Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 10.04.2024 – AN 3 K 22.02458
Titel:

Anspruch einer Gemeinde auf Beseitigung von Einfriedungen

Normenketten:
BayBO Art. 76 S. 1
BauGB § 31 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Wird ein bauaufsichtliches Einschreiten von einer Standortgemeinde geltend gemacht, steht ihr jedenfalls dann ein subjektives Recht hierauf zu, wenn der von den bauordnungsrechtlichen Eingriffsregelungen der BayBO vorausgesetzte Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften die Planungshoheit der Gemeinde berührt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Will sich die Gemeinde von einem Grundzug der Planung lösen, hat sie ihre Bebauungspläne dem tatsächlichen Willen anzupassen. Lehnt die Gemeinde dies ab, bleibt sie an ihren Bebauungsplan gebunden und kann sich nicht über unzulässige Befreiungen oder zweifelhafte – mal so mal so – gehandhabte Duldungen rechtswidriger Zustände ihrer selbst gewählten Planungskonzeption entziehen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einem behördlichen Einschreiten gegen rechtswidrige Zustände kann ausnahmsweise entgegengehalten werden, dass es an jedem System oder sachlich einleuchtenden Grund für ein Einschreiten fehlt, sich das Einschreiten im konkreten Fall mithin als willkürlich darstellt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Anzahl der Nachbarbeschwerden oder der gerade vorherrschende politische Wille, sich nunmehr – in „ausgesuchten“ Fällen – an die eigene Satzung halten zu wollen, sind kein Ansatzpunkt für ein gleichheitssatzkonformes Konzept zum Einschreiten. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch einer Gemeinde auf Baubeseitigung von Einfriedungen, Willkürverbot, Planungshoheit, Bebauungsplan, Befreiung, Grundzüge der Planung, Konzept zum Einschreiten
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14747

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.  Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen  Kosten selbst.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten seitens der Klägerin gegen die auf den Grundstücken der jeweiligen Beigeladenen errichteten Zäune und Einfriedungen auf dem Stadtgebiet der Klägerin.
2
Die Beigeladenen zu 1) und 2) sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (…) auf dem Stadtgebiet der Klägerin, welches sie selbst bewohnen. Auf Grund einer von der Klägerin beantragten Baukontrolle durch das Landratsamt am 17. Dezember 2015 wurde festgestellt, dass an der südlichen und westlichen Grundstücksgrenze ein Stabmattenzaun mit einer Höhe von 1,80 m (südliche Grundstücksgrenze) und 2 m (westliche Grundstücksgrenze) ohne Befreiung errichtet wurde. Die Beigeladenen wurden zu einer beabsichtigten Beseitigungsanordnung mit Schreiben vom 9. März 2016 angehört. Mehrere von den Beigeladenen gestellte Anträge auf Befreiung wurden durch die Klägerin anscheinend abgelehnt. Ein förmlicher Ablehnungsbescheid ist nicht aktenkundig. Mit Email vom 16. Juli 2020 wandte sich die Klägerin an das Landratsamt und teilte u.a. mit, dass es zunehmend Unmut in der Bürgerschaft über die rechtswidrigen Einfriedungen gebe und dies deswegen mittlerweile im politischen Fokus stehe. Die Klägerin bat um Einschreiten u.a. gegen den Zaun der Beigeladenen. Die Beigeladenen wurden zuletzt mit Schreiben vom 4. Februar 2021 zu einer beabsichtigten Beseitigungsanordnung angehört. Ein Bescheid wurde in der Folge nicht erlassen.
