Inhalt

LArbG Nürnberg, Beschluss v. 27.02.2024 – 1 TaBV 25/23
Titel:

Pflicht des Arbeitgebers den bei ihr gebildeten Betriebsrat von Rechtsanwaltskosten freizustellen

Normenketten:
BGB § 177, § 178, § 184 Abs. 1
WO § 15 Abs. 5
BetrVG § 25, § 29 Abs. 2 S. 6, § 40
Leitsätze:
1. Der Betriebsratsvorsitzende muss bei gleichzeitiger Nachladung mehrerer Ersatzmitglieder möglichst "Listen schonend" vorgehen. Er muss also darauf achten, dass der Verteilung der Sitze auf die Listen so weit wie möglich Rechnung getragen wird. (Rn. 42)
2. Ist ein Listensprung erforderlich, hat er die nächste freie Höchstzahl zu berücksichtigen. Wird eine Höchstzahl wegen Verhinderung und Fehlens geeigneter Ersatzmitglieder dieser gleichzeitigen Nachladung wieder frei, ist diese vorrangig zu berücksichtigen. (Rn. 52)
3. Begeht der Betriebsratsvorsitzende bei einer derart komplizierten Lage versehentlich einen Ladungsfehler, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des gefassten Beschlusses. (Rn. 75)
4. Es ist vom Ermessen des Betriebsratsvorsitzenden gedeckt, in Fällen kurzfristiger Verhinderungsmitteilung auf die Ladung von Ersatzmitgliedern zu verzichten, zumal wenn damit zu rechnen ist, dass viele Ersatzmitglieder ihren Arbeitsplatz nicht kurzfristig verlassen oder wegen der Anreisezeit an der Sitzung ohnehin nicht würden teilnehmen können. (Rn. 75)
5. Der Betriebsrat kann einen gefassten Beschluss zur Verfahrenseinleitung und zur Rechtsanwaltsbeauftragung auch noch nach Erledigung des Beschlussverfahrens nachträglich genehmigen (wie LAG Nürnberg vom 27.09.2023, 2 TaBV 8/23). (Rn. 58 – 59)
Schlagworte:
Betriebsrat, Betriebsratsmitglied, Zustimmung des Betriebsrats, Beschlussfassung, Beschlussverfahren, Ladungsfehler, Listensprung, Genehmigung, Krankheit, Ersatzmitglied
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 01.06.2023 – 8 BV 9/22
Fundstellen:
NZA-RR 2024, 428
LSK 2024, 14795
BeckRS 2024, 14795

