Titel:
Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld
Normenketten:
FGO § 52a, § 63 Abs. 1 Nr. 1, § 76 Abs. 2, § 135 Abs. 1, § 143 Abs. 1
AO § 16, § 17, § 37 Abs. 2, § 125 Abs. 3 Nr. 1, § 127
DSGVO Art. 9
EStG § 63
Leitsatz:
Die Entscheidung über die Bewilligung von Kindergeld ist ein gebundener Verwaltungsakt, so dass mangels Ermessensspielraum keine andere Entscheidung getroffen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 19.04.2012, Az.: III R 85/11, BeckRS 2012, 95467, BFH/NV 2012, 1411; BFH-Urteil vom 19.01.2017. Az.: III R 31/15, BStBl. II 2017, 642, BeckRS 2017, 94495). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Behörde, Behinderung, Aufhebung eines Verwaltungsaktes, Anspruch auf Kindergeld, Einspruchsentscheidung, Einspruch, Bundesfinanzhof, Kind mit Behinderung, Kindergeld, Kind, Gebundener Verwaltungsakt, Prozeßführungsbefugnis, Zulassung der Revision, Örtliche Unzuständigkeit, Zuständigkeit, passive Prozessführungsbefugnis
Fundstelle:
BeckRS 2024, 15084
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig verblieben ist allein die Frage der Zuständigkeit und passiven Prozessführungsbefugnis der Beklagten wegen Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld für ein Kind mit Behinderung.
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Der Kläger ist der ältere Bruder des am ... 1994 geborenen C. C ist schwerbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen B, G und H. Die Behinderung besteht seit Geburt. Beide Elternteile sind verstorben. Der Kläger ist seit ca. 2010 zum Ersatzbetreuer und seit mindestens 2016 zum Betreuer für seinen jüngeren Bruder bestellt. Er bezog laufend Kindergeld für C, zuletzt unbefristet festgesetzt durch Bescheid vom 12.10.2017.
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Im Zuge der Überprüfung der Kindergeldfestsetzung hörte die beklagte Familienkasse B den Kläger am 12.09.2022 wegen Aufhebung von Kindergeld für die Monate Dezember 2020 bis August 2022 sowie Kinderbonus 2021 und 2022 und Rückforderung von Kindergeld zzgl. Kinderbonus in Höhe von insgesamt 4.834 € an. Mit Bescheid vom 10.01.2023 hob die beklagte Familienkasse B die Festsetzung von Kindergeld für C für die Monate Dezember 2020 bis August 2022 sowie den Kinderbonus 2021 und 2022 gemäß § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte die Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 4.834 € gemäß § 37 Abs. 2 AO. Die Prozessbevollmächtigte legte für den Kläger Einspruch ein. Der Einspruch des Klägers wurde durch die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice mit Sitz in M. mit Einspruchsentscheidung vom 13.02.2024 zurückgewiesen.
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Die Prozessbevollmächtigte erhob für den Kläger Klage und richtete diese gegen die Familienkasse B. Sie wurde mit Eingangsbestätigung vom 18.03.2024 gemäß § 76 Abs. 2 FGO auf mögliche Bedenken an der Zulässigkeit der Klage hingewiesen. Die Prozessbevollmächtigte vertritt diesbezüglich die Auffassung, die Klage sei gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 FGO gegen die Behörde zu richten, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, mithin die Familienkasse B der Bundesagentur für Arbeit. Darauf, dass die Einspruchsentscheidung vom 13.02.2024 durch die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice (M.) erging, komme es nicht an.
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Der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice fehle die Passivlegitimation. Denn das FG Berlin-Brandenburg habe mit Gerichtsbescheid vom 13.12.2023 (16 K 16111/23, nicht rkr.) entschieden, dass die Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice wegen Unbestimmtheit des Vorstandsbeschlusses der Bundesanstalt für Arbeit vom 27.01.2022 nicht wirksam begründet worden sei. Der Vorstandsbeschluss überlasse den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Zuständigkeitsregelung internen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit, ohne dass es eine Delegationsbefugnis gebe. Unklar sei, ob mit „Personen“, deren Daten besonders schützenswert sind, die Kindergeldberechtigten oder die Kinder oder beide gemeint seien. Nicht hinreichend bestimmt sei auch der Begriff „besonders schützenswerte Daten“.
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Richtiger Beklagter sei daher die Familienkasse B; die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice sei nicht berechtigt, über den Einspruch zu entscheiden.
