Titel:
Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (abgelehnt), Erlaubnis zur Kindertagespflege, Aufhebung, Eignung der Tagespflegeperson, Offene Erfolgsaussichten, Interessenabwägung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
SGB VIII § 43
SGB X § 48
Schlagworte:
Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (abgelehnt), Erlaubnis zur Kindertagespflege, Aufhebung, Eignung der Tagespflegeperson, Offene Erfolgsaussichten, Interessenabwägung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15097
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. November 2023, mit dem ihre Erlaubnis zur Kindertagespflege mit sofortiger Wirkung aufgehoben wurde (Ziffer 2).
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Die Antragsgegnerin erteilte der Antragstellerin zuletzt mit Bescheid vom 25. Juni 2019 ab 1. Juli 2019 gemäß § 43 SGB VIII die Erlaubnis, bis zu fünf gleichzeitig anwesende Kinder in den Räumen der Großtagespflege N.G. (im Folgenden: GTP) in Tagespflege zu betreuen. Die Erlaubnis ist befristet bis 1. Juli 2024.
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Neben der Antragstellerin betreut eine weitere Tagespflegeperson, Frau F., in der GTP Kinder. Am 24. August 2023 führte eine Mitarbeiterin der Antragsgegnerin einen Vor-Ort-Besuch in der GTP durch. Laut Aktenvermerk der Antragsgegnerin wurde v.a. thematisiert, dass die Organisation der Tagesstruktur aufgrund des jungen Alters der Kinder schwierig sei. Es erfolgte ein Hinweis der Antragsgegnerin, dass jede Tagespflegeperson die ihr zugeteilten Kinder zu betreuen habe.
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Am 26. September 2023 besuchte die Mitarbeiterin der Antragsgegnerin während der Schließzeit der Antragstellerin die weitere Tagespflegeperson in der GTP und sprach mit ihr auch über die Antragstellerin. Aus dem Aktenvermerk hierzu ergibt sich, dass sich die Zusammenarbeit von Frau F. und der Antragstellerin schwierig gestalte. Frau F. stellte wohl u.a. in den Raum, dass die Antragstellerin die Kinder anschreie, nicht auf eine Ebene mit den Kindern gehe, nicht feinfühlig und keine Bezugsperson für die Kinder sei.
5
In einem Gespräch mit der Antragsgegnerin am 13. Oktober 2023 konkretisierte Frau F. laut Aktenvermerk der Antragsgegnerin ihre Beobachtungen. Dies bezog sich u.a. im Wesentlichen darauf, dass Kinder aus Sicht von Frau F. nicht ausreichend gefördert, gewickelt, gekleidet und getröstet würden, nicht in korrekter Weise hochgehoben würden, dass die Eingewöhnungen nicht korrekt durchgeführt würden sowie Vorfälle stattgefunden hätten, in denen Kinder verletzt worden seien und sich die Antragstellerin nicht korrekt verhalten habe.
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Am 16. Oktober 2023 führten zwei Mitarbeiterinnen der Antragsgegnerin einen Vor-Ort-Termin in der GTP durch. Deren Beobachtungen wurden in einem Aktenvermerk festgehalten. Aus diesem ergibt sich auch, dass im Anschluss an den Termin der Antragstellerin gesagt worden sei, dass es Hinweise gebe, die eine erneute Überprüfung der fachlichen und persönlichen Eignung erfordern würden, und es sei vorgeschlagen worden, dass die Antragstellerin ab dem nächsten Tag nicht mehr tätig sein solle, sie weiterhin Fördergelder erhalte und dies nicht auf ihre Kulanztage angerechnet werde. Die Antragstellerin habe eingewilligt.
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Am 17., 18. und 20. Oktober 2023 sprach die Antragsgegnerin mit den Eltern der der Antragstellerin zugeordneten Kinder über deren Beobachtungen und Zufriedenheit mit der Betreuung ihrer Kinder durch die Antragstellerin. Die Antragsgegnerin holte auch Informationen bei den Eltern der Kinder, die Frau F. zugeordnet sind, ein.
