Titel:
Erfolgreiche Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des unterlassenen Einschreitens gegen die Blockade einer Versammlung
Normenketten:
GG Art. 8
VwGO § 43 Abs. 1, § 82 Abs. 1 S. 2, § 113 Abs. 1 S. 4
BayVersG Art. 8 Abs. 1, Art. 15 Abs. 4
BayPAG Art. 11 ff.
Leitsätze:
1. Eine als Versammlung einzustufende Blockade einer anderen Versammlung kann gegen das Störungsverbot des § 8 BayVersG verstoßen, damit die öffentliche Sicherheit gefährden und deshalb nach § 15 BayVersG beschränkt oder verboten werden. (Rn. 32 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verhindert wird die ordnungsgemäße Durchführung einer Versammlung auch dann, wenn die Versammlung nicht wie geplant am beabsichtigten Versammlungsort, zur beabsichtigten Zeit und in der beabsichtigten Art und Weise stattfinden kann. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gehen Störungen der öffentlichen Sicherheit, worunter auch die Beeinträchtigung des Versammlungsgrundrechts fällt, lediglich von Gegendemonstranten aus, so ist die Durchführung der angemeldeten friedlichen Versammlung dadurch zu schützen, dass behördliche Maßnahmen primär gegen die störende Gegendemonstration zu richten sind; davon darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands abgewichen werden. (Rn. 40 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Befürchtungen einer Eskalation entbinden die Versammlungsbehörde nicht per se von vornherein von einer Handlungsverpflichtung. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fortsetzungsfeststellungsklage, Verhinderung eines ordnungsgemäß als Versammlung angemeldeten Aufzuges durch eine Blockade des Aufzugsweges, „Versammlung“ im Sinne des Versammlungsgesetzes in Abgrenzung zu einer bloßen „Verhinderungsblockade“, rechtswidriges Unterlassen polizeilichen Einschreitens, Verpflichtung, polizeiliche Primärmaßnahmen zu ergreifen, Versammlung, Aufzug, Blockade, unterlassenes polizeiliches Einschreiten, Handlungsverpflichtung, polizeiliche Primärmaßnahme
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14995
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass das unterlassene Einschreiten des Beklagten (in Form einer Primärmaßnahme) gegen Dritte im Rahmen einer Blockade des Durchgangs an der Kreuzung E* … und S* … in W* … zur Sicherung der vom Kläger für den … … 2023 angemeldeten Versammlung rechtswidrig war.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Polizei es rechtswidrig unterlassen habe, gegen die Verhinderung einer Kundgebung des Klägers durch eine Blockade Dritter einzuschreiten.
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1. Mit Schreiben vom 31. Mai 2023, welches eine Versammlungsanzeige vom … … 2023 ergänzte, zeigte der Kläger, der Bezirksverband der A** U* …, bei der Stadt W* … für den … … 2023 in einem Zeitraum von 14:00 Uhr bis 16:30 Uhr eine Versammlung mit einer erwarteten Teilnehmerzahl von 250 Personen zu dem Thema „G* … a* d** M* … vom …2021“ an. Vorgesehen war demnach ein stilles Gedenken am B* … mit einem sich anschließenden Schweigemarsch ausgehend vom B* … über die J* …, die S* …, den O* … M* … bis hin zum U* … … Dort sollte eine stationäre Abschlusskundgebung stattfinden. Die Stadt W* … bestätigte die Anzeige der Versammlung mit Bescheid vom 22. Juni 2023.
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Für den gleichen Tag um 13:00 Uhr war eine Gegenkundgebung des Bündnisses „W* … i** b* …“ am U* … M* … in W* … angezeigt worden, zu deren Teilnahme u.a. auch der D** (D* … G* …*), K* … W* …, aufgerufen hatte. An dieser Versammlung nahmen nach Angaben des Beklagten schließlich ca. 750 Personen teil. Diese Versammlung wurde gegen 14:20 Uhr beendet. Die „L* … S* …A* … W* …“ rief begleitend in den sozialen Medien dazu auf, sich am B* … einzufinden und die Veranstaltung des Klägers zu stören.
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Bereits am B* … kam es am … … 2023 zu Protesten von Gegendemonstranten gegen die Kundgebung des Klägers. Angesichts der zu erwartenden Störungen wurde in der Folge die Wegstrecke des Aufzugs des Klägers in Abstimmung mit den Polizeikräften vor Ort dahingehend geändert, dass der Aufzug nunmehr über die T* …, die E* …, den O* … M* … bis zum U* … M* … verlaufen sollte. Der Aufzug konnte sich sodann bis zur Einmündung der E* … in die S* … weitgehend ungehindert fortbewegen. Dort hatte sich eine größere Gruppe von Personen (nach Angaben des Beklagten ca. 250 Personen) eingefunden, die auf der Aufzugsstrecke über die Straßenbahngleise hinweg eine Sitzblockade bildete; weitere Personen standen neben und hinter den sitzenden Personen. Ein Passieren des Aufzuges des Klägers wurde so unmöglich gemacht. Kommunikationsteams der Polizei gelang es nicht, die Blockade aufzulösen. Nach ca. 15 Minuten teilte der Einsatzleiter der Polizei dem Versammlungsleiter des Klägers mit, dass eine Räumung der Blockade nicht in Frage komme. Nachdem der Hauptredner daraufhin beschlossen hatte, die Versammlung zu verlassen, und andere Möglichkeiten für eine Durchführung der Abschlusskundgebung am U* … M* … nicht erkannt wurden, beendete der Versammlungsleiter die Versammlung gegen 15:30 Uhr.