3
Der Beigeladene zu 3) ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (…) auf dem Stadtgebiet der Klägerin, welches er selbst bewohnt. Mit Email vom 16. Januar 2020 informierte die Klägerin das Landratsamt u.a. über Bauarbeiten zur Errichtung eines Zaunes auf dem Grundstück des Beigeladenen zu 3) und beantragte die Einstellung dieser Bauarbeiten. Bei einer am 21. Januar 2020 durchgeführten Baukontrolle wurde die Errichtung eines 1,90 m hohen Stabmattenzauns festgestellt und die Bauarbeiten mündlich eingestellt. Der Zaun wurde in der Folge dennoch fertiggestellt. Mit Email vom 16. Juli 2020 wandte sich die Klägerin an das Landratsamt und teilte u.a. mit, dass es zunehmend Unmut in der Bürgerschaft über die rechtswidrigen Einfriedungen gebe und dies deswegen mittlerweile im politischen Fokus stehe. Die Klägerin bat um Einschreiten u.a. gegen den Zaun des Beigeladenen zu 3). Der Beigeladene zu 3) wurde mit Schreiben vom 4. Februar 2021 zu einer beabsichtigten Beseitigungsanordnung angehört. Ein Bescheid wurde in der Folge nicht erlassen.
4
Die Beigeladenen zu 4) und 5) sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (…) auf dem Stadtgebiet der Klägerin, welches sie selbst bewohnen. Mit Email vom 16. Januar 2020 informierte die Klägerin das Landratsamt über einen ohne Befreiung errichteten Zaun auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 4) und 5). Bei einer am 21. Januar 2020 durchgeführten Baukontrolle wurde festgestellt, dass ein 2 m hoher grenzständiger Sichtschutzzaun aus Holzlatten bzw. in Holzlattenoptik errichtet wurde. Mit Email vom 16. Juli 2020 wandte sich die Klägerin an das Landratsamt und teilte u.a. mit, dass es zunehmend Unmut in der Bürgerschaft über die rechtswidrigen Einfriedungen gebe und dies deswegen mittlerweile im politischen Fokus stehe. Die Klägerin bat um Einschreiten u.a. gegen den Zaun der Beigeladenen zu 4) und 5). Die Beigeladenen zu 4) und 5) wurden mit Schreiben vom 4. Februar 2021 zu einer beabsichtigten Beseitigungsanordnung angehört. Ein Bescheid wurde in der Folge nicht erlassen.
5
Die Beigeladenen zu 6) und 7) sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (…) auf dem Stadtgebiet der Klägerin, welches sie selbst bewohnen. Auf dem Grundstück wurde eine 1,90 m hohe Einfriedung grenzständig errichtet. Im Übrigen wurde analog zu den Beigeladenen zu 4) und 5) vorgegangen.
6
Der Beigeladene zu 8) ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (…) auf dem Stadtgebiet der Klägerin, welches er selbst bewohnt. Auf dem Grundstück wurde ein 1,80 m hoher Stabmattenzaun mit Verkleidung grenzständig errichtet. Im Übrigen wurde analog zu den Beigeladenen zu 4) und 5) vorgegangen.
7
Die Beigeladenen zu 9) und 10) sind mittlerweile Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (…) auf dem Stadtgebiet der Klägerin, welches sie selbst bewohnen. Auf dem Grundstück wurde ein 2,05 m hoher Sichtschutzzaun grenzständig errichtet. Im Übrigen wurde analog zu den Beigeladenen zu 4) und 5) vorgegangen.
8
Die Grundstücke der Beigeladenen zu 1) bis 7) und zu 9) bis 10) liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „…“. Das Grundstück des Beigeladenen zu 8) liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. . „…“. Beide Bebauungspläne und weitere hier nicht streitgegenständliche Bebauungspläne der Klägerin enthalten Festsetzungen zur zulässigen Höhe von Einfriedungen, die im Wesentlichen gleich sind.
9
Der Bebauungsplan Nr. … „…“ enthält folgende textliche Festsetzung in § 5 seines Satzungstextes:
„Auf den Baugrundstücken für Wohngebäude mit mehr als zwei Vollgeschossen sind Einfriedungen untersagt.