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Mit Anhörungsschreiben vom 18. Oktober 2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Erkenntnisse aus den Meldungen und dem Termin am 16. Oktober 2023 detailliert mit und führte aus, es lägen gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Kindeswohls der ihr zugeordneten Kinder vor. Das Jugendamt führe eine tätigkeitsbegleitende Eignungsüberprüfung durch. Sollte festgestellt werden, dass die Eignung nicht mehr bestehe und das Kindeswohl nicht mehr mittels Auflagen gewährleistet werden könne, werde vorbehalten, die Erlaubnis zur Kindertagespflege aufzuheben. Es wurde eine Frist zur Stellungnahme bis 23. Oktober 2023 eingeräumt und zur persönlichen Anhörung am 24. Oktober 2023 geladen.
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Frau F. wiederholte und vertiefte ihre bisherigen Mitteilungen (teilweise berichtigt mit Schreiben der Rechtsanwältin von Frau F. vom 6. Dezember 2023) im Gespräch mit der Antragsgegnerin am 20. Oktober 2023.
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Mit Schreiben vom 23. Oktober 2023 nahm die Antragstellerin umfangreich Stellung. Auch im persönlichen Gespräch am 24. Oktober 2024 machte sie detaillierte Erläuterungen zu den Vorwürfen.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 8. November 2023 wurde unter Ziffer 1 der Bescheid vom 1. Juli 2019 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Unter Ziffer 2 wurde die sofortige Vollziehung von Ziffer 1 angeordnet.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der Meldungen, Vor-Ort-Besuche und eigenen Aussagen zur Betreuungssituation und dem pädagogischen Handeln sei die Eignung zur Kindertagespflege erneut geprüft worden. Es seien gravierende Vorfälle festgestellt worden, die die Persönlichkeit der Antragstellerin beträfen und die Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft mit den Erziehungsberechtigten in Fragen stellten. Außerdem seien Tatsachen bekannt geworden, welche die Unzuverlässigkeit sowie einen Mangel an fachlichem und verantwortungsbewusstem Handeln sowie eine mangelnde Fähigkeit zum Erkennen von Gefahrensituationen belegten und gegen die Eignung der Antragstellerin sprächen.
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Trotz umfassender Abwägung lasse sich auch kein milderes Mittel, wie etwa eine Änderung der Pflegeerlaubnis erkennen. Die Schwere und Menge der Meldungen und Beobachtungen, die mangelnde Einsichtsfähigkeit und die nicht wahrheitsgemäßen Angaben ließen es nicht zu, mildere Mittel anzuwenden. Es werde nicht außer Acht gelassen, dass durch den Entzug der Tagespflegeerlaubnis ein erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit erfolge.
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Der Sofortvollzug sei gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 4 VwGO besonders anzuordnen, da die sofortige Vollziehung im besonderen öffentlichen Interesse liege und Gefahr im Verzug gegeben sei. Es würden Nachteile für die Gesundheit der Kinder drohen. Das Schreien und die mangelnde Beachtung der Bedürfnisse der Kinder würden eine starke Belastung für sie bedeuten. Daneben sei auch durch die wiederholte Verletzung der Aufsichtspflicht eine ständige Gefährdung gegeben. Gerade Kinder in diesen Altersgruppen würden einer nahezu ständigen Aufsicht bedürfen, da sie sich noch nicht selbständig vor Gefahren schützen könnten und noch über kein ausgeprägtes Gefahrenbewusstsein verfügen würden. Bei einer weiteren, auch nur vorübergehenden Ausübung der Kindertagespflege bestünde (weiterhin) eine Gefährdung der zu betreuenden Kinder, welche einen Schadenseintritt erwarten lasse und welcher damit vorgebeugt werden müsse. Dies sei auch unter Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin gegeben. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung.
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Im Folgenden erhielt die Antragsgegnerin weitere Informationen von Eltern und Frau F.
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Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2023 ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigte Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben (M 18 K 23.5848) und beantragen, den Bescheid vom 8. November 2023 aufzuheben. Über dieses Verfahren wurde noch nicht entschieden.
