Titel:
Teilnahme an einem Online-Glücksspiel eines ausländischen Anbieters
Normenketten:
BGB § 134, § 823 Abs. 2
GlüStV 2012 § 4
StGB § 284
Leitsätze:
1. Der einseitige Verstoß eines ausländischen Anbieters von Online-Glücksspielen gegen § 4 Abs. 4 GlüStV führt nicht zur Nichtigkeit des Spielvertrages (Anschluss an LG Gießen BeckRS 2023, 17924). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weder § 4 Abs. 4 GlüStV noch § 284 StGB sind Schutzgesetze iSv § 823 Abs. 2 BGB. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Online-Glücksspiel, gesetzliches Verbot, Spielvertrag, Rückzahlung, Nichtigkeit, einseitiger Verstoß, Schutzgesetz
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1516
Tenor
1. Das Versäumnisurteil vom 06.11.2023 wird aufrechterhalten.
2. Der Kläger hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
Der Streitwert wird auf 25.026,50 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Rückzahlungsansprüche aus Online-Glücksspiel bezüglich eines Zeitraumes vom 21.07.2017 bis zum 22.07.2021.
2
Die Beklagte betreibt von Ihrem Firmensitz in G., M. eine Internetseite, auf welcher an diversen Online-Glücksspielen teilgenommen werden kann. Diese Seite ist auch in deutscher Sprache verfügbar.
3
Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten wurden in deutscher Sprache bereitgehalten. Die Beklagte warb damit, über eine Lizenz für die Durchführung von Online-Casinospielen zu verfügen. Die Beklagte verfügt über eine behördliche Glücksspiellizenz aus Malta; über eine Glücksspiellizenz der in Deutschland zuständigen Behörden nach § 4 GlüStV verfügt die Beklagte hingegen nicht.
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Bis zum 31. März 2021 bot die Beklagte auf der Internetseite … Online-Glücksspiele und Sportwetten an. Am 9. März 2021 wurde der Beklagten von der zuständigen, deutschen Behörde eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Online-Sportwetten erteilt (Anlage B 1).
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Die Klagepartei leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Einzahlungen an die Beklagte in Höhe von 45.961,00 Euro und erhielt von ihr Auszahlungen in Höhe von 20.202,00 Euro (Transakti onsliste gefiltert nach Ein- und Auszahlungen, Anlage K4).
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.12.2022 forderten die Unterzeichner die Beklagte zur Rückzahlung des Betrages für den streitgegenständlichen Zeitraum bis zum 21.12.2022 auf (Anlage K5).
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Es wurde am 06.11.2023 mündlich verhandelt, wobei hinsichtlich der Einzelheiten auf das Protokoll (Bl. 113/117 d.A.) hingewiesen wird. Der Klägervertreter stellte im Termin keinen Antrag, so dass ein Versäumnisurteil erging (Bl. 113/115 d.A.), welches der Klagepartei am 08.11.2023 zugestellt wurde. Der Kläger legte gegen das Versäumnisurteil vom 06.11.2023 mit Schriftsatz vom 22.11.2023 Einspruch ein (Bl. 117/119).
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Die Klagepartei behauptet, sie habe im gegenständlichen Zeitraum von ihrem Wohnsitz in A. an den Angeboten der Beklagten teilgenommen. In den geltend gemachten Verlusten von insgesamt 25.759 Euro seien 732,00 Euro Verluste aus Sportwetten enthalten, welche mit der Klage nicht geltend gemacht werden.
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Die Klagepartei meint, sie habe einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte in der geltend gemachten Höhe aus § 812 Abs. 1, 1. Alt. BGB, weil die streitgegenständlichen Online-Glückspielverträge wegen Verstoßes gegen § 134 BGB in Verbindung mit § 4 GlüStV nichtig sind. Darüber hinaus stehe der Klagepartei ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlüStV zu. Einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung stünden auch weder § 817 BGB noch § 242 BGB entgegen.
Das Versäumnisurteil vom 06.11.2023 wird aufgehoben und für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 25.026,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2022 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Das Versäumnisurteil vom 6. November 2023 (Az.: 9 O 1243/23) wird aufrechterhalten.