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2. Mit Schriftsatz vom 26. September 2023, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
Es wird festgestellt, dass das unterlassene Einschreiten des Beklagten gegen Dritte zur Sicherung der Durchführung der Kundgebung am U* … M* … in W* … im Rahmen der vom Kläger für den … … 2023 angezeigten Versammlung rechtswidrig war.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger einen Anspruch auf Einschreiten gegen die Blockade seines Aufzugs und die damit einhergehende Verhinderung seiner Kundgebung gegenüber der Polizei des Beklagten habe. Dieser Anspruch stelle ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO dar. Der Kläger habe auch unter den Gesichtspunkten der Wahrung der Rechtsweggarantie und zur Durchsetzung des Anspruchs auf wirksame gerichtliche Kontrolle aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie der Wiederholungsgefahr ein Interesse an der Feststellung. Die Verhinderung des Zugangs zum Kundgebungsort und damit die Verhinderung der Kundgebung des Klägers stelle die schwerstmögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit des Klägers nach Art. 8 GG dar. Das Unterlassen des Einschreitens der Polizei, um das Versammlungsrecht des Klägers durchzusetzen, sei rechtswidrig gewesen. Die Rechtsgrundlage für das Ergreifen von Maßnahmen gegen die Blockade sei in Art. 11 ff. PAG zu sehen. Die Blockade unterfalle nicht dem Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG ende dort, wo es nicht um die Teilnahme an einer Versammlung, sondern um Verhinderung einer solchen gehe. Ausschließlicher Zweck der Blockade sei es gewesen, die Veranstaltung des Klägers mit physischen Mitteln zu verhindern. Es handele sich daher um eine sog. Verhinderungsblockade, die nicht vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG umfasst sei, und nicht um eine Spontanversammlung. Die Blockade habe damit gegen Art. 8 Abs. 1 BayVersG verstoßen, wonach Störungen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung öffentlicher Versammlungen zu verhindern, verboten sind. Auf Grund dieses Verstoßes sei das Entschließungsermessen der Polizei dergestalt eingeengt gewesen, dass ein Einschreiten gegen die Blockade die einzig rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre. Bei der vorliegenden Verletzung des Art. 8 GG liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Selbst wenn man die Blockade als Gegenveranstaltung dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterstellen wollte, wäre ein Vorgehen gegen diese Gegenveranstaltung nach Art. 15 Abs. 4 BayVersG zwingend geboten gewesen. Zwar hätten sich in dieser Situation Gleichberechtigte gegenübergestanden und die Polizei wäre zur Herstellung praktischer Konkordanz berufen gewesen. Die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer der Gegenveranstaltung hätte aber seine Grenze dort gefunden, wo sie die Versammlungsfreiheit des Klägers zu verkürzen begonnen hätte. Art. 8 GG schütze das Selbstbestimmungsrecht über die Art der kommunikativen Äußerung nicht, soweit durch sie Rechtsgüter anderer beeinträchtigt werden. Die bestehende abstrakte Pflicht der Polizei, gegen die Blockade einzuschreiten, gehe einher mit einem entsprechenden subjektiv-rechtlichen Anspruch des Klägers. Art. 8 BayVersG, gegen den die Blockade verstoßen habe, diene gerade dem Schutz der gestörten Versammlung. Die Polizei hätte die Blockade auflösen müssen, indem sie Platzverweise aussprechen und diese unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zwangsweise durchsetzen, wenigstens aber die zwangsweise Durchsetzung effektiv versuchen hätte müssen. Die von der Polizei ergriffenen Maßnahmen seien nicht ausreichend gewesen. Es sei angesichts der Anmeldung einer Gegenkundgebung mit dem Thema „K* … F* … d** r* … A**!…“ und des Aufrufs des „L* … S* …A* … W* …“ zur Störung der Versammlung des Klägers seitens der Polizei von Anfang an mit Störungen, Behinderungen und Verhinderungsversuchen der Versammlung des Klägers durch Gegendemonstranten zu rechnen gewesen. Die Teilnehmer der Sitzblockade seien mit Lautsprecherdurchsagen zu erreichen gewesen. Auch hätte man sie in die S* … nach Norden und Süden abdrängen können, um den Zugang zum O* … und U* … M* … zu ermöglichen.
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Weder ein echter noch ein unechter polizeilicher Notstand, bei dessen Vorliegen ausnahmsweise der Kläger als Nichtstörer hätte in Anspruch genommen werden können, hätten vorgelegen. Soweit die Polizei nach der Versammlung in der Presse eine Auflösung der Blockade als unverhältnismäßig bezeichnet habe, da mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Vielzahl von verletzten Personen aus dem aufgelösten Gegenprotest und auf Seiten der Polizei zu erwarten gewesen wäre, sei diese Einschätzung nicht nachvollziehbar. Da die Blockade bis auf wenige Vermummte aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen bestanden habe, die keine Gewaltbereitschaft zeigten, sei eine solche Gefahrenprognose nicht gerechtfertigt gewesen. Der Kläger habe sich auch weder auf eine Ausweichstrecke zum Kundgebungsort noch auf eine Kundgebung in der Eichhorn straße verweisen lassen müssen. Schließlich habe die Polizei zwar den Kundgebungsort des Klägers freigehalten, nicht aber den Zugang dorthin, was die danach eingetretene Situation geradezu provoziert habe.
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3. Das Polizeipräsidium Unterfranken beantragte für den Beklagten,
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Die Klage sei zumindest unbegründet, denn das behauptete Rechtsverhältnis bestehe nicht. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Einschreiten der Polizei gehabt. Das Nichtauflösen der Sitzblockade sei nicht rechtswidrig gewesen und habe den Kläger nicht in seiner nach Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit verletzt. Es habe mit der Gegenversammlung eine Spontanversammlung vorgelegen, weshalb Maßnahmen nach dem PAG aufgrund der sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts von vornherein ausgeschieden seien. Es habe eine innere Verbundenheit der Versammlungsteilnehmer sowie eine auf Kommunikation angelegte Entfaltung, gleichsam eine meinungsbildende Relevanz des Verhaltens der Gruppe vorgelegen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls habe der Gegenprotest hier mit kommunikativen Mitteln seinen Unmut gegenüber der A**-Versammlung zum Ausdruck bringen wollen. Die Teilnehmer hätten sich zwar spontan gruppiert, aber stets darauf gerichtet, als dynamische Einheit zu agieren. Es sei eine nach außen sichtbare innere Verbundenheit der Personen durch gemeinsames Handeln vorhanden gewesen. Die Sitzblockade sei auch friedlich im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG gewesen.
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Eine Auflösung bzw. Räumung der Versammlung sei unverhältnismäßig gewesen, weshalb ein Anspruch des Klägers hierauf nicht bestanden habe. Art. 15 BayVersG als Rechtsgrundlage für Beschränkungen, Verbote und Auflösung einer Versammlung sei eine Ermessensnorm. Der Beklagte habe sein Ermessen (vgl. Art. 40 BayVwVfG) ausgeübt und alle Belange entsprechend gewürdigt. Es habe keine Ermessensreduktion auf Null vorgelegen. Eine Handlungspflicht zum Einschreiten habe damit nicht bestanden. Die Polizei sei sogar eingeschritten. Sie habe alles ihr Mögliche getan, um beide Versammlungen zu ermöglichen, habe aber auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Es seien Alternativrouten vorgeschlagen bzw. teilweise durchgeführt worden und polizeiliche Maßnahmen wie Schieben und Drücken der Blockade vorgenommen worden. Auch seien Kommunikationsteams als milderes Mittel eingesetzt worden. Aufgrund der Lage vor Ort, insbesondere der Lautstärke der Menschenmenge, hätten Ansagen über den eingesetzten Lautsprecherwagen nicht von allen Teilnehmern wahrgenommen werden können, obwohl die größtmögliche Leistung der Einsatzmittel ausgeschöpft worden sei, so dass nur ein kleiner Teil der Personen den Anweisungen der Polizei Folge geleistet habe. Eine Auflösung der Versammlung sei zudem schon faktisch nicht möglich gewesen, also ungeeignet, da die geforderte Kundgabe und Aufforderung der Polizei nur von einem kleinen Teil der Teilnehmer in den ersten Reihen hätte wahrgenommen werden können und diese sich durch die dicht gedrängte Versammlungsmenge nach hinten gar nicht hätten wegbewegen können. Außerdem hätten sich auch Kinder und ältere Personen unter den Versammlungsteilnehmern befunden, was die Maßnahme in Abwägung zum verfolgten Ziel unangemessen gemacht hätte. Des Weiteren seien die vorhandenen Einsatzkräfte zahlenmäßig nicht ausreichend gewesen, um eine Räumung des Platzes effektiv durchsetzen zu können. Als geschlossene Einheiten hätten zwei Züge der Zentralen Einsatzdienste des Polizeipräsidiums Unterfranken und ein Zug der Bereitschaftspolizei zur Verfügung gestanden. Weitere geschlossene Einheiten seien aufgrund verschiedener Einsatzlagen in Bayern, insbesondere einer parallelen Versammlungslage in A* …, nicht verfügbar gewesen. Bei der Bundespolizeiinspektion W* … habe sich eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit in Zugstärke im Dienst befunden. Auf der Grundlage von Erfahrungswerten aus vergangenen gleichartigen Versammlungskonstellationen und den prognostizierten Teilnehmerzahlen der angezeigten Versammlungen sei dieser Kräfteansatz als erforderlich, aber auch ausreichend erschienen. Auch habe kein Fall des Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Nr. 3 BayVersG vorgelegen, da keine Tatsachen festgestellt worden seien, dass ein gewalttätiger Verlauf angestrebt wird.
