Inhalt

LG München I, Beschluss v. 10.05.2024 – 5 HK O 14946/23
Titel:

Unzulässiger Antrag auf Durchführung eines Spruchverfahrens

Normenketten:
SpruchG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1, Abs. 2
AktG § 304 Abs. 3 S. 2
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1
GNotKG § 74
Leitsätze:
1. Eine Analogie ist nur zulässig und geboten, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. (Rn. 9 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ungeachtet der Vorteile, die das Spruchverfahren im Vergleich zu einer zivilprozessualen Leistungsklage bietet, ist das kein Grund für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke und damit einer Analogie; eine solche Analogie ist insbesondere auch nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Spruchverfahren, Hauptversammlung, Ergebnisabführungsvertrag, Aktionäre, geschützte Eigentum, Anpassungsklauseln, Analogie, Gerichtskosten
Fundstellen:
WM 2024, 1610
ZIP 2025, 324
AG 2024, 674
MDR 2024, 994
BeckRS 2024, 14988
LSK 2024, 14988
NZG 2024, 1368

Tenor

I. Der Antrag auf Durchführung eines Spruchverfahrens wird als unzulässig verworfen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Geschäftswert wird auf € 200.000,- festgesetzt.

Gründe

I.
1
1. Zwischen der Antragsgegnerin als herrschender Gesellschaft und der B… AG (im Folgenden auch: die Gesellschaft) als beherrschter Gesellschaft besteht ein Ergebnisabführungsvertrag, aufgrund dessen die Antragsgegnerin an die außenstehenden Aktionäre den mit Beschluss des Landgerichts München I vom 14.2.2024, Az. 5HK O 16505/08 auf € 0,74 je Stückaktie festgesetzten Ausgleich zu zahlen hat. Der Vertrag sieht eine Anpassung des ‚Ausgleichs nur für den Fall von Kapitalveränderungen vor‘.
2
Die Antragstellerin hält seit dem 9.11.2018 80.000 nennwertlose Inhaberaktien der über ein Grundkapital von € 5.200.000,- verfügenden B… AG, denen Geschäftstätigkeit vor allem im Erwerb, der Vermietung sowie der Verwaltung von Einzelhandelsobjekten liegt, wobei es sich dabei vor allem um Fachmarktzentren und SB-Märkte im süddeutschen Raum handelt.
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Ende 2022 vereinbarte die Gesellschaft den Verkauf von 24 Gewerbeimmobilien an einen Immobilienspezialfonds zu einem Kaufpreis von rund € 189 Mio., wobei der Vertrag im Jahr 2023 vollzogen wurde. Durch den Verkauf wurden stille Reserven in einem Umfang von etwa € 77,5 Mio. gehoben, die zu einer entsprechenden Erhöhung des Jahresgewinns der Gesellschaft im Jahr 2023 führen werden. Im Jahr 2022 erwirtschaftete sie einen Jahresüberschuss von € 8,2 Mio., was bei 5.200.000 Stückaktien einem Gewinn von je Stückaktie von etwa € 1,58 entspricht. Der Verkauf dieser Gewerbeimmobilien führt zu einem Abzug annualisierter Nettomieterträge aus der G+V-Rechnung der Gesellschaft von etwa € 11,1 Mio., so dass sich die künftigen Überschüsse aus Vermietung und Verpachtung nach den Angaben des Vorstands in der Hauptversammlung des Jahres 2023 auf € 1,5 Mio. bis € 2,5 Mio. belaufen sollen.
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2. Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 22.11.2023 beantragt die Antragstellerin die Durchführung eines Spruchverfahrens. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, für den hier gegebenen Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage könne ein außenstehender Aktionär seinen Anpassungsanspruch verfahrensrechtlich ausschließlich über das Spruchverfahren geltend machen, weil kein unterschied bestehe, ob der Ausgleich anfänglich unangemessen sei oder nachträglich unangemessen werde. Streitigkeiten über dei Angemessenheit des Ausgleichs seien ausschließlich im Spruchverfahren zu klären, in dem eine rechtskräftige Entscheidung auch gegenüber allen anderen Aktionären Wirkung entfalte. Angesichts des Informationsgefälles sei es den außensehenden Aktionären kaum möglich, umfassende Angaben über die prognostizierten Ertrags- und Unternehmenswerte zu erlangen. Die erforderliche Regelungslücke bestehe, weil das allgemeine Verfahrensrecht kein geeignetes Verfahren zur Verfügung stelle.
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3. Die Antragsgegnerin beantragt demgegenüber die Zurückweisung des Antrags. Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, das Spruchverfahren sei nicht statthaft; der Gesetzgeber habe dieses Verfahren nur in Bezug auf die Angemessenheit des Ausgleichs vorgesehen, wie er im Ergebnisabführungsvertrag festgelegt worden sei. Eine spätere Überprüfung gerichtliche Überprüfung sehe § 304 Abs. 3 Satz 3 AktG nicht vor, so dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Zudem könne über eine allgemeine Leistungsklage angemessener Rechtsschutz gewährt werden. Jedenfalls aber fehle es an den Voraussetzungen für eine Anpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, weil dem die gesetzliche Risikoverteilung nach § 304 AktG mit den dort festgelegten strikten Stichtagsprinzip entgegenstehe.
