Titel:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkoholabhängigkeit – einstweiliger Rechtsschutz
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 7, § 13 S. 1 Nr. 1, § 46 Abs. 1, Abs. 3
FeV Anl. 4 Nr. 8.3, Nr. 8.4
Leitsätze:
1. Alkoholabhängigkeit schließt die Fahreignung aus, weil Alkoholabhängige grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit haben, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (vgl. BVerwG BeckRS 2015, 54701 Rn. 5). Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür weiterer Abklärung bedarf (VGH München BeckRS 2021, 23889 Rn. 26 mwN). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme der Überwindung einer Alkoholabhängigkeit in zeitlicher und qualitativer Hinsicht setzt neben einer Abstinenz von regelmäßig einem Jahr weiterhin die gutachterliche Prognose und Einschätzung voraus, dass die Verhaltensänderung hinreichend gefestigt und stabil ist (vgl. VGH München BeckRS 2018, 14533 Rn. 15). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Alkoholkonsum, der zu einem fachärztlich als Alkoholintoxikation diagnostizierten Zustand führt, weist nicht nur auf eine Verminderung der Kontrollfähigkeit hin, sondern – insbesondere nach längerer Abstinenz – auch auf den starken Wunsch oder Zwang, Alkohol zu konsumieren. Für eine Alkoholabhängigkeit sprechen auch eine seit langem ausgebildete und durch aktenkundige Blutalkoholkonzentrationen belegte erhebliche Alkoholtoleranz sowie ausgeprägte vegetative Entzugssymptome im Rahmen einer Entzugsbehandlung. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückfall in die Alkoholabhängigkeit, Abhängigkeitsdiagnose eines Bezirkskrankenhauses, Entzugsbehandlung, Alkoholabhängigkeit und Tennungsvermögen, Anordnung eines Gutachtens, Überwindung einer Alkoholabhängigkeit, Abstinenz von regelmäßig einem Jahr, gutachterliche Prognose, Alkoholintoxikation, Alkoholtoleranz, vegetative Entzugssymptome
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 14.11.2023 – B 1 S 23.868
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15380
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 8.750,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die vorläufige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A2, A1, AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T.
2
Seit 1992 wurde ihm mehrmals die Fahrerlaubnis wegen der Verkehrsteilnahme in schwer alkoholisiertem Zustand entzogen. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 8. November 2011 verurteilte ihn das Amtsgericht Kelheim wegen einer Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftrad am 21. August 2011 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,42 ‰; mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 25. September 2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Bamberg wegen einer Trunkenheitsfahrt mit einem Lkw am 19. Juni 2019 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,63 ‰. Die Fahrerlaubnis wurde ihm jeweils entzogen und nach Ablauf der verhängten Sperrfristen auf der Grundlage einer medizinisch-psychologischen Begutachtung wieder erteilt. Dem letzten medizinisch-psychologischen Gutachten vom 25. März 2021 ist zu entnehmen, dass ein Bezirkskrankenhaus, in dem der Antragsteller vom 11. bis 22. Oktober 2019 stationär behandelt wurde, eine Alkoholabhängigkeit (F10.2) diagnostizierte.
3
Am 23. April 2021 wurde dem Antragsteller erneut eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Gruppe 1 erteilt und am 4. Oktober 2021 aufgrund eines zusätzlichen verkehrspsychologischen Gutachtens vom 9. September 2021 eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Gruppe 2.
4
Mit Schreiben vom 20. Juli 2023 teilte die Polizei dem Landratsamt B. mit, ein Rettungswagen habe den Antragsteller am 14. Juli 2023 nach einer Suizidankündigung stark alkoholisiert, ansonsten aber unversehrt in das Bezirkskrankenhaus verbracht. Er habe angegeben, neun Biere getrunken zu haben und sich freiwillig zum Entzug in das Bezirkskrankenhaus begeben zu wollen.
5
Nach dem vorläufigen Arztbericht des Bezirkskrankenhauses vom 27. Juli 2023 befand sich der Antragsteller vom 14. bis 27. Juli 2023 zur stationären Diagnostik und Behandlung im Bezirkskrankenhaus, wo er eine qualifizierte Entzugsbehandlung erhielt, bei der ausgeprägte vegetative Entzugssymptome aufgetreten und medikamentös behandelt worden seien. Ferner sei eine affektive Stabilisierung nach Suchtmittelrückfall erfolgt. Es sei u.a. ein Alkoholentzugssyndrom (F10.3), eine Alkoholabhängigkeit (F10.2) und eine Alkoholintoxikation (F10.0) diagnostiziert worden. Die Entlassung sei auf Wunsch des Antragstellers erfolgt.
