Inhalt

AG München, Endurteil v. 22.02.2024 – 122 C 18492/23
Titel:

Waldbrand mit Evakuierung des Hotels stellt Mangel bei Pauschalreise dar

Normenkette:
BGB § 346 Abs. 1, § 651m Abs. 2 S. 1, § 651i Abs. 3 Nr. 6, § 651a
Leitsätze:
1. Ein Reisemangel liegt vor, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Reiseleistungen von derjenigen abweicht, welche die Parteien bei Vertragsschluss vereinbart oder gemeinsam, auch stillschweigend, vorausgesetzt haben, und dadurch der Nutzen der Reise für den Reisenden beeinträchtigt wird. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Waldbrand als Ursache für die Evakuierung eines Hotels ist keine bloße Unannehmlichkeit, sondern stellt einen gravierenden Mangel iSd § 651i Abs. 2 BGB dar, der in den Verantwortungsbereich des Reiseveranstalters fällt. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Beförderung hat für den Reisenden keinen eigenen Erlebniswert, sie ist nur Mittel zum Zweck, den Urlaub zu verbringen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reisemangel, Reisepreisminderung, Mietwagenkosten, Waldbrand, Transfer
Fundstellen:
ReiseRFD 2024, 516
LSK 2024, 15161
BeckRS 2024, 15161

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 787,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2023 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 1.316,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte – eine Reiseveranstalterin – Rückzahlungsansprüche aus einem Reisevertrag geltend.
2
Der Kläger buchte am 08.06.2023 über das Internetportal der Firma C… GmbH bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und ihre beiden Kinder eine 10-tägige Flugpauschalreise nach Rhodos für die Zeit vom 17.07.2023 bis zum 26.07.2023 zu einem Reisepreis von insgesamt 5.354,00 €. Vertraglich in der Pauschalreise enthaltene Leistungen waren die Flüge von Köln nach Rhodos und zurück, die Transfers, die Unterbringung in einem Familienzimmer im Hotel P… sowie eine All-Inclusive-Ultra-Verpflegung.
3
Vom 17.07.2023 bis 21.07.2023 fand die Reise vereinbarungsgemäß statt.
4
Unweit der Region Apollona auf Rhodos brach sodann ein Waldbrand aus, der sich aufgrund starker Nordwestwinde und einer Hitzewelle rasant ausbreitete und außer Kontrolle geriet. Auf Anweisung der örtlichen Behörden mussten im Laufe des 22.07.2023 etwa 19.000 Touristen evakuiert werden. Am selben Tag war das sich ausbreitende Feuer auch am Hotel des Klägers angekommen. Die Beklagte hatte bis zu diesem Zeitpunkt trotz Kenntnis der Situation keinen Bus zur Evakuierung der klägerischen Familie gesendet. Der Kläger verließ daher das gebuchte Hotel, um mit seiner Familie zu Fuß vor dem Feuer in eine Schule zu flüchten. Als sich dort das Feuer erneut näherte, flüchtete der Kläger mit seiner Familie weiter in Richtung Meer. Schließlich nahm das Reiseunternehmen T… die Familie mit einem Bus zum T… Hotel, wo die Familie unterkam und auf dem Boden/Fliesen schlief. Am 23.07.2023 gegen 14 Uhr brachte ein Bus der Beklagten den Kläger mit seiner Familie sodann zu einem Sammelpunkt, wo sie ebenfalls auf dem Boden übernachteten. Am 24.07.2023 wurde der Kläger mit seiner Familie vorzeitig von der Beklagten zurück nach Köln geflogen.
5
Der Kläger trägt vor, dass er einen Mietwagen zum Preis von für 70,00 € zzgl. 15,00 € Benzinkosten gemietet habe, um die Koffer mit lebenswichtigen Medikamenten aus dem ursprünglichen Hotel holen zu können. Des Weiteren seien nach der Ankunft am Flughafen Köln weitere 44,00 € Taxikosten entstanden, um vom Flughafen nach Hause zu kommen.
6
Nach Zustellung der Klage am 31.10.2023 leistete die Beklagte eine weitere Zahlung i.H.v. 490,00 € an den Kläger, infolgedessen hat der Klagevertreter mit Schriftsatz vom 09.11.2023 die Klage i.H.v. 400,00 € zurückgenommen.
