Inhalt

VG München, Beschluss v. 02.05.2024 – M 12 E 23.6194
Titel:

Kein Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung

Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 25a, § 60a Abs. 2 S. 1, S. 3
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsatz:
Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis allein verleiht grundsätzlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung. Diese kann nicht dazu dienen, die bisher nicht erfüllten Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels überhaupt erst herbeizuführen. (Rn. 26 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung., Ausländerrecht, Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Verfahrensduldung, Aussetzung der Abschiebung, Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, gut integrierte Jugendliche
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.06.2024 – 10 CE 24.858
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15377

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die am … … 1987 und … … 2010 geborenen Antragsteller sind vietnamesische Staatsangehörige und begehren die Erteilung einer Duldung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO.
2
Der Antragsteller zu 1) ist der Vater des Antragstellers zu 2). Sie reisten am 29. August 2019 ins Bundesgebiet zum Familiennachzug zur damaligen Ehefrau des Antragstellers zu 1) ein, wobei es sich nicht um die Mutter des Antragstellers zu 2) handelt. Am 5. September 2019 erhielten sie bis zum 4. September 2020 befristete Aufenthaltserlaubnisse aus familiären Gründen (§ 30 Abs. 1 AufenthG und § 32 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG).
3
Mit Email vom 3. September 2020 fragte der Antragsteller zu 1) hinsichtlich einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse an. Am 8. September 2020 legte er entsprechende Formblattanträge vor. Am 30. September 2020 teilte er mit, dass sich das Ehepaar getrennt habe und er mit seinem Sohn umgezogen sei.
4
Mit Bescheiden jeweils vom 16. Juni 2021 wurden u.a. die Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltstitel abgelehnt (Ziffer 1). Die Antragsteller wurden verpflichtet, das Bundesgebiet bis zum 30. Juni 2021 zu verlassen (Ziffer 2) und andernfalls die Abschiebung zuvorderst nach Vietnam angedroht (Ziffer 4). Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde darauf hingewiesen, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für 1 Jahr angeordnet werden kann. Hiergegen haben die Antragsteller jeweils Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben (M 12 K 21.3786 und M 12 K 21.3787).
5
In der Folge erhielten die Antragsteller Grenzübertrittsbescheinigungen, zunächst am 16. Juni 2021 mit Ausreisefrist zum 31. Juli 2021 und ab dem 5. Oktober 2021 durchgehend bis zum 30. September 2023.
6
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung in den Klageverfahren M 12 K 21.3786 und M 12 K 21.3787 am 27. Juli 2023 gab der Antragsteller zu 1) an, dass er in Kürze (geplanter Termin: 14. August 2023) eine deutsche Staatsangehörige, die in A* … wohnende Frau V., heiraten und zu dieser ziehen werde. Der Antragsteller zu 1) legte eine Voranmeldung zur Eheschließung am 14. August 2023, versendet an das Standesamt G* … am 27. Juni 2023, vor. Daraufhin nahmen die Antragsteller ihre Klagen zurück. Die Antragsgegnerin erklärte sich damit einverstanden, bis zur Eheschließung und zum Umzug keine Vollzugsmaßnahmen einzuleiten.
7
Am 17. Oktober 2023 beantragte der Bevollmächtigte der Antragsteller die Erteilung einer Duldung. Es gebe zumindest rechtliche Ausreisehindernisse unter zweierlei Aspekten. Zum einen habe der Antragsteller zu 1) die Absicht, die deutsche Staatsangehörige Frau V., wohnhaft in G* …, zu heiraten. Es lägen sämtliche Unterlagen für die Eheschließung vor. Bedauerlicherweise habe sich das Verfahren sehr lange hingezogen. Hintergrund sei, dass der Standesbeamte in G* … offensichtlich mit der Komplexität einer Eheschließung von zwei Vietnamesen mit deutsch/vietnamesischer Staatsangehörigkeit und mehreren Vorehen überfordert gewesen sei. Die Verlobten hätten sich daher entschlossen, die Eheschließung nicht vor dem Standesbeamten in G* …, sondern nunmehr in M* … vorzunehmen. Zwar stelle die beabsichtigte Eheschließung allein noch keinen Duldungsgrund dar, hier sei der Sachverhalt aber ganz gesondert gelagert. Grundsätzlich stehe das Recht auf Eheschließung genauso unter dem Schutzgebot des Art. 6 GG wie die Ehe selbst. Wenn die Eheschließung bevorstehe, sei dies ein Duldungsgrund. Im vorliegenden Fall seien auch die aufenthaltsrechtlichen Folgen für den Antragsteller zu 2) in den Blick zu nehmen. Dieser müsste mit dem Vater ausreisen. Er lebe nun seit ca. 4 Jahren in Deutschland, sei hier sozialisiert worden und besuche die Schule regelmäßig. Auch außerschulisch sei er in Deutschland zu Hause. Bezüge zur Heimat und dem Land seiner Staatsangehörigkeit habe er nicht. Im Falle einer Ausreise müsste er die Schule unterbrechen, was einen enormen Eingriff in seinen schulischen Werdegang und letztlich auch in sein Persönlichkeitsrecht darstelle. Da absehbar sei, dass er nach der Eheschließung des Vaters erneut eine Aufenthaltserlaubnis erhalten werde, sei jedenfalls die Eheschließung selbst abzuwarten. Zudem sei ihm jedenfalls die Gelegenheit zu geben, das Schuljahr hier zu beenden.