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4. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens der Beteiligten wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.
II.
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1. Der Antrag ist unzulässig, weil ihm die Statthaftigkeit fehlt. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpruchG a.F. lassen sich nicht bejahen.
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a. Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpruchG a.F. eröffnet das Spruchverfahren unter anderem für die Bestimmung des Ausgleichs für außenstehende Aktionäre bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen nach § 304 AktG, wozu auch der hier abgeschlossene Ergebnisabführungsvertrag gehört. Dies bedeutet, dass diese Regelung die im Beschluss der Hauptversammlung der beherrschten Gesellschaft festgesetzten Kompensation betrifft. Da die Antragstellerin indes eine Anpassung der festgesetzten Abfindung begehrt, kann § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpruchG a.F. nicht unmittelbar anwendbar sein.
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b. Eine analoge Anwendung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpruchG a.F. kommt indes nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen einer Analogie nicht erfüllt sind.
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(1) In der Literatur wird zwar teilweise die Auffassung vertreten, auch bei einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag oder Ergebnisabführungsvertrag ohne vertragliche Anpassungsklausel könne das Spruchverfahren gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpruchG analog statthaft sein (so van Rossum in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 304 Rdn. 159; in diese Richtung auch Krengel/Küllmer/Kern AG 2021, 661, 666 f. jedenfalls beim Bestehen einer vertraglichen Anpassungsklausel, wenn eine Anpassung tatsächlich erfolgte).
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(2) Die besseren Gründe sprechen indes für die Gegenansicht, die das Spruchverfahren in dem hier gegebenen Fall des Fehlens vertraglicher Anpassungsklauseln als nicht statthaft ansieht (vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 304 AktG Rdn. 95; E. Vetter ZIP 2000, 561, 567 f.; Beckmann/Simon ZIP 2001, 1906, 1909 f.). Die Voraussetzungen einer Analogie lassen sich nicht bejahen. Eine Analogie ist zulässig und geboten, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. BGH NJW 2007, 3124, 3125 = WM 2007, 1791 1792; NZM 2016, 890, 891 = WuM 414, 415). Dies kann hier nicht angenommen werden.
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Zum einen muss gesehen werden, dass Ausgangspunkt der Durchführung des Spruchverfahrens nach dem Wortlaut des Gesetzes und dem damit verbundenen Normzweck stets der Beschluss der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft ist, durch den in das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Eigentum der Aktionäre eingegriffen wird. An einem solchen Beschluss fehlt es bereits in der hier gegebenen Situation einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft. Zum anderen ist zu beachten, dass das Spruchverfahren hier zu einer einseitigen Begünstigung der Aktionäre führen würde, was nicht dem gesetzlichen Leitbild des Spruchverfahren entspricht. Der Vorrang des Spruchverfahrens zur Überprüfung der Kompensation der Aktionäre bei einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag oder Ergebnisabführungsvertrag beruht auf der Erwägung, dass den betroffenen Aktionären aufgrund der Regelung in § 304 Abs. 3 Satz 2 AktG die Anfechtungsklage als Rechtsschutzmöglichkeit nicht zur Verfügung steht, nachdem diese nicht auf die Unangemessenheit des im Vertrag bestimmten Ausgleichs gestützt werden kann (so v.a. Beckmann/Simon ZIP 2001, 1906, 1909 f.). Ein Hauptversammlungsbeschluss wurde hier aber im Vorfeld der Veräußerung der 24 Gewerbeimmobilien gerade nicht gefasst. Vielmehr realisiert sich damit das Risiko für die Aktionäre, die in der Gesellschaft verbleiben und nicht die Abfindung wählen, dass sich der ermittelte Wert der Aktien auch zu ihrem Nachteil verändern kann, nachdem der Ausgleich stichtagsbezogen auf den Tag der beschlussfassenden Hauptversammlung ermittelt wird.