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Die Beklagte behauptet, sie habe im Zuge der Konzessionserteilung die Veranstaltung der übrigen Online-Glücksspiele in Deutschland eingestellt und ab dem 31. März 2021 ausschließlich Online-Sportwetten in Deutschland veranstaltet. Die Anlage K 4 enthalte Positionen, die erst nach Erteilung der Sportwetten-Konzession erfolgt seien. Der Anlage lasse sich nicht entnehmen, dass die Klagepartei im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich nur Verlust in Höhe von EUR 732,00 aus Sportwetten erlitten habe. Dies werde daher bestritten. Die Beklagte bestreitet überdies die Höhe der etwaig erlittenen Verluste des Klägers. Tatsächlich seien die Verluste um mehrere tausend Euro geringer gewesen.
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Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass der Kläger im gegenständlichen Zeitraum von seinem Wohnsitz in A. an den Dienstleistungsangeboten der Beklagten teilgenommen hat.
14
Die Beklagte meint, dass kein Anspruch auf Rückerstattung bei Online-Sportwetten bestehe. Die Klagepartei hätte daher substantiiert darlegen müssen, in welchem Umfang der Spieler seine Einzahlungen auf sein Spielerkonto zur Teilnahme an Online-Sportwetten verwendete, welche Verluste er dabei gemacht hat und welche Verluste stattdessen auf die Teilnahme an anderen Online-Glücksspielen zurückzuführen sind.
15
Die Beklagte meint, ein einseitiger Verstoß gegen ein Verbotsgesetz führe nicht zur Nichtigkeit. Zwar habe die Beklagte gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 (a.F.) verstoßen, jedoch nicht der Spieler, denn er sei bereits nicht Adressat der Verbotsnorm. Ein Ausnahmefall liege hier nicht vor, wie der Vergleich der Regelungsziele des § 1 S. 1 GlüStV 2012 (a.F.) und des § 1 S. 1 GlüStV 2021 (n.F.) aufzeige. Überdies habe die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit neben dem Nachdruck verleihenden Regelungsregime aus verwaltungs- bzw. strafrechtlichen Maßnahmen auch keinen Platz.
16
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
17
Es wurde am 18.12.2023 erneut mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll (Bl. 130/131 d.A.) Bezug genommen. Beweis wurde nicht erhoben.
18
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Einspruch ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg.
20
Das Landgericht München II ist international, sachlich und örtlich zuständig.
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1. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts München II für die streitgegenständlichen Ansprüche folgt aus Art. 17 Abs. 1 c), 18 Abs. 1 Alt. 2 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EUGVVO). Es liegt eine Verbrauchersache im Sinne von Art. 17 Abs. 1 c) EuGVVO vor. Danach kann der Verbraucher an seinem Wohnsitz seinen Vertragspartner wegen Streitigkeiten aus einem Vertrag verklagen, wenn sein Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
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Als Verbraucher ist jede natürliche Person anzusehen, die Verträge zur Deckung ihres privaten Eigenbedarfs schließt, sofern diese nicht ihrer (gegenwärtigen oder zukünftigen) beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Verbraucher ist daher auch die Person, die einen Vertrag über die Teilnahme am Online-Casinospiel oder an Online-Sportwetten mit dem Ziel abschließt, daraus erhebliche Gewinne zu erwirtschaften (MüKoZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2022, Brüssel Ia – VO Art. 17 Rn. 2).
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Die Beklagte übt ihre gewerbliche Tätigkeit in Deutschland aus. Die Beklagte als Vertragspartnerin hat ihr gewerbliches Angebot der Veranstaltung von Glücksspielen auf Deutschland, wo der Kläger seinen Wohnsitz hat, ausgerichtet, indem sie ihre Dienste über ihre deutschsprachige Intemetdomain insbesondere Kunden in Deutschland angeboten hat.
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Der prozessuale Verbraucherschutz gilt für Ansprüche aus einem Vertrag und für den Streit um das Zustandekommen des Vertrages. Erfasst sind auch Bereicherungsansprüche und nach der Rechtsprechung des EuGH auch deliktische Ansprüche, wenn die Ansprüche „untrennbar mit einem zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden tatsächlich geschlossenen Vertrag verbunden ist“ (Musielak/Voit, ZPO, 18. Auflage 2021, Art. 17, Rn. 1 b).