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Es sei ausreichend Versammlungsschutz gewährt worden. Auf der Grundlage von Erfahrungswerten aus vergangenen gleichartigen Versammlungskonstellationen und den prognostizierten Teilnehmerzahlen der angezeigten Versammlungen sei bereits im Vorfeld die Lage beurteilt und der polizeiliche Einsatz vorbereitet worden. Insbesondere sei die Polizei auf friedliche demonstrative Sitzblockaden vorbereitet gewesen. Diese sog. Demonstrationsblockaden von in der Regel bis zu maximal 25 Personen aus dem linken Spektrum hätten in der Vergangenheit in W* … stets nach einer angemessenen Zeitdauer und anschließender Beschränkung mit kommunikativen Mitteln aufgelöst werden können. Eine Durchsetzung mit unmittelbarem Zwang sei bisher regelmäßig nicht erforderlich gewesen. Der schließlich erheblich größere Gegenprotest sei aus den o.g. Parametern nicht vorhersehbar gewesen. Zwischenzeitlich hätten sich weitere Menschen am U* … M* … eingefunden, so dass in der Spitze ca. 1.200 Personen um diese Fläche agiert hätten. Trotzdem habe der Beklagte lageangepasst reagiert. Von Seiten des Polizeiführers seien dem Kläger mehrere Alternativen zur Gewähr der Versammlungsfreiheit angeboten worden. Ein vollumfängliches Freihalten der Aufzugstrecke vom B* … zum U* … M* … wäre aufgrund der Vielzahl der möglichen Zugänge dort und auf dem Weg dorthin nur mit einem massiven, nicht darstellbaren Polizeiaufgebot umzusetzen gewesen.
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4. In der mündlichen Verhandlung am 18. April 2024 war der Kläger durch seinen Vorsitzenden und seinen Bevollmächtigten vertreten. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Durch Beschluss vom 18. April 2024 wurde über die Wahrnehmungen im Rahmen des Polizeieinsatzes anlässlich der Versammlung des Klägers am … … 2023 zum Thema „G* … a* d** M* … vom …2021“ Beweis erhoben durch Einvernahme des Leiters des Polizeieinsatzes vor Ort als Zeugen, des Leitenden Polizeidirektors W* … Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
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1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog zulässig. Der Kläger macht geltend und begehrt die hierauf gerichtete Feststellung, dass es die Polizei rechtswidrig unterlassen habe, geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Durchführung seiner angemeldeten Versammlung zu treffen.
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Dieser Antrag stellt sich als hinreichend bestimmt im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar. Hierfür ist es ausreichend, dass der Kläger einen bestimmten Erfolg „einfordert“, ohne die unterlassenen Maßnahmen im Einzelnen zu benennen. In Fällen, in welchen der Beklagte einen Erfolg schuldet, genügt es bei Sicherstellung der Vollstreckungsfähigkeit, wenn der Kläger lediglich diesen Erfolg als Klageziel angibt, während die Wahl der geeigneten Maßnahmen Sache des Schuldners bleibt (vgl. VGH Mannheim, U.v. 3.8.2023 – 1 S 1718/22 – juris Rn. 60). Angesichts des Auswahlermessens der Polizei bei der Wahl der Maßnahmen und der Tatsache, dass die Vollstreckungsfähigkeit im Rahmen der Feststellungsklage keine Rolle spielt, bestehen daher gegen die Bestimmtheit des Klageantrags im vorliegenden Fall keine Bedenken.
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1.1. Entscheidend für die Abgrenzung der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog zur allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO ist, ob sich der Anspruch ursprünglich auf Erlass eines Verwaltungsaktes oder eines Realaktes gerichtet hat. Der klägerische Antrag (§ 88 VwGO) ist zwar dahingehend zu interpretieren, dass es dem Kläger im Rahmen seiner Feststellungsklage nicht um den Erlass eines spezifischen Verwaltungsaktes durch die Polizei, sondern um das Ergreifen von nicht näher bezeichneten Maßnahmen ging, die die Eignung aufwiesen, den angemeldeten Aufzug antragsgemäß durchzuführen und damit das Ziel der Versammlung zu verwirklichen. Insofern sind antragsgemäß (scheinbar) auch Realakte erfasst. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es dem Kläger um förmlich durchsetzbare, d.h. der Vollstreckung fähige Maßnahmen ging.
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Bei den so letztlich tatsächlich in Frage kommenden Maßnahmen handelt es sich aber denknotwendig um Verwaltungsakte im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, unabhängig davon, ob man diese im Bereich des Versammlungsrechts oder im Bereich des allgemeinen Polizeirechts ansiedelt. So stellen sich in Frage kommende Maßnahmen nach dem Bayerischen Versammlungsrecht, etwa die Versammlungsauflösung nach Art. 15 Abs. 4 BayVersG oder der Ausschluss von die Ordnung störenden Personen nach Art. 15 Abs. 5 BayVersG als Verwaltungsakte dar. Gleiches gilt für Maßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz, soweit etwa Platzverweise gemäß Art. 16 PAG bzw. deren Vollstreckung im Raum stehen. Insbesondere werden in Bayern auch Maßnahmen der Vollstreckung polizeilicher Anordnungen, vor allem auch im Rahmen unmittelbaren Zwangs, nach ganz überwiegender Ansicht als Verwaltungsakte im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG definiert (vgl. etwa Buggisch in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, 24. Edition Stand: 1.3.2024, Art. 75 PAG Rn. 15; kritisch hierzu Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz Polizeiorganisationsgesetz, 6. Auflage 2023, Art. 75 PAG Rn. 12).
