Titel:
Aufhebung, Bieter, Vergabeverfahren, Vergabekammer, Ermessensentscheidung, Zuschlag, Arbeitszeit, Leistungsbeschreibung, Vergabeunterlagen, Vergabe, Ausschreibung, Verfahren, Frist, Angebot, Kosten des Verfahrens, Aufforderung zur Angebotsabgabe, Aufforderung zur Abgabe
Normenketten:
VgV § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
VgV § 30
VgV § 60
Leitsätze:
1. Die Entscheidung über die Aufhebung des Vergabeverfahrens ist eine Ermessensentscheidung. Die Bieter haben daher Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch den Auftraggeber. Die Nachprüfungsinstanzen können die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers insoweit auf eine korrekte Ausübung des Ermessens überprüfen.
2. Die Aufhebung einer Aufhebungsentscheidung kann dann veranlasst sein, wenn ein sachlich gerechtfertigter Grund fehlt und die Entscheidung sich daher als willkürlich darstellt oder der öffentliche Auftraggeber das ihm hinsichtlich der Entscheidung über die Verfahrensaufhebung zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt hat.
3. Willkürlich ist ein Verwaltungshandeln dann, wenn es unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missdeutet wird.
4. Die Vergabekammer kann das Ermessen über die Aufhebung eines Vergabeverfahrens nicht anstelle des Auftraggebers ausüben und demzufolge auch keine möglicherweise bestehenden anderen Begründungsansätze für eine zumindest wirksame Aufhebung des Verfahrens heranziehen. Dies ist Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers.
Schlagworte:
Aufhebung, Bieter, Vergabeverfahren, Vergabekammer, Ermessensentscheidung, Zuschlag, Arbeitszeit, Leistungsbeschreibung, Vergabeunterlagen, Vergabe, Ausschreibung, Verfahren, Frist, Angebot, Kosten des Verfahrens, Aufforderung zur Angebotsabgabe, Aufforderung zur Abgabe
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14821
Tenor
1. Die Aufhebung des Vergabeverfahrens Gebäudereinigung Rahmenvertrag Überbrückungsreinigung, Veröffentlichungsnummer der Bekanntmachung: … vom 22.02.2024 wird betreffend die Lose 1 und 4 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht verpflichtet, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer das Vergabeverfahren die Lose 1 und 4 betreffend fortzuführen.
2. Die Antragsgegnerinträgt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen derAntragstellerin.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Die Antragsgegnerin ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
Gründe
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom28.11.2023, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter Nr. …, schrieb die Antragsgegnerin einen Dienstleistungsauftrag über Gebäudereinigung in einem Rahmenvertrag für Überbrückungsreinigung im Wege eines offenen Verfahrens aufgeteilt in 4 Lose aus. Die Aufteilung der Lose erfolgte nach Stadtbezirken. Gemäß der Beschreibung in Ziffer 5.1 war Inhalt der ausgeschriebenen Leistung die Überbrückungsreinigung auf Abruf. Die Vergabe sollte nach Stundenverrechnungssätzen mit den folgenden Leistungsinhalten erfolgen: Unterhaltsreinigung, Grundreinigung, Glas- und Lampenreinigung, Baureinigung und Desinfektionen. Zuschlagskriterium war gemäß Ziffer 5.1.10 der Bekanntmachung der Preis. Ziffer 2.1.5. enthielt Bedingungen für die Auftragsvergabe. Als Höchstzahl der Lose, für die ein Bieter Angebote einreichen kann, wurde die Anzahl vier angegeben. Als Höchstzahl der Lose, für die Aufträge an einen Bieter vergeben werden können, wurde die Anzahl zwei angegeben.
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Ausweislich der Angabe in Ziffer 5.1.11 der Bekanntmachung standen die Auftragsunterlagen für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang gebührenfrei unter der dort genannten Internetadresse zur Verfügung. Bestandteil der Vergabeunterlagen war unter anderem die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, die Leistungsbeschreibung sowie die Besonderen Bewerbungsbedingungen. Die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots enthielt unter anderem folgende Festlegung:
(…) Beschränkung der Zahl der Lose, für die ein Bieter den Zuschlag erhalten kann
Bedingungen zur Ermittlung derjenigen Lose, für die ein Bieter den Zuschlag erhält, falls sein Angebot in mehr Losen das wirtschaftlichste ist als der angegebenen Höchstzahl an Losen: Ist das Angebot eines Bieters in mehr Losen als der angegebenen Höchstzahl der Lose das wirtschaftlichste Angebot, wird die unter Berücksichtigung der Rangfolge wirtschaftlichste Kombination aller Lose ermittelt. In einem ersten Schritt erhält dieser Bieter solche Lose, in denen sein Angebot das wirtschaftlichste ist. Die Differenzen zum jeweils nächstgünstigen Angebot werden ermittelt; hierbei bleiben Differenzen solcher Angebote unberücksichtigt, die von Bietern eingereicht wurden, die bereits in der angegebenen Höchstzahl an Losen das wirtschaftlichste Angebot haben. Der Zuschlag wird auf die insgesamt wirtschaftlichste Kombination aller Lose erteilt.
Bei der Entscheidung hinsichtlich der Anzahl der pro Bieter zuschlagsfähigen Lose werden im Rahmen der Eignungsprüfung auch die im Fragebogen Eignung formulierten Mindestanforderungen zu den Umsatzzahlen und Beschäftigtenzahlen einbezogen.
Beachten Sie auch Ziffer A8 Besondere Bewerbungsbedingungen.“ […] Die Leistungsbeschreibung enthielt auszugsweise in Ziffer 1.3.1 folgende Festlegungen:
…„Eventuell benötigte Hilfsmittel (Steiger, Hubbühne) für die Glasreinigung sind vorab mit der verantwortlichen Person von … abzusprechen und werden in Höhe des Nachweises der entstandenen Kosten beglichen.“ [… Die Besonderen Bewerbungsbedingungen enthielten auszugsweise in Anhang A8 folgende Festlegungen:
… „A8 Auswahl bei Zuschlagslimitierung; Loskombinationen Für den Fall, dass die Anwendung der Zuschlagskriterien dazu führen würde, dass ein einzelner Bieter den Zuschlag für eine größere Zahl von Losen als die Höchstzahl erhält, wird die Vergabe von Losen nach den folgenden objektiven und nichtdiskriminierenden Kriterien durchgeführt.
Kriterium
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Erläuterung
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Wirtschaftlichstes Ergebnis
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Das wirtschaftlichste Ergebnis wird ermittelt, indem die Reihenfolge der Zuschlagsentscheidung nach der Größe der Preisabstände bzw. bei einer Preis-Leistungs-Wertung nach der Höhe der Punktabstände zwischen dem Erst- und dem Zweitplatzierten ausgerichtet wird. Dasjenige Los, in dem der Abstand am höchsten ist, wird als Erstes vergeben. Die Vergabe der übrigen Lose erfolgt in analoger Weise.
Bei der Entscheidung hinsichtlich der Anzahl pro Bieter zuschlagsfähigen Lose werden im Rahmen der Eignungsprüfung auch die im Fragebogen Eignung formulierten Mindestanforderungen zu den Umsatzzahlen und Beschäftigtenzahlen einbezogen.
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Loslimitierung
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Angebotslimitierung:
Es besteht keine Angebotslimitierung, d.h. es können Angebote auf 1 Los oder auch mehrere Lose abgegeben werden.
Zuschlagslimitierung:
Es besteht eine Zuschlagslimitierung von maximal zwei Losen je Bieter.
Haben sich für ein Los nur Bieter mit einem wertbaren Angebot beworben, die bereits den Zuschlag auf zwei Lose erhalten haben, so können Bieter abweichend von der festgelegten Höchstzahl auch den Zuschlag auf mehr als zwei Lose erhalten, sofern sie hierfür geeignet sind.
Die Bereitschaft der Bieter zur Übernahme der Leistung in mehr als den gemäß Limitierung vorgesehenen zwei Losen wird in den Vergabeunterlagen explizit abgefragt.
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Sind mehrere Kriterien aufgeführt, erfolgt die Anwendung der Kriterien in absteigender Reihenfolge. Nachrangige Kriterien kommen nur insoweit zur Anwendung, wie es für die Entscheidung über die Zuteilung von Losen erforderlich ist.“
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Die Antragstellerin reichte innerhalb der auf den 12.12.2023 festgesetzten Angebotsfrist ein Angebot für die Lose 1 bis 4 ein.
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Mit Schreiben vom 04.01.2024, überschrieben mit „Überprüfung der Auskömmlichkeit § 44 Abs. 1 UVgO bzw. § 60 Abs. 1 VgV“, teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sich bei der Überprüfung ihres Angebots Klärungsbedarf ergeben habe und sie bat die Antragstellerin zum Nachweis der Auskömmlichkeit die Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes zu belegen. Sie bat um Übermittlung der ausgefüllten Formblätter Kalkulation zur Unterhaltsreinigung werktags und zur Unterhaltsreinigung sonn- und feiertags.
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Mit Schreiben vom 09.01.2024 reichte die Antragstellerin fristgerecht die ausgefüllten Formblätter Kalkulation zur Unterhaltsreinigung werktags und Unterhaltsreinigung sonn- und feiertags ein.
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Mit Schreiben vom 24.01.2024, überschrieben mit „Überprüfung der Auskömmlichkeit § 44 Abs. 1 UVgO bzw. § 60 Abs. 1 VgV“, teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sich bei der Überprüfung der in den Formblättern Kalkulation getätigten Angaben ein weiterer Klärungsbedarf zu einigen Positionen ergeben habe. Die eingetragenen Werte würden Zweifel an einer auskömmlichen Kalkulation aufkommen lassen. Es werde daher um Erläuterung und mathematisch nachvollziehbare Darstellung gebeten, wie die Antragstellerin die Auskömmlichkeit ihrer vorgelegten Kalkulation sicherstelle.
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Auch dieser Bitte um Aufklärung kam die Antragstellerin fristgerecht mit Schreiben vom 29.01.2024 nach. Es folgten zwei weitere Schreiben, überschrieben mit „Überprüfung der Auskömmlichkeit“ durch die Antragsgegnerin. Beiden Aufforderungen kam die Antragstellerin firstgerecht nach. Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 13.02.2024 setzte die Antragsgegnerin die Antragstellerin davon in Kenntnis, dass ihr der Zuschlag auf die Lose 1 und 4 erteilt werden solle. Auf die Lose 2 und 3 könne der Zuschlag nicht auf die Angebote der Antragstellerin erteilt werden, da der Zuschlag auf maximal 2 Lose je Bieter limitiert sei. Unter Berücksichtigung der Rangfolge sei die wirtschaftlichste Kombination aller Lose ermittelt worden. Zudem teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag frühestens am 24.02.2024 auf die jeweiligen Lose zu erteilen.
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Mit Schreiben vom 14.02.2024 erhielt die Antragsgegnerin ein mit der Überschrift „Rüge“ versehenes Schreiben eines Bieters. Darin wollte dieser Einblick in die Auswertung haben und wie sich die Auswertung zusammensetze.
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Mit Schreiben vom selben Tag fragte die Antragsgegnerin bei einer Bestandsauftragsnehmerin und zugleich Bieterin in streitgegenständlichem Verfahren eine Verlängerung des bestehenden Rahmenvertrags um einen Monat, bis Ende März 2024, an.