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Am 24. Mai 2024 beantragte die Bevollmächtigte der Antragstellerin:
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Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 80 Abs. 5 VwGO verpflichtet, die sofortige Untersagung der Betreuung von Tagespflegekindern durch die Antragstellerin als Tagespflegeperson gem. Ziff. 2 des Bescheides vom 8.11.2023 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde detailliert zu den einzelnen Vorwürfen ausgeführt.
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Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2024 beantragte die Antragsgegnerin,
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den Antrag abzulehnen.
22
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Sofortvollzug sei ordnungsgemäß begründet worden. Die Interessenabwägung sei zugunsten der Antragsgegnerin zu treffen, da das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung überwiege. Der Bescheid sei rechtmäßig.
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Mit Schriftsatz vom 5. Juni 2024 ging die Antragsgegnerin auf die bisherige Tätigkeit der Antragstellerin ein.
24
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren sowie im Klageverfahren M 18 K 23.5848 sowie den Inhalt der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
25
Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (M 18 K 23.5848) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. November 2023 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.
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Der schriftsätzlich gestellte Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 80 Abs. 5 VwGO, die sofortige Untersagung der Betreuung von Tagespflegekindern durch die Antragstellerin als Tagespflegeperson gemäß Ziffer 2 des Bescheids vom 8. November 2023 aufzuheben, war gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage (M 18 K 23.5848) wiederherzustellen.
27
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die grundsätzlich nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessensabwägung. Dabei können wegen des summarischen Charakters des Eilverfahrens und seiner nur begrenzten Erkenntnismöglichkeiten weder schwierige Rechtsfragen vertieft oder abschließend geklärt, noch komplizierte Tatsachenfeststellungen getroffen werden; solches muss dem Verfahren der Hauptsache überlassen bleiben (OVG NW, B.v. 26.1.1999 – 3 B 2861/97 – juris Rn. 4; vgl. ausführlich Schoch in Schoch/Schneider, VerwR, Stand: 44. EL März 2023, § 80 Rn. 399).
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Die Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin sind bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offen zu beurteilen. Insbesondere erweist sich der Bescheid vom 8. November 2023 im Rahmen der summarischen Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig noch rechtswidrig.
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Es kann vorliegend im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend festgestellt werden, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Aufhebung der Tagespflegeerlaubnis vorliegen.
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Rechtsgrundlage des Bescheids vom 8. November 2023 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Demnach kann ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung – wie vorliegend die zuletzt mit Bescheid vom 25. Juni 2019 erteilte Tagespflegeerlaubnis nach § 43 SGB VIII – mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
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Nach § 43 Abs. 1 SGB VIII bedarf eine Person, die ein Kind oder mehrere Kinder außerhalb des Haushalts des Erziehungsberechtigten während eines Teils des Tages und mehr als fünf Stunden wöchentlich gegen Entgelt länger als drei Monate betreuen will, der Erlaubnis. Die Erlaubnis ist zu erteilen, wenn die Person für die Kindertagespflege geeignet ist. Geeignet in diesem Sinne sind Personen, die sich durch ihre Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft mit Erziehungsberechtigten und anderen Tagespflegepersonen auszeichnen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII) und über kindgerechte Räumlichkeiten verfügen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII). Sie sollen zudem über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Anforderungen der Tagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII). Der Begriff der Eignung der Tagespflegeperson ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der vollen gerichtlichen Prüfung unterliegt (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Danach gehören zu den erforderlichen charakterlichen Eigenschaften einer Pflegeperson, die diese befähigen, die in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII normierten Ziele der Tagespflege erfüllen zu können, eine ausreichende psychische Belastbarkeit und Zuverlässigkeit, um in der Bewältigung auch unerwarteter Situationen flexibel reagieren zu können, sowie ausreichendes Verantwortungsbewusstsein und hinreichende emotionale Stabilität, damit das Kind und seine Rechte unter allen Umständen geachtet werden. Ferner muss eine geeignete Tagespflegeperson ihr Handeln begründen und reflektieren können und fähig zum konstruktiven Umgang mit Konflikten und Kritik sein (BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 17 m.w.N.).