8
Mit Schreiben vom 20. November 2023 führte die Antragsgegnerin aus, nach Rücksprache mit dem Standesamt in G* … stelle sich der Sachverhalt anders dar. Die zukünftige Ehefrau des Antragstellers zu 1) habe dort im Rahmen einer Befragung offen zugegeben, dass die Eheschließung lediglich der Erlangung eines Aufenthaltsrechts für diesen diene. In der Folge sei die weitere Sachbearbeitung dort abgelehnt worden. Am 11. Oktober 2023 hätten der Antragsteller zu 1) und Frau V. nach entsprechender Aufforderung die Anmeldung zur Eheschließung zurückgenommen. Aufgrund dieser Erkenntnisse seien keine Duldungsgründe für die Antragsteller gegeben. Die Antragsgegnerin erkläre sich bereit, diesen letztmalig nach Vorlage gültiger Flugtickets eine Grenzübertrittsbescheinigung zur freiwilligen Ausreise nach Vietnam spätestens im Monat Dezember 2023 auszustellen. Zur Vorlage der Tickets werde eine Frist bis zum 30. November 2023 gesetzt. Würden bis dahin keine Tickets vorgelegt, würden Vorbereitungen zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausreise eingeleitet.
9
Mit Schreiben vom … November 2023 führte der Bevollmächtigte aus, der Antragsteller zu 1) habe nach wie vor die Absicht, seine Verlobte zu heiraten. Beim Standesamt in G* … habe es Missverständnisse gegeben. Die Verlobte habe keineswegs erklärt, den Antragsteller zu 1) nur heiraten zu wollen, um ihm ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen; sie habe lediglich erklärt, dass sie wisse, dass die Eheschließung auch dazu führen werde, seinen Aufenthalt zu ermöglichen. Das Eheschließungsverfahren werde weiter betrieben. Über das Ergebnis werde die Antragsgegnerin zu gegebener Zeit unterrichtet. Letztlich sei dies aber nicht entscheidungserheblich, da aufgrund des Zeitablaufs eine neue Sach- und Rechtslage bestehe. Es werde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG für den Antragsteller zu 2) beantragt. Dieser werde am … … 2024 14 Jahre alt und damit anspruchsberechtigt. Auch die zeitlichen Voraussetzungen seien gegeben. Er besuche seit mehr als 3 Jahren erfolgreich die Schule. Sein Aufenthalt werde seit mehr als einem Jahr geduldet. Unter diesen Umständen auf die sofortige Ausreise zu bestehen. Wäre ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK des Kindes. Dieses sei bereits einmal entwurzelt worden. Nach der Scheidung der Eltern sei er zum Vater gekommen. Seit August 2019, also nunmehr über 4 Jahren, lebe er in Deutschland. Er habe hier entscheidende Jahre seines Lebens verbracht. Er sei hier sozialisiert und faktischer Inländer. Ihn jetzt zu zwingen, das Land, das er als seine Heimat betrachte, wieder zu verlassen, verstoße gegen seine Grundrechte. Jedenfalls bis zum … … 2024 sei er zu dulden. Dem Vater wäre die Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 2 AufenthG zu erteilen. Die entsprechenden Voraussetzungen würden bei ihm vorliegen, sollte ihm die Erwerbstätigkeit wieder gestattet werden.