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2. Aus Art. 18 Abs. 2, 2. Alt. EuGVVO folgt neben der internationalen zugleich auch die örtliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts (vgl. Zöller/Geimer, Art. 7, Rn. 1, Art. 18 EuGVVO Rn. 3). Der Kläger hat seinen Wohnsitz in A., mithin im hiesigen Landgerichtsbezirk.
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3. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München II ergibt sich aus den §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
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I. Nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (sog. Rom 1 – VO: Verordnung Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008) findet deutsches Recht Anwendung, da der Kläger als Verbraucher handelte und die Beklagte ihre Tätigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet hat.
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II. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung seiner verlorenen Einsätze in Casino-Spielen in Höhe insgesamt von 25.026,50 EUR aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.
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1. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts bereits nicht substantiiert dazu Stellung genommen, in welcher Höhe er Einzahlungen bzw. Auszahlungen für Online-Casinospiele und in welcher Höhe er Einzahlungen bzw. Auszahlungen für Online-Sportwetten tätigte und erhielt, mithin, welche Verluste tatsächlich auf das Spielen von Online-Casinospielen zurückgehen. Der Kläger begehrt jedoch mit seiner Klage lediglich die Rückzahlung von Spieleinsätzen für Online-Casino-Spiele.
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Der Kläger hat insofern lediglich vorgetragen, dass er im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum Einzahlungen in Höhe von 45.961 € an die Beklagte leistete und Auszahlungen in Höhe von 20.202 € von der Beklagten erhielt. Zudem hat er vorgetragen, dass die Verluste aus Sportwetten 732,50 € betragen haben.
32
Die sodann vorgenommene Berechnung des Klägers der ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlungen für Online-Casinospiele ist für das Gericht bereits nicht nachvollziehbar. Der Kläger trägt insofern vor, dass die Verluste aus Online-Casinospielen bei 25.759 € liegen (vgl. Bl. 29 d.A.), wobei er für die Berechnung von den insgesamt getätigten Einzahlungen in Höhe von 45.961 € die insgesamt erhaltenen Auszahlungen in Höhe von 20.202 € abzieht. Der Kläger begehrt jedoch mit seiner Klage nicht diesen Betrag, sondern zieht hiervon sodann angeblich erlittene Verluste aus Online-Sportwetten in Höhe von 732,50 €, die in diesem Betrag enthalten seien, ab. Der Kläger trägt jedoch nicht vor, woraus sich konkret diese Verlustberechnung aus Online-Sportwetten ergibt. Auch aus den Anlagen ergibt sich für das Gericht nicht, wofür die Einzahlungen verwendet wurden und woher die Auszahlungen rühren, mithin, ob es sich um Gewinne aus Online-Sportwetten oder Online-Casinospielen handelt.
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Der Kläger hat aber im streitgegenständlichen Zeitraum von 21.07.2017 bis 22.07.2021 unstreitig sowohl Online-Casinospiele gespielt als auch Online-Sportwetten getätigt. Die Beklagte erhielt unstreitig am 09.03.2021 eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten. Die Beklagte behauptet überdies, dass ab dem 31.03.2021 ausschließlich Online-Sportwetten veranstaltet wurden und die übrigen Online-Glücksspiele auf ihren Seiten nicht mehr veranstaltet wurden. Aus der Anlage K 4 ergibt sich aber beispielsweise, dass zwischen 18.05.2021 und 27.07.2021 insgesamt Einzahlungen („Accepted“) in Höhe von ca. 1.200 € getätigt wurden. Aus der Übersicht über die Auszahlungen („Cashins (Withdrawals)“) ergibt sich, dass zuletzt am 29.01.2021 eine Auszahlung erfolgt ist. Mithin ist schon deshalb fraglich, ob die Verluste aus Online-Sportwetten tatsächlich 732,50 € betragen haben.
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Der klägerische Vortrag genügt nicht, um die tatsächlichen Verluste aus Online Casinospielen, auf die es dem Kläger vorliegend alleine ankommt, zu ermitteln. Schon aus diesem Grund war die Klage als unbegründet abzuweisen.
