bl. 127) als hinreichend geklärt anzusehen sind.
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Das Gutachten vom 5. Februar 2024 kommt nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Das Gericht hat bei summarischer Prüfung keine Zweifel an dessen Verwertbarkeit.
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Das Fahreignungsgutachten genügt den Anforderungen des § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a Nr. 2 Buchst. a und b an die Nachvollziehbarkeit, Nachprüfbarkeit und Vollständigkeit (vgl. hierzu zuletzt BayVGH, B.v. 14.9.2022 – 11 CS 22.876 – juris Rn. 19 m.w.N.). Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, hat sich der Gutachter an die durch die Fahrerlaubnisbehörde vorgegebene Fragestellung zu halten (Nr. 1 Buchst. a der Anlage 4a zur FeV). Das Gutachten muss in allgemeinverständlicher Sprache abgefasst sowie nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen (Nr. 2 Buchst. a der Anlage 4a zur FeV). Zudem setzt die Nachvollziehbarkeit die Einhaltung allgemeiner Grundsätze zur Verwertbarkeit von Gutachten voraus. Dazu gehört u.a., dass das Gutachten von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, keine inhaltlichen Widersprüche oder fachlichen Mängel aufweist, kein Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters besteht und das Ergebnis nicht durch substantiierten Vortrag der Beteiligten oder eigene Überlegungen der Behörde bzw. des Gerichts ernsthaft erschüttert wird.
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Diesen Anforderungen wird das Gutachten gerecht. Dessen Verwertbarkeit wird durch die Einwände des Antragstellers nicht substantiiert in Zweifel gezogen.
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Das Fahreignungsgutachten vom 5. Februar 2024 stellt im Ergebnis fest, dass der Antragsteller aufgrund einer verminderten Kontroll- und Anpassungsfähigkeit vermehrt oder erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat. Dies entspricht der Hypothese V 2 der Beurteilungskriterien zur Urteilsbildung in der Fahreignung (4. Aufl. 2022). Das Gutachten legt dabei schlüssig und nachvollziehbar anhand der hierfür in den Beurteilungskriterien genannten Kriterien dar, wie es zu dieser Schlussfolgerung kommt.
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So wird diagnostisch festgestellt, dass der Antragsteller nach einer qualifizierten fahreignungsfördernden Intervention, dem Aufbauseminar für Fahranfänger im Jahr 2021, eine erneute Auffälligkeit im Straßenverkehr gezeigt und zudem nach einem schweren, selbst verursachten Verkehrsunfall mit Fremdschädigung – dem Unfall im Jahr 2020 – erneut mit risikobereitem Verhalten im Straßenverkehr aufgefallen ist. Das Gutachten legt hierbei die anhand der Aktenlage zutreffende Sachlage zu Grunde und kommt nachvollziehbar zu der Einschätzung, dass beim Antragsteller mithin das Kriterium V 2.1 N für das Vorliegen einer verminderten Kontroll- und Anpassungsfähigkeit erfüllt ist.
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Nach dem Kriterium V 2.1 N liegt eine verminderte Kontroll- und Anpassungsfähigkeit vor, wenn aus der Vorgeschichte abzuleiten ist, dass der jeweilige Betroffene sein Verhalten im Straßenverkehr auch nach erlebten negativen Konsequenzen nicht ausreichend anpassen konnte oder der Ausprägungsgrad seines riskanten Verhaltens erkennen lässt, dass es ihm an der Bereitschaft fehlt, sein Verhalten auch an den Schutzinteressen anderer auszurichten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine erneute Auffälligkeit nach einem Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung nach § 70 FeV oder einer anderen qualifizierten fahreignungsfördernden Intervention gezeigt wird (Kriterium V 2.1 N; Nr. 2). Für die Annahme der Hypothese V 2 ist es in der Regel ausreichend, wenn eines der diagnostischen Kriterien sich als erfüllt herausstellt (Beurteilungskriterien, Teil B.4, Hypothese V 2, S. 202).