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Mit Schreiben vom 16.02.2024 beantwortete die Antragsgegnerin das Schreiben des Bieters vom 14.02.2024 und teilte mit, dass es ihr gemäß § 5 Abs. 1 VgV unter Wahrung des Grundsatzes der Vertraulichkeit nicht gestattet sei, die Preise der anderen Bieter mitzuteilen.
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Mit Schreiben vom 16.02.2024 rügte eine weitere Bieterin in hiesigem Verfahren, die zugleich Bestandsauftragnehmerin ist, dass das mitgeteilte Wertungsergebnis und der dem Wertungsergebnis zugrundeliegende Wertungsvorgang vergaberechtswidrig seien. Die Ausschreibung sei deshalb zurückzuversetzen und ab Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen. Die bestplatzierten Angebote seien nicht zuschlagsfähig, da sie die Kalkulationsvorgaben der Vergabeunterlagen nicht berücksichtigen würden. Zudem sei davon auszugehen, dass die Bieter ihren Kalkulationen uneinheitliche Annahmen des zu erwartenden Arbeitsumfangs zugrunde gelegte hätten, da die Vergabestelle nicht alle objektspezifischen Informationen, die bei der Auftragsausführung zu beachten seien, bekanntgegeben habe. Die Ermittlung der wirtschaftlichsten Angebote folge nicht der in der Aufforderung zur Angebotsabgabe Ziff. 4 und in Besonderen Bewerbungsbedingungen Ziff. A8 mitgeteilten Methode und die Wertung habe nicht zur insgesamt wirtschaftlichsten Kombination aller Lose geführt; insbesondere sei die Reihenfolge der Zuschlagsentscheidung nicht nach Größe der Preisabstände erfolgt. Zudem lasse die Ermittlung der wirtschaftlichsten Angebote einen wesentlichen Kostenbestandteil, der nach § 127 Abs. 1 GWB zwingend zu berücksichtigen gewesen sei, außer Betracht: nach Ziff. 1.3.1 des ausgeschriebenen Rahmenvertrags seien Kosten für den Einsatz von Hilfsmitteln (u.a. Steiger, Hubbühnen) von der Preiswertung ausgenommen worden. Die Antragsgegnerin wolle diese stattdessen in Höhe des Nachweises der entstandenen Kosten begleichen. Die Antragsgegnerin müsse diese Kosten jedoch zwingend in die Angebotswertung einbeziehen, da anderenfalls nicht das wirtschaftlichste Angebot bezuschlagt werde. Schließlich seien auch finale Angebote einiger Bieter in Anwendung des in den Besonderen Bewerbungsbedingungen in Ziff. A9 enthaltenen Verhandlungsvorbehalts unter Verstoß gegen § 15 Abs. 5 S. 2 VgV im Rahmen unzulässiger Verhandlungen zustande gekommen oder unzulässig nachverhandelt worden.
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Am 20.02.2024 um 13.21 Uhr nahm der Bevollmächtigte der besagten Bestandsauftragnehmerin Kontakt mit der Antragsgegnerin auf und erklärte, dass es nicht möglich sei den Bestandsvertrag um einen Monat, bis Ende März zu verlängern, wie die Antragsgegnerin in ihrer Anfrage vom 14.02.2024 angefragt habe. Bei einer so kurzen Verlängerung könne die Auftragsausführung nicht gewährleistet werden, zudem seien Übergangs- und Übergabefristen von drei bis vier Monaten sachgerecht. Außerdem seien die vorzunehmenden Abnahmen und Übergaben in einem Monat nicht durchführbar. Die Mandantschaft sei daher dankbar, wenn die Antragsgegnerin, ohne Vorwegnahme ihrer Rügebeantwortung, die Gewährung jedenfalls einer längeren Übergangsfrist (Vertragsende 31.5. oder 30.6.) prüfen und in Betracht ziehen würde.
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Mit Schreiben vom 21.02.2024 teilte die Antragsgegnerin der rügenden Bestandsauftragnehmerin und Bieterin in hiesigem Verfahren um 8.37 Uhr mit, dass ihrer Rüge vom 16.02.2024 abgeholfen werde.
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Mit Schreiben vom 22.02.2024 teile die Antragsgegnerin allen Bietern im Verfahren mit, dass das Vergabeverfahren aufgehoben worden sei, weil andere schwerwiegende Gründe nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV bestünden. In der Auftragsbekanntmachung sei die Vorgehensweise zur Ermittlung der Losverteilung gem. § 30 Abs. 1 und Abs. 2 VgV nicht beschrieben worden. Diese Information sei nur in den Bewerbungsbedingungen enthalten. Die Angabe ausschließlich erst in den Vergabeunterlagen sei nicht ausreichend und führe dazu, dass der öffentliche Auftraggeber von der Vorschrift keinen Gebrauch machen dürfe. Eine Nennung in den Vergabeunterlagen sei nicht schädlich, doch sie ersetze nicht die zwingende Angabe in der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf folgende Fundstelle: „MüKoEuWettbR/Müller, 4. Aufl. 2022, VgV § 30 Rn. 19 sowie 20“. Eine Korrektur dieses Fehlers sei nur durch eine erneute Auftragsbekanntmachung möglich. Insofern liege in der fehlenden Bekanntmachung der Kombination der Losvergabe (§ 30 Abs. 1 und Abs. 2 VgV) ein schwerwiegender Grund für eine Aufhebung gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VgV. Im Vergabeverfahren sei aufgrund § 63 Abs. 1 S. 2 VgV kein Zuschlag erteilt worden. Aufgrund des weiterhin bestehenden Bedarfs werde jedoch erneut ein Offenes Verfahren durchgeführt werden.
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Mit Schreiben vom 27.02.2024 beanstandete die Antragstellerin, zunächst nicht anwaltlich vertreten, die Aufhebung des Verfahrens durch die Antragsgegnerin als vergaberechtswidrig. Die Antragstellerin könne keinen Fehler bzw. schwerwiegenden Aufhebungsgrund erkennen. Gemäß § 30 Abs. 1 VgV sei zwar das „Ob“ der Limitierung in der Bekanntmachung anzugeben, die Auswahl im Rahmen der Loslimitierung sei aber gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 30 Abs. 2 VgV nicht in der Bekanntmachung, sondern in den Vergabeunterlagen anzugeben. Die Antragstellerin bitte um Aufhebung der Aufhebung.
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Mit Schreiben vom 28.02.2024 antwortete die Antragsgegnerinder Antragstellerin, dass ihren Rügen nicht abgeholfen werde. Die Aufhebung werde nicht zurückgenommen. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung des Zuschlags oder die Wiederaufnahme des beendeten Vergabeverfahrens bestehe nicht, vgl. § 63 Abs. 1 S. 2 VgV. § 30 Abs. 2 S. 2 VgV regele lediglich den Sachverhalt, in welchem ein einzelner Bieter bei Anwendung der Zuschlagskriterien den Zuschlag für eine größere Zahl von Losen als die Höchstzahl erhalte. Lediglich die objektiven und nichtdiskriminierenden Kriterien für diesen Ausnahmefall dürften in den Vergabeunterlagen geregelt werden. Ein solcher Fall liege nicht vor. Es gehe nicht darum, dass ein Bieter mehr als die Höchstzahl von 2 Losen erhalte. Vorliegend handele es sich um die fehlende Bekanntgabe der Loskombination und deren Zustandekommen in der Auftragsbekanntmachung. Diese Vorgaben des § 30 Abs. 1 VgV seien gem. § 30 Abs. 2 Satz 1 VgV in der Auftragsbekanntmachung darzulegen.
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Mit Schreiben vom 28.02.2024 rügte die Antragstellerin erneut und diesmal anwaltlich vertreten die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin als vergaberechtswidrig. Grundsätzlich sei den Ausführungen der Antragsgegnerin zuzustimmen, dass der öffentliche Auftraggeber nicht gezwungen sei, zu kontrahieren, wenn das Ergebnis unwirtschaftlich sei. In diesem Fall sei das Ergebnis jedoch nicht unwirtschaftlich gewesen, die Aufhebung sei vielmehr aufgrund eines nicht bestehenden schwerwiegenden Fehlers erfolgt. Ferner rügte die Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin in dem vorliegenden Verfahren offensichtlich eine direkte Interimsvergabe ab dem 01.03.2024 durchgeführt habe und diese Vergabe nicht an die Antragstellerin als Bestbieterin erteilt worden sei. Die Antragstellerin erbat Auskunft, welches Unternehmen ab 01.03.2024 die Reinigung übernehme und für welchen Zeitraum die Reinigung interimsweise vergeben worden sei.
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Mit Schreiben vom 04.03.2024 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihren Rügen auch nach dem erneuten Vorbringen vom 28.02.2024 nicht abgeholfen werde. Die Vergabeunterlagen würden auch aus weiteren Gründen einer grundlegenden Änderung bedürfen. Zudem könne der Zuschlag nicht auf das Angebot der Antragstellerin erteilt werden, da das Angebot auszuschließen sei. Es sei anzunehmen, dass das Angebot wegen mehrmaliger Nachforderung, jedenfalls aber wegen fehlenden Nachweises der Auskömmlichkeit ausgeschlossen hätte werden müssen bzw. sich Auskömmlichkeit als nicht gegeben herausgestellt habe. Die Antragsgegnerin teilte zudem mit, dass der Vertrag mit dem bisherigen Vertragspartner kurzfristig verlängert worden sei.
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Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 11.03.2024 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
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Die Antragstellerinträgt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei. Die Aufhebung des Verfahrens sei nicht nur rechtswidrig, sondern auch unwirksam gewesen. Ein schwerwiegender Grund gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV habe nicht bestanden. § 30 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 30 Abs. 2 Satz 1 VgV fordere lediglich die Bekanntgabe des „ob“ der Zuschlagslimitierung. Gemäß § 30 Abs. 2 Satz 2 VgV sei das Auswahlverfahren jedoch ganz klar nur in den Vergabeunterlagen anzugeben. Die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin, dass § 30 Abs. 2 Satz 2 VgV nur dann Anwendung finden würde, wenn der Bestbieter mehr als die Höchstzahl erhalten solle, erschließe sich für die Antragstellerin nicht. Im Übrigen ergebe sich das Erfordernis, das „wie“ der Zuschlagslimitierung bekannt zu geben auch nicht aus der gesamten Systematik des GWB und der VgV. An dieser rechtlichen Bewertung ändere sich auch dann nichts, wenn die Systematik der Wertungsreihenfolge an unterschiedlichen Stellen der Vergabeunterlagen aufgeführt werde. Aus Sicht der Antragstellerin sei die Aufhebung auch unwirksam, da zum Schein durchgeführt. Bei der Antragsgegnerin handle es sich nicht um eine kleine Einheit und um vergaberechtlich vollkommen unerfahrene Sachbearbeiter, sondern um eine große zentrale Vergabeeinheit. Ferner nehme gerade diese Vergabestelle regelmäßig Zuschlagslimitierungen vor. Sie könne sich also nicht darauf berufen, dass man den § 30 VgV rechtlich nicht richtig gelesen habe oder man nicht gewusst habe, dass es gar nicht möglich sei, in der Bekanntmachung das Auswahlverfahren anzugeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Rügen dazu geführt hätten, dass man ein unliebsames Ergebnis bereinigt habe, und zwar sicherlich nicht, weil man einen „preferred Player“ gehabt habe, sondern weil die Vergabe viel zu knapp geplant und zu spät durchgeführt worden sei. Ferner erschließe es sich der Antragstellerin in keiner Weise, warum der Sachvortrag der Antragsgegnerin den Rückschluss ergeben solle, dass das Zuschlagskriterium nicht 100% der Preis gewesen sei. Bei einer Loslimitierung handle es sich immer um eine Veränderung der Wertungsreihenfolge, wenn ein Bieter die Loslimitierung überschreite.