33
Diesen Anforderungen muss eine Tagesmutter insbesondere auch im Hinblick auf den vom Kindeswohl umfassten Anspruch auf gewaltfreie Erziehung (siehe § 1631 Abs. 2 BGB) genügen (BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 18). In Tagespflege aufgenommene Kinder dürfen keinen vermeidbaren, für ihre Entwicklung schädlichen Risiken oder Gefährdungen ausgesetzt werden. Die persönliche Eignung für die Kindertagespflege fehlt, wenn ein festgestellter Mangel an persönlicher Integrität und Zuverlässigkeit negative Auswirkungen von nicht unerheblichem Gewicht auf die betreuten Kinder hinreichend konkret befürchten lässt und die Pflegeperson nicht bereit oder in der Lage ist, die daraus resultierende Gefährdung abzuwenden (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 18 m.w.N; VG München, B.v. 15.5.2020 – M 18 S 20.732 – juris Rn. 44). Die Eignung fehlt dabei nicht erst dann, wenn das Wohl der zu betreuenden Kinder gefährdet ist, sondern bereits dann, wenn dies aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu befürchten ist (vgl. VG Bremen, B.v. 13.7.2023 – 3 V 649/23 – juris Rn. 16; BeckOGK/Janda, Stand: 1.6.2023, SGB VIII, § 43 Rn. 45).
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Ist die Erlaubnis zur Kindertagespflege allerdings einmal erteilt, so ist die Hürde für den Entzug entsprechend hoch, weil bei Erteilung der Erlaubnis die Eignung ausdrücklich festgestellt wurde (vgl. VG München, B.v. 15.5.2020 – M 18 S 20.732 – juris Rn. 45). Eine Aufhebung ist nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X möglich. Zudem muss der Entzug der Erlaubnis zur Kindertagespflege im Lichte des damit verbundenen erheblichen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) stets das letzte Mittel bleiben. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist deshalb zunächst zu prüfen, ob nicht andere (etwa Beratungs- und Unterstützungs-) Maßnahmen oder die Erteilung nachträglicher Auflagen analog § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ausreichen, um der befürchteten Gefahrenlage wirksam zu begegnen. In jedem Fall muss die Nichteignung positiv feststehen und durch konkret nachweisbare Tatsachen begründet werden. Bloße Zweifel genügen nicht (stRspr., vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 12 C 14.2846 – juris Rn. 19f. m.w.N.). Ebenso wenig ein bloßer Verdacht, sofern nicht gewichtige Anhaltspunkte gegeben sind (vgl. VG Ansbach, U.v. 17.7.2014 – AN 6 K 13.01950 – juris Rn. 30).
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Besteht der Verdacht, dass die Tagespflegeperson eine ihre Eignung ausschließende Straftat begangen, d.h. etwa Gewalt gegen ein Tagespflegekind angewendet hat, kann dies grundsätzlich zur Versagung der Tagespflegeerlaubnis führen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die zuständige Behörde nach § 20 SGB X sämtliche Umstände ermittelt und gewürdigt hat, die für die Entscheidung über die Erlaubniserteilung relevant sind (vgl. BeckOGK/Janda, 1.11.2023, SGB VIII § 43 Rn. 52), mithin den den Verdacht begründenden Sachverhalt im Rahmen des ihr obliegenden Amtsermittlungsgrundsatzes unter Ausschöpfung aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hinreichend aufgeklärt hat. Denn die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn die Tagespflegeperson aufgrund eines bloßen Verdachts an ihrem beruflichen Fortkommen gehindert wird (vgl. BeckOGK/Janda, 1.11.2023, SGB VIII § 43 Rn. 5).