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Dies ist beim Antragsteller ohne Weiteres anzunehmen. Er ist nach dem Ablegen eines Aufbauseminars für Fahranfänger im Jahr 2021 am 19. April 2023 erneut im Straßenverkehr auffällig geworden. Auf die genaue strafrechtliche Einordnung und die strafrechtlichen Folgen dieses Vorfalls kommt es nicht an. Im Übrigen wurde der Antragsteller im Rahmen des Untersuchungsgesprächs offen danach gefragt, wie es zu dieser Auffälligkeit gekommen ist und hat seine Sicht der Dinge darstellen können (Bl. 34 f. der Behördenakte). Dieses Gespräch ist für die Beurteilung der Fahreignung maßgeblich und nicht die Äußerungen des Antragstellers im Strafverfahren, da es insbesondere auch darauf ankommt, wie der Antragsteller mit dem Vorfall umgegangen ist und ob er aufgrund dessen ggf. sein Verhalten – unabhängig etwaiger strafrechtlicher Konsequenzen – angepasst hat.
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Das Gutachten kommt in der Folge ebenfalls nachvollziehbar und schlüssig zu der Einschätzung, dass die Kriterien für eine positive Prognose beim Vorliegen der Hypothese V 2 der Beurteilungskriterien im Fall des Antragstellers nicht erfüllt sind. Die Darstellung orientiert sich an den hierzu in den Beurteilungskriterien genannten Kriterien zur Problembewältigung V 2.6 N bis V 2.8 N und den dort genannten Indikationen bzw. Kontraindikationen.
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Insbesondere wird nachvollziehbar dargestellt, dass der Antragsteller bislang keine tragfähigen Vermeidungsstrategien entwickelt hat und sich etwaige Vorsätze vor allem aufgrund der derzeitigen Probleme hinsichtlich seiner Fahrerlaubnis ergeben (Bl. 41 der Behördenakte). Der Antragsteller hat insoweit nur vage Vorsätze zur Vermeidung zukünftiger Verstöße geäußert, wie er wolle rücksichtsvoller sein und mehr auf den Verkehr achten (Bl. 36). Dies stellt eine Kontraindikation für eine positive Prognose nach Kriterium V 2.7 N, Nr. 3 Abs. 1 der Beurteilungskriterien dar. Auch, dass der Antragsteller wiederholt vor allem die Probleme, welche mit einer fehlenden Fahrerlaubnis verbunden sind (Bl. 35), anführt, lässt die Einschätzung des Gutachtens, die Motivation zur dauerhaften Verhaltensänderung müsse in Frage gestellt werden, nachvollziehbar erscheinen.
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Auch die Annahme, dass beim Antragsteller noch keine selbstkritische Einschätzung seines früheren Verhaltens im Straßenverkehr stattgefunden hat, ist nachvollziehbar und schlüssig. Der Antragsteller hat sich selbst trotz der wiederholten Auffälligkeiten als einen Verkehrsteilnehmer beschrieben, der sich in der Vergangenheit immer an die Verkehrsregeln gehalten habe (Bl. 35), was die vom Gutachten dargestellten Bagatellisierungstendenzen unterstreicht.
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Zusammenfassend stellt sich die Einschätzung und das Ergebnis des Gutachtens aus Sicht der Kammer anhand der einschlägigen Beurteilungskriterien schlüssig und nachvollziehbar dar. Der Antragsteller zieht die Verwertbarkeit des Gutachtens durch sein Vorbringen nicht substantiiert in Zweifel. Insbesondere geht die Begutachtungsstelle nicht von einem unzutreffenden Sachverhalt aus.