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1.2. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da jedenfalls im Übrigen jeweils die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen. Dies betrifft insbesondere das berechtigte Feststellungsinteresse, da insoweit ein Gleichlauf zwischen dem nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderlichen berechtigten Interesse an der begehrten Feststellung und dem nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderlichen Feststellungsinteresse besteht.
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Für die Fallgestaltungen sich kurzfristig erledigender polizeilicher Maßnahmen ist höchstrichterlich anerkannt, dass auch die Art des mit der Klage gerügten (tiefgreifenden) Eingriffs im grundrechtlich geschützten Bereich die Anerkennung eines Feststellungsinteresses erfordern kann, wenn sich die unmittelbare Belastung durch den schwerwiegenden Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in der die Entscheidung in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren kaum zu erlangen ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.3.2024 – 6 C 1/22 – juris Rn. 23 m.w.N.). Dies gilt für die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (analog) und die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO gleichermaßen (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 26).
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Entsprechend muss es im vorliegenden Fall der Geltendmachung eines rechtswidrigen Unterlassens polizeilicher Maßnahmen im Rahmen einer Versammlung dem Betroffenen möglich sein, die von ihm behauptete schwerwiegende Rechtsverletzung aufgrund der auch insoweit zu verzeichnenden kurzfristigen Erledigung im Nachgang geltend zu machen und der Klärung im Rahmen einer Feststellungsklage zuzuführen. Aufgrund der im Raum stehenden Grundrechtsverletzung des Klägers aus Art. 8 GG infolge der Abläufe bei der Versammlung am … … 2023 im Bereich E* … und S* … ist vom Vorliegen der skizzierten Voraussetzungen auszugehen, da mit dem Abbruch der Versammlung eine kurzfristige Erledigung eingetreten ist. Der Kläger hat auch einen qualifizierten Grundrechtseingriff (zu den strengen Anforderungen vgl. BVerwG, U.v. 24.4.2024 – 6 C 2/22 – juris Rn. 32 ff.) ins Feld geführt, soweit er sich auf Art. 8 GG beruft. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 34 m.w.N.). Die Eingriffsintensität weist hier aber insofern eine besondere Qualität auf, als die Veranstaltung des Klägers infolge einer Gegenveranstaltung, gegen die keine polizeilichen Maßnahmen ergriffen wurden, in ihrem Ablauf durch die Verhinderung der Abschlussveranstaltung wesentlich abgeändert und beschnitten wurde. Insbesondere kann sich der Kläger, welcher als Personenvereinigung als Veranstalter der Versammlung aufgetreten ist, auf seine Rechte aus Art. 8 Abs. 1 GG berufen. Personenvereinigungen, die keine juristischen Personen sind, sind im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 GG beschwerdefähig, sofern sie eine festgefügte Struktur haben und auf eine gewisse Dauer angelegt sind (BVerfG, B.v. 17.2.2009 – 1 BvR 2492/08 – NVwZ 2009, 441 = juris Rn. 101). Dies trifft im vorliegenden Fall zu.
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Auch im Übrigen bestehen hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen keine Bedenken. Insbesondere ergibt sich die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO (analog) aus einem möglichen Anspruch des Klägers auf Einschreiten der Polizei nach Art. 15 Abs. 4 BayVersG bzw. Art. 11 ff. PAG. Aufgrund der möglichen Betroffenheit des Klägers in seiner Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG und damit eines qualifizierten Rechtsguts erscheint es nach dem Klagevortrag jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich das polizeiliche Ermessen sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des „Wie“ des Einschreitens auf eine Verpflichtung zum Einschreiten verdichtet hat.
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2. Die Klage ist begründet. Es wird festgestellt, dass das unterlassene Einschreiten der Polizei des Beklagten (in Form einer Primärmaßnahme) gegen Dritte im Rahmen einer Blockade des Durchgangs an der Kreuzung E* … und S* … in W* … zur Sicherung der vom Kläger für den … … 2023 angemeldeten Versammlung rechtswidrig war.
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Der Kläger hatte einen Anspruch auf polizeiliches Tätigwerden in dem Sinne, dass seitens der vor Ort zuständigen Entscheidungsträger der Polizei Maßnahmen auf der Primärebene zum Schutz der Versammlung des Klägers zu treffen gewesen wären. Diese Maßnahme hätte zunächst eine Auflösung der Blockade erfordert.
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2.1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist vorliegend davon auszugehen, dass der Anwendungsbereich der Vorschriften des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) durch die spezielleren Regelungen des Versammlungsgesetzes verdrängt wird, ohne dass es streitentscheidend darauf ankäme. Denn unabhängig von der Qualifizierung der erforderlichen Maßnahmen hat es der Beklagte jedenfalls versäumt, gegen die Störung der Versammlung des Klägers mit entsprechend wirksamen Maßnahmen vorzugehen.
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Letztlich handelt es sich bei der Gegenveranstaltung, die hier in Streit steht, um eine sog. kommunikative Blockade, die als Versammlung zu qualifizieren ist. Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zweck einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfG, B.v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – juris Rn. 63 m.w.N.; BVerwG, U.v. 27.3.2024 – 6 C 1/22 – juris Rn. 40 m.w.N.). Maßgebend hierfür ist der Kommunikationszweck, d.h. ob das Verhalten als Mittel eingesetzt wird, um das kommunikative Anliegen, die Erzielung öffentlicher Aufmerksamkeit für einen politischen Standpunkt öffentlichkeitswirksam zu verfolgen und dadurch am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilzuhaben (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 – juris Rn. 59). Dabei ist der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nichtverbalen Ausdrucksformen (BVerfG, B.v. 7.3.2011 – 1 BvR 388/05 – juris Rn. 32). Der hohe Rang des Grundrechts der Versammlungsfreiheit bewirkt, dass eine Veranstaltung im Zweifel wie eine Versammlung zu behandeln ist, wenn eine Veranstaltung sowohl Elemente enthält, die auf eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind (BVerwG, U.v. 27.3.2024 – 6 C 1/22 – juris Rn. 42 m.w.N.).
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Allerdings endet der Schutz des Art. 8 GG dort, wo es nicht mehr um die kritische Teilnahme an einer Versammlung, sondern nur noch um deren Verhinderung geht; denn wer eine Versammlung in der Absicht aufsucht, diese durch sein Einwirken zu verhindern, kann nicht in den Genuss der Versammlungsfreiheit gelangen (BVerfG, B.v. 11.6.1991 – 1 BvR 772/90 – juris Rn. 17). Gleiches gilt für externe Störungen durch Nichtteilnehmer, welche die ordnungsgemäße Durchführung einer öffentlichen Versammlung zu verhindern suchen. Diese Phänomene von strategischen Blockaden werden mit dem Begriff der sog. „Verhinderungsblockaden“ umschrieben (vgl. hierzu VGH Mannheim, U.v. 18.11.2021 – 1 S 803/19 – juris Rn. 48). Diese sind nach dem oben Ausgeführten von Blockaden abzugrenzen, bei denen im Rahmen von Blockadeaktionen ein kommunikatives Anliegen der Teilnehmer verfolgt wird (sog. „demonstrative Blockade“).