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Für den Fall des Unterliegens sei die Revision zuzulassen. Beim BFH lägen bereits Verfahren wegen der Frage der Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice sowie der Wirksamkeit des Vorstandsbeschlusses der Bundesagentur für Arbeit vor; hierzu sei unterschiedliche Rechtsprechung der Finanzgerichte ergangen.
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Das streitgegenständliche Verfahren ist zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung und Entscheidung mit dem Verfahren des Klägers wegen Kindergeld ab September 2022 verbunden worden. Während der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte erklärt, im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers werde das Vorliegen eines Pflegekindverhältnisses zwischen dem Kläger und seinem Bruder C während des Streitzeitraumes nicht weiter bestritten; auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 07.06.2024 wird diesbezüglich verwiesen. Das Verfahren wegen Kindergeld für die Monate September 2022 bis Januar 2023 ist vom Verfahren abgetrennt worden.
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Die Prozessbevollmächtigte beantragt für den Kläger,
- den Bescheid der Familienkasse B vom 10.01.2023 und die Einspruchsentscheidung der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice vom 13.02.2024 aufzuheben,
- die Beklagte zu verpflichten, das Kindergeld für C für die Zeit vom Dezember 2020 bis August 2022 zuzüglich Kinderbonus zu bewilligen,
- hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Zulassung der Revision.
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Die beklagte Familienkasse B beantragt,
- hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Zulassung der Revision.
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Zur Begründung meint die Beklagte im Wesentlichen, die Klage sei unzulässig. Sie – die Familienkasse B – sei nicht die richtige Beklagte, denn die Einspruchsentscheidung vom 13.02.2024 sei nicht durch sie, sondern durch die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice erlassen worden. Sei vor Erlass der Entscheidung über den Einspruch eine andere als die ursprünglich zuständige Behörde für den Steuerfall örtlich zuständig geworden, so sei nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Klage gegen die Behörde zu richten, welche die Einspruchsentscheidung erlassen hat. Im Streitfall sei die Klage daher gegen die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice zu richten gewesen. Dies ergebe sich auch aus der in der Einspruchsentscheidung enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung, dass die Klage „gegen die oben bezeichnete Familienkasse zu richten“ sei.
12
Dem Gericht lag aus dem Verfahren wegen Kindergeld ab September 2022 die Kindergeldakte der beklagten Familienkasse als elektronische Datei vor; auf deren Inhalt wird verwiesen. Zum streitgegenständlichen Verwaltungsakt konnte die beklagte Familienkasse keine (weitere) Akte vorlegen. Auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 07.06.2024 wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Klage ist unzulässig, da sie nicht gegen die passivlegitimierte Behörde gerichtet ist. Die örtliche Zuständigkeit in Kindergeldfällen, welche Kinder mit Behinderung erfassen, ging zum 01.02.2022 wirksam auf die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice über. Passivlegitimiert ist damit gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Behörde, welche die Einspruchsentscheidung erlassen hat; im Streitfall war dies die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice.
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1. Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist die Klage grundsätzlich gegen die Behörde zu richten, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat.
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2. a. Ist vor Erlass der Entscheidung über den Einspruch eine andere als die ursprünglich zuständige Behörde für den Steuerfall örtlich zuständig geworden, so ist die Klage zu richten gegen die Behörde, welche die Einspruchsentscheidung erlassen hat (§ 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Diese Vorschrift ist entsprechend anzuwenden, wenn die örtliche Zuständigkeit schon zu einem früheren Zeitpunkt auf die die Einspruchsentscheidung erlassende Behörde übergegangen und bereits der Ausgangsbescheid von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen worden war (BFH-Beschluss vom 28.01.2002 VII B 83/01, BFH/NV 2002, 934; BFH-Urteil vom 19.01.2017 III R 31/15, BStBl. II 2017, 642; Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 63 FGO Rn. 6).
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2. b. Die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice (M.) war ab 01.02.2022 zuständig für Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) für Kindergeldberechtigte mit einem Kind mit Behinderung. Die Übertragung der Zuständigkeit für solche Fälle an die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice durch Beschluss der Bundesagentur für Arbeit stellt eine wirksame örtliche Zuständigkeitsregelung dar (vgl. FG Münster, Urteil vom 18.04.2024, 8 K 1319/21 Kg, juris).
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(1) Sachlich zuständig für die Durchführung des Familienleistungsausgleichs sind grundsätzlich die Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit als Familienkassen (§ 16 AO i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 FVG; BFH-Urteil vom 06.04.2017 III R 33/15, BStBl. II 2017, 997; BFH-Urteil vom 19.01.2017 III R 31/15, BStBl. II 2017, 642). Die Familienkassen sind Finanzbehörden im Sinne der Abgabenordnung (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 AO).