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2. Überdies sind die vom Kläger geleisteten Zahlungen für Online-Casinospiele zur Überzeugung des Gerichts nicht ohne Rechtsgrund erfolgt. Die Glücksspielverträge zwischen dem Kläger und der Beklagten sowie deren Durchführung sind nicht nach § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15.12.2011 (im folgenden GlüStV 2011) nichtig.
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Das Gericht folgt insoweit der überzeugenden Ausführungen des Landgerichts Gießen in seinem Urteil vom 04.04.2023, Az. 5 O 189/21:
„3. § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 ist eine Verbotsnorm, die sich ihrem Wortlaut nach nur gegen den Anbieter von Online-Glücksspielen richtet. In § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 heißt es: „Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten.“ Der an einem Glücksspiel im Internet teilnehmende Spieler veranstaltet dieses weder noch vermittelt er es. Weiter beinhaltet § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 nach seinem eindeutigen Wortlaut ein Verbot, Glücksspiele im Internet zu veranstalten oder zu vermitteln. Dieses Verbot zieht jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht die Nichtigkeit des Spielvertrages zwischen der Beklagten zu 2 und dem Kläger oder dessen Durchführung nach sich. Nach Auffassung des Gerichts enthält auch § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 kein gesetzliches Verbot mit Nichtigkeitsfolge im Sinne des § 134 BGB. (zu § 4 Abs. 1 S. 2 Fall 2 GlüStV 2011, BGH, Urt. v. 13.09.2022, Az. XI ZR 515/21).
a. § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 enthält ebenso wenig wie § 4 Abs. 1 S. 2 Fall 2 GlüStV 2011 eine ausdrückliche Rechtsfolgenregelung. Die Frage der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ist daher nach dem Zweck des Verbotsgesetzes zu beantworten. Der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz führt in der Regel nur dann zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, wenn sich das Verbot gegen beide Vertragsteile richtet (BGH, Urt. v. 13.09.2022, Az. XI ZR 515/21, Rn. 11). Nur in besonderen Fällen kann sich die Nichtigkeit auch aus einem einseitigen Verstoß ergeben. Voraussetzung hierfür ist, dass der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden darf. Eine solch besonderer Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der angestrebte Schutz des Vertragspartners die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts erfordert (BGH, a.a.O., Rn. 11 m.w.N.). Reicht es dagegen aus, dem gesetzlichen Verbot durch Verwaltung- oder strafrechtliche Maßnahmen Nachdruck zu verleihen, so hat die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit daneben keinen Platz.
b. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, warum der Zweck von § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 nicht anders zu erreichen ist und die Nichtigkeit des Spielvertrages zum Schutz des Vertragspartners (Spielers) erforderlich sein sollte. Es ist bereits offen, ob durch eine Nichtigkeit des Spielvertrages der Zweck des § 4 Abs. 4 GlüStV erreicht werden kann. Denn dies setzte voraus, dass die zivilrechtliche Sanktion allein oder jedenfalls besser als verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Maßnahmen dazu geeignet wäre, das Verbot in § 4 Abs. 4 GlüStV durchzusetzen. Es ist aber äußerst zweifelhaft, ob die Anbieter von unerlaubten Online-Glücksspielen deren Veranstaltung oder Vermittlung unterlassen, (nur) weil der Spieler im Ergebnis einen (gerichtlich durchzusetzenden) Anspruch auf Ersatz seiner Verluste hätte. Darüber hinaus ist die Nichtigkeit des Spielvertrages auch nicht zum Schutz des Vertragspartners (Spielers) erforderlich. Es ist gerade nicht Zweck des GlüStV 2011 Spieler allgemein vor ihrem Verlustrisiko zu schützen. Andernfalls dürfte keine Form des Glücksspiels erlaubt sein. Wie auch in dem vom BGH entschiedenen Fall gebieten es die Interessen des Spielers gerade nicht, ihn durch die Nichtigkeit des von ihm eingegangenen Vertrages vor den wirtschaftlichen Folgen des Glücksspiels zu schützen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 16). Der drohende Vermögensschaden für den Spieler folgt nicht aus dem Verbot des unerlaubten Glücksspiels, sondern aus dem jedem Glücksspiel immanenten Risiko, dass Gewinne oder Verluste ungewiss und rein zufällig sind (BGH, a.a.O., Rn. 16). Hiermit setzen sich die bisher vorliegenden oberlandesgerichtlichen Entscheidungen nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend auseinander.