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Auch der bei Kindeswohlgefährdungen Anwendung findende Grundsatz „in dubio pro infante“ (vgl. dazu VG München, B.v. 15.5.2020 – M 18 S 20.732 – juris Rn. 46; VGH BW, B.v. 23.4.2019 – 12 S 675/19, juris Rn. 21; Busse in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 43 SGB VIII, Stand: 13.07.2023, Rn. 46; Nonninger/Kepert, LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 43 Rn. 13) entbindet das Jugendamt nicht von der Obliegenheit, bei Zweifeln an der Eignung der Tagesmutter den Sachverhalt durch eigene Ermittlungen so weit wie möglich zu klären und auf der Grundlage von Tatsachen zu einer – positiven oder negativen – Einschätzung ihrer Eignung zu gelangen (VG München, B.v. 15.5.2020 – M 18 S 20.732 – juris Rn. 46).
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung ist dabei nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung; eine evidente Wiederherstellung der Zuverlässigkeit der Pflegeperson während eines laufenden Gerichtsverfahrens ist indes gleichwohl zu beachten (BayVGH, B.v. 18.10.2012 – 12 B 12.1048 – juris Rn. 35).
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Insoweit erscheint bereits aufklärungsbedürftig, ob der Bescheid vom 8. November 2023 eine schriftliche Bestätigung einer bereits am 16. Oktober 2023 mündlich erlassenen Erlaubnisaufhebung mit Sofortvollzug darstellt (§ 33 Abs. 2 Satz 2 SGB X, § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) oder eine Anordnung erst für die Zukunft darstellen soll. Davon abhängig dürfte jedoch sein, welche Erkenntnisse die Antragsgegnerin ihrer Entscheidung zu Grunde legen kann. Zudem erscheint klärungsbedürftig, inwieweit die Antragsgegnerin die Antragstellerin vor Bescheiderlass ausreichend angehört hat, vgl. §§ 24, 42 Satz 2 SGB X. Eine ordnungsgemäße Anhörung setzt schon zur Wahrung ihrer systematischen Funktion voraus, dass für den Betroffenen erkennbar wird, aufgrund welcher Tatsachen die Behörde welchen Verwaltungsakt konkret beabsichtigt. Andernfalls wäre dem Ziel der Anhörung, eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden, nicht genüge getan (vgl. Apel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl. Stand: 15.11.2023, § 24 SGB X Rn. 30). Es muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, zu klären, ob vorliegend eine ordnungsgemäße Anhörung in diesem Sinne erfolgte.
39
Ebenso kann im Rahmen der ausschließlich möglichen summarischen Prüfung in vorliegendem Verfahren keine Aussage dazu getroffen werden, ob die von der Antragsgegnerin angeführten Vorwürfe gegen die Antragstellerin die Aufhebung der Tagespflegeerlaubnis rechtfertigen.
40
Die Antragsgegnerin hat ihre Einschätzung auf die Würdigung der Gesamtsituation gestützt, s. Bescheid S. 9. Hierbei hat sie die Aussagen insbesondere von Frau F. sowie teilweise der von ihr befragten Eltern als glaubhaft angenommen und den dort geschilderten Sachverhalt ihrer Würdigung zu Grunde gelegt.
41
Das Gericht sieht es derzeit jedoch als offen an, ob die erhobenen Vorwürfe berechtigt sind und die Antragsgegnerin insoweit ihrer Pflicht zur Amtsermittlung ausreichend nachgekommen ist.
42
So macht der Bescheid vom 8. November 2024 der Antragstellerin bezüglich des Vorfalls am 22. November 2022, als das Kind L. mit zerkratztem Gesicht an die Mutter übergeben wurde, (wohl) zum Vorwurf, sie habe die Verletzung nicht abgewendet bzw. ihre Aufsichtspflicht verletzt, habe das Kind nicht getröstet, die Eltern nicht unmittelbar informiert, das Kind nicht persönlich an die Eltern übergeben und den Vorfall nicht an das Jugendamt und die Unfallversicherung gemeldet. Es wird außerdem in den Raum gestellt, dass die Ursache der Verletzungen ärztlicherseits angezweifelt worden sei. Die Tatsachengrundlage zu diesem Vorwurf bleibt auf der Grundlage summarischer Prüfung unklar. Erstmals Kenntnis hiervon erhielt die Antragsgegnerin durch die Erzählung von Frau F. am 13. Oktober 2023, die ihrerseits den Vorfall nur vom Hörensagen kannte. Die Mutter von L. konnte am 17. Oktober 2023 und 20. Oktober 2023 keine Angaben zum Unfallhergang machen, sondern im Wesentlichen nur deutlich machen, dass sie bei L.s Anblick in Tränen ausbrechen habe müssen, der Arzt die Geschichte nicht für nachvollziehbar gehalten habe, sie nicht unmittelbar angerufen worden sei und nicht sagen könne, ob die Antragstellerin bei der Abholung in der GTP zugegen gewesen sei. Nach zeitlicher Präzisierung durch die Antragsgegnerin im Anhörungsgespräch am 24. Oktober 2024 führte die Antragstellerin aus, wie es zu der Verletzung gekommen sei, und dass ihr nicht bekannt gewesen sei, dass sie eine Meldung hätte machen müssen.