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Weiter seien auch die Eignungskriterien nicht fehlerhaft aufgestellt worden. Die Lose seien nicht ausschließlich nach Gebieten aufgeteilt, sondern wahrscheinlich auch nach dem Abrufvolumen. Alle Lose würden über ein Abrufvolumen größer 200t Stunden verfügen, damit sei eine Differenzierung in der Eignung nicht erforderlich gewesen. Auch könne die Antragstellerin die Ausführungen bezüglich der Kosten des Hubsteigers und der Steighilfen der Antragsgegnerin nicht nachvollziehen. Zum einen werde es von Beginn an einen Grund gehabt haben, warum die Kosten für Hubsteiger und Steighilfe nicht mit abgefragt wurden. Zum anderen würden Hubsteiger und Steighilfe relativ selten zum Einsatz kommen und vor allem nur bei der Glasreinigung. Die angesetzte Stundenanzahl bei der Glasreinigung betrage aber nur ca. 0,38% insgesamt, die Kosten für Steighilfe und Hubsteiger maximal 1.000,00 EUR. Die Antragsgegnerin müsste zumindest belegen, dass diese Kosten erheblich und wertungsrelevant seien, wenn sie hierin einen schwerwiegenden Fehler begründen wolle. Weiter würden fehlerhafte Informationsschreiben auch nicht durch eine Aufhebung bereinigt, sondern in dem man ein korrektes Informationsschreiben versende und die Frist erneut in Gang setze. Ferner sei nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin irgendeine Interessensabwägung vorgenommen habe. Aus Sicht der Antragstellerin liege zudem eine diskriminierende Aufhebung vor, da diese ohne sachlichen Grund erfolgt sei. Im Ergebnis könne der dokumentierte Vorgang objektiv betrachtet, nur zu der Annahme führen, dass Impulsgeber für die Aufhebungsentscheidung nicht die Rüge eines Bieters oder der vermeintlich bestehende Bekanntmachungsfehler (die beide nicht einmal rechtlich geprüft worden seien) gewesen sei, sondern vielmehr die Erkenntnis der Antragsgegnerin, dass eine Übergabe in dem kurzen Zeitraum nicht möglich sei. Zudem fehle es an jeglicher wesentlichen Dokumentation.
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Die Antragstellerin beantragt,
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren „Gebäudereinigung Rahmenvertrag Überbrückungsreinigung, interne Kennung: …“, bekannt gegeben im Amtsblatt der Europäischen Union unter der AblNr. … in den Stand vor Aufhebung des Vierfahrens zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen.
2. HILFSWEISE: Es wird festgestellt, dass die Aufhebung des Vergabeverfahren „Gebäudereinigung Rahmenvertrag Überbrückungsreinigung, interne Kennung: …“, bekannt gegeben im Amtsblatt der Europäischen Union unter der AblNr. … rechtswidrig war.
3. Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakte gemäß § 165 GWB gewährt.
4. Der Antragsgegnerin werden die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung gemäß §§ 182 GWB, 80 VwVfG, einschließlich die vorprozessualen Anwaltskosten der Antragstellerin, auferlegt.
5. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Akteneinsicht wird versagt.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass die gestellten Anträge unbegründet seien, da keine Verstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften vorlägen. Die Antragstellerin habe die Aufhebung des Vergabeverfahrens hinzunehmen, da sie sachlich begründet und damit nicht willkürlich oder diskriminierend erfolgt sei. Im gegenständlichen Vergabeverfahren sei eine Zuschlagslimitierung beabsichtigt gewesen. Geplant sei gewesen, dass jedes Los mit jedem anderen kombiniert werden könne. Diese Information und die konkrete Benennung von möglichen Loskombinationen sei in der Auftragsbekanntmachung allerdings nicht transparent genug erfolgt. Dies stelle einen Verstoß gegen § 30 VgV dar. Zudem würden sich Auftragsbekanntmachung und Besondere Bewerbungsbedingungen widersprechen. Das von § 30 Abs. 1 Satz 1 VgV in Bezug genommene „ob“ einer Loslimitierung erstrecke sich nicht lediglich darauf, ob überhaupt eine Loslimitierung bestehe, sondern auch auf deren Ausgestaltung im Einzelnen. Diese Intransparenz habe nur durch eine Aufhebung des Vergabeverfahrens behoben werden können. Zudem hätten die in der Auftragsbekanntmachung aufgestellten Eignungskriterien losweise aufgestellt werden müssen. Das Unterlassen stelle einen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 VgV dar. Es seien unabhängig von der Zuschlagslimitierung und der Aufteilung in vier Lose allgemein drei Referenzen gefordert worden. Da die Lose auch vom Umfang her unterschiedlich groß seien, sei die Forderung von drei Referenzen ungeachtet der Frage, auf welches Los ein Angebot abgegeben werden solle, unzureichend. Zuletzt sei auch die Ermittlung der wirtschaftlichsten Angebote fehlerhaft, da diese einen wesentlichen Kostenbestandteil, der zwingend zu berücksichtigen gewesen wäre, außer Betracht gelassen habe. Dies stelle einen Verstoß gegen § 127 Abs. 1 GWB dar. Die Kosten für den Einsatz von Hilfsmitteln (u.a. für Steiger, Hubsteiger) seien in der Leistungsbeschreibung von der Preiswertung ausgenommen worden. Stattdessen hätten diese in Höhe des Nachweises der entstandenen Kosten beglichen werden sollen. Diese Kosten würden sich aber typischerweise erheblich im Wettbewerb unterscheiden und seien Teil der wirtschaftlichen Belastung des Auftraggebers. Die Berücksichtigung dieser Kosten könne in Anbetracht des intensiven Preiswettbewerbs in dieser Ausschreibung einen maßgeblichen Einfluss auf die Angebotswertung haben. Insofern hätten zumindest die diesbezüglichen wesentlichen Kosten bepreist und mit in die Angebotswertung einbezogen werden müssen. Da vorliegend der Zuschlag an das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden solle, sei auf Grund der Nichtberücksichtigung dieser Kosten das wirtschaftlichste Angebot nicht ermittelbar. Ferner seien auch die Schreiben nach § 134 Abs. 1 GWB fehlerhaft gewesen. Es sei in diesen Schreiben auf den jeweiligen Preisrang verwiesen worden, tatsächlich seien die darin genannten Preisränge aber nicht korrekt gewesen. Auch habe die Antragsgegnerin die erforderliche Interessensabwägung ermessensfehlerfrei vorgenommen. Es sei zwischen einer Aufhebung des Vergabeverfahrens aufgrund der genannten Vergabeverstöße und lediglich einer Rückversetzung in den Zustand vor Angebotsabgabe abgewogen. Da die genannten Vergabefehler nicht lediglich durch eine Korrektur der Vergabeunterlagen behoben werden hätten können und das Verfahren insgesamt an zu vielen Punkten fehlerhaft gewesen sei, sei entschieden worden, dass die Verfahrensaufhebung gegenüber einer Zurücksetzung der Ausschreibung auf den Zeitpunkt vor Aufforderung zur Angebotsabgabe unabdingbar gewesen sei und somit hätten schwerwiegende Gründe i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VgV vorgelegen.
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Die Aufhebung des Vergabeverfahrens sei nicht nur wirksam, sondern auch rechtmäßig gewesen, da die vorliegend gegebenen schwerwiegenden Gründe der Antragsgegnerin erst nach Beginn der Ausschreibung bekannt geworden seien und auch nicht von ihr selbst verschuldet seien. Für ein Verschulden wäre Vorsatz oder Fahrlässigkeit erforderlich. Bei den Vergabefehlern handle es sich nicht um einfach zu erkennende Fehler, sondern um komplexe Detailpunkte in einem ohnehin schon sehr komplexen Vergabeverfahren, die der Antragsgegnerin selbst erst nach Versendung der Informationsschreiben aufgefallen seien. Die gegenständlichen Fehler seien der Vergabestelle erst aufgrund der eingegangenen Rügen aufgefallen. Selbst wenn unterstellt würde, dass die Verfahrensaufhebung rechtswidrig erfolgt sei, würde die Verfahrensaufhebung dennoch nicht zu einer Rechtsverletzung der Antragstellerin führen, da deren Angebot im streitgegenständlichen Verfahren zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen. Dies deshalb, da sich das Angebot der Antragstellerin als nicht auskömmlich herausgestellt habe, mit der Folge, dass die Antragstellerin keine Chance mehr auf Erteilung des Zuschlags in den jeweiligen Losen gehabt hätte.
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In der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2024 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme. Auf die Nachfrage der Vergabekammer wie der aktuelle Stand sei, erklärte die Antragsgegnerin, dass die zwei Bestandsverträge verlängert worden seien. Die Antragsgegnerin führe momentan eine Interimsvergabe durch. Die Interimsvergabe beginne, zum 01.08.2024 zu laufen. Die Beteiligten diskutierten sodann die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin erklärte, wie sie das Wort „Vorgaben“ in § 30 Abs. 2 VgV Satz 1 auslege. Sie fasse hierunter neben der Angabe der Zahl der Lose, für die ein Bieter den Zuschlag erhalten kann auch die Informationen, die sie in ihren Vergabeunterlagen in den Besonderen Bewerbungsbedingungen unter Ziffer A8 zur Zuschlagslimitierung aufgeführt hat. Diese Auslegung führe zu einer fehlerhaften Bekanntgabe der Vorgaben zur Zuschlagslimitierung. Die Antragstellerin erklärte, sie könne die Auslegung der Antragsgegnerin nicht nachvollziehen und eine Bekanntmachung in der Form, wie die Antragsgegnerin sie für richtig erachte, sei in den eForms technisch gar nicht möglich. Die Vergabekammer erläuterte, dass die Antragsgegnerin ihrer Rechtsauffassung nach keine ersichtlichen Fehler bei der Bekanntgabe der Zuschlagslimitierung gemacht habe. Weiter führte die Vergabekammer aus, dass sie auch die Aufstellung der Eignungskriterien für die jeweiligen Lose für vergaberechtskonform halte. Die Antragsgegnerin erklärte, dass der Fehler hier darin liege, dass sie die Einreichung von Referenzen bei Angeboten für mehrere Lose hätte regeln wollen. Sodann wurde die Notwendigkeit der Änderung an den Vergabeunterlagen wegen fehlender Kostenbestandteile in Bezug auf den Hubsteiger erörtert. Die Antragstellerin erklärte, dass dieser nur für einen Bruchteil der Glasreinigung benötigt werde und dass auf die gesamte Glasreinigungsleistung nur etwa 0,38% der Stundenanzahl entfallen würde. Die Antragstellerin schätze, dass es sich dabei um Kosten von etwa 1.000 EUR handele. Die Antragsgegnerin hielt dem entgegen, dass sie von bis zu 10.000 EUR Kosten ausgehe und es zumindest nicht auszuschließen sei, dass sich die Wertungsreihenfolge dadurch ändere. Zur Problematik eines Ausschlusses des Angebots der Antragstellerin wies die Vergabekammer darauf hin, dass für eine Aufklärung und einen Ausschluss gemäß § 60 VgV der Preisabstand zum zweitplatzierten Bieter und zur eigenen Auftragswertschätzung der Antragsgegnerin verschwindend gering sei und die Antragsgegnerin hätte dokumentieren müssen, warum sie dennoch von einem ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreis ausgehe. Vorliegend seien nur Einzelpreispositionen aufgeklärt worden. Dies spreche nicht für eine Preisaufklärung nach § 60 VgV, sondern vielmehr für eine Prüfung einzelner Preise zur Einhaltung der Kalkulationsvorgaben oder sonstigen Vorgaben der Leistungsbeschreibung. Bezüglich des Hilfsantrags der Antragstellerin bestätigte diese, dass ihr Feststellungsinteresse auf Schadensersatz gerichtet sei. Die Antragsgegnerin erhielt die Gelegenheit zur Nachreichung des Preisspiegels und ihrer Schätzung des Mengengerüsts für die Interimsvergabe bis 22.05.2024 – 14:00 Uhr.