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1.) hin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 01.06.2023, 8 BV 9/22, abgeändert.
II. Die Beteiligte zu 2.) wird verpflichtet, den Beteiligten zu 1.) von den Rechtsanwaltsgebühren der Kanzlei B.-Rechtsanwälte gemäß Kostenrechnung …65 vom 17.02.2021 in Höhe von 1.118,41 € freizustellen.
III. Die Beteiligte zu 2.) wird verpflichtet, den Beteiligten zu 1.) von den Rechtsanwaltsgebühren der Kanzlei B.-Rechtsanwälte gemäß Kostenrechnung …61 vom 17.06.2021 in Höhe von 691,01 € freizustellen.
IV. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über die Pflicht der Arbeitgeberin, den bei ihr gebildeten Betriebsrat von Kosten von Rechtsanwälten, die vom Vorsitzenden zur Vertretung in Gerichtsverfahren beauftragt waren, freizustellen.
2
Die Beteiligte zu 2.) ist ein Unternehmen mit Hauptsitz in A-Stadt und mehreren Standorten. Der Beteiligte zu 1.) ist der für die Standorte A-Stadt, H-Stadt, I-Stadt, J-Stadt und K.Stadt gebildete Betriebsrat; dieser bestand im Jahr 2020 aus 21 Mitgliedern und repräsentierte knapp 2.400 Beschäftigte.
3
In der Sitzung vom 13.07.2020 beschloss der Beteiligte zu 1.) die Teilnahme zweier Betriebsratsmitglieder an der Schulungsveranstaltung „Psychische Belastung am Arbeitsplatz Teil I“ des Schulungsanbieters L. in M-Stadt. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dieser Beschluss ordnungsgemäß gefasst worden ist.
4
Nachdem mehrere Aufforderungen des Beteiligten zu 1.) an die Beteiligte zu 2.), zu erklären, dass die Kosten für das Seminar übernommen würden, erfolglos blieben, beschloss der Betriebsrat am 02.08.2020, die Kanzlei B. mit der Wahrnehmung der diesbezüglichen Interessen zu beauftragen. Zwischen den Beteiligten ist auch streitig, ob dieser Beschluss ordnungsgemäß gefasst worden ist.
5
Die beauftragten Rechtsanwälte beantragten sodann am 14.10.2020 im Wege des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens den Erlass einer diesbezüglichen einstweiligen Verfügung, zudem die Kostenfreistellung im Hauptsacheverfahren. Die Verfahren wurden beim Arbeitsgericht Nürnberg unter den Aktenzeichen 17 BVGa 15/20 und 17 BV 98/20 geführt. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem das Seminar, für das Freistellung begehrt worden war, storniert worden und das Verfahren für erledigt erklärt worden war.
6
Unter dem 17.02.2021 stellten die beauftragten Rechtsanwälte gegenüber den Bevollmächtigten der Beteiligten zu 2.) für die im einstweiligen Verfügungsverfahren sowie im Hauptsacheverfahren verrichteten Tätigkeiten Rechnungen entsprechend der Gebührenordnung. Hinsichtlich dieser Rechnungen wird auf die als Anlagen 3 und 4 zur Antragsschrift vorgelegten Ablichtungen Bezug genommen (Bl. 12 ff. bzw. Bl. 16 ff. d.A.).
7
Die Beteiligte zu 2.) bezahlte diese Rechnungen nicht. Mit Beschluss vom 10.01.2022 beschloss der Betriebsrat, das vorliegende Beschlussverfahren einzuleiten und die Anwaltskanzlei B. mit der Durchsetzung bei Gericht zu beauftragen.
8
Der Beteiligte zu 1.) hat mit am 28.01.2022 eingegangenem Antrag vom 27.01.2022 die Verpflichtung geltend gemacht, die Anwälte von den Gebühren gemäß der Kostenrechnungen freizustellen. Er hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus § 40 Abs. 1 BetrVG.
9
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1.) hat erstinstanzlich beantragt,
1.
Die Beteiligte zu 2 wird verpflichtet, den Antragsteller von den Rechtsanwaltsgebühren der B. Rechtsanwälte, B.str. xx, B-Stadt, in Höhe von 691,01 Euro gemäß Kostenrechnung …61 vom 17.06.2021 freizustellen.
2.
Die Beteiligte zu 2 wird verpflichtet, den Antragsteller von den Rechtsanwaltsgebühren der B. Rechtsanwälte, B.str. xx, B-Stadt, in Höhe von 1.118,41 Euro gemäß Kostenrechnung …65 vom 17.02.2021 freizustellen.
10
Die Beteiligte zu 2.) hat dagegen beantragt,
die Anträge abzuweisen.
11
Die Beteiligte zu 2.) hat eingewandt, es werde mit Nichtwissen bestritten, dass ein ordnungsgemäßer Beschluss des Betriebsrats zur Entsendung der beiden Mitglieder zum Seminar gegeben gewesen sei. Ohne einen wirksamen Beschluss sei sie, die Beteiligte zu 2.), nicht zur Erstattung der Kosten verpflichtet. Ähnliches gelte für den Beschluss zur Beauftragung der Rechtsanwälte vom 03.08.2020. Im Übrigen seien die Kosten in der Anwaltsrechnung überhöht, weil die beiden Betriebsratsmitglieder, die die Schulung hätten besuchen wollen, als weitere Auftraggeber gewertet worden seien. Diese seien aber keine notwendigen Beteiligten in den genannten Verfahren gewesen.
12
Der Beteiligte zu 1.) hat ausgeführt, es sei am 09.07.2020 zur Sitzung am 13.07.2020 geladen worden. Für die verhinderten Mitglieder N. und O. aus der Liste 3 seien die Ersatzmitglieder P. – Liste 4, 4. Ersatzmitglied – und Q. – Liste 3, 3. Ersatzmitglied – geladen worden. Für die verhinderten Mitglieder R. (Liste 4) und S. (Liste 1) seien die Ersatzmitglieder T. – Liste 4, 2. Ersatzmitglied – und U. – Liste 1, 2. Ersatzmitglied – geladen worden. Die Mitglieder V., W. und X. seien nicht zur Sitzung erschienen; für diese seien Nachladungen nicht möglich gewesen. Demzufolge hätten 17 Mitglieder an der Beschlussfassung zum Seminarbesuch teilgenommen, der Beschluss sei mit 11 Ja-Stimmen und 6 Enthaltungen gefasst worden.
13
Zur Sitzung vom 03.08.2020 sei mit Mail vom 30.07.2020 geladen worden. Für die verhinderten Mitglieder O. (Liste 3), Y. (Liste 1), Z. (Liste 3), Aa. (Liste 5), Ba. (Liste 3), Ca. (Liste 2) und Da. (Liste 1) seien die Ersatzmitglieder T. (Liste 4, 2. Ersatzmitglied), U. (Liste 1, 1. Ersatzmitglied), Ea. (Liste 3, 1. Ersatzmitglied), Fa. (Liste 1, 2. Ersatzmitglied), Q. (Liste 3, 2. Ersatzmitglied), Ga. (Liste 2, 3. Ersatzmitglied) und Ha. (Liste 1, 3. Ersatzmitglied) geladen worden. Die Mitglieder Ia., V., R., Ja. und W. seien nicht zur Sitzung erschienen; für sie sei keine Nachladung möglich gewesen. Es seien also 16 Mitglieder anwesend gewesen. Der Beschluss sei mit 11 Ja-Stimmen bei 5 Enthaltungen gefasst worden.
14
Der Beteiligte zu 1.) ist der Auffassung, die Gebühr sei zutreffend ermittelt worden. Die Anwälte seien auch von den beiden betroffenen Betriebsratsmitgliedern beauftragt worden. Es sei unerheblich, ob diese notwendige Beteiligte am Verfahren seien oder nicht.
15
Auf den entsprechenden Hinweis des Arbeitsgerichts hat der Beteiligte zu 1.) vorgetragen, es sei korrekt gewesen, aufgrund der Verhinderung des Mitglieds Aa. das Ersatzmitglied aus der Liste 1 und nicht aus der Liste 3 zu nehmen.
16
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Beschluss vom 01.06.2023 wie folgt entschieden:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
17
Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, der Arbeitgeber habe die Kosten der im Namen des Betriebsrats tätigen Anwälte nur dann zu tragen, wenn der Beauftragung durch den Betriebsratsvorsitzenden ein ordnungsgemäßer Beschluss des Gremiums zugrunde liege. Eine nachträgliche Genehmigung der Beauftragung sei nach Abschluss des Verfahrens, das der Anwalt geführt habe, nicht mehr möglich. Zwar habe der Betriebsrat am 13.07.2020 wirksam die Entsendung der beiden Mitglieder zur Schulung beschlossen. Dies gelte aber nicht für die Einleitung der Beschlussverfahren zur Erlangung der Kostenübernehme am 03.08.2020. Wegen des Ausscheidens des Betriebsratsmitglieds X. und dem Nachrücken des Ersatzmitglieds Ca. sei die Minderheitenquote nach § 15 Abs. 2 BetrVG – im Betriebsrat müssten mindestens acht weibliche Mitglieder vertreten sein – exakt erfüllt gewesen. Zur Sitzung seien die Betriebsratsmitglieder Y. (w) und Da. (m) aus Liste 1, Ca. (m) aus Liste 2, Z. (m), Ba. (m) und O. (w) aus Liste 3 sowie Aa. (m) aus Liste 5 verhindert gewesen. Herr Z. und Herr Ba. seien zutreffend durch die ersten beiden Ersatzmitglieder auf Liste 3, nämlich Herr Ea. und Herr Q., ersetzt worden. Herr Ca. aus Liste 2 sei – die ersten beiden Ersatzmitglieder auf Liste 3 seien verhindert gewesen – korrekt durch das dritte Ersatzmitglied Ga. (m) vertreten worden. Herr Da. aus Liste 1 sei zutreffend durch den ersten Ersatz U. (m) ersetzt worden, Frau Y. durch das erste weibliche Ersatzmitglied aus Liste 1, Frau Ha.. Aufgrund der Verhinderung von Frau O. und Herrn Aa. sei jeweils ein Listensprung erforderlich geworden, da auf Liste 3 keine weiblichen Ersatzmitglieder, auf Liste 5 gar keine Ersatzmitglieder vorhanden gewesen seien. Der Sitz der Liste 3 für Frau O., die aufgrund eines vorherigen Listensprungs in den Betriebsrat nachgerückt sei – wodurch die Liste 3 überrepräsentiert gewesen sei –, sei auf die Liste mit der höchsten nicht schon berücksichtigten Höchstzahl zu vergeben gewesen, soweit diese Liste weibliche Ersatzmitglieder aufweise.
18
Dies sei die 25. Höchstzahl, der Sitz gehe damit an Liste 4.
19
Ein Fehler sei allerdings beim Ersatz des Betriebsratsmitglieds Aa. entstanden. Für diesen konnte aus Liste 5 kein Mitglied nachrücken, weil auf dieser Liste keine weiteren Ersatzmitglieder mehr zur Verfügung standen. Die Ladung hätte das Ersatzmitglied Ka. aus Liste 3 erhalten müssen, weil – nach dem Wegfall von Frau O. wegen der Minderheitenquote – die 23. Höchstzahl nicht (mehr) besetzt gewesen sei. Die Ladung des Ersatzmitglieds Fa. aus der Liste 1, die dazu geführt habe, dass die 27. Höchstzahl berücksichtigt worden sei, sei aus diesem Grund fehlerhaft. Damit sei der Beschluss nicht ordnungsgemäß zustande gekommen.
20
Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, der Betriebsrat habe die damit schwebend unwirksame Beauftragung auch nicht rechtzeitig geheilt. Zwar könne der Betriebsrat die Handlung genehmigen, und zwar auch rückwirkend. Dies gelte allerdings nicht, wenn die Rückerstreckung nach der Rechtsnatur des Geschäfts ausgeschlossen sei. Dies sei der Fall, wenn die Beschlussfassung erst nach dem für die Beurteilung eines Sachverhalts maßgeblichen Zeitpunkt erfolge. Nach § 40 BetrVG sei die Erforderlichkeit der Kostenverursachung zu prüfen. Diese Prüfung sei – wie bei der Frage der Erforderlichkeit von Schulungen des Betriebsrats – nach Abschluss der Tätigkeit der Anwälte nicht mehr möglich. Eine solche Genehmigung könne nur bis zum Ergehen der Prozessentscheidung, die dem eingeleiteten Verfahren zugrunde liege, zurückwirken. Dies gelte unabhängig davon, ob der Arbeitgeber in diesem Verfahren die wirksame Beschlussfassung gerügt habe oder nicht. Innerhalb dieses Zeitraums sei eine Genehmigung aber nicht erfolgt.