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Im vorliegenden Fall ist der Klägerseite insoweit zu folgen, als eine erste Betrachtung der Gesamtumstände der Situation vor Ort, am Durchgang an der Kreuzung E* … und S* … in W* …, den Schluss nahelegt, dass es den Teilnehmern der Gegenblockade in erster Linie darum ging, den Demonstrationszug des Klägers zu stoppen. Dabei wurde wohl auch gezielt die Einmündung der E* … in die S* … gewählt, da sich hier aufgrund der Enge der E* … die einzige Möglichkeit geboten hat, den Weg vollständig zu blockieren und dem Demonstrationszug des Klägers den Zugang zum O* … und U* … M* … zu versperren, wo die Abschlusskundgebung des Klägers stattfinden sollte. Insofern zielte das Vorgehen der Gegendemonstranten auf die Verhinderung der Abschlussveranstaltung am U* … M* … durch den Einsatz physischer Mittel. Die Bereitschaft, nach einem kurzen Protest den Durchgang zu ermöglichen, gab es nicht. Die Teilnehmer der Gegenblockade hatten sich darüber hinaus wohl auch eher zufällig an dieser Stelle zusammengefunden, nachdem sich Gegenveranstaltungen an anderer Stelle vorab aufgelöst hatten. Von einer Absprache dahingehend, gemeinsam gegen die Absichten und Meinungen der A** genau an dieser Stelle zu protestieren, ist es daher im Vorfeld nicht gekommen. Diese Gesamtumstände lassen daher den Schluss zu, dass es den Gegendemonstranten darum ging, den Fortgang der Versammlung des Klägers vollständig zu verhindern (zu diesem Erfordernis vgl. BVerwG, U.v. 27.3.2024 – 6 C 1/22 – juris Rn. 52).
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Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. März 2024 (Az. 6 C 1/22) zur Einordnung von Blockadeaktionen im Hinblick auf den Versammlungsbegriff des Art. 8 GG die Bedeutung des Grundrechts hervorgehoben und deutlich gemacht, dass eine Einschränkung restriktiv zu handhaben ist, wenn anlässlich einer Gegenveranstaltung ein kommunikatives Anliegen verfolgt wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass „…der Versammlungscharakter einer Blockadeaktion, die offensichtlich nicht nur dem Nahziel dient, eine konkrete, vor Ort erfüllbare Forderung durchzusetzen, sondern in deren Verlauf es auch zu in den Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung einzuordnenden Bekundungen zu weiteren Zielen kommt, nur dann verneint werden [kann], wenn das kommunikative Anliegen und der Einsatz entsprechender Kommunikationsmittel in handgreiflicher Weise einen bloßen Vorwand darstellen“ (BVerwG, U.v. 27.3.2024 – 6 C 1/22 – juris Rn. 50). Ein Ansatz, der eine Wertung der Meinungskundgabe und deren Umstände (Art, Umfang, Dauer und Intensität der Blockade) in die Abgrenzung einbezieht (so der VGH Mannheim, U.v. 18.11.2021 – 1 S 803/19 – juris Rn. 50), kann unter Zugrundelegung dieser Anforderungen mit Blick auf den bundesrechtlichen Begriff der Versammlung keinen Bestand haben (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 51).
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Die Auswertung des (von der Beklagtenseite erst nach wiederholter Aufforderung und im Umfang beschränkten) vorgelegten Bild- und Filmmaterials und die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung haben ergeben, dass sich an der Einmündung der E* … in die S* … eine Gruppe von Menschen zusammengefunden hat, die zunächst im Rahmen einer Sitzblockade in mehreren Reihen, zum Teil auf den Straßenbahnschienen, den Durchgang auf die Schönborn straße versperrt hat. Dahinter und an den Seiten standen darüber hinaus weitere Gegendemonstranten in mehreren Reihen, die sich zum Teil im Bereich der S* …, zum Teil hin zum O* … M* … ausgedehnt haben. Einige Teilnehmer hatten Transparente bei sich mit Aussagen, die sich kritisch zur A** verhielten. Auch kam es zu gemeinsamem Klatschen, Pfeifen und Sprechchören, wobei sich der Inhalt der Sprechchöre der kurzen, vom Beklagten übermittelten Videosequenz nicht entnehmen lässt. Es konnte – ungeachtet dessen – anhand des Filmmaterials jedenfalls festgestellt werden, dass aus der Personengruppe der Gegendemonstranten heraus gemeinsam öffentliche Meinungsbekundungen getätigt wurden, mit denen die seitens der Teilnehmer der A** zugeschriebene Politik angegriffen wurde. Dass dieses kommunikative Anliegen „in handgreiflicher Weise“ einen bloßen Vorwand für die Verhinderungsabsicht darstellt, wie das Bundesverwaltungsgericht dies für einen Ausschluss des Schutzes durch Art. 8 GG fordert (BVerwG, U.v. 27.3.2024 – 6 C 1/22 – juris Rn. 50), kann dem – unabhängig von der Frage, inwieweit dies faktisch überhaupt möglich ist – nicht anhand konkreter Anhaltspunkte entnommen werden.
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Die Gegendemonstration stand nach alldem unter dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG.
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2.2. Der Kläger hatte – angesichts dieser Bewertung – einen Anspruch darauf, dass die Polizei als zuständige Versammlungsbehörde vor Ort (vgl. Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BayVersG) die Gegendemonstration zunächst gemäß Art. 15 Abs. 4 BayVersG auflöst. Demnach kann die zuständige Behörde nach Versammlungsbeginn eine Versammlung beschränken oder auflösen, wenn die Voraussetzungen für eine Beschränkung oder ein Verbot nach Art. 15 Abs. 1 oder 2 BayVersG vorliegen oder gerichtlichen Beschränkungen zuwidergehandelt wird. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Zudem hat sich das Ermessen der Behörde im konkreten Fall zu einer Handlungsverpflichtung verdichtet. Das ergibt sich im Einzelnen aus den folgenden Erwägungen:
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2.2.1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 4 BayVersG sind, ausgehend von der Prämisse, dass es sich bei der Gegendemonstration um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 BayVersG handelt (vgl. hierzu 2.1.), verwirklicht.
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Die zuständige Behörde kann eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist (Art. 15 Abs. 1 Alt. 1 BayVersG). In diesem Fall wiederum ist die zuständige Behörde auch nach Versammlungsbeginn berechtigt, die Versammlung zu beschränken bzw. aufzulösen (Art. 15 Abs. 4 Alt. 1 BayVersG). Vorliegend liegt seitens der Teilnehmer der Gegendemonstration ein Verstoß gegen das Störungsverbot nach Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BayVersG und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor. Nach Art. 8 Abs. 1 BayVersG sind Störungen verboten, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung öffentlicher oder nichtöffentlicher Versammlungen zu behindern. Insbesondere ist es gemäß Art. 8 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG verboten, in der Absicht, die Durchführung einer – wie hier – nicht verbotenen öffentlichen Versammlung zu vereiteln, erhebliche Störungen zu verursachen.