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Den außenstehenden Aktionären steht auch hinreichender Rechtsschutz zu, da ihnen die Möglichkeit der Leistungsklage offensteht (so Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 304 AktG Rdn. 95; E. Vetter ZIP 2000, 561, 567 f.). Dies ist ungeachtet der Vorteile, die das Spruchverfahren im Vergleich zu einer zivilprozessualen Leistungsklage bietet, aber kein Grund für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke und damit einer Analogie zu 3 1 Abs. 1 Nr. 1 SpruchG a.F.; eine solche Analogie ist insbesondere auch nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten (vgl. BVerfG NZG 2000, 28, 30 = AG 2000, 40, 41 = ZIP 1999, 1804, 1807 = DB 1999, 2049, 2050 – Moto Meter). Da ihnen in der Hauptversammlung ein Fragerecht zusteht und der Vorstand hier sogar wesentliche Parameter der Folgen der Veräußerung selbst in die Hauptversammlung eingeführt hat, kann auch nicht von einer Unzumutbarkeit ausgegangen werden, eine Leistungsklage zu erheben. Einem zweifelsohne gegebenen Informationsgefälle kann beispielsweise über die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast Rechnung getragen werden.
14
Da der Antrag der Antragsteller als unstatthaft zurückgewiesen wurde, war die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nicht erforderlich (vgl. LG München I ZIP 2010, 1995, 1996 = Der Konzern 2010, 251, 252). Die Gewährung rechtlichen Gehörs an die Antragsgegnerin zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 6.3.2024 konnte unterbleiben, weil tatsächlicher Vortrag darin nicht zum Nachteil der Antragsgegnerin verwertet wurde.
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2. a. Die Entscheidung über die Gerichtskosten hat ihre Grundlage in § 15 Abs. 1 SpruchG. Eine Auferlegung der Gerichtskosten auf die Antragstellerin ist nicht veranlasst; dies würde nicht der Billigkeit entsprechen. Die Belastung der Antragstellerin mit den Gerichtskosten ist nur ausnahmsweise billig, was beispielsweise bei eindeutig verspäteter oder in sonstiger Weise unzulässiger Antragstellung anzunehmen ist (vgl. BGH AG 2012, 173, 176 = ZIP 2012, 266, 269 = WM 2012, 280, 283 = DB 2012, 283, 284; Koch, AktG, 18. Aufl., § 15 SpruchG Rdn. 4; Wittgens in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4./5. Aufl., § 15 Rdn. 11; Theusinger/Göz, AktG, § 15 SpruchG/Anh § 306 Rdn. 5). Davon kann angesichts des Streitstands in der Literatur keinesfalls ausgegangen werden. Da der Antrag auf Durchführung eines Spruchverfahrens gerichtet ist und sich das Gericht mit der Anwendbarkeit dieser Vorschriften eingehend auseinandergesetzt hat, ist es sachgerecht, wenn die Nebenentscheidungen ihre rechtliche Grundlage in dem Gesetz haben, über dessen Anwendbarkeit die rechtliche Auseinandersetzung geführt wird.
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b. Bezüglich der außergerichtlichen Kosten findet die Entscheidung ihre Grundlage in § 15 Abs. 2 SpruchG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Gericht an, dass die Kosten der Antragsteller, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, ganz oder zum Teil vom Antragsgegner zu erstatten sind, wenn dies unter Berücksichtigung des Ausgangs des Verfahrens der Billigkeit entspricht. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden, weil die Anträge als unzulässig zu verwerfen waren.
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Der Antragsgegnerin steht andererseits kein Kostenerstattungsanspruch gegen die Antragsteller zu. Hierfür besteht keine Rechtsgrundlage, weil § 15 Abs. 4 SpruchG a.F. eine abschließende Regelung enthält und dort eine Erstattungspflicht hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners durch die Antragsteller nicht vorgesehen ist (so ausdrücklich BGH NZG 2012, 191, 193 f. = AG 2012, 173, 174 f. = ZIP 2012, 266, 268 f. = WM 2012, 280, 282 f. = DB 2012, 281, 282 f. = MDR 2012, 293 f.; OLG Frankfurt AG 2012, 417, 422 = Der Konzern 2012, 199, 211; LG München I, Beschluss vom 27.6.2014, Az. 5 HK O 7819/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5 HK O 16371/13; Drescher in: BeckOGK, Stand 1.2.2021, § 15 SpruchG Rdn. 26; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 21; Hüffer/Koch, AktG, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 6; Steinle/Liebert/Katzenstein in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7 – Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (Corporate Litigation), a.a.O., § 34 Rdn. 49).
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3. Die Entscheidung über den Geschäftswert ergibt sich aus § 74 GNotKG. Angesichts der Zahl der von der Antragstellerin gehaltenen Aktien besteht kein Grund, von dieser Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers in analoger Anwendung von § 31 RVG abzuweichen.
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4. Eine Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde war angesichts der Zahl der von der Antragstellerin gehaltenen Aktien aufgrund von §§ 12 Abs. 1, 17 Abs. 1 SpruchG, 61 Abs. 3 Satz 1 SpruchG nicht geboten.
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5. Da der Antrag wegen seiner Unstatthaftigkeit unzulässig sind, konnte über sie der Vorsitzende gem. § 2 Abs. 5 Nr. 3 SpruchG alleine entscheiden.