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Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 22.05.2024 übersandte die Antragsgegnerin den von ihr erstellten Preisspiegel zu den in der Interimsvergabe angebotenen Preisen für Hilfsmittel. Die Excel-Tabelle enthielt Preisangaben von insgesamt sechs Bietern zu jeweils 4 Hilfsmittel für die Glasreinigung. Als Hilfsmittel wurden aufgeführt: Arbeitsbühne bis 20 m Arbeitshöhe, Arbeitsbühne von 21 m bis 30 m Arbeitshöhe, Arbeitsbühne von 31 m bis 40 m Arbeitshöhe und Arbeitsbühne über 40 m Arbeitshöhe sowie die Bepreisung der jeweiligen An- und Abfahrtspauschale. In der Excel-Tabelle unten hatte die Antragsgegnerin die Summe der Hilfsmittel auf die Laufzeit von zehn Monaten und 48 Monaten, unterteilt in je Los, 2 Lose und 4 Lose angegeben. Sie trug in ihrem Schriftsatz vor, dass die Laufzeit der im Wege der Interimsvergabe ausgeschriebenen Vertrages auf zehn Monate angelegt sei. Unter Zugrundelegung der Angebotspreise der Interimsvergabe seien die Kosten für Hilfsmittel über eine Laufzeit von 4 Jahren errechnet worden. Bei der Hochrechnung sei zwar die Laufzeit von zehn Monaten auf die Laufzeit von 48 Monaten angepasst worden. Es sei aber nach wie vor das in der Interimsvergabe zugrunde gelegte Mengengerüst beibehalten worden. Im Leistungsverzeichnis der Interimsvergabe seien in jedem Los für jedes Hilfsmittel nur ein Einsatz mit einer Arbeitszeit von 3 bzw. 5 Stunden und einer Pauschale für An- und Abfahrt als Menge angegeben. Bei der Laufzeit von 48 Monaten dürfe davon ausgegangen werden, dass sich die Anzahl der Einsätze je Hilfsmittel in jedem Los erhöhen werde. Dies werde zu einer zusätzlichen Erhöhung der hochgerechneten Beträge führen. Die dargestellten Beträge würden belegen, dass es sich bei den Kosten für Hilfsmittel um Preise handele, die von den Bietern sehr unterschiedlich kalkuliert und angeboten würden und demzufolge auch die preisliche Reihung der Angebote beeinflussen, sodass das Vorliegen eines diesbezüglichen sachlichen Grundes für die Aufhebung zu bejahen sei.
28
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 23.05.2024 teilte die Antragstellerin mit, dass die Antragsgegnerin den Durchschnittspreis fehlerhaft ermittelt habe. Sie habe sich im Rahmen der Interimsvergabe vier Arten von Steigern anbieten lassen, von denen aber jeweils nur einer zum Einsatz komme, je nach örtlichen Begebenheiten. In den Durchschnittswert habe sie jedoch die Kosten für alle vier Steiger mit eingerechnet. Zudem beziehe sich die Antragsgegnerin darauf, dass sich die abgefragte Arbeitszeit von 3 bis 5 Stunden erhöhen könne und dies zu einem Mehraufwand führe. Der Antragsgegnerin müsse jedoch bewusst sein, dass Steighilfe, egal welcher Art, ausschließlich tageweise vermietet würden und es sich bei den angegebenen Preisen daher auch um Tagespreise handeln dürfte.
29
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
30
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
31
Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 1, 4 GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert. Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
32
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
33
Die Antragsbefugnis der Antragstellerin ist zu bejahen. Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt. Die Antragstellerinhat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend gemacht. Sie trägt vor, dass ein Ausschluss ihres Angebots wegen Unauskömmlichkeit nicht in Betracht käme und die Aufhebung des Vergabeverfahrens unwirksam und rechtswidrig sei.
34
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB entgegen, da die Antragstellerin erst mit Schreiben vom 22.02.2024 über die Verfahrensaufhebung informiert wurde, diese jedoch bereits am 27.02.2024 und damit innerhalb der normierten Frist von zehn Kalendertagen als vergaberechtswidrig beanstandete. Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, dass die Antragstellerin in ihrem Rügeschreiben nicht darauf hingewiesen habe, dass sich aus der von der Antragsgegnerin zitierten Vorschrift des § 30 VgV keine Verpflichtung zur Aufhebung des Vergabeverfahrens ergeben würde, ergibt sich hieraus keine andere Entscheidung in der Sache. Die Antragstellerin ist ihrer Substantiierungspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen, indem sie in ihrer Rüge vom 27.02.2024 mitgeteilt hat, dass sie keinen Fehler bzw. schwerwiegenden Aufhebungsgrund erblicken könne und insbesondere die Vorgaben des § 30 Abs. 1 und Abs. 2 VgV als korrekt umgesetzt ansehe. Damit hat sie der Antragsgegnerin die Informationen mitgeteilt, die für die Überprüfung des Sachverhalts von Relevanz sind.
35
2. Der Nachprüfungsantrag ist hinsichtlich des Hauptantrages, mit dem die Antragstellerin die Aufhebung der Verfahrensaufhebung und die Fortsetzung des Vergabeverfahrens begehrt, auch begründet, da die Aufhebung des Vergabeverfahrens hinsichtlich der Lose 1 und 4 nicht wirksam ist.
36
Die Aufhebungsgründe, auf die die Antragsgegnerin die Aufhebung des Vergabeverfahrens hinsichtlich der Lose 1 und 4 bis zum nachgelassenen Schriftsatz vom 22.05.2024 gestützt hat, liegen nicht vor bzw. hat die Antragsgegnerin keine Ermessenserwägungen angestellt und dokumentiert, die eine wirksame, wenn auch nicht von § 63 VgV gedeckte Aufhebung des Vergabeverfahrens begründen könnten. Die Vergabekammer kann solche Erwägungen nicht anstelle des Auftraggebers vornehmen. Die Aufhebung des offenen Vergabeverfahrens betreffend die Lose 1 und 4 war damit rückgängig zu machen.
37
2.1. Bei der rechtlichen Überprüfung der Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist zwischen der Wirksamkeit und der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers zu unterscheiden. Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist für einen öffentlichen Auftraggeber in vergaberechtlich zulässiger Weise und damit rechtmäßig möglich, wenn einer der in § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 VgV enthaltenen Aufhebungsgründe gegeben ist. Soweit die Antragsgegnerin ihre Aufhebungsentscheidung auf § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 VgV gestützt hat, greift dieser gesetzlich normierte Aufhebungsgrund nicht durch. Zum Merkmal einer rechtmäßigen Aufhebung zählt, dass der Aufhebungsgrund nicht vom Auftraggeber verschuldet sein darf (vgl. OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 – Verg 4/13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.08.2023, Verg 3/23; VK Südbayern, Beschluss vom 21.05.2024, 3194.Z3-3_01-24-9, n.v.; Herrmann, in: Ziekow/Völlink, 5. Auflage, 2024, § 63 Rn. 47). Vorliegend hat die Antragsgegnerin die von ihr vorgetragenen Aufhebungsgründe selbst schuldhaft herbeigeführt. Wie bereits in der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung des OLG München (Beschluss vom 28.08.2012, Verg 11/12) festgestellt, reicht es insofern aus, wenn dem öffentlichen Auftraggeber leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird. Eine fehlerhafte Bekanntgabe der Vorgehensweise bei der Zuschlagslimitierung, eine fehlerhafte Aufstellung der Eignungskriterien, ein außer Betracht lassen zwingend zu berücksichtigender wesentlicher Kostenbestandteile und das Versenden von fehlerhaften Informationsschreiben wären jeweils Fehlverhalten, die allein im Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin liegen würden, sodass ein Rückgriff auf den in § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 VgV normierten Aufhebungsgrund ausscheidet.
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Eine Aufhebung des Vergabeverfahrens kann aber ungeachtet ihrer Rechtswidrigkeit dennoch wirksam sein. § 63 Abs. 2 S. 1 VgV stellt klar, dass ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, den Zuschlag zu erteilen. Er kann auch dann, wenn kein rechtfertigender Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 S. 1 VgV vorliegt, von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Dies folgt daraus, dass ein Kontrahierungszwang der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen würde. Denn auch im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Privatautonomie, nach dem der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages ausschließlich in der Entscheidungsgewalt des Ausschreibenden liegt (VK Bund, Beschluss vom 16.02.2023, VK 1-1/23). In der Rechtsprechung sind jedoch Ausnahmefälle anerkannt, bei denen eine Aufhebung der Aufhebung des Vergabeverfahrens und die Fortsetzung des ursprünglichen Vergabeverfahrens in den Stand vor der Aufhebungsentscheidung angezeigt sein kann. Der Vergabekammer steht diese Anordnungsmöglichkeit im Rahmen des § 168 Abs. 1 S. 1 GWB bei fortbestehender Beschaffungsabsicht des öffentlichen Auftraggebers jedenfalls dann zu, wenn sich die Aufhebung des Vergabeverfahrens aufgrund Fehlens eines sachlich gerechtfertigten Grundes als willkürlich darstellt oder die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zum Schein und tatsächlich zu dem Zweck erfolgt sein, einen Bieter gezielt zu diskriminieren (vgl. VK Bund, Beschluss vom 13.06.2022, VK 2-52/22; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021, Verg 22/20; OLG Celle, Beschluss vom 03.07.2018, 13 Verg 8/17; BGH, Beschluss vom 20.03.2014, X ZB 18/13). In diesem Rahmen ist regelmäßig auch zu berücksichtigen, dass die Entscheidung über die Aufhebung des Vergabeverfahrens immer auch eine Ermessensentscheidung ist. Für eine rechtmäßige Aufhebung folgt dies aus § 63 Abs. 1 S. 1 VgV, wonach der öffentliche Auftraggeber bei Vorliegen der gesetzlich normierten Aufhebungsgründe zu einer Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigt ist. Für eine rechtswidrige Aufhebung kann kein anderer Maßstab gelten. Der Bieter hat jedenfalls einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch den Auftraggeber. Die Nachprüfungsinstanzen können die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers insoweit auf eine korrekte Ausübung des Ermessens hin überprüfen. Einem öffentlichen Auftraggeber zustehende Ermessensspielräume können nach der Rechtsprechung regelmäßig dahingehend überprüft werden, dass der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt wurde, dass Verfahrensgrundsätze eingehalten wurden, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind, die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angemessen und vertretbar gewichtet wurden und der gesetzliche bzw. ein selbst von der Vergabestelle vorgegebener Rahmen bzw. Maßstab beachtet wurde (vgl. OLG München, Beschluss vom 09.03.2018 – Verg 10/17; VK Südbayern, Beschluss vom 21.05.2024, 3194.Z3-3_01-24-9, n.v.). Konkret für die Ermessensausübung im Rahmen einer Aufhebungsentscheidung bedeutet dies, dass auch die betroffenen Interessen in eine Abwägung einzustellen sind. Neben den Interessen des Auftraggebers sind daher insbesondere auch die Interessen der Bieter in die Abwägung mit einzubeziehen (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022, RMF-SG21-3194-7-16). Die Ermessensentscheidung des Auftraggebers ist zudem nachvollziehbar zu dokumentieren (VK Nordbayern, aaO).