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Die Straßenblockade durch die Gegendemonstranten stellte vorliegend einen Verstoß gegen das allgemeine Störungsverbot nach Art. 8 Abs. 1 BayVersG dar, da die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung des Klägers verhindert wurde. Durch die Blockade des angemeldeten Versammlungsweges, den der Demonstrationszug des Klägers nehmen wollte, kam es zu einer vorzeitigen Beendigung der Versammlung des Klägers, so dass die Schlussveranstaltung am U* … M* … entfallen ist. Verhindert wird die ordnungsgemäße Durchführung einer Versammlung nämlich auch dann, wenn die Versammlung nicht wie geplant am beabsichtigten Versammlungsort, zur beabsichtigten Zeit und in der beabsichtigten Art und Weise stattfinden kann (Unkroth in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, 24. Edition Stand: 1.3.2024, Art. 8 BayVersG Rn. 7). Daneben verursachte die Gegendemonstration auch eine erhebliche Störung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG. Das Verursachen erheblicher Störungen erfordert eine nachhaltige, intensive Beeinträchtigung des Versammlungsablaufs. Diese müssen ein besonderes Gewicht aufweisen, so dass aufgrund ihrer Schwere eine Unterbrechung, Schließung oder Auflösung der Versammlung droht (vgl. hierzu Unkroth in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, 24. Edition Stand: 1.3.2024, Art. 8 BayVersG Rn. 14 m.w.N.). Angesichts dessen, dass es dem Kläger unmöglich gemacht wurde, seine Versammlung – wie vorgesehen und angemeldet – mit der Schlusskundgebung am U* … M* … zu beenden, liegen auch diese Voraussetzungen vor.
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Insofern ist eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG zu verzeichnen, da der Begriff der öffentlichen Sicherheit neben der Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, dem Bestand der Einrichtungen und den Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt insbesondere die Rechtsordnung umfasst, zu der neben den Strafgesetzen auch die verwaltungsrechtlichen Gebots- und Verbotsnormen – hier Art. 8 BayVersG – gehören (M. Müller in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, 24. Edition Stand: 1.3.2024, Art. 15 BayVersG Rn. 11 m.w.N.).
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Dass es sich bei der Gegendemonstration um eine auch von Art. 8 Abs. 1 GG gedeckte Veranstaltung handelt, steht dieser Einschätzung nicht entgegen (Groscurth in Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2021, G. Eingriffsbefugnisse Rn. 57). Vielmehr hat die Polizei in diesen Fällen nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu entscheiden, gegen wen welche Maßnahmen im Konkreten zu ergreifen sind. Dies ist jedoch eine Frage der Störerauswahl sowie der Ausübung des Ermessens.
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2.2.2. Die Teilnehmer der Gegendemonstration waren als Verantwortliche der unmittelbaren Gefahr Störer i.S.d. Art. 9 Abs. 1 LStVG (entspr.). Ferner hätte sich eine Auflösung der Gegendemonstration – in Form einer polizeilichen Primärmaßnahme – als verhältnismäßig dargestellt. Insofern bestehen auch hinsichtlich der Ermessensausübung keine Bedenken.
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Dem Erlass einer Auflösungsverfügung nach Art. 15 Abs. 4 BayVersG gegenüber der Gegendemonstration ist nicht die Geeignetheit abzusprechen. Insbesondere ist es nicht möglich, eine Eignung mit dem Hinweis auf die aufgrund der Umstände vor Ort schwierige Durchsetzung bzw. Vollstreckung der Primärmaßnahme durch unmittelbaren Zwang zu verneinen. Es mag im Ergebnis zutreffend sein, dass sich die Durchsetzung von Vollstreckungsmaßnahmen durch die Polizei im Rahmen der Gefahrenprognose in der konkreten Situation als problematisch dargestellt hat. Jedoch hat es die Polizei als zuständige Versammlungsbehörde noch nicht einmal versucht, die Voraussetzungen für eine solche Vollstreckbarkeit herzustellen. Die ergriffenen Maßnahmen, die in einem Versuch des Abdrängens der Gegendemonstranten bestanden haben bzw. die durch das Kommunikationsteam der Polizei getroffen wurden und die sich in einer Ansprache der Teilnehmer der Gegendemonstration erschöpft haben, kommen dem Erlass eines förmlichen Verwaltungsaktes (im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG) als durchsetzbarer rechtsverbindlicher Regelung nicht gleich. Angesichts des Teilnehmerkreises der Gegendemonstration, der nur zum Teil aus (politisch bzw. gesellschaftlich) organisierten Personen bestand, konnte nicht von vorneherein davon ausgegangen werden, dass eine förmliche Auflösungsverfügung keine Wirkung zeitigt. Der Einwand, dass angesichts des Lautstärkepegels keine Maßnahmen ergriffen werden konnten, greift nicht, da zumindest die „sitzenden“ ersten Reihen der Blockade akustisch erreichbar und etwa unter Zuhilfenahme eines Megafons ohne weiteres ansprechbar waren. Des Weiteren stellte sich die Menschenmenge nicht derart gedrängt dar, dass eine Auflösung von vornherein unmöglich war. Wie sich aus dem vorgelegten Bildmaterial ergibt, bestanden sowohl in Richtung E* … als auch in der S* … ausreichende Ausweichflächen. Angesichts dieser Umstände waren auch keine milderen Mittel als eine Versammlungsauflösung ersichtlich, so dass von einer Erforderlichkeit auszugehen ist. Insbesondere musste sich der Kläger nicht darauf verweisen lassen, seine Schlusskundgebung an einem anderen Ort bzw. vor Ort durchzuführen, da die Wahl des Veranstaltungsortes ebenfalls von Art. 8 GG geschützt ist (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 18.1.2016 – OVG 1 N 86.14 – juris Rn. 23). Aus diesem Grund musste der Kläger auch Überlegungen zur Wahl einer anderen Strecke hin zum U* … M* … nicht nähertreten, ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Alternativroute in dem betroffenen Bereich der Fußgängerzone angesichts der starken Frequentierung und der engen Gassen hin zum U* … M* … nicht erkennbar war.