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Mit Schreiben vom 8. Dezember 2023 führte die Antragsgegnerin aus, der Antragsteller zu 2) erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25a AufenthG. Er sei weder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG noch sei er jemals im Besitz einer Duldung gewesen. Somit sei eine weitere Prüfung des Antrags nicht zielführend. Bezüglich der Angaben zur Weiterbetreibung der beabsichtigen Eheschließung werde darauf hingewiesen, dass für diesen Zweck bereits ein halbes Jahr vom Vollzug der Ausreiseverpflichtung abgesehen worden sei. Zudem stehe die Eheschließung bis heute nicht unmittelbar bevor. Nachweise über eine bevorstehende Eheschließung seien bis heute nicht erbracht worden und zudem stehe der Verdacht einer Eheschließung zum Zweck der Erlangung eines neuen Aufenthaltstitels im Raum. Im Fall der Ernsthaftigkeit der beabsichtigten Ehe habe er jederzeit die Möglichkeit, nach erfolgter Ausreise ein Visumverfahren zum Familiennachzug zu betreiben. Seit dem 30. September 2023 hielten sich die Antragsteller illegal im Bundesgebiet auf. Flugtickets zur freiwilligen Ausreise nach Vietnam seien bisher trotz Aufforderung mit Fristsetzung nicht vorgelegt worden. Es werde daher nun umgehend die Abschiebung nach Vietnam eingeleitet. Sollten die Antragsteller doch noch freiwillig ausreisen wollen, werde nochmals um unverzügliche Übersendung gültiger Flugtickets für einen Flug im Dezember gebeten.
11
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2023, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Bevollmächtigte der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
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der Antragsgegnerin aufzugeben, den weiteren Aufenthalt der Antragsteller bis zur Entscheidung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25a Abs. 1 AufenthG für den Antragsteller zu 2) zu dulden.
13
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Aufenthalt der Antragsteller sei zuletzt von der Antragsgegnerin faktisch geduldet worden, da der Antragsteller zu 1) die Absicht gehabt habe, neu zu heiraten. Dazu sei es bislang nicht gekommen. Es sei derzeit ungewiss, ob es dazu kommen werde. Über den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG sei bislang nicht entschieden worden. Ein Anordnungsgrund liege auf der Hand. Es drohe die Abschiebung nach Vietnam. Es bestehe auch ein Anordnungsanspruch. Der Aufenthalt sei zumindest bis zur Entscheidung der Antragsgegnerin über diesen Antrag zu dulden. Das gesamte Verfahren liefe ins Leere, wenn die Antragsteller bis zur Entscheidung über diesen Antrag nicht im Bundesgebiet bleiben könnten. Die sofortige Wiedereinreise werde nicht möglich sein. Es bestehe zumindest ein verfahrensbezogenes Bleiberecht. Andernfalls liege ein Verstoß gegen Art. 18 EMRK (sic) vor. Dem Antragsteller sei voraussichtlich die begehrte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Ab dem … … 2024 sei er Jugendlicher. Er erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen. Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres in einigen Tagen sei der Aufenthalt zu dulden. Das Interesse des Antragstellers zu 1) überwiege bei weitem das öffentliche Interesse an der sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Der Antragsteller zu 2) sei scheidungsgeschädigt. Nach der Trennung der Eltern sei er beim Vater geblieben, sei aber von den Großeltern väterlicherseits – mehr schlecht als recht – betreut worden. Danach sei der Umzug nach Deutschland im Alter von 9 Jahren erfolgt. Hier lebe er seit 4 Jahren. Er sei hier sozialisiert worden. Deutsch sei praktisch seine Muttersprache. Ihn nunmehr zu zwingen, Deutschland zu verlassen, obwohl die zeitlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis innerhalb von Tagen erfüllt seien, wäre jedenfalls ein Eingriff in das Privatleben gem. Art. 8 EMRK. Auf den Einwand der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller zu 2) gar nicht geduldet sei, sei darauf hinzuweisen, dass das Gesetz keineswegs den entsprechenden Ausweis fordere. Es genüge das Vorliegen von Duldungsgründen. Diese hätten vorgelegen. Die Antragsgegnerin habe erkennbar über einen langen Zeitraum Gelegenheit gegeben, die familiären Belange neu zu regeln, insb. dem Antragsteller zu 1) die Möglichkeit eingeräumt, erneut zu heiraten. Hintergrund sei sicherlich der aufenthaltsrechtliche Status des Antragstellers zu 2) gewesen. Man habe ihm genau das ersparen wollen, was nun drohe, nämlich der erneute Wechsel in einen völlig anderen Sprach- und Kulturkreis. Faktisch sei er geduldet worden. Auf die Ausstellung einer Duldungsbescheinigung komme es nicht an. Der Antragsteller zu 1) werde dann ggf. sein Aufenthaltsrecht vom Antragsteller zu 2) ableiten können. Er habe in der Vergangenheit stets gearbeitet, solange er dies durfte. Im Falle der Erteilung einer Arbeitserlaubnis wäre der Lebensunterhalt gesichert.
14
Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2024 hat die Antragsgegnerin unter Aktenvorlage beantragt,
15
den Antrag abzulehnen.
16
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Grenzübertrittsbescheinigungen seien, wie in der mündlichen Verhandlung vereinbart, verlängert worden, damit die Antragsteller nach G* … zur künftigen Ehefrau des Antragstellers zu 1) ziehen konnten. Der angekündigte Umzug habe nicht stattgefunden. Nachdem dem dortigen Standesbeamten der Verdacht einer Scheinehe gekommen sei, habe er die zukünftigen Eheleute hinsichtlich der strafrechtlichen Folgen einer Scheinehe belehrt, woraufhin diese den Antrag zurückgenommen hätten. Da anschließend geltend gemacht worden sei, die Eheschließung in M* … vorzunehmen zu lassen, sei das hiesige Standesamt über den Sachverhalt informiert worden. Eine Eheschließung werde auch in M* … nicht zur Anmeldung kommen. Es liege auch nach wie vor kein gemeinsamer Wohnsitz vor. Die Grenzübertrittsbescheinigungen seien seit dem 20. September 2023 abgelaufen und nicht weiter verlängert worden. Trotz Aufforderung seien keine Flugtickets vorgelegt worden, vielmehr habe der Bevollmächtigte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG gestellt. Nunmehr sei beabsichtigt, die Abschiebungsandrohung zwangsweise durchzusetzen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
18
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Aussetzung der Abschiebung bis zur Entscheidung über den Antrag des Antragstellers zu 2) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG.
19
1. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder wenn andere Gründe vorliegen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO.
21
Die Antragsteller haben den für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, weil sich aus den vorgebrachten Gründen nicht mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen Wahrscheinlichkeit ergibt, dass ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung besteht.
22
Zunächst ist festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Abschiebung nach § 58 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Danach ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint.
23
Die Antragsteller sind infolge der rechtskräftigen Ablehnung ihrer Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse mit Bescheid vom 16. Juni 2021 gem. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Die im Bescheid gesetzte Ausreisefrist ist ebenso abgelaufen wie die den Antragstellern zuletzt in der Grenzübertrittsbescheinigung darüber hinaus gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 30. September 2023. Die Überwachung der Ausreise ist bereits gem. § 58 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG erforderlich.
24
Die Abschiebung eines Ausländers ist nicht gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, da die Abschiebung weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.
25
a) Ein rechtliches Abschiebungshindernis ergibt sich insbesondere nicht aus dem Antrag des Antragstellers zu 2) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG.
26
Allein daraus, dass ein Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, folgt grundsätzlich kein inlandsbezogenes rechtliches Abschiebungshindernis, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist. Ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion hat der Bundesgesetzgeber vielmehr nur für die in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG genannten Fälle bestimmt. Dem in diesen Regelungen zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und auch der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte (NdsOVG, B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris).
27
Eine Ausnahme kann zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG zwar dann geboten sein, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann. Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (effektiver Rechtsschutz als rechtliches Abschiebungshindernis) oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (Ermessensduldung) erfüllt sein (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris).
28
Der Antrag des Antragstellers zu 2) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG allein verleiht keinen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung. Denn eine Verfahrensduldung wird zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann. Sie kann jedoch nicht dazu dienen, die bisher nicht erfüllten Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels überhaupt erst herbeizuführen (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2022 – 10 CE 22.1925 – juris Rn. 6).
29
Dies bedeutet, dass der Antragsteller bereits zu irgendeinem Zeitpunkt sämtliche Voraussetzungen des § 25a AufenthG, also auch die des Besitzes einer Duldung, erfüllt haben müsste, damit dieser Zustand durch die Erteilung einer Verfahrensduldung aufrechterhalten werden könnte.