39
Diese Grundsätze zugrunde legend stellt sich die von der Antragsgegnerin getroffene Aufhebungsentscheidung aufgrund Fehlens eines sachlichen Grundes als willkürlich dar bzw. hat die Antragsgegnerin keine fehlerfreie Ermessensabwägung vorgenommen, die eine wirksame, wenn auch nicht von § 63 VgV gedeckte Aufhebung des Vergabeverfahrens begründen könnten.
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Zunächst ist festzuhalten, dass Anhaltspunkte für das Vorliegen einer missbräuchlichen Scheinaufhebung, bei der der öffentliche Auftraggeber nur den Schein einer Aufhebung gesetzt hat, mit dessen Hilfe er dem ihm genehmen Bieter, obwohl dieser nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte, den Auftrag zuschieben will (vgl. Queisner, in: BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, 31. Edition, Stand: 01.02.2024, § 63 VgV Rn. 50), für die Vergabekammer vorliegend nicht erkennbar sind. Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 16.05.2024 darauf hinweist, dass sie die Leistung erneut in einem offenen Verfahren durchzuführen beabsichtige und dies bereits gegen eine gezielte Diskriminierung der Antragstellerin spreche und hierzu ergänzend auf den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 12.12.2022, Az. 3194.Z3-3_01-22-33 hinweist, teilt die Vergabekammer diese Einschätzung.
41
Die Aufhebung einer Aufhebungsentscheidung kann aber, wie oben aufgezeigt, auch dann veranlasst sein, wenn ein sachlich gerechtfertigter Grund fehlt und die Entscheidung sich daher als willkürlich darstellt oder der öffentliche Auftraggeber das ihm hinsichtlich der Entscheidung über die Verfahrensaufhebung zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt hat. So liegt der Fall hier. In den von der Antragsgegnerin vorgetragenen Gründen für die Aufhebungsentscheidung können keine sachlich gerechtfertigten Gründe erblickt werden, die die Entscheidung der Antragsgegnerin nachvollziehbar und nicht willkürlich erscheinen lassen. Willkürlich ist ein Verwaltungshandeln dann, wenn es unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missdeutet wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021, Verg 22/20). Ein anerkennenswerter sachlicher Grund wird beispielsweise angenommen, wenn ein rechtswidriges Vergabeverfahren nicht mehr geheilt werden kann und der Auftraggeber deswegen ein neues Vergabeverfahren bekannt macht (Queisner, in: BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, 31. Edition, Stand: 01.02.2024, § 63 VgV Rn. 56). Vorliegend stellt sich die Sachlage jedoch so dar, dass die von der Antragsgegnerin mitgeteilten Gründe das Vorliegen eines Vergabeverstoßes und damit ein rechtswidriges Verhalten der Antragsgegnerin nicht zu begründen vermögen. Die Antragsgegnerin hat den Inhalt der von ihr angeführten vergaberechtlichen Normen in eklatanter Weise missdeutet und ist zu der fehlerhaften Einschätzung gelangt, das Vergabeverfahren wegen Vorliegen von Vergabestößen aufheben zu müssen.
42
2.1.1. Der von der Antragsgegnerin primär vorgetragene Aufhebungsgrund, dass die Vorgehensweise zur Ermittlung der Losverteilung nicht in der Auftragsbekanntmachung bekannt gemacht worden sei und dies einen vergaberechtlichen Fehler darstelle, der nur durch eine erneute Auftragsbekanntmachung korrigiert werden könne, stellt keinen sachlich gerechtfertigten Grund dar.
43
Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Vermerk zur Verfahrensaufhebung vermerkt hat, dass die Verfahrensaufhebung aufgrund einer Rüge eines Bieters vom 16.02.2024 vorgenommen werde, in welcher eine Zurückversetzung vor Aufforderung zur Angebotsabgabe gefordert werde, ist bereits fraglich, ob die Antragsgegnerin ihrer Ermessensentscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Der Bieter hatte nicht gerügt, dass die Vorgaben des § 30 VgV fehlerhaft bekannt gemacht worden seien, worauf die Antragsgegnerin letztliche ihre Entscheidung der Verfahrensaufhebung gestützt hat, sondern vielmehr, dass die Antragsgegnerin die von ihr mitgeteilte Methode zur Ermittlung der wirtschaftlichsten Angebote nicht richtig angewandt habe. Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Vermerk zur Aufhebung des Vergabeverfahrens weiter dokumentiert hat, dass es zudem eine weitere Rüge in diesem Verfahren bezogen auf die Wertung gegeben habe und dies als zusätzliche Begründung ihrer Aufhebungsentscheidung heranzieht, hat sie ihrer Entscheidung auch diesbezüglich keinen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt. In dem Schreiben des Bieters vom 14.02.2024 ist, entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, bereits keine Rüge bezogen auf die Wertung zu erblicken. Der Bieter hatte sein Schreiben zwar mit Rüge betitelt, wollte aber lediglich Einblick in die Auswertung der Zuschlagsentscheidung erhalten. Seinem Ansinnen kann bereits keine konkrete und deutliche Beanstandung entnommen werden, was für die Einstufung als Rüge aber notwendig ist. Dieses Schreiben zur weiteren Begründung der Entscheidung zur Verfahrensaufhebung heranzuziehen, ist aus Sicht der Vergabekammer nicht haltbar und führt zu dem Schluss, dass die Aufhebungsentscheidung auch auf sachwidrigen Erwägungen beruht.
44
Soweit die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vortrug, dass sie die eingegangenen Rügen zum Anlass nahm, insgesamt eine umfassende Überprüfung des Vergabeverfahrens auf vergaberechtliche Fehler vorzunehmen, fehlt der Vergabekammer diesbezüglich eine Dokumentation bzw. konkrete Ausführungen der Antragsgegnerin hinsichtlich einer vorgenommenen Interessenabwägung und zwar dergestalt, dass sie neben dem durchaus berechtigten Interesse des öffentlichen Auftraggebers, vergaberechtliche Fehler in einem Vergabeverfahren zu korrigieren – so sie denn auch tatsächlich vorliegen – und das Verfahren insgesamt auf eine rechtskonforme Grundlage zu stellen, sich außerdem mit dem Umstand auseinandergesetzt hat, dass sie an die zu bezuschlagenden Bieter bereits die Information des beabsichtigten Zuschlags erteilt hatte, das Verfahren also bereits sehr weit fortgeschritten war und die betreffenden Bieter eine gesicherte Position als Zuschlagsprätendenten hatten. Dies wäre notwendig gewesen, da gerade in diesem Verfahrensstadium sehr genau abzuwägen ist, ob eine Fehlerkorrektur von Vergabefehlern in Betracht kommt. Dies dürfte regelmäßig nur anzunehmen sein, wenn eine Entscheidungsrelevanz festgestellt wird, die angedachte Fehlerkorrektur angezeigt ist, etwa, weil die Kriterien rechtswidrig, ungeeignet oder missverständlich sind. Es wäre die Schwere des vorliegenden Vergabefehlers und dessen Auswirkungen abzuwägen mit dem Interesse des Zuschlagsprätendenten, den vorgesehenen und bereits angekündigten Zuschlag auch zu erhalten.
45
Im Übrigen erweist sich der von der Antragsgegnerin aufgeführte Grund zur Aufhebung, dass ein Verstoß aufgrund einer fehlerhaften Bekanntgabe von Vorgaben zur Losaufteilung nach § 30 VgV vorliegen würde, nicht als sachlich gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen § 30 VgV ist für die Vergabekammer unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gegeben.
46
Den anfänglich diffusen Vortrag der Antragsgegnerin, bei dem für die Vergabekammer zunächst bereits nicht nachvollziehbar war, worin genau die Antragsgegnerin den vermeintlichen Vergabeverstoß betreffend § 30 VgV sieht, hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung dahingehend spezifiziert, dass sie § 30 Abs. 2 S. 1 VgV dergestalt auslege, dass sie unter das Wort „Vorgaben“ neben der Angabe der Zahl der Lose, für die ein Bieter den Zuschlag erhalten kann auch die Informationen fasse, die sie in ihren Vergabeunterlagen in den Besonderen Bewerbungsbedingungen unter Ziffer A8 zur Zuschlagslimitierung aufgeführt habe. Sie gehe daher davon aus, dass sie alle Vorgaben zur Zuschlagslimitierung, also auch die unter Ziffer A8 der Besonderen Bewerbungsbedingungen in der EU-Bekanntmachung hätte aufführen müssen. Gegen diese Rechtsauffassung sprechen bereits die klaren Ausführungen des Richtliniengebers in Artikel 46 Abs. 2 der RL 2014/24/EU, den § 30 Abs. 2 S. 1 VgV in nationales Recht umsetzt. Dort heißt es auszugsweise wie folgt: […] „Die öffentlichen Auftraggeber können, auch wenn Angebote für mehrere oder alle Lose eingereicht werden dürfen, die Zahl der Lose beschränken, für die ein einzelner Bieter einen Zuschlag erhalten kann, sofern die Höchstzahl der Lose pro Bieter in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung angegeben wurde.“ […] In der Gesetzesbegründung zu § 30 VgV werden diese Ausführungen wie folgt wiederholt: […] „In Umsetzung von Artikel 46 Absatz 2 Unterabsatz 2 der RL 2014/24/EU regelt Absatz 2 Satz 1, dass der öffentliche Auftraggeber die Zahl der Lose nach Absatz 1 Satz 2 nur beschränken kann, sofern die Höchstzahl der Lose pro Bieter in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbetätigung angegeben wurde.“ […] Sowohl Richtliniengeber als auch der deutsche Gesetzgeber gehen davon aus, dass der öffentliche Auftraggeber nach § 30 Abs. 2 S. 1 VgV hinsichtlich der Zuschlagslimitierung lediglich und ausschließlich die Höchstzahl der Lose pro Bieter in der Auftragsbekanntmachung anzugeben hat. Es findet sich in beiden Dokumenten kein Hinweis darauf, dass das Wort „Vorgaben“ in § 30 Abs. 2 S. 1 VgV zusätzlich dahingehend auszulegen sei, dass auch die beabsichtigte Vorgehensweise des öffentlichen Auftraggebers bei der Zuteilung der Lose aufgrund der Zuschlagslimitierung in der Auftragsbekanntmachung anzugeben sei. Auch die Kommentarliteratur ist einhellig dieser Ansicht (Müller, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 30 VgV, Rn. 10 ff.; Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Auflage 2024, § 30 VgV, Rn. 10; Class, in: Dieckert/Osseforth/Steck, Praxiskommentar Vergaberecht, § 30 VgV, Rn. 3, 5; Kus, in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 30 VgV, Rn. 11). Die Antragsgegnerin hat die Höchstzahl der zu bezuschlagenden Lose auch in vergaberechtlich nicht zu beanstandender Weise in der Bekanntmachung veröffentlicht, indem sie unter Ziffer 2.1.5 Bedingungen für die Auftragsvergabe unter anderem angegeben hat, dass sich die Höchstzahl der Lose, für die Aufträge an einen Bieter vergeben werden können, auf zwei belaufe. Ausreichend ist weiter, dass entsprechend § 30 Abs. 2 S. 2 VgV in den Vergabeunterlagen anzugeben ist, welche Kriterien der Auftraggeber zur Auswahl unter mehreren wertbaren Angeboten anwendet, um die festgesetzte Höchstzahl einzuhalten (vgl. Mehlitz, in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2 (Hrsg. Burgi/Dreher), 3. Auflage 2019, § 30 VgV, Rn. 35). Auch dies hat die Antragsgegnerin in vergaberechtlich nicht zu beanstandender Weise getan, indem sie unter Ziffer A8 der Besonderen Bewerbungsbedingungen aufgeführt hat, wie sie bei der Zuteilung der Lose vorgehen wird.
47
An dieser Stelle sei angemerkt, dass für die Auslegung des § 30 Abs. 2 S. 2 VgV durch die Antragsgegnerin kein Raum bleibt. Sie will diese Norm ausweislich ihrer Antragserwiderung auf Seite 10 dann angewandt wissen, wenn nach Prüfung der Eignung, der Auskömmlichkeit etc. nur ein Bieter verbleibe, welcher sich aber auf alle möglichen Lose beworben hat, in den Vergabeunterlagen geregelt werden könne, inwiefern dieser eine Bieter den Zuschlag doch auch für eine größere Zahl von Losen als die Höchstzahl erhalten könne. Der Sinn und Zweck des § 30 Abs. 2 S. 2 VgV sei darin zu erblicken, das Vergabeverfahren nicht allein wegen der Los- bzw. Angebotslimitierung abbrechen zu müssen, wenn ansonsten ein ordnungsgemäßer Wettbewerb gewährleitet worden sei. Bei dieser Auslegung verkennt die Antragsgegnerin, dass dies bereits dem klaren Wortlaut des § 30 Abs. 2 S. 2 VgV zuwiderläuft. Hätte der Gesetzgeber den von der Antragsgegnerin skizzierten Fall in § 30 Abs. 2 S. 2 VgV regeln wollen, so hätte dieser wie folgt formuliert werden müssen: Er gibt die objektiven und nichtdiskriminierenden Kriterien in den Vergabeunterlagen an, die er bei der Vergabe von Losen anzuwenden beabsichtigt, wenn die Anwendung der Zuschlagskriterien dazu führt [anstelle von: dazu führen würde], dass ein einzelner Bieter den Zuschlag für eine größere Zahl von Losen als die Höchstzahl erhält. Dass der Gesetzgeber hier aber den Konjunktiv gewählt hat, zeigt unmissverständlich, dass es sich um Kriterien handelt, die ein Überschreiten der nach § 30 Abs. 1 S. 2 VgV festzulegenden Höchstzahl verhindern soll. Der von der Antragsgegnerin skizzierte Fall wird nach Ansicht der Vergabekammer von § 30 VgV nicht geregelt. Vielmehr müsste in einem solchen Fall gegebenenfalls über eine Aufhebung des Vergabeverfahrens für die übrigen Lose nachgedacht werden (so auch Mehlitz, in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2 (Hrsg. Burgi/Dreher), 3. Auflage 2019, § 30 VgV, Rn. 24).
48
Dass die Antragsgegnerin auf der Grundlage dieser eindeutigen Rechtslage zu dem Ergebnis gekommen ist, einen vergaberechtlichen Bekanntmachungsfehler die Zuschlagslimitierung betreffend gemacht zu haben, bedeutet, dass sie den Inhalt der Norm in eklatanter Weise missdeutet hat, was Merkmal eines willkürlichen Verwaltungshandelns ist. Ein sachlicher Grund für die Aufhebung liegt damit diesbezüglich nicht vor.
49
Die Vergabekammer ist nicht sicher, ob die Antragsgegnerin auch von einem Bekanntmachungsdefizit nach § 30 Abs. 3 VgV ausgeht. Die schriftlichen Ausführungen der Antragsgegnerin könnten jedenfalls darauf hindeuten. In der Information an die Bieter vom 22.02.2024 über die Aufhebung des Verfahrens zitiert sie ergänzend eine Fundstelle im Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, die sich erkennbar auf die in § 30 Abs. 3 VgV geregelte Möglichkeit eines Zuschlages auf kombinierte Lose bezieht. Zudem schreibt sie in der Antragserwiderung auf Seite 9 von einer fehlerhaften Bekanntgabe der Loskombinationen und führt hierzu aus, das geplant gewesen sei, dass jedes Los mit jedem anderen Los kombiniert werden kann und dass diese Information und die konkrete Benennung von möglichen Loskombinationen in der Auftragsbekanntmachung nicht transparent erfolgt sei. Der Vollständigkeit halber weist die Vergabekammer deshalb darauf hin, dass kein Verstoß gegen § 30 Abs. 3 VgV ersichtlich ist. Die Norm ist im vorliegenden Fall überhaupt nicht zur Anwendung gekommen und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin diese Norm zur Anwendung bringen wollte. Denn dazu bedürfte es ausweislich des Erwägungsgrundes 79 der RL 2014/24/EU der Absicht des öffentlichen Auftraggebers, eine vergleichende Bewertung der Angebote durchführen zu wollen, um festzustellen, ob die Angebote eines bestimmten Bieters für eine bestimmte Kombination von Losen die Zuschlagskriterien, die gemäß der Richtlinie festgelegt worden sind, in Bezug auf diese Lose als Ganzes besser erfüllen als die Angebote für die betreffenden einzelnen Lose für sich genommen. § 30 Abs. 3 VgV gestattet dann dem öffentlichen Auftraggeber, dem betreffenden Bieter einen Auftrag in Kombination der betreffenden Lose zu erteilen.
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Ebenfalls von der Antragsgegnerin nicht explizit ausgeführt, aber dennoch aus dem Kontext ihrer Ausführungen abzuleiten, liegt entgegen ihrer Annahme auch kein Verstoß gegen § 127 Abs. 5 GWB vor. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung auf Seite 9 ausgeführt, dass die Angabe in der Auftragsbekanntmachung, dass Zuschlagskriterium für die einzelnen Lose 100% der Preis ist, nicht korrekt sei. Das Zuschlagskriterium pro Los sei eben gerade nicht lediglich zu 100% der Preis, sondern das wirtschaftlichste Ergebnis gemäß den Bewerbungsbedingungen A9 (Anmerkung der Vergabekammer: gemeint war hier wohl A8). Die Vergabekammer sieht keinen Verstoß gegen Vergaberecht. Insbesondere hat die Antragsgegnerin keine Bekanntmachungsfehler hinsichtlich des Zuschlagskriteriums gemacht. Der von der Antragsgegnerin gewählten Vorgehensweise der Zuschlagslimitierung ist gerade immanent, dass eine gewollte Abweichung von den Vorgaben des in der Bekanntmachung aufgeführten Zuschlagskriteriums Preis stattfindet. Gerade dafür ist dem § 30 Abs. 2 S. 2 VgV zu entnehmen, dass im Konflikt zwischen Bezuschlagung aller losweisen Angebote nach dem wirtschaftlichsten Angebot und Einhaltung einer Höchstzahl i.S.d. § 30 Abs. 1 S. 2 VgV die Einhaltung der Höchstzahl den Vorrang hat. Allerdings muss der öffentliche Auftraggeber hierfür in den Vergabeunterlagen die Kriterien angeben, nach denen er aus den die Höchstzahl übersteigenden und die wirtschaftlichsten darstellenden Angebote eines einzelnen Bieters die zu bezuschlagenden Angebote auswählen wird. Diese Kriterien sind jedoch nicht in der Auftragsbekanntmachung beim Zuschlagskriterium anzugeben, sondern in den Vergabeunterlagen.
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2.1.2. Die Rechtmäßigkeitsüberprüfung der Aufhebung ist nicht auf den Grund beschränkt, den die Vergabestelle den Bietern mitgeteilt hat. Das widerspräche dem im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und in der Beschwerdeinstanz gleichermaßen geltenden Untersuchungsgrundsatz (§§ 163 Abs. 1 S. 1, 175 Abs. 2, 75 Abs. 1 GWB), der zur umfassenden Erforschung des für die geltend gemachte Rechtsverletzung relevanten Sachverhalts verpflichtet. In die Überprüfung der Aufhebungsentscheidung können daher alle Gründe mit einbezogen werden, die Grundlage der Entscheidung der Vergabestelle gewesen sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021, Verg 22/20; OLG Koblenz, Beschluss vom 10. April 2003, 1 Verg 1/03).
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Soweit die Antragsgegnerin ihre Aufhebungsentscheidung mit Antragserwiderung vom 27.03.2024 zusätzlich darauf stützt, dass sie die Eignungskriterien nach § 46 Abs. 3 VgV fehlerhaft aufgestellt habe, ist darin ebenfalls kein sachlich gerechtfertigter Grund zu sehen. Darüber hinaus tragen die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Erwägungen eine ermessensfehlerfreie Aufhebungsentscheidung nicht.
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Die Antragsgegnerin hat in der Antragserwiderung vorgetragen, dass sie allgemein drei Referenzen gefordert habe. Da die Lose jedoch vom Umfang her unterschiedlich groß seien, sei die Forderung von drei Referenzen ungeachtet der Frage, auf welches Los ein Angebot abgegeben werden soll, unzureichend. Diese Intransparenz in der Ausschreibung könne nur durch eine Aufhebung des Vergabeverfahrens behoben werden. Dass die Antragsgegnerin für jedes Los drei Referenzen, deren Anforderungen gleich ausgestaltet sind, gefordert hat, begegnet keinen vergaberechtlichen Bedenken. Es gibt im Vergaberecht keine Vorgabe dahingehend, dass der öffentliche Auftraggeber für jedes Los eigene Referenzanforderungen aufstellen muss bzw. dass Referenzen hinsichtlich verschiedener Lose nicht mehrfach eingereicht werden dürften. Der öffentliche Auftraggeber ist in der Erstellung seiner Vorgaben hinsichtlich beizubringender Referenzen relativ frei. Zudem sind die zu erbringenden Leistungen von der Art her in allen vier Losen inhaltlich identisch. Die Lose sind aufgeteilt nach Stadtbezirken und nicht nach unterschiedlichen Leistungsarten, sodass es auch diesbezüglich keinen vergaberechtlichen Bedenken begegnet, hinsichtlich jedes Loses die gleichen Referenzanforderungen vorzugeben. Auch sind die geforderten Referenzen, bezogen auf die einzelnen Lose, nicht zu hoch angesetzt, sondern bewegen sich vom Umfang des geforderten Umsatzes am unteren Rand. Ein Vergaberechtsverstoß liegt nicht vor. Ein sachlich gerechtfertigter Grund, das Vergabeverfahren aufzuheben, liegt hierin nicht begründet. Vielmehr stellt sich das Handeln der Antragsgegnerin diesbezüglich als willkürlich dar, da die von der Antragsgegnerin vertretende Einschätzung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich ist.
54
In der mündlichen Verhandlung hat die Antragsgegnerin ihren Vortrag dann dahingehend spezifiziert, dass sie den Fehler hinsichtlich der Aufstellung der Eignungskriterien darin sehe, dass sie die Einreichung von Referenzen bei Angeboten für mehrere Lose hätte regeln wollen. Diesen Vortrag unterstellt, handelt es sich diesbezüglich schon nicht um einen klassischen Vergabefehler, der einer Korrektur bedurft hätte. Vielmehr weichen die Vorstellungen der Antragsgegnerin hinsichtlich der Aufstellung der Referenzanforderungen von dem ab, was sie ursprünglich bekannt gemacht hat. Der öffentliche Auftraggeber kann prinzipiell nicht dazu gezwungen werden, einen Auftrag auf der Grundlage eines Vergabeverfahrens zu erteilen, das nicht seinen Vorstellungen entspricht. Allerdings haben Bieter einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Auftraggebers. Diese ist vorliegend nicht gegeben bzw. ist eine solche nicht dokumentiert. Es fehlen bereits Ausführungen dazu, warum die Antragsgegnerin die Referenzanforderungen inhaltlich anders ausgestalten wollte, nachdem sie bereits Vorgaben zu Referenzanforderungen bekannt gemacht hatte. Zudem hätte es einer Interessenabwägung bedurft, bei dem das Interesse der Antragsgegnerin, die Anforderungen an die Referenzen inhaltlich abzuändern, abzuwägen gewesen wäre mit den Interessen der Zuschlagsprätendenten, den angekündigten Zuschlag auch zu erhalten. Zudem ist für die Vergabekammer mangels Dokumentation auch nicht ersichtlich, dass die von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragenen Erwägungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Referenzanforderungen zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung bei der Entscheidung über selbige überhaupt eine Rolle gespielt haben.
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2.1.3. Soweit die Antragsgegnerin ihre Aufhebungsentscheidung mit Antragserwiderung vom 27.03.2024 zusätzlich darauf stützt, dass die Ermittlung der wirtschaftlichsten Angebote fehlerhaft gewesen sei, da diese einen wesentlichen Kostenbestandteil, der zwingend zu berücksichtigen gewesen wäre, außer Betracht gelassen habe und dies einen Verstoß gegen § 127 Abs. 1 GWB darstelle, der nur durch eine Aufhebung des Vergabeverfahrens behoben werden könne, ist darin weder ein sachlich gerechtfertigter Grund zu sehen noch tragen die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Erwägungen eine ermessensfehlerfreie Aufhebungsentscheidung.
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Der öffentliche Auftraggeber ist hinsichtlich der Ausgestaltung des Vergabeverfahrens und insbesondere auch der Zuschlagskriterien relativ frei. Ihm obliegt daher auch die Entscheidung darüber, welche Preisbestandteile er beim Zuschlagskriterium Preis werten möchte. Er ist lediglich an gesetzliche Vorgaben sowie die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden und hat die Grundsätze der Vergabe zu beachten. Der öffentliche Auftraggeber bestimmt nach Art und Besonderheit des jeweiligen Auftrags die Kriterien, die am besten geeignet sind, den freien Wettbewerb zu sichern und so die Auswahl des besten Angebots zu gewährleisten (Opitz, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, § 127 GWB Rn. 21). Diese Grundsätze berücksichtigend ist bereits kein Vergaberechtsverstoß ersichtlich, der als sachlich gerechtfertigter Grund für die Aufhebung des Vergabeverfahrens herangezogen werden könnte. Dass die Antragsgegnerin in ihrer Leistungsbeschreibung zunächst angedacht hatte, […] „eventuell benötigte Hilfsmittel (Steiger, Hubbühne) für die Glasreinigung (…) in Höhe des Nachweises der entstandenen Kosten“ […] zu begleichen, begegnet keinen vergaberechtlichen Bedenken. Ein Verstoß gegen § 127 Abs. 1 GWB ist nicht ersichtlich, zumal diese Position lediglich eine Eventualposition darstellte. Das diesbezügliche Handeln der Antragsgegnerin, das Verfahren aufgrund dieses Aspekts auszuheben, stellt sich als willkürlich dar, da die von der Antragsgegnerin vertretende Einschätzung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt nachvollziehbar ist.
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Ungeachtet dessen kann der öffentliche Auftraggeber aber prinzipiell nicht dazu gezwungen werden, einen Auftrag auf der Grundlage eines Vergabeverfahrens zu erteilen, das nicht seinen Vorstellungen entspricht, etwa dergestalt, dass gewisse Preispositionen von den Bietern nicht zu bepreisen waren und der öffentliche Auftraggeber im laufenden Vertrag gegebenenfalls mit hohen Zusatzkosten belastet wird. Der öffentliche Auftraggeber kann sich auch umentscheiden, wenn er feststellt, dass er Preisbestandteile vergessen hat und diese gerne werten möchte, damit er sie bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots berücksichtigen kann. Allerdings haben Bieter einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Auftraggebers und somit auch hinsichtlich der Entscheidung zur Aufhebung eines Vergabeverfahrens. Die Entscheidung ist vorliegend nicht ermessensfehlerfrei erfolgt bzw. ist eine Ermessensabwägung nicht hinreichend dokumentiert.
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Die Antragsgegnerin ist bereits ermessensfehlerhaft davon ausgegangen, dass der besagte Kostenbestandteil der eventuell benötigten Hilfsmittel zwingend zu berücksichtigen gewesen wäre. Wie bereits oben aufgezeigt, gibt es keine zwingend zu berücksichtigenden Kostenbestandteile, sondern der öffentliche Auftraggeber hat unter Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben abzuwägen, welche Kostenbestandteile er sich bepreisen lässt und im Rahmen des Zuschlagskriteriums berücksichtigt. Es fehlen zudem Ausführungen zu einer Interessenabwägung, bei der das Interesse der Antragsgegnerin, weitere Kostenbestandteile berücksichtigen zu wollen, abzuwägen gewesen wäre mit den Interessen der Zuschlagsprätendenten, den angekündigten Zuschlag auch zu erhalten. Insbesondere hätte in diese Abwägung auch die Entscheidungserheblichkeit hinsichtlich der zusätzlich zu berücksichtigenden Kosten eingestellt werden müssen. Dies ist bislang nicht in ausreichendem Maße geschehen.
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Soweit die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass nicht auszuschließen sei, dass sich die Wertungsreihenfolge der Angebote durch Berücksichtigung der Kosten für die eventuell benötigten Hilfsmittel geändert hätte, reicht dieser Vortrag für die Feststellung einer beanstandungsfreien Ermessenserwägung nicht aus, da es einer konkreten Auseinandersetzung bedurft hätte, gegebenenfalls mit Hilfe einer eigenen belastbaren Kostenschätzung, ob Auswirkungen auf die Bieterreihenfolge zu erwarten sind. Auch der Vortrag der Antragsgegnerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 22.05.2024, worin sie mitteilt, dass die dargestellten Beträge aus der Interimsausschreibung belegen würden, dass es sich bei den Kosten für Hilfsmittel um Preise handele, die von den Bietern sehr unterschiedlich kalkuliert und angeboten worden seien und demzufolge die preisliche Reihung der Angebote beeinflusst werde, verhelfen nicht zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung. Die Vergabekammer stellt nach Durchführung einer Vergleichsrechnung fest, dass die Antragsgegnerin sich scheinbar nicht in erforderlichem Maße mit der Entscheidungsrelevanz der zusätzlichen Bepreisung auseinandergesetzt hat. Die Vergabekammer hat bei ihrer Vergleichsrechnung hypothetisch die durch die Antragsgegnerin mitgeteilten Werte der Interimsausschreibung zugrunde gelegt und ist von den von der Antragsgegnerin berechneten Durchschnittswerten je Los hochgerechnet auf 48 Monate ausgegangen. Diese Vergleichsrechnung, bei der die Vergabekammer unter der Annahme, dass der Bieter mit dem niedrigsten Angebotspreis je Los die höchsten, von der Antragsgegnerin aus der Interimsausschreibung mitgeteilten Kosten betreffend die Hilfsmittel kalkuliert habe und der Bieter mit dem zweitniedrigsten Angebotspreis je Los die niedrigsten, von der Antragsgegnerin aus der Interimsausschreibung mitgeteilten Kosten betreffend die Hilfsmittel kalkuliert habe, führt zu dem Ergebnis, dass die zusätzliche Bepreisung keine Auswirkungen hinsichtlich der bisherigen Bieterreihenfolge die Lose 1 und 4 betreffend hat. Hierbei ist noch nicht berücksichtigt worden, dass diese Werte wahrscheinlich noch einer Korrektur bedürften, denn wie die Antragstellerin in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.05.2024 zutreffend angemerkt hat, ist die Antragsgegnerin bei dem errechneten Durchschnittswert je Los von Kosten für alle vier Steiger ausgegangen. Dies würde aber voraussetzen, dass alle vier Steiger auch in genannter Menge zum Einsatz kämen. Ungeachtet dessen ist der Vortrag der Antragsgegnerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 22.05.2024 nicht nachvollziehbar. Sie teilt mit, dass im Leistungsverzeichnis der Interimsvergabe, die auf 10 Monate angelegt war, in jedem Los für jedes Hilfsmittel nur ein Einsatz mit einer Arbeitszeit von 3 bzw. 5 Stunden und einer Pauschale für An- und Abfahrt als Menge angegeben worden sei. Bei der Laufzeit von 48 Monaten im hiesigen Auftrag dürfe davon ausgegangen werden, dass sich die Anzahl der Einsätze je Hilfsmittel in jedem Los erhöhen werde. Dies würde zu einer zusätzlichen Erhöhung der hochgerechneten Beträge führen. Die Gründe für diese Annahme werden von der Antragsgegnerin nicht aufgeführt. Im Übrigen erschließt sich dieser Vortrag für die Vergabekammer auch nicht. Es hätte hier einer weiteren Begründung von Seiten der Antragsgegnerin bedurft, weshalb das für den Interimsvertrag angedachte Mengengerüst, das bereits bei der von der Antragsgegnerin durchgeführten Hochrechnung auf die Laufzeit von 48 Monaten nach oben angepasst wurde, einer zusätzlichen Erhöhung bedürfte. Es stellt sich zudem bereits die Frage, ob die im Rahmen der mündlichen Verhandlung angeführten Aspekte überhaupt in die Ermessensentscheidung im Zeitpunkt der Aufhebung des Vergabeverfahrens eingeflossen sind und auf welche Zahlengerüste die Antragsgegnerin ihre Überlegungen gestützt hat. Die Werte aus der Interimsvergabe können es jedenfalls aufgrund zeitlicher Abfolge nicht gewesen sein. Es fehlt an einer nachvollziehbaren Begründung der Ermessensausübung für die Aufhebungsentscheidung.
60
2.1.4. Soweit die Antragsgegnerin ihre Aufhebungsentscheidung in der Antragserwiderung auch darauf gestützt hat, dass sie fehlerhafte Informationsschreiben nach § 134 Abs. 1 GWB versandt habe, kann auch dieser Grund einer wirksamen Aufhebungsentscheidung nicht zum Erfolg verhelfen. Es gäbe in jedem Fall mildere Mittel, als die Aufhebung des Vergabeverfahrens, um fehlerhafte Informationsschreiben zu korrigieren, beispielsweise die erneute Versendung von Informationsschreiben. Eine dahingehende Interessenabwägung ist nicht dokumentiert, wäre aber aus den aufgezeigten Gründen im Ergebnis auch nicht zielführend gewesen.