39
Schließlich hätte sich eine Auflösung der Gegendemonstration als angemessen, d.h. insbesondere als verhältnismäßig i.e.S. dargestellt, soweit mit einer Auflösungsverfügung ein Eingriff in das Versammlungsrecht der Gegendemonstranten einhergegangen wäre. Da sowohl die Veranstaltung des Klägers als (wohl) auch die Gegenveranstaltung dem Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts unterfallen, ist es Aufgabe der Versammlungsbehörde, hier der Polizei vor Ort, im Wege der Anwendung der Grundsätze der praktischen Konkordanz einen Ausgleich zwischen den kollidierenden Rechtsgütern durch beschränkende Verfügungen herzustellen, um die Ausübung der Versammlungsfreiheit so weit als möglich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris Rn. 32). Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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Auch unter dieser Prämisse wäre die Polizei vorliegend verpflichtet gewesen, Maßnahmen gegen die störende Gegendemonstration zu richten. Gehen Störungen der öffentlichen Sicherheit, worunter auch die Beeinträchtigung des Versammlungsgrundrechts fällt, wie hier lediglich von Gegendemonstranten aus, so ist die Durchführung der angemeldeten friedlichen Versammlung dadurch zu schützen, dass behördliche Maßnahmen primär gegen die störende Gegendemonstration zu richten sind (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 18.1.2016 – OVG 1 N 86.14 – juris Rn. 19). Gegen die friedliche Versammlung, die lediglich den Anlass für die Gegendemonstration bildet, darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands eingeschritten werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg a.a.O. unter Verweise auf die st.Rspr. des BVerfG, insb. B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 18, und B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17). Die Unterlassung von polizeilichen Maßnahmen, die hier letztlich zu einem Abbruch der Versammlung führte, kommt einem solchen Einschreiten gleich, weswegen auch vorliegend die Grundsätze zum polizeilichen Notstand herangezogen werden können.
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Die Polizei hat sich auf das Vorliegen eines polizeilichen Notstands (zur Definition vgl. Reinhardt in BeckOK Polizeirecht Baden-Württemberg, Möstl/Trurnit, 31. Edition Stand: 1.12.2023, § 9 BWPol Rn. 9 ff.) berufen. Die Rechtsfigur des (echten) polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der angemeldeten Versammlung des Klägers nicht in der Lage ist. Von einem „unechten“ polizeilichen Notstand wird dagegen gesprochen, wenn es der Polizei durchaus objektiv möglich ist, unter Inanspruchnahme der die Gefahr verursachenden Teilnehmer einer Gegendemonstration, also des Störers, wirksame Gefahrenabwehr zum Schutz der Ausgangsversammlung zu leisten. Der Erfolg wird aber nur erreicht, wenn den Störern Einbußen an Rechtsgütern zugemutet werden, die in auffälligem Missverhältnis zu der der Ausgangsversammlung drohenden Gefahr stehen. Die eine ausnahmsweise Inanspruchnahme der friedlichen Versammlung als Nichtstörer rechtfertigende Situation des unechten polizeilichen Notstands ist dadurch charakterisiert, dass die Beseitigung der Gefahr durch ein Vorgehen gegen die störende Gegendemonstration nur unter Inkaufnahme von aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht zu verantwortenden Opfern möglich ist (BayVGH, B.v. 30.4.2002 – 24 CS 02.1050 – juris Rn. 6). Eine pauschale Behauptung des Vorliegens eines polizeilichen Notstands reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17 sowie B.v. 11.9.2015 – 1 BvR 2211/15 – juris Rn. 3; OVG NRW, U.v. 24.9.2019 – 15 A 3186/17 – juris Rn. 109).
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Nach diesen Maßstäben ist vorliegend unter Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten und der Ergebnisse der Beweisaufnahme das Vorliegen der Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands nicht ausreichend dargetan. Der in der mündlichen Verhandlung hierzu angehörte Leiter des polizeilichen Einsatzes, der Leitende Polizeidirektor W* …, hat angegeben, dass es der Polizei aufgrund der polizeilichen Kräftelage nicht möglich gewesen sei, unmittelbaren Zwang anzuwenden und einzelne Personen wegzubringen. Dies hätte dazu geführt, dass die frei werdenden Plätze unmittelbar von anderen Demonstranten eingenommen worden wären. Auch wäre eine Personalienfeststellung personell nicht möglich gewesen. Die Stimmung sei angeheizt gewesen. Deshalb sei zunächst kein unmittelbarer Zwang angeordnet worden. Vor Ort gewesen seien zwei Züge des Einsatzdienstes des Polizeipräsidiums Unterfranken sowie ein Zug der Bereitschaftspolizei. Am Bahnhof sei eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Bundespolizei im Einsatz gewesen. Aufgrund einer parallelen Einsatzlage in Aschaffenburg sei ein weiteres Unterstützungskommando der Bereitschaftspolizei wieder abgezogen worden. Vor Ort seien außerdem 15 geschulte Kolleginnen und Kollegen eines Kommunikationsteams gewesen, die über eine entsprechende Kommunikation die Versammlungsteilnehmer zu dem gewünschten Verhalten bewegen sollten. Dies sei bisher in W* … immer gut gelungen, in diesem Fall jedoch nicht. Ein technischer Lautsprecherwagen sei nicht vor Ort gewesen. Dieser sei im Hinblick auf die am U* … M* … geplante Abschlussveranstaltung des Klägers dorthin verbracht worden.
43
Zuzugeben ist der Beklagtenseite, dass jeweils im Vorfeld unterschiedlicher Versammlungslagen kurzfristig eine Gefahrenprognose auf Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen im Einzelfall erstellt werden muss und hierbei die Anforderungen an diese ex-ante-Betrachtung nicht überspannt werden dürfen. Vorliegend hat sich die Situation aufgrund der sich ständig verändernden Personenansammlungen anders dargestellt als noch im Rahmen der Gefahrenprognose bei Anmeldung der klägerischen Versammlung. Auch stellte sich der Zeitraum zwischen Ankunft des Demonstrationszuges des Klägers am Kreuzungsbereich E* …S* … und einer Beendigung desselben nach dem Weggang des Hauptredners als äußerst kurz dar, was die Situation für die Entscheidungsträger vor Ort nochmals erschwerte. Angesichts der Bedeutung des Versammlungsgrundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG für den Kläger, das umfasst, sich friedlich wie angemeldet zu versammeln, d.h. im konkreten Fall einen Demonstrationszug durchzuführen und eine Abschlusskundgebung am U* … M* … abzuhalten, sind die Anforderungen an die Annahme eines polizeilichen Notstands jedoch hoch und hier (noch) nicht verwirklicht.