43
Wie sich der Vorfall wirklich ereignet hat, bleibt jedoch weiterhin offen. Auch zu den ärztlichen Zweifeln am Unfallhergang findet sich keine Stellungnahme o.ä. des Arztes, sondern nur (verschiedene) Angaben der Mutter. Ob die Antragstellerin wirklich vorwerfbar die Verletzung hätte abwenden können, ihre Aufsichtspflicht verletzt hat und L. nicht getröstet hat, ist ebenfalls unklar. Offen bleibt derzeit auch, wie schwer die Verletzungen tatsächlich waren. Die in der Akte befindlichen Fotos sind nicht datiert. Die Antragstellerin kennt laut Antragsschrift nur ein Foto aus dem Chat mit der Mutter, auf dem die Kratzspuren ihren Angaben nach deutlich geringer und nicht am Auge erscheinen. Demzufolge kann derzeit auch nicht geklärt werden, ob ein sofortiger Anruf bei den Eltern sowie Meldungen an das Jugendamt und die Unfallversicherung veranlasst waren.
44
Auch die vorliegenden Erkenntnisse zum Sturz des Kindes F. am 9. Oktober 2023 zeigen derzeit kein belastbares Ergebnis. Schon die genaue Art und Schwere der Verletzung stehen nicht fest. Es finden sich lediglich Angaben, die Wunde habe ärztlicherseits nur mit einem Pflaster versorgt werden müssen oder geklebt werden müssen, hingegen keine ärztlichen Aussagen hierzu. Alldemzufolge kann derzeit nicht bewertet werden, ob ein Anruf bei den Eltern und eine Meldung beim Jugendamt und der Unfallversicherung oder überhaupt eine Wundversorgung angezeigt gewesen wären. Zum Unfallhergang und F.s Reaktion steht Aussage gegen Aussage, ob F. gestolpert ist oder von der Antragstellerin über die Schwelle gezogen und losgelassen wurde. Aus den Angaben der Eltern und dem bei den Akten befindlichen undatierten Foto lassen sich zumindest derzeit ebenfalls keine gesicherten Informationen gewinnen.
45
Ebenso unklar bleibt derzeit der Vorfall Anfang August 2023, als das Kind F. mit dem Kopf im Hochstuhl festgesteckt haben soll. Dass es zu einer Verletzung gekommen ist, ist nicht ersichtlich. Zum Ablauf trug die Antragstellerin von Anfang an vor, sie habe F. nicht in den Hochstuhl gesetzt, sondern Frau F. gegen ihren Willen und während sie sich beim Wickeln in einem anderen Raum befunden habe. Dieser Vortrag wurde von der Antragsgegnerin bislang zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht bewertet.