61
2.1.5. Der Vergabekammer drängt sich in der Gesamtschau des vorliegenden Sachstandes der Eindruck auf, dass die Entscheidung über die Aufhebung nicht zuletzt auch aus sachfremden Erwägungen aufgehoben wurde. Leitend für diese Annahme war die zwischen der Antragsgegnerin und einer der Bestandsauftragnehmerinnen und Bieterin in diesem Verfahren geführte Korrespondenz und der Weigerung letzterer, den Bestandsauftrag um nur einen Monat zu verlängern, der nur einen halben Tag später erfolgten erklärungslosen Abhilfe der zuvor ausgesprochenen Rüge dieser Bestandsauftragnehmerin und fehlender Dokumentation einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dieser Rüge. Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass diese Korrespondenz und die Rüge des Bieters auch erst auf Nachfrage der Vergabekammer vorgelegt wurden, nachdem der Vergabekammer nach Einreichung der Vergabeakte durch die Antragsgegnerin aufgefallen war, dass die Rüge in der Vergabeakte nicht enthalten war. Auffällig erscheint der Vergabekammer zudem die fehlende Dokumentation anderer Aufhebungsgründe vor der Aufhebungsentscheidung als die mit der Aufhebungsentscheidung unterlassene Bekanntmachung der Vorgehensweise zur Ermittlung der Losverteilung in der Auftragsbekanntmachung. Abschließend erfolgte auch im laufenden Nachprüfungsverfahren keine vertiefte Auseinandersetzung mit den nachträglich vorgebrachten Aufhebungsgründen und es fehlte zumindest eine substantiierte Darlegung dieser Gründe, um den Verdacht der sachfremden Aufhebungsentscheidung zu entkräften.
62
2.2. Durch die zu Unrecht erfolgte Aufhebung des Vergabeverfahrens ist die Antragstellerin auch in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Dem steht nicht entgegen, dass das Angebot der Antragstellerin zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen, da sich das Angebot der Antragstellerin nach Ansicht der Antragsgegnerin als nicht auskömmlich herausgestellt habe. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung vom 27.03.2024 nur angekündigt, dass das Angebot der Antragstellerin zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen, da es nicht auskömmlich sei. Die Vergabekammer kann keine nur beabsichtigte Ermessensentscheidung des öffentlichen Auftraggebers auf Ermessensfehler überprüfen. Die Vergabekammer kann sich nur mit Ausschlussgründen auseinandersetzen, die von dem öffentlichen Auftraggeber auch im Rahmen des Vergabe- oder Nachprüfungsverfahrens umfassend geprüft und vorgetragen wurden. Die Vergabekammer trifft diesbezüglich keine Amtsermittlungspflicht. Dies gilt insbesondere für Ausschlussgründe, bei denen der öffentliche Auftraggeber einen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum hat oder eine Prognoseentscheidung treffen muss. Eine Überprüfung wäre der Vergabekammer somit erst dann möglich, wenn die Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin auch tatsächlich ausgeschlossen hat. Hieran fehlt es bislang.
63
In diesem Zusammenhang erlaubt sich die Vergabekammer jedoch, auf folgende Aspekte hinsichtlich der bereits erfolgten Überprüfung des Angebots der Antragstellerin hinzuweisen. Die Antragsgegnerin hat ausweislich ihrer mit „Überprüfung der Auskömmlichkeit § 44 Abs. 1 UVGo bzw. § 60 Abs. 1 VgV“ überschriebenen an die Antragstellerin gerichteten Aufklärungsschreiben und ihres Vergabevermerks „Dokumentation als Anlage zum Vergabevermerk“ eine Auskömmlichkeitsprüfung nach § 60 VgV durchgeführt. Sie hat in ihrem Aufklärungsschreiben an die Antragstellerin vom 04.01.2024 und in ihrem Vergabevermerk festgestellt, dass das Angebot der Antragsteller wegen ungewöhnlich niedriger Stundenverrechnungssätze aufzuklären sei. Bei der Frage der Angemessenheit eines Angebots ist jedoch auf dessen Gesamtpreis abzustellen und nicht auf einzelne Preispositionen (BGH, Beschluss vom 18.05.2004, X ZB 7/04; OLG München, Beschluss vom 25.09.2014, Verg 10/14; VK Sachsen, Beschluss vom 30.03.2023, 1/SVK/002-23; Pauka/Frischmuth, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 60 VgV, Rn. 4). Die Unangemessenheit einzelner Positionen trägt regelmäßig nicht die Besorgnis einer nicht einwandfreien Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen (vgl. auch VK Sachsen, Beschluss vom 30.03.2023, 1/SVK/002-23). Es hätte also zumindest einer Begründung dafür bedurft, weshalb die Antragsgegnerin aufgrund der angebotenen Stundenverrechnungssätze von einem ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreis beim Angebot der Antragstellerin ausgeht bzw. welche weiteren Beweggründe sie hatte, von einem ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis der Antragstellerin auszugehen. Hierzu fehlen Ausführungen in Gänze. Insgesamt bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, wann ein ungewöhnlich niedriger Angebotspreis vorliegt und eine Aufklärung des Angebots von Seiten des öffentlichen Auftraggebers angezeigt ist. Die Frage der Unangemessenheit eines Preises kann sich nicht nur aufgrund des signifikanten Abstandes zum nächstgünstigsten Gebot im selben Vergabeverfahren stellen, sondern gleichermaßen etwa bei augenfälliger Abweichung von in vergleichbaren Vergabeverfahren oder sonst erfahrungsgemäß verlangten Preisen. Auch dürfen Kostenschätzungen bei der Prüfung grundsätzlich herangezogen werden (VK Sachsen, Beschluss vom 30.03.2023, 1/SVK/002-23 m.w.N.). Aufgrund dieser Darlegungen dürfte es bereits Schwierigkeiten bereiten, den Gesamtangebotspreis der Antragstellerin als ungewöhnlich niedrig einzustufen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Aufgreifschwellen, die sich zwischen 10 und 20 Prozent Preisabstand zum nächsthöheren Angebot bewegen und bei deren Erreichen eine Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers angenommen wird, in eine nähere Prüfung der Preisbildung des fraglichen Angebots einzutreten (vgl. auch VK Sachsen, Beschluss vom 30.03.2023, 1/SVK/002-23 m.w.N.), sind bei Weitem nicht erreicht. Die Abstände zum nächsthöheren Angebot bewegen sich gerade einmal im niedrigen einstelligen Bereich. Auch die Abstände zur Kostenschätzung der Antragsgegnerin bewegen sich nur im niedrigen einstelligen Bereich. Zwar geben die Aufgreifschwellen nur Anhaltspunkte vor, wann eine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers besteht, in die Prüfung der Preisbildung einzutreten. Nicht hingegen wird durch die Aufgreifschwellen geregelt, wann der öffentliche Auftraggeber in die Prüfung der Preisbildung eintreten darf. Somit kann der öffentliche Auftraggeber daher prinzipiell immer dann in eine Prüfung der Preisbildung eintreten, wenn ihm ein Angebotspreis ungewöhnlich niedrig erscheint. Allerdings hat er in diesem Rahmen das Willkürverbot zu beachten und seine Entscheidung nachvollziehbar zu dokumentieren. Dies ist noch nicht erfolgt. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, von einem ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreis auszugehen. Die bislang von der Antragsgegnerin angestellten Überlegungen führen gegenwärtig auch nicht dazu, hierauf einen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nach § 60 Abs. 3 VgV gründen zu können. Die Aufklärung der Antragsgegnerin in Einzelpreise und deren Bewertung spricht nach erstem Anschein für die Vergabekammer eher für eine Prüfung der Ausschlussgründe des § 57 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 VgV, da gegebenenfalls nicht gemäß dem Tarif oder den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses kalkuliert worden sein könnte. Dies wäre jedoch umfassend von der Antragsgegnerin aufzuklären und zu prüfen, was bislang nicht erfolgt ist.
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2.3. Der Auftraggeber kann nicht dazu verpflichtet werden, das fortzusetzende Vergabeverfahren durch einen Zuschlag zu beenden. Durch die Kassation der Aufhebungsentscheidung wird die Vergabestelle allein dazu gezwungen, entweder das Vergabeverfahren diesmal rechtmäßig aufzuheben oder nach ordnungsgemäßer Wertung den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. (Herrmann, in: Ziekow/Völlink, § 63 VgV Rn. 26f.). Die Vergabekammer weist daher darauf hin, dass es der Antragsgegnerin auch nach Abschluss dieses Nachprüfungsverfahrens unbenommen bleibt, die streitgegenständliche Aufhebung aus einem anderen sachlichen Grund wirksam, aber ggf. ohne einen Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 S. 1 VgV aufzuheben. Da die Aufhebung eines Vergabeverfahrens im Ermessen des Auftraggebers liegt und die Vergabekammer dieses Ermessen nicht anstelle des Auftraggebers ausüben kann, kann die Vergabekammer keine möglicherweise bestehenden anderen Begründungsansätze für eine zumindest wirksame Aufhebung des Verfahrens heranziehen. Dies ist Aufgabe der Antragsgegnerin. Ebenfalls unbenommen bleibt es der Antragsgegnerin, das Vergabeverfahren fortzusetzen und einen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin zu prüfen. Auch insoweit kann die Vergabekammer dieses Ermessen nicht anstelle der Antragsgegnerin ausüben.
65
Somit liegt ein Ausnahmefall vor, in dem die Aufhebung der Aufhebungsentscheidung und die Weiterführung des Vergabeverfahrens betreffend die Lose 1 und 4 anzuordnen ist, da die von der Antragsgegnerin angenommenen Aufhebungsgründe nicht durchgreifen.
66
2.4. Über den hilfweise gestellten Feststellungsantrag der Antragstellerin war aufgrund des erfolgreichen Hauptantrages inhaltlich nicht zu entscheiden.
67
3. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegenddie Antragsgegnerin.
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Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
69
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat bei der Gebührenfestsetzung eine Gebührentabelle herangezogen, die sie in Anlehnung an die von den Vergabekammern des Bundes entwickelte Gebührentabelle konzipiert hat. Dabei ist vom Wert des streitgegenständlichen Auftrags auszugehen (vgl. Krohn, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, § 182 GWB, Rn. 19). Der für die Gebührenfestlegung zugrunde zu legende Auftragswert bemisst sich wie der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren entsprechend § 50 Abs. 2 GKG (Krohn, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, § 182 GWB, Rn. 21). Maßgeblich ist in der Regel der Brutto-Auftragswert gemäß dem Angebot des Antragstellers. Vorliegend ist die Vergabekammer vom Brutto-Angebotspreis der Antragstellerin für die Lose 1 und 4 für eine feste Vertragslaufzeit von zwei Jahren ausgegangen, für die optionale Vertragsverlängerung um insgesamt zwei Jahre wurde ein Abschlag in Höhe von 50 Prozent vorgenommen.
70
Die Antragsgegnerinist als Gemeinde von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.
71
Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskrafterstattet.
72
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da es sich beim Vergaberecht und dem Nachprüfungsverfahren um einen komplexen Problemkreis handelt und die Antragstellerin nicht über die für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendigen personellen Kapazitäten verfügt und daher auf eine vertiefte rechtliche Begleitung im Nachprüfungsverfahren durch einen Anwalt angewiesen war. Die im Nachprüfungsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen waren jedenfalls hinsichtlich Vergaberechtsverstöße im Zusammenhang mit der erfolgten Aufhebung des Vergabeverfahrens und der Auskömmlichkeit des Angebots der Antragstellerin komplex und von der Antragstellerin ohne anwaltliche Beratung nicht zu bewältigen.