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Die Beklagtenseite hat zum einen ausgeführt, die Gefahrenprognose im Vorfeld habe wesentlich auf der Überlegung beruht, dass bei vergleichbaren Veranstaltungen in Würzburg die überschaubare Anzahl von Gegendemonstranten grundsätzlich nach Ansprache durch die Polizei keine dauerhaften Blockaden zur Verhinderung von Demonstrationen durchgeführt hat und deshalb auch nicht von einem größeren Polizeiaufgebot ausgegangen wurde. Bei der Vorbereitung ging die Polizei von einer Anzahl von maximal 25 Demonstranten aus dem linken Spektrum aus (vgl. Schriftsatz des Polizeipräsidiums Unterfranken vom 20.10.2023, S. 7). Dem muss jedoch entgegengehalten werden, dass im konkreten Fall aufgrund der Ankündigung der Veranstaltung des Klägers mit dem Hauptredner B* … H* … und den angekündigten Protesten verschiedener Gruppen, die im Vorfeld intensiv beworben wurden, nach der Tatsachenlage von einer im Vergleich zu Vorgängerveranstaltungen des Klägers zugespitzten Ausgangssituation ausgegangen werden musste. Ferner kann im Ergebnis nicht nachvollzogen werden, warum der Erlass einer versammlungsrechtlichen bzw. einer sich ggf. anschließenden polizeirechtlichen Maßnahme auf der Primärebene, d.h. der Erlass eines Verwaltungsaktes im Sinne der Auflösung der Gegendemonstration nach Art. 15 Abs. 4 BayVersG und einem ggf. folgenden Erlass von Platzverweisen (vgl. Art. 16 PAG), auch angesichts einer reduzierten Anzahl von Polizisten vor Ort nicht möglich gewesen sein soll. Nach den Angaben des Zeugen und nach Auswertung des Bildmaterials stellte sich die Gegendemonstration, die aus einem bunt gemischten Teilnehmerkreis von Demonstranten unterschiedlichen Alters bestand, trotz der aufgeheizten Stimmung nicht als unfriedlich dar. Gewaltbereite Personen waren nicht auszumachen. Schließlich hat der Beklagte nicht detailliert dargelegt, inwiefern ein zusätzlicher Personaleinsatz aufgrund paralleler Einsatzlagen nicht möglich gewesen sein sollte. Diesbezüglich wurde pauschal auf eine Versammlungslage in Aschaffenburg verwiesen. Auf die Aufforderung des Gerichts im Vorfeld der mündlichen Verhandlung hin, die genauen Einsatzstärken im Konkreten darzustellen, erfolgte keine Auskunft unter Verweis auf interne Daten, welche polizeitaktische Fragen regeln würden.
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Demnach sind keine konkreten und tatsachengestützten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands erkennbar, soweit das Tätigwerden im Sinne eines Erlasses von Maßnahmen auf der polizeilichen Primärebene in Frage stand. Demgemäß ist eine Inanspruchnahme der Teilnehmer des Aufzuges des Klägers, die sich normgemäß verhalten haben, nicht möglich gewesen. Es wäre vielmehr eine Auflösung der blockierenden Versammlung gegenüber den Gegendemonstranten zu verfügen gewesen. Dass diese Maßnahme nicht möglich gewesen wäre oder von vornherein keinen Erfolg versprochen hätte, ist nicht ersichtlich, zumal es die Polizei als zuständige Versammlungsbehörde unterlassen hat, in eindeutiger unmissverständlicher Weise nicht nur die Freigabe des Aufzugweges anzumahnen, sondern gegenüber den einzelnen Teilnehmern an der Gegendemonstration die Auflösung der Versammlung mit einem Hinweis auf die Konsequenzen darzulegen und zu verfügen. Ob es in diesem Fall zu einer Zuspitzung der Situation und zu einem Ausschluss der Vollstreckbarkeit der Primärmaßnahme gekommen wäre, ist rein spekulativ (zu einer vergleichbaren Fallgestaltung vgl. VG Gießen, U.v. 20.9.2010 – 9 K 1059/10.GI – juris Rn. 28). Vielmehr erscheint es ebenso realistisch, dass ein beachtlicher Anteil der Teilnehmer der Gegendemonstration, der sich vermeintlich im Einklang mit der Rechtsordnung wähnte, aufgrund der drohenden rechtlichen Konsequenzen eingelenkt und sich rechtskonform verhalten hätte. Jedenfalls entbinden Befürchtungen einer Eskalation die Versammlungsbehörde nicht per se von vornherein von einer Handlungsverpflichtung.
46
2.2.3. Es ist schließlich auch ein Anspruch des Klägers auf ein polizeiliches Einschreiten gegeben, soweit es um das Ergreifen von Maßnahmen auf der Primärebene geht, d.h. im Konkreten die Auflösung der Gegendemonstration nach Art. 15 Abs. 4 BayVersG.
47
Grundsätzlich hat die Polizei hinsichtlich der von ihr zu ergreifenden Maßnahmen ein Entschließungs- und Auswahlermessen (vgl. Holzner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Möstl/Schwabenbauer, 24. Edition Stand 1.3.2024, Art. 11 PAG Rn. 143). Auch Art. 15 Abs. 4 BayVersG sieht eine Ermessensausübung vor („kann“). Eine Ermessensreduktion auf Null, die letztlich zu einem Anspruch des Betroffenen auf ein Einschreiten führt, kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen gegeben sein (vgl. hierzu etwa Holzner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Möstl/Schwabenbauer, 24. Edition Stand 1.3.2024, Art. 11 PAG Rn. 145): Das begehrte Handeln der Polizei muss rechtmäßig sein (Befugnis/Verhältnismäßigkeit). Die Befugnisnorm muss dem Schutz subjektiver Rechte dienen. Es muss ein qualifiziertes Rechtsgut betroffen sein, welches einer qualifizierten Gefahr im Sinne einer besonderen Intensität ausgesetzt ist. Ferner dürfen keine Ausschlussgründe (Duldungspflichten bzw. die Zumutbarkeit der Gefahr) vorliegen.
48
Die genannten Voraussetzungen liegen nach den Ausführungen unter 2.2.1. und 2.2.2. vor. Bei der konkret in Streit stehenden Beeinträchtigung des Versammlungsgrundrechts des Klägers aus Art. 8 GG handelt es sich um einen Eingriff in ein Rechtsgut von besonders hohem Rang und damit um eine Gefahr von hoher Intensität. Das Einschreiten war der Polizei objektiv möglich und auch zumutbar, soweit es um die Ergreifung einer Maßnahme auf der polizeilichen Primärebene ging. Auch war das Einschreiten der Polizei aufgrund einer Güterabwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zwingend geboten (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz Polizeiorganisationsgesetz, 6. Auflage 2023, Art. 11 PAG Rn. 187), ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei der Gegendemonstration ebenfalls um eine von Art. 8 GG geschützte Versammlung gehandelt hat. Für einen vorrangigen Schutzanspruch der klägerischen Veranstaltung spricht hierbei, dass diese im Vorfeld im Gegensatz zu der Gegendemonstration angemeldet war, zeitlich der Gegendemonstration vorgelagert war und diesbezüglich Vorbereitungen, etwa durch ein Sicherheitskonzept, getroffen werden konnten.
49
3. Dementsprechend bestand ein individueller Anspruch des Klägers auf polizeiliches Einschreiten in Form einer Primärmaßnahme beim Zusammentreffen seines angemeldeten Demonstrationszuges mit den Gegendemonstranten an der Kreuzung E* … und S* … Der Fortsetzungsfeststellungsklage, die auf eben diese Feststellung gerichtet ist (vgl. Klageantrag, § 88 VwGO), ist daher in vollem Umfang stattzugeben, da sich die Feststellung einer Verpflichtung des Beklagten im Klageantrag lediglich auf das Einschreiten als solches und nicht auf das Ergreifen einer bestimmten polizeilichen bzw. versammlungsrechtlichen Maßnahme bezogen hat. Eine weitergehende Aussage, etwa über die Rechtmäßigkeit des Unterlassens von etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen wie etwa der Ausübung unmittelbaren Zwangs, wird damit nicht getroffen.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.