21
Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 01.06.2023 ist dem Beteiligten zu 1.) ausweislich des Empfangsbekenntnisses seiner anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten am 04.10.2023 zugestellt worden. Diese haben namens und im Auftrag des Beteiligten zu 1.) mit Schriftsatz vom 06.11.2023, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tag (= Montag), Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Sie haben die Beschwerde – nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist aufgrund am 01.12.2023 eingegangenen Antrags bis 04.01.2024 – mit am 02.01.2024 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet.
22
Zur Begründung seiner Beschwerde führt der Beteiligte zu 1.) aus, die Beauftragung der Rechtsanwälte sei wirksam beschlossen worden. Die vorliegende Konstellation zeige eindrucksvoll, wie schwierig es für den Betriebsratsvorsitzenden sei, bei einer Vielzahl von Listen und der Notwendigkeit zur jeweiligen Berücksichtigung des Geschlechts in der Minderheit wirksame Beschlüsse zu fassen, zumal dann, wenn die Rechtslage hierzu völlig ungeklärt sei. Vorliegend habe der Betriebsratsvorsitzende nachvollziehbar gehandelt. Er habe sich an der chronologischen Reihenfolge der eingehenden Verhinderungsmeldungen orientiert. Dies sei in seinem Ermessen gelegen. Selbst wenn es in solchen unklaren Situationen in Einzelfällen zu versehentlichen Ladungsfehlern der Ersatzmitglieder gekommen sein sollte, stellt dies keinen Grund dafür dar, die Ordnungsgemäßheit des gesamten Beschlusses in Frage zu stellen. Dies müsse zumindest dann gelten, wenn die Handlungsweise des Betriebsratsvorsitzenden nicht als sachwidrig angesehen werden könne. Die vom Arbeitsgericht vorgegebene Logik führe zu praktisch nicht händelbaren Problematiken. Wenn der Vorsitzende zum Beispiel drei Tage vor der geplanten Sitzung für sämtliche bis dahin verhindert gemeldete Betriebsratsmitglieder Ersatzmitglieder geladen habe, sich danach aber noch ein weiteres Mitglied als verhindert melde, müsste er – folge man der Auffassung des Arbeitsgerichts – völlig neu planen, gegebenenfalls geladene Ersatzmitglieder wieder ausladen und neue Ersatzmitglieder einladen. Dies würde bei weiteren Verhinderungsmeldungen dann mehrmals nötig sein. Es sei für einen normalen Betriebsrat nicht möglich, immer wieder solche komplizierten Überlegungen durchführen zu müssen. Der vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidung liege ein vollständiges Unterbleiben der Ladung eines Ersatzmitglieds zugrunde; diese Konstellation sei mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Im Übrigen entspreche es der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass Verstöße bei der Beschlussfassung nur dann zur Unwirksamkeit führten, wenn sie so schwerwiegend seien, dass der Fortbestand von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden könne. Nach dem Regelungszweck des § 25 Abs. 2 BetrVG sei nichts anderes geboten. Im Übrigen seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Teilnahme eines anderen Ersatzmitglieds zu einer anderen Beschlussfassung geführt hätte. Dies sei wegen der klaren Mehrheit für den Beschlussinhalt vorliegend nicht zu erwarten gewesen.
23
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts liege auch eine wirksame Genehmigung der Beauftragung durch den Beschluss vom 10.01.2022 vor. Die Prüfung der Erforderlichkeit der Durchführung eines Gerichtsverfahrens und der Beauftragung der Anwälte sei mit der Betrachtung, ob eine Schulung von Betriebsratsmitgliedern erforderlich sei, nicht vergleichbar. Die Erforderlichkeit sei von der Arbeitgeberseite nie in Frage gestellt worden. Der Ausschluss der Rückwirkung einer Genehmigung beschränke sich auf diejenigen Fälle, in denen das Verfahren gerade im Hinblick auf die fehlende Prozessvollmacht als unzulässig betrachtet worden sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil die beiden Beschlussverfahren wegen des Eintritts eines erledigenden Ereignisses beendet worden seien. Dies sehe inzwischen auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg im Beschluss vom 27.09.2023 – Az. 2 TaBV 8/23 – so.
24
Der Beteiligte zu 1.) trägt vor, die Beschlussfassung vom 10.01.2022 sei ordnungsgemäß erfolgt. Die am Tag der Sitzung verhinderten Mitglieder hätten sich so kurzfristig entschuldigt, dass die Ladung von Ersatzmitgliedern nicht möglich gewesen sei. Wegen weiterer Einzelheiten werde auf die mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Anlagen Bezug genommen (Bl. 239 ff. d.A.). Dasselbe gelte für die im Betriebsrat entstandenen Änderungen (ebenda, Bl. 250 ff. d.A.).
25
Der Beteiligte zu 1.) und Beschwerdeführer stellt im Beschwerdeverfahren folgende Anträge:
1. Den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 01.06.2023, 8 BV 9/22, abzuändern;
2. die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Antragsteller von den Rechtsanwaltsgebühren der B. Rechtsanwälte, B.str. xx, B-Stadt, in Höhe von 1.118,41 € gemäß Kostenrechnung …65 vom 17.02.2021 freizustellen;
3. die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Antragsteller von den Rechtsanwaltsgebühren der B. Rechtsanwälte, B.str. xx, B-Stadt, in Höhe von 691,01 € gemäß Kostenrechnung …61 vom 17.06.2021 freizustellen.
26
Die Beteiligte zu 2.) und Beschwerdegegnerin hat beantragt,
Die Beschwerde des Antragstellers und Beteiligten zu 1) vom 06.11.2023 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 01.06.2023, Az.: 8 BV 9/22 wird zurückgewiesen.
27
Die Beteiligte zu 2.) schließt sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Es habe ein Ladungsfehler nach § 29 Abs. 2 S. 6 BetrVG vorgelegen; ein solcher führe zur Unwirksamkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse. Es sei für ein verhindertes Mitglied „das“ Ersatzmitglied zu laden; ein Verstoß gegen diese Pflicht sei als schwerwiegend anzusehen. Es sei falsch, dass es hierbei nur darum gehe, überhaupt ein Ersatzmitglied zu laden, nicht aber darum, auch das richtige Mitglied. Die Reihenfolge der Ersatzmitglieder sei zwingend vorgeschrieben. Die Unwirksamkeit des unter Verstoß hiergegen gefassten Beschlusses habe auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg in der Entscheidung vom 27.09.2023 (a.a.O.) festgestellt. Der Unwirksamkeit des Beschlusses stehe auch nicht entgegen, dass der Beschluss mit deutlicher Mehrheit gefasst worden sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das nicht geladene Mitglied im Falle seiner Teilnahme die anderen Mitglieder in der Beratung von einer anderen Auffassung überzeugt hätte. Zutreffend habe das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Rückwirkung des Beschlusses vom 10.01.2020 nach Erledigung der Beschlussverfahren ausgeschlossen sei. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.10.2007, 7 ABR 51/06, beziehe sich auf die Bestellung eines Beisitzers einer Einigungsstelle. Hierfür sei eine Erforderlichkeitsprüfung aber nicht veranlasst. Der Umstand, dass sie – die Beteiligte zu 2.) – im damaligen Verfahren keine Rüge der ordnungsgemäßen Verfahrenseinleitung und der Prozessvollmacht erhoben habe, sei unschädlich. Durch die fehlende Rüge sei kein Vertrauen des Betriebsrats in die Ordnungsmäßigkeit entstanden. Zudem sei zwischen ordnungsgemäßer Einleitung des Verfahrens und der – Kosten verursachenden – Anwaltsbeauftragung zu unterscheiden. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung ließen zudem nicht erkennen, dass die Einladungen zur Sitzung vom 10.01.2022 ordnungsgemäß erfolgt seien.
28
In der Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht vom 27.02.2024 hat der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Aa. erklärt, aus der Einladungsliste vom 30.07.2020 zur Sitzung vom 03.08.2020 (Bl. 99 d.A.) ergebe sich, dass damals – es habe sich ja um die Urlaubszeit gehandelt – die Betriebsratskollegin X. verhindert gewesen sei. Diejenigen sechs Ersatzmitglieder, die den Empfang der Einladung bestätigt hätten, hätten mangels Mail-Adresse anders als die anderen eingeladenen Ersatzmitglieder den Empfang nicht per Mail bestätigen können. Die Betriebsratssitzung am 10.01.2022 habe am ersten Tag nach dem Betriebsurlaub stattgefunden. Abmeldungen der ordentlichen Mitglieder für diese Sitzung im Betriebsratsbüro hätten erst an diesem Tag zur Kenntnis genommen werden können. Aus diesem Grund und wegen der Verteilung auch der Ersatzmitglieder auf verschiedene Standorte habe keine Ladung von Ersatzmitgliedern mehr vorgenommen werden können.
29
Der Vertreter der Beteiligten zu 2.) hat erklärt, er habe keinen Anlass, am Vortrag zum Betriebsurlaub zu zweifeln.
30
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts in den Gründen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift über die Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht vom 27.02.2024 Bezug genommen.
II.
31
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingereichte und auch begründete Beschwerde des Beteiligten zu 1.) ist in der Sache begründet. Dem Beteiligten zu 1.) steht ein Anspruch auf Freistellung von den Anwaltskosten in der beantragten Höhe zu.
32
1. Die Beschwerdekammer folgt dem Arbeitsgericht darin, dass die Beschlussfassung des Betriebsrats vom 13.07.2020 mit dem Inhalt der Entsendung der beiden Betriebsratsmitglieder zur Schulung ordnungsgemäß erfolgt ist.
33
a. Zutreffend hat das Arbeitsgericht die Höchstzahlen und die auf die jeweiligen Listen entfallenden Betriebsratssitze berechnet. Danach ergibt sich eine Verteilung wie folgt:

Liste 1

Liste 2

Liste 3

Liste 4

Liste 5

[498]

[197]

[341]

[110]

[309]

[249]

98,5

170,5

55 (25)

154,5

[166]

65,67

113,67

36,7

[103]

124,5

49,3 (28)

85,25

77,25

99,6

39,4

68,2

61,8 (22)

[83]

56,82 (23)

51,5 (26)

71,14

48,7 (29)

62,25

55,33 (24)

49,8 (27)

45,27 (30)

34
b. Ursprünglich waren also – die acht Sitze für die Frauen als Geschlecht in der Minderheit waren erreicht – folgende Mitglieder im Betriebsrat:

Liste 1

Liste 2

Liste 3

Liste 4

Liste 5

La (m).

Ia (m).

N. (w)

R. M. (w)

Zb (w).

Ma (m).

Ab (m).

Lb (m).

Dc (w).

V. (w)

Y. (w)

X. (w)

Z. (m)

R. O. (m)

Ac (m).

Na (m).

Ca (m).

W. (w)

Xb (m).

Aa (m).

Ja (m).

Bb (m).

Mb (m).

T. (w)

Bc (m).

Oa (w).

Cb (m).

Ba (m).

Yb (m).

Cc (w).

S. (m)

Db (w).

Nb (w).

P. (w)

Da (m).

Ga (m).

Ea (m).

Pa (w).

Eb (m).

Q. (m)

U. (m)

Fb (m).

Ka (m).

Qa (m).

Gb (w).

Jb (m).

Ra (w).

Hb (w).

Ob (w).

Sa (m).

Ib (w).

O. (w)

Fa (m).

Jb (m).

Pb (m).

Ha (w).

Kb (m).

Qb (m).

Ta (m).

Rb (m).

Ua (w).

Sb (m).

Va (m).

Tb (m).

Wa (m).

Ub (m).

Xa (w).

Vb (m).

Ya (w).

Wb (m).

Za (w).

35
c. Wegen der bis 29.06.2020 erfolgten Änderungen durch Rücktritt, Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und Versterben wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen. Zum besseren Verständnis wird nochmals wiedergegeben:
- Am 09.09.2019 trat Frau Zb. (Liste 5) zurück und wurde gemäß §§ 25, 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 5 Nr. 1 WO zutreffend durch das erste weibliche Ersatzmitglied der Liste 5, Frau Cc., ersetzt.
- Diese trat am 09.01.2020 zurück. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich auf der Liste 5 keine weiblichen Ersatzmitglieder mehr. Ein Einrücken eines männlichen Ersatzmitglieds von Liste 5 kam nicht in Betracht, weil sonst die Vertretung des Minderheitsgeschlechts – benötigt werden acht Frauen – nicht mehr erfüllt gewesen wäre. Daher rückte nach §§ 25, 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 5 Nr. 2 WO die erste noch nicht im Betriebsrat befindliche Frau aus der Liste mit der nächsten nicht besetzten Höchstzahl in den Betriebsrat ein.
36
Höchstzahl 22 kam mangels weiblicher Ersatzmitglieder nicht in Betracht. Maßgeblich war also die Höchstzahl 23. Der Sitz fiel daher auf Liste 3. Da das weibliche Ersatzmitglied Nb. bereits vorher ausgeschieden war, rückte Frau Ob. auf dieser Höchstzahl in den Betriebsrat nach.
- Am 26.02.2020 verstarb Betriebsratsmitglied Mb.; für diesen rückte nach §§ 25, 15 Abs. 2 BetrVG das erste Ersatzmitglied derselben Liste (Liste 3), Herr Ba., nach.
- Am 27.04.2020 trat Frau Ob. (Liste 3) zurück; für sie rückte nach §§ 25, 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 5 Nr. 2 WO als nunmehr erstes bisher nicht berücksichtigtes weibliches Ersatzmitglied der Liste 3, Frau O., nach.
- Am 17.06.2020 trat Herr Ac. (Liste 5) zurück und wurde gemäß §§ 25, 15 Abs. 2 BetrVG zutreffend durch das erste Ersatzmitglied derselben Liste (Liste 5), Herr Bc., ersetzt.
- Am 29.06.2020 trat Herr Bc. (Liste 5) zurück. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich auf der Liste 5 keine Ersatzmitglieder mehr, so dass der Sitz gemäß §§ 25, 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 3 WO auf die Liste mit der nächsten nicht berücksichtigten Höchstzahl überging. Höchstzahl 22 für Liste 5 kam mangels Ersatzmitgliedern nicht in Betracht. Höchstzahl 23 (Liste 3) war aufgrund des zuvor erforderlich gewordenen Listensprungs (oben Unterpunkt 2) bereits berücksichtigt. Daher war Höchstzahl 24 maßgeblich (Liste 1). Es rückte also das erste Ersatzmitglied Pa. in den Betriebsrat ein.
- Zudem waren die Ersatzmitglieder Nb., Ra., Bb., Jb., Qa., Sa., Dc. und O. R. aus der Stellung als Ersatzmitglied ausgeschieden.
37
d. Dieses Einrücken in den Betriebsrat führte dazu, dass nunmehr neun weibliche Mitglieder in den Betriebsrat eingerückt waren, dass die Quote für das Minderheitengeschlecht damit übererfüllt war.
38
e. Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass durch diese Übererfüllung kein vorher durchgeführter Listensprung – der zugunsten von Liste 3 erforderlich gewesen war – rückgängig gemacht werden musste mit der Folge, dass Frau O. den Betriebsrat wieder hätte verlassen müssen. Dies ergibt sich vorliegend, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, schon daraus, dass der Sitz dann wieder an Liste 5 hätte fallen müssen – diese Liste hatte am 29.06.2020 aber keine Ersatzmitglieder mehr, so dass der Sitz aus dieser Liste ohnehin nicht mehr hätte besetzt werden können.
39
f. Unabhängig hiervon folgt die Beschwerdekammer dem Arbeitsgericht auch darin, dass eine solche Rückrechnung mit der Folge des Ausscheidens eines Betriebsratsmitglieds im Gegensatz zur bei einer vorübergehenden Verhinderung vorliegenden Konstellation dann nicht veranlasst ist, wenn ein Betriebsratsmitglied dauerhaft in den Betriebsrat nachgerückt ist. Es spricht viel dafür, bei einem vorübergehenden Nachrücken, bei dem zur Einhaltung der Mindestzahl der Sitze für das Geschlecht in der Minderheit nicht das erste Ersatzmitglied derjenigen Liste, auf der das verhinderte Betriebsratsmitglied im Betriebsrat saß, zum Zuge kam – weil das erste Ersatzmitglied dem Mehrheitsgeschlecht angehört hat oder weil diese Liste keine Angehörigen des Geschlechts in der Minderheit mehr aufwies – eine Rückführung dann zu verlangen, wenn aufgrund eines anderen Nachrückens die Minderheitenquote übererfüllt wäre. Es kann dahinstehen, ob dies zutrifft. Jedenfalls bei einem endgültigen Nachrücken – sei es wegen der Nichtannahme der Wahl eines anderen Bewerbers oder wegen des nachträglichen endgültigen Wegfalls – ist dies nicht veranlasst. Das endgültig nachgerückte Betriebsratsmitglied darf seinen Sitz behalten, unabhängig davon, auf welchem Weg es in den Betriebsrat gekommen ist. Sähe man dies anders, würde ein Nachrücken in vielen Fällen nur „unter Vorbehalt“ stattfinden. Es überwiegt – trotz der Nichteinhaltung der eigentlichen Vertretung der Listen im Betriebsrat wegen der notwendigen Beachtung der Mindestsitze des Geschlechts in der Minderheit – das Interesse, einmal erlangte Betriebsratssitze dauerhaft zu erhalten, um eine kontinuierliche Betriebsratstätigkeit zu gewährleisten. Dies gilt auch, wenn hierdurch dem Wählerwillen nicht mehr in voller Form Rechnung getragen wird, und auch, wenn das endgültige Nachrücken über einen Listensprung erfolgt war. Beides ist Folge der zwingenden Quote für die Angehörigen des Geschlechts in der Minderheit, der nach dem Willen des Gesetzgebers Vorrang zu geben ist.
40
g. Im Zeitpunkt von Ladung und Sitzung am 13.07.2020 stellte sich die Situation der damaligen Besetzung des Betriebsrats wie folgt dar, wobei die Mindestquote von acht Frauen mit neun weiblichen Betriebsratsmitgliedern übertroffen war:

Liste 1

Liste 2

Liste 3

Liste 4

Liste 5

La (m).

Ia (m).

N. (w)

R. M. (w)

V. (w)

Ma (m).

Ab (m).

Lb (m).