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Soweit moniert wird, der Vorfall aus dem Jahr 2021 (Urkundenfälschung) habe aufgrund des Absehen von der Verfolgung nicht bei der Bewertung der Fahreignung berücksichtigt werden dürfen und sei im Übrigen vom Antragsteller bestritten worden, greift dies nicht durch. Der zugrundeliegende Sachverhalt weist ungeachtet der genauen strafrechtlichen Einordnung / Sanktionierung ohne Weiteres straßenverkehrsrechtlichen Bezug auf und konnte zur Klärung der Fahreignung herangezogen werden. Wie oben bereits dargestellt, kommt es maßgeblich auf die Bewertung der im Rahmen des Untersuchungsgesprächs vom Antragsteller gemachten Angaben an. Die Begutachtung geht insoweit auch nicht von einem unzutreffenden Sachverhalt aus, wenn die Rede davon ist, der Antragsteller habe eine Geldstrafe zahlen müssen, was tatsächlich nicht zutrifft. Die Falschbezeichnung der entrichteten Geldauflage als Geldstrafe durch eine juristische Laiin schadet insoweit nicht. Es ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht allein eine Bewertung des vergangenen Verhaltens des jeweiligen Betroffenen stattfindet, sondern eine Prognose im Hinblick auf ein zukünftig zu erwartendes verkehrsgerechtes Verhalten vorgenommen wird.
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Auch, dass die Gutachterin den Antragsteller auf die Anzeige wegen Nötigung und Freiheitsberaubung am 19. März 2023 angesprochen hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist aus dem Gutachten erkennbar (Bl. 35), dass dieses nicht davon ausgeht, der Antragsteller habe insoweit eine Straftat begangen oder sei deshalb gar verurteilt worden, da lediglich davon die Rede ist, ob er Parallelen zwischen den Verkehrsauffälligkeiten und seinem früheren Verhalten sehe. Diese Verknüpfung ist bei der erforderlichen Aufklärung der persönlichen Umstände des Antragstellers zulässig, jedenfalls stützt sich aber ungeachtet dessen das gefundene Ergebnis in keiner Weise auf diesen Vorfall.
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Zuletzt hatte der Antragsteller auch hinsichtlich des Unfalls am 27. September 2020 die Möglichkeit, seine Sicht unter Vorhalt des insoweit verfügbaren Akteninhalts zu schildern. Dies ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
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Nach alledem konnte der Antragsgegner von einer Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen und die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV entziehen. Dass in dem Urteil des Amtsgericht Haßfurt vom 27. September 2023 von der zunächst im Strafbefehl ausgesprochenen (strafgerichtlichen) Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen wurde, führt zu keiner anderen Sichtweise, da hiermit keine positive Feststellung der Fahreignung verbunden ist, da das Urteil hierzu keinerlei Ausführungen enthält.
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Die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung steht nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde, weshalb etwaige hiermit verbundene einschneidende Konsequenzen für den Antragsteller keine Berücksichtigung finden können.
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Hinsichtlich der in Nr. 2 des Bescheides ausgesprochenen Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins sind Fehler weder erkennbar noch vorgetragen. Insoweit wird auf die Ausführungen im Bescheid Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
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Nach alledem hat die Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides bei summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg.
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4. Auch bei Abwägung der gegenseitigen Interessen war kein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage festzustellen. Es ist nicht verantwortbar, den Antragsteller bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind. Die sicherheitsrechtliche Fahrerlaubnisentziehung ist eine präventive Maßnahme zum Schutz der Sicherheit im Straßenverkehr. Sie mag im Einzelfall einschneidende Folgen für die Lebensführung des Betroffenen haben, jedoch können persönliche Härten für den Antragsteller beim Entzug der Fahrerlaubnis, der als sicherheitsrechtliche Maßnahme im Interesse der Allgemeinheit ergeht, nicht berücksichtigt werden. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung käme nur dann in Betracht, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafür sprächen, dass der Antragsteller nicht bzw. nicht mehr fahrungeeignet ist und sich abschätzen ließe, dass das von ihm ausgehende Gefahrenpotenzial nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Nachdem der Antragsteller nichts vorgetragen hat, was die Negativprognose im vorgelegten Fahreignungsgutachten substantiiert in Frage stellt, ist derzeit von seiner Ungeeignetheit auszugehen. Es überwiegen deshalb die öffentlichen Interessen an der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs und das Interesse, die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrern am Straßenverkehr wirkungsvoll zu verhindern.
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5. Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Maßgeblich ist die Fahrerlaubnis der Klasse B, welche die übrigen Klassen umfasst. Für diese ist nach Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs der Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,00 EUR anzusetzen, welcher nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für das vorliegende Verfahren zu halbieren und auf 2.500,00 EUR festzusetzen war.