6
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 6. September 2023 ließ der Antragsteller mitteilen, er habe jahrelang seine Alkoholkrankheit im Griff gehabt, aber an dem Tag, an dem ihn seine Lebensgefährtin verlassen habe, Alkohol getrunken. Nun trinke er keinen Alkohol mehr und sei auf dem Weg der Konsolidierung. Es habe sich um einen einmaligen Rückfall gehandelt.
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Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis gab seine Bevollmächtigte mit Schreiben vom 22. September 2023 an, der Antragsteller habe nie einen Suizid angedroht oder geäußert. Seine Mutter habe mit dieser Behauptung den polizeilichen Einsatz beschleunigen wollen. Er habe niemanden gefährdet, da er nicht gefahren sei.
8
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2023 entzog das Landratsamt dem Antragsteller gestützt auf § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, den Führerschein spätestens innerhalb von fünf Tagen abzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis an.
9
Am 23. Oktober 2023 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte beim Verwaltungsgericht Bayreuth Klage erheben und beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 16. Oktober 2023 wiederherzustellen.
10
Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. November 2023 zurück. Die im vorläufigen Arztbrief des Bezirkskrankenhauses vom 27. Juli 2023 diagnostizierte Alkoholabhängigkeit des Antragstellers rechtfertige die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne vorherige Anordnung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens. Das Bezirksklinikum halte eine qualifizierte Abteilung für Suchtmedizin, auch Alkoholabhängigkeit, bereit. Der Diagnose komme aufgrund der Spezialisierung des Krankenhauses ein hohes Maß an Verlässlichkeit zu, auch wenn das Vorliegen der oben dargestellten Kriterien dem Bericht nicht im Einzelnen zu entnehmen sei, zumal es sich nicht um eine Erstdiagnose, sondern um einen Suchtmittelrückfall handele. Der Antragsteller habe selber eingeräumt, alkoholkrank im Sinne einer nicht heilbaren Dauererkrankung zu sein. Er sei augenscheinlich kein „trockener“ Alkoholiker. Die Diagnose ergebe sich nicht allein aus einer früheren Alkoholabhängigkeit. Vielmehr habe das Krankenhaus beim Antragsteller während des gesamten Klinikaufenthalts eine noch nicht überwundene Alkoholabhängigkeit angenommen. Zur Erreichung einer dauerhaften Abstinenz und weiteren Stabilisierung habe man eine strikte Alkoholkarenz, den Anschluss an eine Selbsthilfegruppe und regelmäßigen Kontakt zur Suchtberatung empfohlen. Bei einem Rückfall hätte er zur qualifizierten Entzugsbehandlung sofort wiederaufgenommen werden sollen. Im Bezirkskrankenhaus sei man also davon ausgegangen, dass auch nach Verlassen der Einrichtung fortdauernde Maßnahmen dringend erforderlich seien, um Abstinenz zu erreichen. Eine Abhängigkeitserkrankung bestehe auch bei Alkoholabstinenz nach überwiegender fachlicher Auffassung weiter. Im Übrigen entfalle im Regelfall bei jedem Alkoholkonsum eines bis dahin „trockenen“ Alkoholikers die Kraftfahreignung. Der Vortrag, beim Alkoholkonsum am 14. Juli 2023 habe es sich lediglich um ein einmaliges unvorhergesehenes Ereignis (Trennung von seiner Lebensgefährtin) gehandelt, führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Es sei nicht von einem „Ausrutscher“ auszugehen. Die vorliegenden Umstände, insbesondere die Diagnosen Abhängigkeit und Alkoholentzugssyndrom nach Suchtmittelrückfall im vorläufigen Arztbrief vom 27. Juli 2023 und die anhand der Behördenakte nachvollziehbare Historie von Verkehrsauffälligkeiten im Zusammenhang mit Alkoholkonsum, legten nahe, dass der Antragsteller alkoholabhängig sei. Es seien eine stationäre qualifizierte Entzugsbehandlung und affektive Stabilisierung erfolgt und ausgeprägte vegetative Entzugssymptome aufgetreten. Die Entlassung sei nur auf seinen Wunsch erfolgt. Dies sei mit einem einmaligen Konsum im Rahmen sonstiger Abstinenz nicht vereinbar. Derartige Entzugserscheinungen sprächen für eine nicht überwundene Alkoholabhängigkeit; ebenso, dass der Antragsteller im relevanten Zeitraum Ende Juni bis Ende Juli 2023 keinen Kontakt zur Selbsthilfegruppe gepflegt habe. Selbst im Fall einer erneuten Alkoholabhängigkeit wäre vor Entziehung der Fahrerlaubnis kein weiteres ärztliches Gutachten nach § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV einzuholen gewesen, da die Abhängigkeit aufgrund des Arztbriefes vom 27. Juli 2023 bereits hinreichend belegt sei. Auf die Verkehrsteilnahme komme es nicht an. Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV und Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sei die Fahreignung erst wieder gegeben, wenn die Abhängigkeit nach einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung nicht mehr bestehe und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen sei. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses habe dieser Nachweis wie auch ein medizinisch-psychologisches Gutachten gefehlt. Der eingereichte Vertrag zur Durchführung eines Abstinenzkontrollprogramms mit Untersuchungsbeginn am 10. August 2023 könne mithin nur ggf. im Wiedererteilungsverfahren eine Rolle spielen.