c. Die Entscheidungen des Oberlandesgericht Frankfurt (Az. 23 U 55/21 und 19 U2 181/21) ergingen (weit) vor der Veröffentlichung der Entscheidung des BGH. Von den von dem Kläger vorgelegten Entscheidungen und den veröffentlichten Entscheidungen befassen sich drei mit der Entscheidung des BGH. Bei diesen handelt es sich um den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 23.01.2023 (Az. I-10 U 91/22, Anl. K76), den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 07.02.2023 (Az. 13 O 236/22, Anl. K78) und das Urteil des OLG Braunschweig vom 23.02.2023 (Az. 9 U3/22).
Das OLG Düsseldorf (Anl. K76) geht davon aus, dass die Rechtsprechung des BGH (im Beschluss vom 13.09.2022, Az. XI ZR 515/21) nicht „zwingend“ auch auf das Verhältnis zwischen dem Spieler und dem Glücksspielanbieter zu übertragen sei. Dies ergebe sich aus der unterschiedlichen Interessenlage. Für den Zahlungsdienstleister sei bei Ausführung der Zahlung die Rechtswidrigkeit seines Handelns „nicht zwingend“ zu erkennen, für den Glücksspielanbieter hingegen schon. Hierbei handelt es sich aber nach Auffassung des Gerichts nicht um ein maßgebliches Entscheidungskriterium für die Frage, ob der Spieler durch die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts vor dessen Folgen zu schützen ist oder Zweck des Schutzgesetzes nicht anders erreicht werden kann. Vielmehr stellt das OLG Düsseldorf – was insoweit für das Gericht nicht nachvollziehbar ist – bei seiner Abwägung auf die Interessen des Verbotsadressaten ab.
Das OLG Karlsruhe (Anl. K78) führt lediglich aus, dass die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung angesichts des Zwecks des Glücksspielstaatsvertrages nicht hingenommen werden dürfe. Warum und im Hinblick auf welchen Zweck dies der Fall sein soll, führt das OLG Karlsruhe nicht aus. Auch ist nach den oben wiedergegebenen und von den BGH aufgestellten Kriterien für die Nichtigkeit nicht ausschlaggebend, dass der einzige Zweck des zwischen den Parteien abgeschlossenen Spielvertrages das Ermöglichen der nach § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 verbotenen Handlung ist. Entscheidend ist allein, ob die Zwecke des GlüStV 2011 nicht anders erreicht werden können, als durch die Nichtigkeit des zivilrechtlichen Glücksspielvertrags.
Das Oberlandesgericht Braunschweig geht in seinem Urteil (v. 23.02.2023, Az. 9 U 3/22, Rn. 86 ff) davon aus, dass es mit Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft (den zivilrechtlichen Spielvertrag) getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen. Entscheidend sei, dass sich das Verbotsgesetz nicht nur gegen den Abschluss des Rechtsgeschäfts wende, sondern darüber hinaus gegen seine privatrechtliche Wirksamkeit und damit im Ergebnis gegen seinen wirtschaftlichen Erfolg (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O., Rn. 87). Bereits dies ist nach Auffassung des Gerichts nicht zutreffend. Denn den wirtschaftlichen Erfolg des Rechtsgeschäfts (Spielvertrag) erlaubt der GlüStV 2011 (etwa für Lotterien und Sportwetten) durchaus. Der Verlust des Spielers hängt zudem – wie der BGH zutreffend ausführt – nicht von dem Verbot des Glücksspielvertrags, sondern von dem dem Glücksspiel immanenten Risiko ab (dazu bereits soeben). Das OLG Braunschweig führt weiter aus, dass der Spieler durch § 4 Abs. 4 GlüStV 2011 vor Manipulation, Folgekriminalität und Gesundheitsgefahren geschützt werden soll. Warum es aber für den Schutz des Spielers vor Manipulation, Folgekriminalität und Gesundheitsgefahren erforderlich sein soll, dass er unerlaubte Glücksspiele ohne das dem Glückspiel immanente (Verlust-)Risiko spielen kann, ist nicht ersichtlich.
d. Die Zwecke des GlüStV 2011 – insbesondere ein Spielerschutz – kann vielmehr anders erreicht werden und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung darf auch hingenommen werden, weil sie dem Glücksspiel allgemein immanent ist.