30
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller zu 2) jedoch zu keinem Zeitpunkt die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG vollständig erfüllt. Nach § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem jugendlichen oder jungen volljährigen Ausländer, der Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG oder seit mindestens zwölf Monaten im Besitz einer Duldung ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich seit drei Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält, er im Bundesgebiet in der Regel seit drei Jahren erfolgreich eine Schule besucht oder einen anerkannten Schul- oder Berufsabschluss erworben hat, der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 27. Lebensjahrs gestellt wird, es gewährleistet erscheint, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer sich nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt.
31
Der Antragsteller zu 2) ist am … … 2024 14 Jahre alt und damit Jugendlicher i.S.d. Vorschrift (vgl. BayVGH, B.v. 19.12.2023 – 19 CS 23.1576 – juris Rn. 11) geworden. Er war jedoch weder zu diesem noch zu einem späteren Zeitpunkt Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG oder seit mindestens 12 Monaten in Besitz einer Duldung. In der Rechtsprechung war zu § 25a AufenthG in den früheren Fassungen („geduldeter Ausländer“) überwiegend anerkannt, dass ein Ausländer geduldet ist, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat (vgl. zum insofern wortgleichen § 25b AufenthG BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34/18 – juris Rn. 24). Eine bloße „faktische Duldung“ i.S. einer behördlichen Untätigkeit reicht hingegen nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2022 – 19 CE 21.2437 – juris Rn. 12 ff.). Mit dem „Gesetz zur Einführung eines Chancenaufenthaltsrechts“ vom 21. Dezember 2022 wurde der Wortlaut insofern geändert, dass nunmehr der Ausländer „seit 12 Monaten im Besitz einer Duldung“ sein muss, was darauf hindeuten könnte, dass nur noch eine tatsächlich erteilte Duldung die Voraussetzungen zu erfüllen vermag. Aber selbst wenn man auch weiterhin davon ausgehen sollte, dass das Vorliegen der Duldungsvoraussetzungen ausreicht und die Innehabung einer Bescheinigung i.S.v. § 60 Abs. 4 AufenthG nicht erforderlich ist (vgl. Kluth/Bohley in BeckOK AuslR, 40. Edition 2024, § 25a AufenthG Rn. 3; wohl auch BayVGH, B.v. 17.2.2023 – 10 CE 23.300 – juris Rn. 12 m.w.N.), hatte der Antragsteller über diesen Zeitraum weder eine erteilte Duldung noch einen Rechtsanspruch hierauf.
32
Eine Duldungsbescheinigung hat der Antragssteller zu 2) nie erhalten. Auch hatte er zu keinem Zeitpunkt einen Rechtsanspruch auf eine Duldung. Es ist weder ersichtlich, dass der Antragsteller zu 2) aus gesundheitlichen Gründen nicht reisefähig war, noch, dass familiäre Gründe der Abschiebung entgegenstanden, nachdem der Antragsteller zu 1) ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtig und davon auszugehen war, dass eine gemeinsame Rückführung der Antragsteller vorgenommen wird. Selbst wenn der Antragsteller zu 1) zeitweise aufgrund einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung einen Duldungsanspruch gem. Art. 6 GG und der Antragsteller zu 2) hiervon abgeleitet ebenfalls einen solchen gehabt haben sollte, hätte ein solcher allenfalls vom 27. Juni 2023 (Ausstellung der Bescheinigung zur Voranmeldung der Eheschließung) bis zum 14. August 2023 (Tag der beabsichtigten Eheschließung) bestanden. Es ist überdies nicht ersichtlich, dass in der Vergangenheit bei den Antragstellern tatsächliche Abschiebehindernisse vorlagen.
33
Da bereits der Antragsteller zu 2) keinen Anspruch auf eine Verfahrensduldung aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG hat, kann der Antragsteller zu 1) eine solche erst recht nicht beanspruchen.
34
b) Auch im Übrigen ist zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht worden, dass aus anderweitigen Gründen ein rechtliches oder tatsächliches Abschiebehindernis hinsichtlich der Antragsteller besteht. Insbesondere liegt mangels einer erneuten Voranmeldung zur Eheschließung kein Abschiebungshindernis aufgrund einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung vor.
35
2. Der Antrag war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
36
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog 2013.