46
Im Übrigen bleiben auch die Vorwürfe „Abwesenheit im Gruppenraum“, „Abwesenheit im Schlafraum“, „Abwesenheit von der GTP“ pauschal, unpräzise, z.T. undatiert und gründen hauptsächlich auf offenbar durch die Antragsgegnerin nicht weiter hinterfragten „Meldungen“. Einzig die – womöglich notfallbedingte – Abwesenheit am 11. September 2023 kann als erwiesen angesehen werden bzw. die Nichtmeldung dieses Vorfalls an das Jugendamt wird im erwiesenen Umfang aber kaum die Aufhebung der Tagespflegeerlaubnis rechtfertigen können. Auch die Frage, welches Fehlverhalten der Antragstellerin bezüglich der Eingewöhnungen der Kinder D. und F. vorzuwerfen ist, bleibt unklar, zudem ist für das Gericht zumindest derzeit eine Auseinandersetzung der Antragsgegnerin mit den Eingewöhnungsprotokollen nicht zu erkennen. Der im Raum stehende Vorwurf, dass die Antragstellerin Kinder schreien lasse ohne sich zuzuwenden, bezieht sich wohl auf eine Vielzahl nicht datierter derartiger Vorkommnisse. Die bisher verfügbaren Ermittlungen hierzu beschränken sich vor allem auf Aussagen von Frau F. und Elternmeldungen vom 22. und 24. Oktober 2023.
47
Im Rahmen der summarischen Prüfung bleibt daher offen, ob die gegen die Antragstellerin erhobenen Vorwürfe hinreichend aufgeklärt wurden und in der Gesamtschau die Aufhebung der Tagespflegeerlaubnis rechtfertigen können.
48
Nach alledem ist vorliegend eine von den Erfolgsaussichten der Klage losgelöste Interessenabwägung geboten, wobei auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 105). Diese Abwägung fällt zum Nachteil der Antragstellerin aus.
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Abzuwägen sind die Interessen der Antragstellerin an der Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit mit dem öffentlichen Interesse am Schutz des Kindeswohls der von der Antragstellerin betreuten Kinder.
50
Im Rahmen des privaten Interesses der Antragstellerin, ihre Tätigkeit als Tagespflegeperson weiter auszuüben ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin das finanzielle Einkommen aus ihrer Tätigkeit als Tagesmutter benötigt. Die Bevollmächtigte hat vorgetragen, dass die Ersparnisse der Antragstellerin in nächster Zeit aufgebraucht seien, ihr drohe, ihre Wohnung zu verlieren und bestenfalls in den Nottarif der Krankenversicherung zu rutschen, weil ihr der Rückweg in die gesetzliche Krankenversicherung verwehrt sei, und ihr drohe, in die Insolvenz zu rutschen. Diese Interessen erachtet das Gericht als durchaus wesentlich. Allerdings muss hierbei auch wesentlich berücksichtigt werden, dass die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 8. November 2023 aufgehobene Erlaubnis bis zum 1. Juli 2024 befristet ist. Die streitgegenständliche Aufhebung dieser Erlaubnis kann daher lediglich bis zu diesem Zeitraum Wirkung entfalten. Denn mit dem gesetzlich gemäß § 43 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII vorgesehenen Zeitablauf endet automatisch die Erlaubnis zur Kindertagespflege (Smessaert in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 43 Rn. 25). Für den Zeitraum danach ist eine erneute Beantragung und Erlaubniserteilung auf Grundlage einer vollständigen und umfassenden Eignungsprüfung nötig, um die Tagespflege weiterführen zu können (ebd.; BeckOGK/Janda, 1.11.2023, SGB VIII § 43 Rn. 87). Die Antragstellerin könnte ihre Tätigkeit daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung auch unabhängig von der Aufhebung nur noch für einen extrem kurzen Zeitraum ausüben. Zudem erscheint erheblich zweifelhaft, ob es der Antragstellerin für diesen nur wenige Arbeitstage umfassenden Zeitraum überhaupt gelänge, Betreuungsverhältnisse aufzunehmen. Da der vorliegende Antrag auch erst am 24. Mai 2024 und damit über fünf Monate nach Bescheidserlass erhoben wurde, besteht auch keinerlei Rechtfertigung hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen. Das Interesse der Antragstellerin stellt sich daher gegenwärtig als äußert gering dar, so dass das von der Antragsgegnerin angeführte Interesse des Kindeswohls – auch bei offenen Erfolgsaussichten der Klage – überwiegt.
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Der Antrag ist daher abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).