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(2) Die allgemeine örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden ergibt sich aus §§ 17 ff. AO, soweit nichts anderes bestimmt ist.
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Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG kann der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der Abgabenordnung über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen. Die Verteilung der Kindergeldsachen auf die einzelnen Familienkassen betrifft die örtliche Zuständigkeit (BFH-Urteil vom 19.01.2017 III R 31/15, BStBl. II 2017, 642: Zuständigkeiten der Familienkassen für Auslandsfälle). Solch eine abweichende Regelung über die örtliche Zuständigkeit erfordert die Übertragung nicht nur einzelner Sachaufgaben, sondern vielmehr die Übertragung der Gesamtzuständigkeit für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten (BFH-Urteil vom 25.02.2021 III R 36/19, BStBl. II 2021, 712: keine Aufspaltung der Zuständigkeiten nach Festsetzungs- und Erhebungsverfahren).
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Die Begründung einer Zuständigkeit i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG stellt damit einen Unterfall der örtlichen Zuständigkeit dar und beschränkt sich auf die Verteilung der Kindergeldfälle auf die einzelnen Familienkassen gleicher hierarchischer Stufe. Die Kriterien für die Verteilung erschöpfen sich in bestimmten Bezirken oder Gruppen von Berechtigten. Eine andere Zuständigkeitsregelung ist dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit nicht möglich.
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(3) Bei der Übertragung der sog. „besonderen“ Zuständigkeit für kindergeldberechtigte Personen, deren Daten – und damit der gesamte Fall – besonders schützenswert sind, auf die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice durch Ziff. 2.1.5. des Anhangs zum Beschluss des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit 12/2022 vom 27.01.2022 (ANBA 05/2022) handelt es sich um solch eine abweichende Regelung der örtlichen Zuständigkeit. Die Übertragung ist wirksam, zumindest soweit sie Personen, deren Daten z.B. wegen eines Kindes mit Behinderung mit einem Schutzkennzeichen zu schützen sind, betrifft. Es handelt sich hierbei um eine bestimmte Gruppe von Berechtigten, für welche die Bundesagentur für Arbeit die Gesamtzuständigkeit vollumfänglich auf die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice übertrug. Die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice wurde als Familienkasse gleicher hierarchischer Stufe neu gegründet. Der nachfolgende Vorstandsbeschluss 129/2022 vom 03.11.2022 (ANBA 12/2022) blieb in Ziff. 2.1.5. unverändert, so dass die Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice für Fälle mit behindertem Kind im Ergebnis bereits ab 01.02.2022 bestand.
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(a) Die Fallgruppe „Kindergeldberechtigter mit einem Kind mit Behinderung“ ist inhaltlich hinreichend bestimmt und klar abgrenzbar (FG Münster, Urteil vom 18.04.2024 8 K 1319/21 Kg, juris; a.A. FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2023 16 K 16111/23, juris, nicht rkr., BFH III R 4/24).
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Die Personengruppe, für welche der Vorstandsbeschluss der Bundesagentur für Arbeit eine sog. „besondere“ Zuständigkeitsregelung trifft, ist eindeutig berechtigtenbezogen. Dies ergibt sich bereits aus Ziff. 2 des Anhangs zum Vorstandsbeschluss 12/2022 vom 27.01.2022 (ANBA 05/2022), der Zuständigkeiten „für Kindergeldberechtigte“ festlegt. Auch werden die Kindergeldakten bei den Familienkassen berechtigtenbezogen und nicht kindbezogen geführt, worauf die Vertreterin der Familienkasse in der mündlichen Verhandlung am 07.06.2024 hinwies. Die besondere Zuständigkeit nach Ziff. 2.1.5 umfasst daher ohne Zweifel den gesamten Kindergeldanspruch eines Kindergeldberechtigten bei Behinderung eines der zu berücksichtigenden Kinder i.S.d. § 63 EStG.
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(b) Die Formulierung „besonders schützenswerte Daten“ betrifft – berechtigtenbezogen – erkennbar Kindergeldfälle mit besonderem datenrechtlichen Schutzbedarf. Diese Fälle werden organisatorisch mit einem Schutzkennzeichen versehen, beispielsweise um eine automatisierte Verarbeitung zu unterbinden. Für ein Kind mit Behinderung erfordert Art. 9 DSGVO („Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten“) besondere datenschutzrechtliche Vorkehrungen, denn diese Vorschrift untersagt grundsätzlich eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten. Zur Prüfung und Feststellung der Behinderung eines Kindes werden jedoch regelmäßig dessen Gesundheitsdaten benötigt, auch die Tatsache der Behinderung an sich sowie ggf. der GdB und vergebene Merkzeichen stellen bereits solche Gesundheitsdaten dar. Darüber hinaus ist das Merkmal „Kind mit Behinderung“ eindeutig beschrieben und Zweckmäßigkeitserwägungen sind nicht veranlasst.
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(c) Soweit der tatsächliche Vollzug eines Vorstandsbeschlusses – beispielsweise in Form der Aktenabgabe – in mehreren Stufen erfolgen und Einzelheiten zu den verschiedenen Stufen durch gesonderte Weisungen geregelt werden sollten, betrifft dies nach Auffassung des Gerichts lediglich die Ausgestaltung der tatsächlichen Umsetzung der Zuständigkeitsübertragung und modifiziert nicht den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses oder des Zuständigkeitswechsels (FG Münster, Urteil vom 18.04.2024 8 K 1319/21 Kg, juris; a.A: FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2023 16 K 16111/23, juris, nicht rkr., BFH III R 4/24). Konkrete Anweisungen zur Umsetzung von Beschlüssen – per Email oder auf andere Art und Weise – führen nicht zur Unbestimmtheit des Beschlusses an sich, sondern dienen lediglich dem geordneten Übergang einer Vielzahl von Fällen auf eine nunmehr zuständige Behörde.
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Dies wird durch die Regelungen des § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO und des § 127 AO unterstrichen, welche einen Verwaltungsakt nicht schon deshalb als nichtig erachten, weil Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 AO) bzw. bei gebundenen Verwaltungsakten einen Anspruch auf Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb zusprechen, weil der Verwaltungsakt unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist (§ 127 Alt. 3 AO). Die Entscheidung über die Bewilligung von Kindergeld ist ein gebundener Verwaltungsakt, in der Sache kann mangels Ermessensspielraum keine andere Entscheidung getroffen werden (BFH-Urteil vom 19.04.2012 III R 85/11, BFH/NV 2012, 1411; BFH-Urteil vom 19.01.2017 III R 31/15, BStBl. II 2017, 642). Zweck der Vorschriften ist, das Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Festsetzung aus prozessökonomischen Erwägungen dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem formell rechtmäßigen Verfahren voranzustellen (Vorbeck in: Koenig, AO, § 127 Rn. 2, 3; BFH-Beschluss vom 14.09.1989 IV S 2/89, BFH/NV 1990, 311). Werden durch einen Beschluss der Bundesagentur für Arbeit Zuständigkeiten neu geregelt, entspricht es der Verfahrensökonomie, dass für gebundene Verwaltungsakte die örtliche Zuständigkeit hinter die materielle Entscheidung zurücktritt.
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2. c. Damit erfolgte im Streitfall zwar in der Zeit zwischen Erlass des Ausgangsbescheides am 10.01.2023 und Erlass der Einspruchsentscheidung am 13.02.2024 tatsächlich kein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit, wie ihn die Regelung in § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO dem Wortlaut nach voraussetzt. Allerdings ist nach Rechtsprechung des BFH (s.o.) die Regelung in § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO entsprechend anzuwenden, wenn bereits der Ausgangsbescheid von einer örtlich unzuständig gewordenen Behörde erlassen wurde. Eine Klage ist damit gegen diejenige Behörde zu richten, welche die Einspruchsentscheidung erließ.
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Im Streitfall wäre dies die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice gewesen, welche die Einspruchsentscheidung vom 13.02.2024 erlassen hatte. Dies hätte auch der in der Einspruchsentscheidung enthaltenen – insoweit zutreffenden – Rechtsbehelfsbelehrungentsprochen. Die Klage wegen Kindergeld für die noch streitgegenständlichen Monate blieb jedoch – auch auf Nachfrage der Berichterstatterin – ausdrücklich gegen die Familienkasse B als Ausgangsbehörde (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 FGO) gerichtet.
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Aus diesem Grund ist die Klage unzulässig und wird durch Prozessurteil abgewiesen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO.
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4. Die Revision wird zugelassen. Die Frage, ob durch die Beschlüsse der Bundesagentur für Arbeit 12/2022 vom 27.01.2022 (ANBA 05/2022) und 129/2022 vom 03.11.2022 (ANBA 12/2022) mit Wirkung ab 01.02.2022 örtliche Zuständigkeiten auf die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice übertragen wurden, erfordert zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Zu der Rechtsfrage liegen divergierende Entscheidungen der Finanzgerichte vor (FG Münster, Urteil vom 18.04.2024 8 K 1319/21 Kg, juris m.w.N.; FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2023 16 K 16111/23, juris, nicht rkr., BFH III R 4/24).