11
Nach einer Mitteilung des Bezirkskrankenhauses vom 20. November 2023 wurde der Antragsteller am 15. November 2023 zu einer voraussichtlich 13-wöchigen medizinischen Rehabilitation aufgenommen.
12
Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, bei der im vorläufigen Arztbrief des Bezirkskrankenhauses vom 27. Juli 2023 diagnostizierten Alkoholabhängigkeit handle es sich um eine Fehldiagnose. Der Antragsteller sei als „trockener Alkoholiker“ einzuordnen. In der Vergangenheit habe zwar eine Alkoholabhängigkeit bestanden, zum Zeitpunkt der Diagnose durch das Bezirkskrankenhaus aber nicht mehr. Die „alte“ Abhängigkeit sei fälschlicherweise als nach wie vor bestehende Alkoholabhängigkeit diagnostiziert worden. Im Hinblick auf die vorgelegten Unterlagen hätte sich das Gericht nicht auf die in dem Arztbrief gestellte Diagnose einer Alkoholabhängigkeit (F10.2) verlassen dürfen. Eine Haarprobe vom 10. November 2023 habe einen negativen Ethylglucuronidwert und keine Hinweise auf einen Alkoholkonsum während eines Zeitraums von ca. drei Monaten ergeben. Weder hätten sich Hinweise auf Abstinenzversuche oder Hinweise gefunden, die den Antragsteller als „Normaltrinker“ qualifiziert hätten, noch Hinweise auf einen übermäßigen Alkoholkonsum. Folglich habe es sich beim Rückfall im Juli 2023 tatsächlich um eine einmalige Sache gehandelt. In den Monaten August, September und Oktober habe der Antragsteller nachweislich keinerlei Alkohol konsumiert. An einer Alkoholabhängigkeit des Antragstellers bestünden mithin Zweifel. Auf die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV hätte daher nicht verzichtet werden dürfen. Das Gericht hätte sich nicht „blind“ auf die Diagnose „Alkoholabhängigkeit“ verlassen dürfen, zumal dieser keine näheren Angaben zu deren Feststellung zu entnehmen gewesen seien. Es führe selbst an, dass nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung die sichere Diagnose der „Abhängigkeit“ nach den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 nur gestellt werden solle, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden gewesen seien. Der Antragsteller wisse um die schädlichen Folgen eines anhaltenden Substanzkonsums und habe sich deshalb zur präventiven Behandlung nach dem Rückfall aufgrund einer emotionalen Ausnahmesituation freiwillig in das Bezirkskrankenhaus B. begeben und die Empfehlungen zur Erreichung einer weiterhin andauernden, stabilen Suchtmittelabstinenz, nämlich den Anschluss an eine Selbsthilfegruppe und regelmäßigen Kontakt zur Suchtberatung, in Anspruch genommen. Er habe nicht nur einen Vertrag zur Durchführung eines Abstinenzkontrollplans abgeschlossen, sondern sich zur weiteren medizinischen Rehabilitation seit dem 15. November 2023 für dreizehn Wochen stationär in ein Bezirksklinikum begeben.