Xb (m).

Aa (m).

Y. (w)

X. (w)

Z. (m)

T. (w)

Na (m).

Ca (m).

W. (w)

Yb (m).

Ja (m).

Bb (m).

Ba (m).

P. (w)

Oa (w).

Cb (m).

O. (w)

S. (m)

Db (w).

Ea (m).

Da (m).

Ga (m).

Q. (m)

Pa (w).

Eb (m).

Ka (m).

U. (m)

Fb (m).

Pb (m).

Fa (m).

Gb (w).

Qb (m).

Ha (w).

Hb (w).

Rb (m).

Ta (m).

Ib (w).

Sb (m).

Ua (w).

Jb (m).

Tb (m).

Va (m).

Kb (m).

Ub (m).

Wa (m).

Vb (m).

Xa (w).

Wb (m).

Ya (w).

Za (w).

41
h. Da sich die Betriebsratsmitglieder N., O., R.und S. wegen Krankheit oder Urlaub zur Sitzung vom 13.07.2020 abgemeldet hatten, wurden an deren Stelle die Ersatzmitglieder P., Q., T. und U. aus der jeweils betroffenen Liste geladen. Für die in Liste 3 verhinderten weiblichen Betriebsratsmitglieder N. und O. konnte wegen der Notwendigkeit zur Erfüllung der Minderheitenquote nur ein Ersatzmitglied aus Liste 3 nachgeladen werden – ansonsten wäre die Quote nicht mehr erfüllt worden. Da Ersatzmitglied Ea. ebenfalls im Urlaub war, wurde dieser Sitz durch das Betriebsratsmitglied Q. (m) ersetzt. Da die Liste 3 keine weiteren weiblichen Ersatzmitglieder aufwies, musste ein weibliches Ersatzmitglied aus einer anderen Liste geladen werden. Zu berücksichtigen ist die nächste noch nicht ausgesonderte Höchstzahl. Da die Höchstzahl 22 auf Liste 5 ohne Ersatzmitglieder fällt, die Höchstzahl 23 wegen des Fehlens von weiblichen Ersatzmitgliedern auf Liste 3 nicht in Betracht kam und die Höchstzahl 24 für die Liste 1 schon durch den Einzug von Frau Pa. in den Betriebsrat berücksichtigt war, musste das erste nicht berücksichtigte weibliche Ersatzmitglied der Liste 4 mit der Höchstzahl 25 berücksichtigt werden. Da das Ersatzmitglied T. der Liste 4 bereits für das Betriebsratsmitglied R. nachrücken musste, war es zutreffend, nunmehr das nächste weibliche Ersatzmitglied der Liste 4, Frau P., nachzuladen. Für das erkrankte Mitglied S. aus Liste 1 wurde zutreffend das erste Ersatzmitglied U. herangezogen.
42
i. Die Kammer folgt dem Arbeitsgericht auch dahingehend, dass bei einer gleichzeitig mitgeteilten Verhinderung zunächst diejenigen Ersatzmitglieder zu berücksichtigen sind, die über die eigene Liste ersetzt werden können. Erst wenn dies nicht möglich ist, ist das Geschlecht in der Minderheit über den Listensprung zu berücksichtigen. Dies gilt auch, wenn mehrere Verhinderungen in einem Zeitpunkt bekannt sind, in dem der Vorsitzende über die Nachladungen entscheidet, etwa gemeinsam wenige Tage vor der Sitzung. Diese Handlungsweise wird dem Wählerwillen am besten gerecht.
43
j. Der Beteiligte zu 1.) hat vorgetragen, dass die Mitglieder V., W. und X. ohne vorherige Entschuldigung nicht zur Sitzung erschienen seien. Die Beteiligte zu 2.) hat sich diesbezüglich nicht geäußert. Auch die Beschwerdekammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieses Vortrags zu zweifeln. Das Mitglied Ab. erschien nach den Angaben des Beteiligten zu 1.) erst um 12.51 Uhr und damit nach der entsprechenden Beschlussfassung, so dass Beschlussfähigkeit gegeben war und bei 17 Anwesenden die Mehrheit mit 11 Ja-Stimmen bei 6 Enthaltungen erreicht ist.
44
k. Damit erweist sich der Beschluss vom 13.07.2020 als wirksam.
45
2. Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Besetzung des Betriebsrats bei der Beschlussfassung am 03.08.2020 – mit dem Inhalt der gerichtlichen Geltendmachung der Freistellung und der Beauftragung der Rechtsanwälte – nicht so stattgefunden hat, wie es eine strenge Auslegung der gesetzlichen Vorschriften verlangt.
46
a. Dabei war zunächst zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt der Ladung und Sitzung noch das Betriebsratsmitglied X. (w) aus Liste 2 zurückgetreten war. Da die Mindestquote des Geschlechts in der Minderheit zu diesem Zeitpunkt noch übererfüllt war, rückte für diese das erste Ersatzmitglied Ca. (m) in den Betriebsrat nach. Die Minderheitenquote von acht Sitzen für Frauen war damit wieder exakt erfüllt.
47
b. Die Beteiligte zu 2.) ist dem Vortrag des Beteiligten zu 1.) nicht entgegengetreten, dass die ordentlichen Betriebsratsmitglieder Y. (w) und Da. (m) aus Liste 1, Ca. (m) aus Liste 2, Z. (m), Ba. (m) und O. (w) aus Liste 3 und Aa. (m) aus Liste 5 an der Sitzungsteilnahme verhindert waren. Auch die Beschwerdekammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieses Vortrags zu zweifeln.
48
c. Die Kammer folgt dem Arbeitsgericht darin, dass in einer solchen Konstellation bei einer Vielzahl von Verhinderungen zunächst versucht werden muss, diese innerhalb der jeweiligen Listen zu berücksichtigen. Frau Y. aus Liste 1 wurde zutreffend durch das am höchsten auf Liste 1 platzierte nicht berücksichtigte weibliche Betriebsratsmitglied Ha. ersetzt, Herr Da. aus Liste 1 durch das erste Ersatzmitglied der Liste 1, Herrn U.. Herr Ca. aus Liste 2 wurde, da die ersten beiden Ersatzmitglieder der Liste 2 aufgrund Krankheit und Urlaub verhindert waren, zutreffend durch das dritte Ersatzmitglied der Liste 2, Herrn Ga. ersetzt. Herr Z. und Herr Ba. aus Liste 3 wurden dabei zutreffend durch die ersten beiden Ersatzmitglieder der Liste 3, Herrn Ea. und Herrn Q., ersetzt.
49
d. Für die verhinderten Betriebsratsmitglieder O. (w) aus Liste 3 und Aa. (m) aus Liste 5 waren Listensprünge erforderlich, weil sich auf der Liste 3 keine nicht berücksichtigten weiblichen Ersatzmitglieder und auf Liste 5 überhaupt keine Ersatzmitglieder befanden.
50
Dabei hat der Betriebsratsvorsitzende möglicherweise zunächst die Vertretung des Betriebsratsmitglied Aa. aus Liste 5 vorgenommen. Er hat dabei unterstellt, dass die Höchstzahl 22 (Liste 5) wegen des Fehlens von Ersatzmitgliedern nicht in Betracht kam, die Höchstzahlen 23 und 24 aus Liste 3 und Liste 1 schon besetzt waren. Er hätte dann allerdings die Höchstzahl 25 aus Liste 4 berücksichtigen und das erste Ersatzmitglied aus dieser Liste laden müssen.
51
e. Hat der Betriebsratsvorsitzende zunächst die Vertretung von Frau O. aus Liste 3 berücksichtigt, hat er diese zwar ordnungsgemäß vorgenommen. Dabei waren die Höchstzahlen 22 und 23 wegen Fehlens von weiteren Mitgliedern (Liste 5) bzw. des Fehlens von weiblichen Ersatzmitgliedern (Liste 3) nicht heranzuziehen. Die Höchstzahl 24 der Liste 1 war bereits durch ein durch Listensprung in den Betriebsrat gerücktes Mitglied – Frau Pa. – berücksichtigt und damit überrepräsentiert. Damit war – immer vorausgesetzt, die Verhinderungen wurden gleichzeitig festgestellt bzw. es wurde gleichzeitig geladen, was nach dem Vortrag des Beteiligten zu 1.) unterstellt werden kann – ein weibliches Mitglied aus der Liste mit der Höchstzahl 25 zu laden. Dies ist die Liste 4, auf der noch die weiblichen Ersatzmitglieder T. und im Verhinderungsfall P. zur Verfügung standen. Dies ist auch korrekt erfolgt.
52
f. Zutreffend hat das Arbeitsgericht aber auch erkannt, dass für das verhinderte Mitglied Aa. dann nicht das Ersatzmitglied Fa. aus Liste 1, sondern das Ersatzmitglied Ea. aus Liste 3 hätte geladen werden müssen. Aufgrund der Verhinderung der nachgerückten Betriebsrätin O. war der durch die Liste 3 über den Listensprung – im Hinblick auf die Höchstzahl 23 – erworbene Platz wieder frei geworden. Die Höchstzahl 23 war daher nicht besetzt. Sie musste daher vorrangig zur ordnungsgemäßen Besetzung des Betriebsrats herangezogen werden. Es war nicht zulässig, hierfür die Höchstzahl 27 – die auf Liste 1 entfällt – heranzuziehen.
53
g. Auch die Beschwerdekammer geht davon aus, dass der Vorsitzende im Fall der Entscheidung über mehrere Vertretungen und hierfür erforderlichen Listensprüngen prüfen muss, wie dem Wählerwillen und der Sitzverteilung auf die Listen am besten Rechnung getragen werden kann. Er kann die Vertretungen nicht in beliebiger Reihenfolge berücksichtigen. Er muss das Gesamttableau der notwendigen Vertretungen betrachten und dann die Ladungen so vornehmen, dass die geringstmöglichen Eingriffe in den Wählerwillen erfolgen. Er darf zum Beispiel dann, wenn auf einer Liste ein weibliches Mitglied verhindert ist, diese Liste aber keine weiblichen Ersatzmitglieder mehr aufweist, nicht diesen Verhinderungsfall mit Hilfe eines Listensprungs lösen, wenn schon feststeht, dass auf einer anderen Liste ein männliches Betriebsratsmitglied verhindert ist, das aber durch das weibliche erste Ersatzmitglied ersetzt wird – sodass bei einer Gesamtbetrachtung gar kein Listensprung erforderlich gewesen wäre. Ähnlich ist es vorliegend: Er hätte, da die fehlende Ersetzbarkeit der Betriebsrätin O. auf Liste 3 feststand, bei der Vertretung des Betriebsrats Aa. aus Liste 5 die freiwerdende Höchstzahl berücksichtigen müssen.
54
h. Soweit die Prozessvertreter des Betriebsrats in der Beschwerde behauptet hatten, dem Betriebsratsvorsitzenden müsse es möglich sein, nach jedem Verhinderungsfall unverzüglich nachzuladen, steht dies dem dargestellten Ergebnis nicht entgegen. Der damalige Betriebsratsvorsitzende hat in der Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht ausdrücklich erklärt, dass die Verhinderungen im Hinblick auf die Urlaubszeit bekannt gewesen seien. Er hat dem Hinweis der Kammer, dass in diesem Fall davon auszugehen sei, dass die Ersatzfälle zeitgleich und nicht in der Reihenfolge des Eingangs der Verhinderungsmitteilung bearbeitet worden seien, nicht widersprochen. Die Beschwerdekammer hat daher davon auszugehen, dass keine „tröpfchenweise“ Mitteilung der Verhinderung der ordentlichen und sofortigen Ladung der Ersatzmitglieder erfolgt ist. Es kann daher dahinstehen, ob die diesbezügliche Rechtsauffassung des Beteiligten zu 1.) zutreffend ist. Grundsätzlich hält es die Kammer aber für zulässig, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Ladungen der Ersatzmitglieder für die bis dahin als verhindert gemeldeten Betriebsratsmitglieder zu veranlassen mit der Folge, dass spätere Verhinderungsmeldungen aus dem dann nach den Ladungen erfolgten Tableau zu bearbeiten sind.
55
3. Die Beschwerdekammer ist allerdings der Auffassung, dass versehentliche Ladungsfehler nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses führen. Dies gilt zumindest dann, wenn die Rechtslage kompliziert ist und feststeht, dass die Auswahl in gutem Glauben und ohne Benachteiligungsabsicht bestimmter Personen oder Listen erfolgt war. Die Beschwerdekammer ist angesichts der vorliegenden unübersichtlichen Konstellation davon überzeugt, dass die letzteren Anforderungen erfüllt sind. Die Komplexität der Rechtslage lässt sich aus den obigen Darlegungen ohne Weiteres erkennen. Die Kammer sieht keinen Anlass dafür, das Risiko des fehlerhaften Ladens in einer solchen Situation beim Betriebsrat zu belassen. Es handelt sich nicht um einen groben Verstoß, sondern um einen leicht nachvollziehbaren Fehler in einer ausgesprochen schwierigen Situation und Rechtslage. In einem solchen Fall überwiegt das Interesse am Bestand des von der Mehrheit des Gremiums getragenen Willens. Die Konstellation entspricht von der Gewichtigkeit derjenigen, in der sich der Betriebsratsvorsitzende wegen der Kurzfristigkeit einer Verhinderungsmitteilung entschließt, gar keine Ersatzmitglieder nachzuladen, etwa deswegen, weil die Ersatzmitglieder wegen der Einbindung in betriebliche Abläufe nicht kurzfristig wegkönnen oder weil sie weitere Wege zurücklegen müssten. Auch in diesem Fall bleibt ein gewisses Ermessen des Betriebsratsvorsitzenden, führt ein nachvollziehbares Ausüben des Ermessens nicht zur Unwirksamkeit des Beschlusses des Gremiums.
56
4. Die Kammer folgt der Ansicht nicht, dass es auf die Eindeutigkeit der Beschlussfassung ankommen solle. Es erscheint als nachvollziehbar, dass ein nicht geladenes Betriebsratsmitglied mit überzeugender Argumentation die anderen Mitglieder von einer anderen Auffassung hätte bewegen können mit der Folge, dass der Beschluss anders ausgefallen wäre. Dies gilt logischerweise auch bei – ohne die Einflussmöglichkeit dieses nicht geladenen Mitglieds – klaren Mehrheiten.
57
5. Damit ist von der Wirksamkeit der Beauftragung der Rechtsanwälte aufgrund des Beschlusses vom 03.08.2020 auszugehen.
58
6. Die Kammer folgt der 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts im Beschluss vom 27.09.2023 (2 TaBV 8/23, zitiert nach juris) darin, dass – selbst wenn man von der Unwirksamkeit der Beauftragung am 03.08.2020 ausgehen würde – eine Heilung durch den nachträglichen Beschluss vom 10.01.2022 erfolgt ist.
59
a. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Genehmigung der Beauftragung des für den Beteiligten zu 1.) auftretenden Rechtsanwalts und der Einleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens im vorliegenden Fall auch noch nach Abschluss der für erledigt erklärten Verfahren erfolgen konnte, auch wenn – wie das Arbeitsgericht richtig ausgeführt hat – nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Rückwirkung der Genehmigung grundsätzlich durch die nach § 40 BetrVG gebotene Erforderlichkeitsprüfung begrenzt ist (BAG 10.10.2007, 7 ABR 51/06, Rn 21 mwN, zitiert nach juris). Dies folgt in der vorliegenden Konstellation aus der Möglichkeit des Betriebsrats, die Prozessführung, wenn der Mangel der Vertretungsmacht unerkannt geblieben ist, auch noch im Rechtsmittelverfahren und sogar nach Abschluss des Verfahrens rückwirkend zu genehmigen (BAG 06.11.2013, 7 ABR 84/11, Rn 49 ff, juris; Linsenmaier, Non volenti fit iniuria – „Beschlussverfahren ohne Betriebsratsbeschluss“ in Festschrift für Wissmann S. 378 ff, insb. 393).
60
b. Vereinbarungen, die der Betriebsratsvorsitzende, sein Stellvertreter (oder ein anderes beauftragtes Betriebsratsmitglied) ohne einen wirksamen Betriebsratsbeschluss abgeschlossen haben, sind nach § 177 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam. Sie können vom Betriebsrat durch eine spätere ordnungsgemäße Beschlussfassung nach § 184 Abs. 1 BGB genehmigt werden. Jedoch führt die erneute Beschlussfassung nicht stets zu einer zeitlichen Rückerstreckung auf den Zeitpunkt der ersten (unwirksamen) Beschlussfassung (BAG 10.10.2007, a.a.O., Rn 14).
61
c. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Betriebsratsvorsitzende oder im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Die Beschlüsse des Betriebsrats dienen der internen Willensbildung des Gremiums. Nur ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss schafft die Legitimation für die Handlungen und Erklärungen des Betriebsrats und der für ihn tätigen Personen, soweit nicht durch besondere gesetzliche Regelungen dem Betriebsratsvorsitzenden oder seinem Stellvertreter eine Alleinzuständigkeit zugewiesen ist. Ein unter Missachtung zwingender Verfahrensvorschriften zustande gekommener Beschluss des Betriebsrats ist unwirksam und entfaltet keine Rechtswirkungen. Der Betriebsrat kann aber erneut über die Angelegenheit beschließen. Der im Rahmen einer erneuten Befassung getroffene Beschluss wirkt dabei grundsätzlich nicht auf den Zeitpunkt der erstmaligen und wegen des Verfahrensfehlers unwirksamen Beschlussfassung zurück, sondern schafft erst für die Zukunft eine Rechtsgrundlage für die Handlungen und Erklärungen des Betriebsrats zu diesem Beschlussgegenstand (vgl. BAG vom 10.10.2007, a.a.O., Rn 15).
62
d. Der Betriebsrat kann allerdings durch die nachträgliche Beschlussfassung eine von dem Betriebsratsvorsitzenden zuvor ohne Rechtsgrundlage getroffene Vereinbarung genehmigen. Denn der Betriebsratsvorsitzende handelt im Rahmen der für den Betriebsrat abgegebenen Erklärungen als gesetzlicher Vertreter des Betriebsrats. Fehlt es an einem Betriebsratsbeschluss oder ist der Beschluss unwirksam, handelt der Betriebsratsvorsitzende ohne Vertretungsmacht. Eine von dem Betriebsratsvorsitzenden abgeschlossene Vereinbarung, die nicht auf einem zuvor gefassten wirksamen Betriebsratsbeschluss beruht, ist schwebend unwirksam. Ihre Wirksamkeit hängt nach § 177 Abs. 1 BGB von der nachträglichen Zustimmung des Betriebsrats zu der Vereinbarung ab. § 177 BGB gilt für alle Rechtsgeschäfte, die von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht vorgenommen werden. Die Vorschrift findet daher nicht nur auf die gewillkürte Vertretung, sondern auch dann Anwendung, wenn ein gesetzlicher Vertreter außerhalb der ihm eingeräumten Vertretungsmacht handelt (vgl. BAG vom 10.10.2007, a.a.O., Rn 16 mwN).
63
e. Genehmigt der Betriebsrat das zunächst ohne Vertretungsmacht abgeschlossene Rechtsgeschäft, wirkt die Genehmigung nach § 184 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, soweit nichts anderes bestimmt ist. Das von dem Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft wird auf Grund der Genehmigung so behandelt, als sei es bei seiner Vornahme sogleich wirksam geworden (vgl. BAG a.a.O., Rn 17 mwN).
64
f. Das Recht des Vertretenen, einem in seinem Namen abgeschlossenen Rechtsgeschäft nachträglich zuzustimmen, ist von Gesetzes wegen nicht befristet. Die Genehmigung kann daher grundsätzlich zeitlich unbegrenzt ausgesprochen werden. Der andere Teil kann den Schwebezustand beenden, indem er entweder das Vertretergeschäft widerruft oder den Vertretenen auffordert, sich zur Genehmigung zu erklären (§ 178 BGB). Die zeitliche Rückerstreckung der Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts kann allerdings durch dessen Rechtsnatur ausgeschlossen sein. Dies ist insbesondere bei fristgebundenen Rechtsgeschäften der Fall, z.B. wenn für die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder einer Willenserklärung eine gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Frist gesetzt ist oder wenn die Rückbeziehung zu sachwidrigen und mit den Wertungen anderer Normen nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führt (vgl. BAG a.a.O., Rn 18 mwN).
65
g. Die erneute Beschlussfassung des Betriebsrats führt danach nicht stets zu einer zeitlichen Rückerstreckung auf den Zeitpunkt der ersten (unwirksamen) Beschlussfassung. Die Wirkungen der erneuten Beschlussfassung richten sich regelmäßig nicht nach § 184 Abs. 1 BGB, wenn sie nicht die nachträgliche Zustimmung des Betriebsrats zu einem von dem Betriebsratsvorsitzenden, seinem Stellvertreter oder einem sonst im Namen des Betriebsrats handelnden Mitglied abgeschlossenen Vertrag zum Gegenstand hat, da es insoweit an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 BGB fehlt. Hier bleibt es bei dem Grundsatz, dass erst die erstmals wirksame Beschlussfassung die Legitimation für das Handeln des Betriebsrats schafft (vgl. BAG a.a.O., Rn 20 mwN).
66
h. Daneben ist die zeitliche Rückerstreckung der Genehmigung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG a.a.O., Rn 21) ausgeschlossen, wenn die Beschlussfassung des Betriebsrats erst nach dem für die Beurteilung eines Sachverhalts maßgeblichen Zeitpunkt erfolgt. Diese Einschränkung betrifft insbesondere rechtsgeschäftliche Vereinbarungen, durch die dem Arbeitgeber eine Kostentragungspflicht auferlegt wird. Insoweit wird die Rückwirkung der Genehmigung durch die nach § 40 BetrVG gebotene Erforderlichkeitsprüfung begrenzt. Danach muss der Betriebsrat vor der Verursachung von Kosten nach pflichtgemäßer Würdigung aller Umstände über die Erforderlichkeit entscheiden. Die Frage der Erforderlichkeit ist von dem Zeitpunkt des Beschlusses aus zu beurteilen, der die Kosten ausgelöst hat. Danach begründet nach der Rechtsprechung des BAG ein nach dem Besuch einer Schulungsveranstaltung gefasster Betriebsratsbeschluss, in dem die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds gebilligt wird, keinen Anspruch des Betriebsrats nach § 40 Abs. 1 BetrVG auf Kostentragung durch den Arbeitgeber (BAG a.a.O., Rn 21). Die Bestellung eines Einigungsstellenbeisitzers kann hingegen auch nachträglich getroffen werden, da die Entscheidung des Betriebsrats durch den Grundsatz der Erforderlichkeit nicht eingeschränkt wird (BAG a.a.O., Rn 23 mwN).
67
i. Des Weiteren können wie bei der Änderung oder Aufhebung von Betriebsratsbeschlüssen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes einer zeitlichen Rückerstreckung der Genehmigung entgegenstehen (vgl. BAG a.a.O., Rn 21 mwN).
68
j. Da sich die Freistellung von den Rechtsanwaltskosten im vorliegenden Fall ebenfalls nach § 40 BetrVG bestimmt, würde die Anwendung der obigen Grundsätze – wie es das Arbeitsgericht festgestellt hat – die Rückwirkung ausschließen.
69
k. Die Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall steht aus Sicht des Beschwerdegerichts allerdings in einem gewissen Widerspruch zur Rechtsprechung des BAG, wonach der Betriebsrat die bereits erfolgte Einleitung eines Beschlussverfahrens (und auch die Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten) genehmigen kann (BAG 06.11.2013, 7 ABR 84/11, Rn 50). Die Genehmigung durch eine nachträgliche Beschlussfassung ist danach bis zum Ergehen einer Prozessentscheidung, durch die der Antrag als unzulässig abgewiesen wird, möglich. Bleibt der Vertretungsmangel aber in der unteren Instanz unentdeckt, so ist auch noch in der Rechtsmittelinstanz eine Genehmigung möglich; sie kann in diesen Fällen – wie aus § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ersichtlich – sogar noch nach Eintritt der Rechtskraft erklärt werden (BAG a.a.O. Rn 53 u.a. unter Verweis auf Linsenmaier in FS Wissmann, juris). Die nachträgliche Genehmigung der Einleitung eines Beschlussverfahrens und die Beauftragung eines Verfahrungsbevollmächtigten wird also zugelassen, und zwar deutlich nach dem für die Beurteilung der Erforderlichkeit nach § 40 BetrVG maßgeblichen Zeitpunkt.
70
l. Es ist der Beauftragungsbeschluss, der im Rahmen der Erforderlichkeit die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auslöst. Der erneute Beschluss zur Beauftragung eines Rechtsanwalts hat die nachträgliche Zustimmung des Betriebsrats zu einem von dem Betriebsratsvorsitzenden, seinem Stellvertreter oder einem sonst im Namen des Betriebsrats handelnden Mitglied abgeschlossenen Vertrag zum Gegenstand. Der Mandatsvertrag begründet gegenseitige Rechte und Pflichten. Deshalb richten sich die Wirkungen der erneuten Beschlussfassung regelmäßig nach § 184 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift wirkt die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Der Mandatsvertrag wird daher grundsätzlich rückwirkend vollwirksam.
71
m. „Ein anderes“ ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts „nicht bestimmt“. Soweit das Bundesarbeitsgericht im Beschluss vom 08.03.2000, 7 ABR 11/98, die Kostenerstattung für die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG ausgeschlossen hat, wenn nicht der Beschluss zur Entsendung zur Schulungsveranstaltung vorher gefasst wurde, ist der rechtliche Ausgangspunkt ein anderer. Im Gegensatz zur Beauftragung eines Rechtsanwalts ist ein Beschluss zur Teilnahme an einer Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG nicht unmittelbar auf den Abschluss eines Vertrags gerichtet, sondern lediglich auf die Teilnahmeberechtigung an einer bestimmten Schulungsmaßnahme. Hinzukommt, dass es beim Beschluss nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG nicht nur um die Erforderlichkeit der Schulung an sich geht, sondern – wie die Regelungen in § 37 Abs. 6 Sätze 2 – 4 BetrVG zeigen – ganz wesentlich auch um den Zeitpunkt der Schulung. Insbesondere damit hat das BAG begründet, dass eine Entscheidung nach einem Zeitpunkt, von dem an Freistellungen tatsächlich in Anspruch genommen werden und Kosten entstanden sind, rechtlich nicht möglich ist. Im Hinblick auf die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung und die Einleitung eines Beschlussverfahrens ist wegen der Besonderheit, dass diese die Vertretungsmacht begründenden Beschlüsse nach den Vorschriften der ZPO noch nachgeholt werden können, aber eine andere Sichtweise geboten. Es bleibt beim Grundsatz, dass eine rückwirkende Genehmigung des Mandatsvertrags mit der Folge der Kostenerstattung im Rahmen des § 40 BetrVG möglich ist.
72
n. Es ist auch tatsächlich möglich, die Erforderlichkeit im nachfolgenden Kostenerstattungsverfahren über Rechtsanwaltskosten anhand der anzuwendenden Kriterien (hierzu Fitting, BetrVG 31. Aufl., § 40 BetrVG Rn 21 ff) zu prüfen. Maßstab ist ja gerade nicht die rein subjektive Sicht des Betriebsrats, sondern die Prüfung, ob die Kosten vom Betriebsrat im Zeitpunkt ihrer Verursachung bei gewissenhafter Abwägung aller Umstände für erforderlich gehalten werden durften, damit der Betriebsrat seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann (Fitting aaO. Rn 9 mwN). Dies zu prüfen ist auch möglich, wenn der kostenverursachenden Beauftragung eines Rechtsanwalts und der Einleitung eines Beschlussverfahrens (zunächst) kein wirksamer Betriebsratsbeschluss zu Grunde lag.
73
o. Es führt auch zu einem unbefriedigenden Ergebnis, die rückwirkende Genehmigung der Beschlüsse zur Einleitung des Beschlussverfahrens und der Beauftragung des Rechtsanwalts im Rahmen der Zulässigkeit der Antragstellung im Beschlussverfahren auch noch nach Rechtskraft zuzulassen, die Möglichkeit der Rückwirkung derselben Beschlüsse hinsichtlich der Kostenerstattungspflicht des Arbeitgebers aber auszuschließen. Da es für den Arbeitgeber keine Ausschlussfrist gibt, innerhalb derer er im Ausgangsverfahren die mangelhafte Beschlussfassung des Betriebsrats rügen müsste, kann dieser dies grundsätzlich noch nachträglich in einem vom Betriebsrat oder dessen Rechtsanwalt geführten Kostenfreistellungsverfahren geltend machen. Dem Betriebsrat hingegen soll die rückwirkende Genehmigung selbst dann verwehrt sein, wenn die Erforderlichkeit der Beauftragung des Rechtsanwalts und die Durchführung eines Beschlussverfahrens überhaupt nicht zweifelhaft ist. Deshalb erscheint es auch sachgerecht, dem Betriebsrat die Möglichkeit der nachträglichen Genehmigung einzuräumen (vgl. Linsenmaier aaO. Seite 393).
74
p. Die Ausgangsverfahren wurden übereinstimmend für erledigt erklärt und sind daher eingestellt worden. In diesen Verfahren wurde die Frage der Wirksamkeit der Beschlüsse zur anwaltlichen Beauftragung und der Verfahrenseinleitung nach dem beiderseitigen Vortrag der Beteiligten von keiner Seite thematisiert. Die mögliche Fehlerhaftigkeit der Beschlüsse blieb also unerkannt. In diesem Fall ist – wie oben ausgeführt – eine rückwirkende Genehmigung auch noch nach rechtskräftigem Abschluss des Ausgangsverfahrens im Kostenerstattungsverfahren über die Beauftragung eines Rechtsanwalts und die Einleitung eines Beschlussverfahrens möglich (ebenso Linsenmaier aaO.).
75
7. Der Genehmigungsbeschluss vom 10.01.2022 ist nicht zu beanstanden. Nach von der Beteiligten zu 2.) nicht bestrittenem Vortrag des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden ist davon auszugehen, dass die Sitzung tatsächlich am ersten Arbeitstag nach dem Betriebsurlaub stattfand und dass die Verhinderungsmitteilungen aus diesem Grund erst an diesem Tag zur Kenntnis genommen werden konnten. Es ist vom Ermessen des Betriebsratsvorsitzenden gedeckt, in einer solchen Konstellation nicht mehr nachzuladen, hierfür nötige – vgl. oben – komplizierte Überlegungen anzustellen, zu prüfen, ob sich in den Betriebsablauf eingebundene Ersatzmitglieder tatsächlich nicht kurzfristig vom Arbeitsplatz entfernen könnten, ob im Verhinderungsfall weitere Ersatzmitglieder angefragt werden müssten. Gerade in einem Betrieb wie dem vorliegenden mit voneinander zum Teil erheblich entfernt liegenden Betriebsteilen könnte das Nachladen zudem dazu führen, dass diejenigen Ersatzmitglieder, die vor Ort tätig wären, noch rechtzeitig zur Sitzung kommen könnten, die anderen aber nicht. Dann wären die Betriebsratsmitglieder des Ortes, in dem die Sitzung stattfindet, überrepräsentiert. Die Kammer hält es nach alldem für vom Ermessen des Betriebsratsvorsitzenden gedeckt, in einer solchen Situation überhaupt keine Ersatzmitglieder mehr nachzuladen.
76
8. Damit ist die Beauftragung der Rechtsanwälte zur Durchführung der Beschlussverfahren nicht zu beanstanden. Der Betriebsrat durfte ein solches Vorgehen für erforderlich halten, nachdem sich die Beteiligte zu 2.) längere Zeit zur Freistellung für die Schulung nicht geäußert hatte. Dies gilt erst recht, nachdem die Anwälte zunächst ein gesondertes Aufforderungsschreiben an den Arbeitgeber gerichtet hatten. Die Beteiligte zu 2.) hat sich zur Erforderlichkeit des Seminarbesuchs für das Betriebsratsgremium nicht weiter geäußert. Die Kammer hält es vom Beurteilungsspielraum des Betriebsrats gedeckt, wenn zwei der Mitglieder eines 21-köpfigen Gremiums ein solches Seminar besuchen, um psychische Belastungen am Arbeitsplatz im Rahmen der Mitbestimmung über den Gesundheitsschutz besser beurteilen zu können. Dafür, dass im Betriebsrat zum damaligen Zeitpunkt bereits ausreichend solche Kenntnisse vorhanden gewesen wären, bestehen keine Anhaltspunkte.
77
9. Die Rechnung ist auch in der geltend gemachten Höhe berechtigt. Sie konnte an den Arbeitgeber gerichtet werden (BAG v. 08.03.2023, 7 ABR 10/22, juris). Auch diejenigen Betriebsratsmitglieder, die gegebenenfalls die Kosten der Schulung selbst hätten tragen müssen, durften sich am vorliegenden Verfahren beteiligen. Die Beteiligte zu 2.) hat gegen die Höhe der Rechnung zuletzt auch auf Befragen des Gerichts keine Einwendungen mehr erhoben.
78
10. Nach alldem ist der Anspruch auf Freistellung begründet. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt wegen der grundsätzlichen Bedeutung einer Vielzahl aufgeworfener Rechtsfragen.