7
Der Kläger beantragt zuletzt,
die Beklagte zu verurteilen 1.006,00 Euro sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
8
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
9
Die Beklagte meint, dass sie ihren Anspruch auf den Reisepreis für den erbrachten vorzeitigen Rückflug gegen den Kläger behält.
10
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vollumfänglich auf den Akteninhalt, insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
11
Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
12
I. Der Kläger hat einen Zahlungsanspruch aufgrund Minderung des gezahlten Reisepreises gemäß §§ 346 Abs. 1, 651 m Abs. 2 S. 1, 651 i Abs. 3 Nr. 6, 651 a BGB in der tenorierten Höhe.
13
Nach § 651 i Abs. 1, 2 BGB ist der Reiseveranstalter verpflichtet, die Reise so zu erbringen, dass sie die zugesicherten Eigenschaften aufweist und nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern. Ein Reisemangel liegt vor, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Reiseleistungen von derjenigen abweicht, welche die Parteien bei Vertragsschluss vereinbart oder gemeinsam, auch stillschweigend, vorausgesetzt haben, und dadurch der Nutzen der Reise für den Reisenden beeinträchtigt wird. Sofern Vereinbarungen fehlen, ist die objektive Beschaffenheit der Reiseleistung maßgebend. Im Einzelfall ist von dem Vorliegen eines Mangels die hinzunehmende bloße Unannehmlichkeit abzugrenzen.
14
Der Waldbrand als Ursache für die Evakuierung des Hotels ist keine bloße Unannehmlichkeit, sondern stellt einen gravierenden Mangel i.S.d. § 651 i Abs. 2 BGB dar.
15
Der Mangel entstammt auch dem Verantwortungsbereich der Beklagten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Mangel auf außergewöhnliche Umstände oder das Dazwischentreten Dritter zurückzuführen ist, vgl. Grüneberg/Sprau 80. Aufl. 2021, § 651 i Rn. 7, 10; Staudinger/Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 17 Rn. 1. Die Haftung für Reisemängel bei Pauschalreisen ist nach dem weiten Mangelbegriff als Erfolgshaftung ausgestaltet, ebd. Eine Ausnahme, wonach die Beklagte von ihrer Einstandspflicht durch Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisiko beim Kläger ausgenommen ist, ist vorliegend nicht ersichtlich. Dass der Kläger mit seiner Familie Opfer des streitgegenständlichen Waldbrandes geworden ist, gehört nicht mehr zu seinem allgemeinen Lebensrisiko, vgl. dazu BGH, Urteil vom 06.12.2016 – X ZR 117/15, NJW 2017, 958 Rn. 10. Der Kläger ist gerade nicht außerhalb und unabhängig von der Inanspruchnahme einer Reiseleistung der Beklagten verunglückt, erkrankt oder Opfer einer Straftat geworden, sondern musste aus dem vertraglich vereinbarten Hotel die Flucht vor dem Feuer antreten. Aufgrund dessen, dass der Kläger und seine Familie keinerlei Reiseleistungen der Beklagten für die beiden Fluchttage mehr in Anspruch nehmen konnten, ist hierfür eine Minderungsquote von 100 % angemessen.
16
Bezugspunkt für die Reisepreisminderung ist vorliegend der Gesamtreisepreis. Entgegen der Ansicht der Beklagten werden die Leistungen für den Rücktransport nicht herausgerechnet. Zwar wurde die Rückbeförderung mit dem Flugzeug seitens der Beklagten mangelfrei erbracht. Zu berücksichtigen ist vorliegend jedoch, dass der Reisende regelmäßig die Flugkosten für die gesamte Urlaubsdauer aufbringen will. Die Beförderung hat für den Reisenden keinen eigenen Erlebniswert, sie ist nur Mittel zum Zweck, den Urlaub zu verbringen. Denn der Reisende bringt die Flugkosten nur auf, um in einem entfernten Land sämtliche anderen Reiseleistungen der Beklagten entgegenzunehmen. Sind diese anderen Reiseleistungen aber mangelhaft, so sind die Flugkosten umso höhere verlorene Investitionen, je kürzer die Reise durch den Reisemangel wird. Der Nutzen der Reise ist insoweit insgesamt eingeschränkt. Überdies wurden die Beförderungskosten von der Beklagten auch nicht offen kalkuliert, so dass es vorliegend sachgerecht erscheint, den Gesamtreisepreis für den Minderungsanspruch heranzuziehen, vgl. dazu MüKoBGB/Tonner, 9. Aufl. 2023, § 651 m Rn. 25 m.w.N.; Staudinger/Staudinger 2016, § 651 e Rn. 46; BeckOGK/Harke Stand 01.11.2023 § 651 l Rn. 53; AG Köln, Urteil vom 13.09.2021 – 133 C 611/20, BeckRS 2021, 26563; AG Hannover Urteil vom 20.01.2021 – 552 C 7862/20, BeckRS 2021, 4114.