Im Gegenteil wird der Spieler gerade etwa vor Folgekriminalität nicht geschützt, wenn er unerlaubte Glücksspiele ohne und erlaubte Glücksspiele mit einem Verlustrisiko spielen könnte/müsste. Insgesamt ist nach Auffassung des Gerichts zu beachten, dass § 1 GlüStV 2011 als Ziel in Nr. 2 gerade (auch) vorsieht, durch ein begrenztes Glücksspielangebot eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel zu schaffen, um den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken. Genau das Gegenteil würde erreicht, wenn Spieler ihre in einem unerlaubten Glücksspiel (nach Verrechnung) erspielten Verluste von dem Glücksspielanbieter zurückverlangen können und bei einem erlaubten Glücksspiel nicht.
Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass – wie sich auch aus § 1 S. 2 GlüStV 2011 ergibt – allein verwaltungs- und strafrechtliche Maßnahmen zur Steuerung der spezifischen Sucht-, Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätsgefährdungspotenzialen des Glücksspiels geeignet und ausreichend sind. Insofern stellt auch der BGH in seiner Entscheidung (Urt. v. 13.09.2022, Az. XI ZR 515/21) darauf ab, dass § 4 Abs. 1 S. 2 Fall 2 GlüStV 2011 mit § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV 2011 eine entsprechende Befugnisnorm zur Seite gestellt ist, die eine Inanspruchnahme der am Zahlungsverkehr Beteiligten als verantwortliche Störer ermögliche. Wie die Beklagten zutreffend ausführen, gilt dies für § 4 Abs. 4 GlüStV mit § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 GlüStV entsprechend.“
37
Ergänzend ist anzumerken, dass zur Überzeugung des Gerichts bei einseitigem Gesetzesverstoß der Glücksspielanbieter eine zusätzliche Sanktion in Gestalt der generellen Nichtigkeit von Spielverträgen zum Schutz der Spieler nicht erforderlich ist. Sie würde die Spieler des vertraglichen Schutzes vor mangelnder Rücksichtnahme auf ihre Interessen und vor betrügerischen Manipulationen berauben. Darüber hinaus könnte dies dazu führen, dass Spieler erlittene Verluste einklagen und aufgrund dessen völlig risikolos weiterspielen könnten (vgl. insoweit auch Köhler: Spielerschutz vor Verlusten bei verbotenen Glücksspielen, NJW 2023, 2449 ff.). Es mag zutreffen, dass die Durchsetzung solcher Maßnahmen gegen ausländische Anbieter schwierig oder möglicherweise nicht erfolgversprechend ist. Das trifft im Übrigen aber auch zu auf die Durchsetzung von Rückerstattungsansprüchen gegenüber solchen Anbietern. Ein Manko bei der Durchsetzung des Verbots rechtfertigt es jedenfalls nicht, aus diesem Grund jeden Spielvertrag für nichtig zu erklären (vgl. Köhler, a.a.O.).
38
3. Auch ein auf Rückzahlung gerichteter Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 4 IV GlüStV und § 284 StGB ist abzulehnen, da beide Verbote keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Schutzgesetz ist nur eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dies ist weder bei § 4 IV GlüStV noch bei § 284 StGB der Fall.
39
Bei § 4 IV GlüStV 2012 handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Regelung, wobei es den Bundesländern um den Schutz der Allgemeininteressen der Bevölkerung im Hinblick auf mögliche Gefahren eines Glücksspiels im Internet ging. Es geht mithin um Generalprävention, nicht um Individualschutz (Köhler: a.a.O.).
40
Auch § 284 StGB ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB (vgl. LG München I, Endurteil vom 13.04.2021 – 8 O 16058/20, BeckRS 2021, 11488, Rn. 39 ff.). Die Strafnorm hat nicht den Schutz des Vermögens des Spielers im Blick, sondern nach einer Ansicht die staatliche Kontrolle über die Ausbeutung der Spielleidenschaft, nach anderer Ansicht die Gewährleistung einer manipulationsfreien Spielchance (siehe BeckOK, StGB, 58. Ed., Stand: 01.08.2023, § 284 Rn. 5).
41
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 3 ZPO.
42
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO.