Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 05.06.2024 – 204 StObWs 223/24
Titel:

Voraussetzungen der Wiedereinsetzung und Bedürftigkeit beim Taschengeldanspruch

Normenketten:
StVollzG § 46, § 116 Abs. 1, § 118 Abs. 1–3, § 120 Abs. 1 S. 2
BayStVollzG Art. 54, Art. 2
StPO § 44 S. 1, § 45, § 46 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Rechtsmittelfrist darf grundsätzlich bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden. Der Rechtsmittelführer hat dabei allerdings auch den zeitlichen und organisatorischen Aufwand in Rechnung zu stellen, dessen es bedarf, damit die Rechtsmittelerklärung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form innerhalb der Frist gegenüber der zuständigen Stelle abgegeben wird. (Rn. 11)
2. Danach ist es ausreichend, wenn ein Strafgefangener den Rechtspfleger zur Aufnahme der Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf den Fristablauf vier Werktage vor Fristablauf anfordert. (Rn. 12)
3. Gemäß Art. 54 BayStVollzG wird einem Strafgefangenen, der ohne Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist. Bei der Frage der Bedürftigkeit ist maßgeblich, ob dem Gefangenen im laufenden Kalendermonat Hausgeld oder Eigengeld bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung stehen. (Rn. 15 – 21)
4. Taschengeld hat die Funktion als finanzielle Mindestausstattung und ist deshalb dem Arbeitsentgelt und der Ausbildungsbeihilfe nachrangig. (Rn. 20)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung, Einlegung beim Rechtspfleger, Taschengeld, Bedürftigkeit, Nachrang des Taschengelder, Strafgefangener, Taschengeld des Strafgefangenen, Einlegung der Rechtsbeschwerde
Fundstellen:
NStZ-RR 2024, 296
BeckRS 2024, 15027
LSK 2024, 15027
FDStrafR 2024, 015027

Tenor

1. Dem Strafgefangenen E. wird kostenfrei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
2. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 05.03.2024 wird als unbegründet verworfen.
3. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und seine insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen dem Beschwerdeführer zur Last.
4. Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 35,63 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt St.. Mit Schreiben vom 01.07.2023 beantragte er, ihm für den Monat Juni 2023 Taschengeld zu gewähren. Er sei seit dem 02.06.2023 stationär in der Krankenstation untergebracht und habe deshalb im Monat Juni 2023 lediglich noch 4,71 € verdient.
2
Die Justizvollzugsanstalt St. verweigerte die Gewährung von Taschengeld.
3
Mit Schreiben vom 07.07.2023 stellte der Strafgefangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel, die Justizvollzugsanstalt St. zu verpflichten, ihm Taschengeld für den Monat Juni 2023 zu gewähren.
4
Die Justizvollzugsanstalt St. beantragte mit Schreiben vom 11.08.2023, den Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Zur Begründung verwies sie darauf, dass eine Bedürftigkeit nicht vorgelegen habe, weil dem Strafgefangenen bis zur Höhe des Taschengeldes im Juni 2023 ausreichende Beträge aus Hausgeld und Eigengeld zur Verfügung gestanden hätten.
5
Der Strafgefangene erwiderte hierauf mit Schreiben vom 20.08.2023, dass es richtig sei, dass er aus den Bezügen des Vormonats entsprechende Gelder in Höhe von 35,66 € angespart habe. Dieses angesparte Arbeitsentgelt dürfe jedoch nicht angerechnet werden.
6
Mit Beschluss vom 05.03.2024 wies die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing den Antrag des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung zurück.
7
Gegen diesen ihm am 08.03.2024 zugestellten Beschluss hat der Strafgefangene am 22.04.2024 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Straubing Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Entscheidung gemäß seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Regensburg zur erneuten Entscheidung beantragt. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts (allgemein) und beruft sich darauf, dass eine Anrechnung mit seinem angesparten Arbeitsentgelt nicht zulässig sei. Zugleich beantragt er, ihm hinsichtlich der Frist zu Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er an der Fristversäumung keine Schuld trage, er habe beim Amtsgericht Straubing den Rechtspfleger zur Aufnahme der Rechtsbeschwerde rechtzeitig am 03.04.2024 angefordert.
8
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Schreiben vom 06.05.2023, die Rechtsbeschwerde kostenfällig als unzulässig zu verwerfen. Die Rechtsbeschwerde sei verfristet, weil das Fristversäumnis vom Strafgefangenen selbst verschuldet sei, weil dieser den Rechtspfleger zu spät angefordert habe. Im Übrigen wäre die Rechtsbeschwerde aber auch unbegründet.
9
Hierzu nahm der Strafgefangene nochmals mit Schreiben vom 16.05.2024 Stellung.
II.
10
Dem Strafgefangenen war gemäß Art. 208 BayStVollzG, § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, § 44 Satz 1, § 45, § 46 Abs. 1 StPO antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen, da er die Frist trotz rechtzeitigem Bemühen zur Einlegung der Rechtsbeschwerde wegen der ihm nicht zurechenbaren Verzögerung des angeforderten Urkundsbeamten unverschuldet versäumt hat.
11
Insoweit ist anerkannt, dass eine Rechtsmittelfrist grundsätzlich bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 370/84 –, BVerfGE 69, 381, juris Rn. 12). Der Rechtsmittelführer hat dabei allerdings auch den zeitlichen und organisatorischen Aufwand in Rechnung zu stellen, dessen es bedarf, damit die Rechtsmittelerklärung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form innerhalb der Frist gegenüber der zuständigen Stelle abgegeben wird. Ein inhaftierter Rechtsmittelführer kann wegen des jeweiligen organisatorischen Aufwands für die Justizvollzugsanstalt und das Gericht nicht darauf vertrauen, dass ihm zu jeder Zeit und innerhalb kürzester Frist auf ein Rechtsmittel bezogene Erklärungen gemäß § 118 Abs. 3 StVollzG zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk er untergebracht ist, ermöglicht werden können [vgl. BGH, Beschluss vom 12.03.2014 – 1 StR 74/14 –, juris Rn. 6; KG, Beschluss vom 30.06.2008 – (4) 1 Ss 249/08 –, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 28.05.2015 – 1 Vollz (Ws) 248/15 –, juris Rn. 7; Thüringer OLG, Beschluss vom 29.10.2007 – 1 Ws 356/07 –, juris Rn. 14].
12
Vorliegend hat der Strafgefangene den Rechtspfleger – unter Hinweis auf den Fristablauf – zur Aufnahme der Rechtsbeschwerde mit Schreiben vom 03.04.2024, eingegangen beim Amtsgericht Straubing am selben Tage, angefordert. Angesichts des Umstands, dass das Fristende für die Einlegung der Rechtsbeschwerde hier auf den 08.04.2024 fiel, ist dies – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei dem 06.04. und dem 07.04.2024 um ein Wochenende gehandelt hat – noch ausreichend rechtzeitig und führt nicht dazu, dass die Fristversäumung verschuldet ist. Zwischen dem Eingang der Anforderung bei Gericht und dem Fristablauf lagen noch drei Werktage, die dem Rechtspfleger in der Regel ausreichen sollten, die Rechtsbeschwerde rechtzeitig aufzunehmen. Insoweit kommt es nicht mehr darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Beschluss vom 05.03.2024 tatsächlich ausgehändigt wurde.
III.
13
Die Rechtsbeschwerde vom 22.04.2024 ist form- und – nach gewährter Wiedereinsetzung – fristgerecht gemäß Art. 208 BayStVollzG, § 116 Abs. 1, § 118 Abs. 1 bis 3 StVollzG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.
IV.