17
Eine Kürzung des Reisepreises findet grundsätzlich für die zeitliche Dauer, in der sich der Reisemangel negativ ausgewirkt hat, statt, vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2013 – X ZR 15/11 = NJW 2013, 3170 Rn. 17. Hierzu wird zunächst anhand des Gesamtreisepreises und der Anzahl der Reisetage ein Reisetagespreis ermittelt. Die Tage der An- und Abreise sind dabei zu berücksichtigen, vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.05.2020 – 11 U 20/20, Rn. 8, BeckRS 2020, 14423; BeckOGK/Harke Stand 01.11.2023, § 651 m Rn. 164 m.w.N.
18
Der Tagesreisepreis errechnet sich daher vorliegend wie folgt:
„Gesamtreisepreis 5.354,00 € : 10 Nächte = 535,40 € Tagesreisepreis
Schließlich ist der Tagesreisepreis mit der Anzahl der betroffenen Tage und der Minderungsquote zu multiplizieren. Vorliegend sind fünf Reisetage betroffen, da der Kläger von 22.07.2023 bis 23.07.2023 auf der Flucht vor dem Feuer war und der Rückflug aufgrund des Großbrandes bereits am 24.07.2023 erfolgen musste, so dass auch die restlichen 2 geplanten Übernachtungen bis zum 26.07.2023 nicht mehr am Urlaubsort verbracht werden konnten. Für sämtliche dieser fünf Tage sieht das Gericht daher eine Minderungsquote von 100 % als angemessen an.“
19
Daraus folgt ein Minderungsanspruch i.H.v. 2.677,00 € für fünf Reisetage. Da die Beklagte vorgerichtlich bereits 1.400,00 € und nach Eingang der Klage vor Zustellung weitere 490,00 € gezahlt hat, ist dieser Betrag gem. § 362 Abs. 1 BGB in Abzug zu bringen. Mithin ergibt sich ein verbleibender Minderungsanspruch des Klägers i.H.v. 787,00 €.
20
II. Darüber hinaus hat der Kläger gegen die Beklagte einen Zinsanspruch ab 01.11.2023 i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß §§ 291, 288 BGB.
21
III. Soweit der Kläger darüberhinausgehend einen Schadensersatzanspruch für Mietwagenkosten i.H.v. 70,00 € zzgl. Benzinkosten i.H.v. 15,00 € sowie Taxikosten i.H.v. 44,00 € gemäß § 651 n BGB geltend macht, besteht ein solcher Anspruch nicht. Der Waldbrand, der Ursache für die Evakuierung des Hotels und die Kündigung des Reisevertrages am 24.07.2023 war, ist ein unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand, der gemäß § 651 n Abs. 1 Nr. 3 BGB den Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten i.H.v. 70,00 € zzgl. Benzinkosten i.H.v. 15,00 € ausschließt. Darüber hinaus schuldete die Beklagte nach dem geschlossenen Pauschalreisevertrag nicht den Transport zwischen Flughafen und dem Zuhause des Klägers, so dass ein diesbezüglicher Anspruch auf Ersatz der Taxikosten ebenfalls ausgeschlossen ist.
B.
22
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Aufgrund dessen, dass der Minderungsanspruch der Klagepartei vollumfänglich begründet war und die Beklagte den Anspruch teilweise vor Rechtshängigkeit durch Zahlung weiterer 490,00 € gemäß § 362 Abs. 1 BGB um Erlöschen brachte, woraufhin die Klage i.H.v. 400,00 € zurückgenommen wurde, waren der Beklagten die Kosten für die Klagerücknahme insofern aufzuerlegen als sie Anlass zur Klage gegeben hat. Im Übrigen war die Zuvielforderung der Klagepartei verhältnismäßig geringfügig.
C.
23
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
D.
24
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 3 ZPO.