13
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
14
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
15
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
16
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), in Kraft getreten am 1. Juli 2023, und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl 2023 I Nr. 199), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
17
Nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV schließt Alkoholabhängigkeit die Fahreignung aus. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216 = juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 21.8.2021 – 11 CS 21.1631 – juris Rn. 26 m.w.N.). Bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür weiterer Abklärung bedarf (BayVGH, B.v. 21.8.2021 a.a.O.). Steht die Alkoholabhängigkeit und damit die fehlende Fahreignung fest, unterbleibt die Anordnung eines Gutachtens (vgl. § 11 Abs. 7 Satz 1 FeV).
18
Soweit der Antragsteller einen Rückfall in die Alkoholabhängigkeit im Juli 2023 bestreitet, gibt es – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – keinen Anlass an der Diagnose des Bezirkskrankenhauses im vorläufigen Arztbrief vom 27. Juli 2023 zu zweifeln. Vielmehr stützen die Umstände des Einzelfalls die Richtigkeit dieser Diagnose. Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug genommen. Hieraus ergibt sich ferner, dass sich das Verwaltungsgericht keineswegs „blind“ die Abhängigkeitsdiagnose zu eigen gemacht hat.
19
Zum Beschwerdevorbringen ist ergänzend auszuführen, dass es für die Behauptung, die Ärzte des Bezirkskrankenhauses hätten eine Fehldiagnose gestellt und die überwundene Alkoholabhängigkeit fälschlich für fortbestehend gehalten, keinen hinreichenden Anhaltspunkt gibt.
20
Die in diesem Zusammenhang angeführte Haarprobe vom 10. November 2023 belegt eine Abstinenz über drei Monate. Daraus kann lediglich abgeleitet werden, dass der Antragsteller nach dem Vorfall im Juli 2023 zu einer abstinenten Lebensweise zurückgefunden hat, wie ihm dies schon einige Male zuvor, aber nicht dauerhaft gelungen ist. Im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – BVerwGE 175, 206 Rn. 13; U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – BVerwGE 171, 1 Rn. 12; U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 11 m.w.N.) am 16. Oktober 2023 sprach jedoch nichts dafür, dass die Voraussetzungen für die Annahme der Überwindung einer Alkoholabhängigkeit in zeitlicher und qualitativer Hinsicht gegeben waren, nämlich neben einer Abstinenz von regelmäßig einem Jahr die gutachterliche Prognose und Einschätzung, dass die Verhaltensänderung hinreichend gefestigt und stabil ist (vgl. Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV; Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [VkBl S. 110] i.d.F. v. 17.2.2021 [VkBl S. 198]; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 13 FeV, Rn. 27 f.; BayVGH, B.v. 11.6.2018 – 11 CS 17.2466 – juris Rn. 15).
21
Der Verweis auf die für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit erforderlichen Kriterien der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme ICD-10 führt ebenfalls nicht weiter. Der Antragsteller hatte am 14. Juli 2023 derart viel Alkohol konsumiert, dass sein Zustand fachärztlich als Alkoholintoxikation (F10.0) diagnostiziert worden ist. Ein derartiger Konsum weist nicht nur auf eine Verminderung der Kontrollfähigkeit hin, sondern – insbesondere nach längerer Abstinenz – auch auf den starken Wunsch oder Zwang, Alkohol zu konsumieren. Dass der Antragsteller seit langem eine erhebliche Alkoholtoleranz ausgebildet hat, ist durch die aktenkundigen Blutalkoholkonzentrationen belegt. Ferner enthalten die vom Verwaltungsgericht dargelegten Kriterien des ICD 10-Schlüssels F10.2 auch das Entzugssyndrom. Während des Aufenthalts im Bezirkskrankenhaus im Juli 2023 sind beim Antragsteller ausgeprägte vegetative Entzugssymptome aufgetreten, die medikamentös behandelt worden sind. Weiter ist eine qualifizierte Entzugsbehandlung durchgeführt worden. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass diese Behandlungen ebenso wie die im November 2023 angetretene dreizehnwöchige Rehabilitation medizinisch nicht angezeigt waren oder auch bei einem bloßen sog. Ausrutscher erforderlich gewesen wären. Die Behandlungen zeigen zwar den Wunsch und Willen des Antragstellers, seine Abhängigkeit zu bekämpfen und zu überwinden, aber nicht, dass er damit bereits Erfolg gehabt hätte.
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Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
23
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
24
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).