14
Die Rechtsbeschwerde erweist sich jedoch als unbegründet, weil die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Strafgefangenen zu Recht zurückgewiesen hat, weil ihm ein Anspruch auf Gewährung von Taschengeld für den Monat Juni 2023 nicht zustand.
15
1. Gemäß Art. 54 BayStVollzG wird einem Strafgefangenen, der ohne Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist.
16
2. Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer vorliegend eine fehlende Bedürftigkeit des Beschwerdeführers angenommen.
17
Bei der Frage der Bedürftigkeit ist maßgeblich, ob dem Gefangenen im laufenden Kalendermonat Hausgeld oder Eigengeld bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung stehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.06.2016 – 3 Ws 326/15 StVollz –, juris Rn. 8; OLG Celle, Beschluss vom 07.05.2010 – 1 Ws 123/10 (StrVollz) –, juris; Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel/Baier/Nestler, 13. Auflage 2024, Kapitel F Rn. 146; VV zu Art. 54 BayStVollzG Nr. 2 Abs. 1).
18
Vorliegend hatte der Strafgefangene nach seinem eigenen Vortrag für den Monat Juni 2023 noch angesparte Arbeitsbezüge mindestens in Höhe des von ihm geltend gemachten Taschengeldanspruchs. Dementsprechend hatte er mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Taschengeld.
19
Soweit der Strafgefangene meint, dass eine Anrechnung von angespartem Arbeitsentgelt aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06.11.1996 – 5 AR Vollz 43/95 – nicht zulässig wäre, übersieht er, dass der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung sich ausdrücklich nur mit auf dem Hausgeldkonto angespartem Taschengeld befasst hat. Die dort vertretene Rechtsauffassung, wonach Abs. 2 Satz 2 der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVollzG bei angespartem Taschengeld keine Anwendung finde, beruht darauf, dass angespartes Taschengeld gerade nicht Hausgeld im Sinne dieser Verwaltungsvorschrift ist. Hausgeld und Taschengeld sind rechtlich zu trennen, auch wenn die Verwaltungsübung sie zur Vereinfachung gemeinsam verbucht, um neben Überbrückungsgeld-, Eigengeld- und Hausgeldkonto nicht noch ein viertes Konto, das Taschengeldkonto, führen zu müssen.
20
Eine gleichwohl vorzunehmende Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes Bedürftigkeit in Art. 54 BayStVollzG dahingehend, dass bei der Bewilligung von Taschengeld auch ein angespartes Arbeitsentgelt nicht angerechnet werden dürfe, ist mit dem Sinn dieser Vorschrift nicht vereinbar. Taschengeld ist dem Arbeitsentgelt und der Ausbildungsbeihilfe nachrangig. Die Nachrangigkeit verdeutlicht seine Funktion als finanzielle Mindestausstattung. Die Regelung des Art. 54 BayStVollzG folgt damit dem Grundgedanken des Sozialhilferechts, dem es entstammt (vgl. Baier/Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG 7. Aufl., 4. Kapitel I Rn. 1). Der Grundgedanke der Subsidiarität ist in § 2 Abs. 1 SGB XII in gleicher Weise normiert wie in Art. 54 BayStVollzG. Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen erhält.
21
Dementsprechend wird ein Anspruch nach Art. 54 Satz 1 BayStVollzG dadurch ausgeschlossen oder gemindert, dass dem Strafgefangenen eigenes Einkommen zur Verfügung steht (Baier/Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., Rn. 4; Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 46 Rn. 2). Diesem Grundsatz liefe es zuwider, wenn bei der Prüfung der Bedürftigkeit im Rahmen der Taschengeldgewährung nicht verbrauchtes Arbeitsentgelt aus dem Vormonat unberücksichtigt bliebe (vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 07.05.2010 – 1 Ws 123/10 (StrVollz) –, juris Rn. 8 – 10).
V.
22
1. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus Art. 208 BayStVollzG, § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
23
2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, § 65 Satz 1, §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.