Die übrigen Baugrundstücke dürfen eingefriedet werden. Die Einfriedungen dürfen eine Gesamthöhe von einem Meter nicht übersteigen. (…) Es sind nur Holzzäune, entweder Jägerzäune oder Lattenzäune aus gehobelten Latten zulässig. Holzteile sind mit Imprägnierung einzulassen, Eisenteile mit einfarbigem Anstrich zu versehen. Die massiv auszuführenden Sockel sollen 20 cm hoch sein.
Ausnahmsweise können auch schmiedeeiserne Zäune bis zu einem Meter Gesamthöhe (Sockel massiv 20 cm) zugelassen werden.
Längs der Bundesbahneigentumsgrenze sind Einfriedungen zu errichten, die das Betreten von Bahngrund und das Überschreiten des Bahnkörpers verhindern. (…)“
10
Der Bebauungsplan Nr. . „…“ enthält folgende textliche Festsetzung:
„Einfriedungen dürfen eine Gesamthöhe von einem Meter nicht übersteigen. Sockel sind 20 cm hoch massiv zu errichten. Zaunmaterial Holz, ausnahmsweise Schmiedeeisen. Zulässig ist Naturlasierung oder einfarbiger Anstrich. Die Zäune sind ohne Felderteilung durchlaufend zu gestalten.
Einfriedungen sind nur an den Grundstücken der Ein- und Zweigeschosshäuser zulässig. Wohnanlagen mit höherer Bebauung müssen uneingefriedete Grünanlagen enthalten.
Längs der Bahneigentumsgrenze sind Einfriedungen zu errichten, die das Betreten von Bahngrund und das Überschreiten des Bahnkörpers verhindern. (…)“
11
Am 6. Dezember 2016 fand eine Besprechung zwischen Vertretern der Klägerin und Mitarbeitern des Landratsamtes über das Thema „illegaler Einfriedungen“ statt, wobei Anlass auch die Einfriedung auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) und 2) war. Im hierzu angefertigten Aktenvermerk des Landratsamtes vom 8. Dezember 2016 ist vermerkt, dass vereinbart worden sei, dass die Klägerin ein neues Konzept bezüglich der Einfriedungen erarbeite (Höhe, Art, Beschaffenheit, ggfs. Abstufungen) und dieses als „Sammeldeckblatt“ über sämtliche einschlägige Bebauungspläne lege. Sobald hierzu ein Beschluss im Stadtrat erfolgt sei, werde dieser dem Landratsamt umgehend übersandt. Die Weiterverfolgung der bisher vorliegenden Einfriedungen (u.a. der Beigeladenen zu 1) und 2)) werde deshalb bis zur Vorlage dieses Konzepts zurückgestellt.
12
Mit streitgegenständlichem Schreiben des Landratsamtes vom 12. September 2022, welches keine Rechtsbehelfsbelehrungenthielt, wandte sich das Landratsamt an die Stadtverwaltung der Klägerin.
13
In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass eine Gemeinde grundsätzlich ein Anspruch auf ermessensfehlerfrei Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten durch die Bauaufsichtsbehörde zukomme, wenn ein Bauwerk gegen seitens der Gemeinde im eigenen Wirkungskreis erlassenen baurechtlichen Satzungen verstoße. Aus Sicht des Landratsamtes bestehe kein Anspruch der Klägerin auf bauaufsichtliches Einschreiten seitens der Bauaufsichtsbehörde bezüglich der angezeigten Einfriedungen, da die Voraussetzungen für den Erlass einer Baubeseitigungsanordnung nach Art. 76 BayBO nicht vorlägen.
14
Unabhängig davon, dass aus Sicht des Landratsamtes die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 76 BayBO im Hinblick auf die angezeigten Fälle im Bebauungsplangebiet „…“ nicht vollumfänglich vorlägen, sehe sich das Landratsamt dafür nicht in der Lage, eine ermessensgerechte, am Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG orientierte Entscheidung über bauaufsichtliches Einschreiten zu treffen. Im Bereich des Bebauungsplans Nr. … „…“ befänden sich eine Vielzahl von Einfriedungen, die hinsichtlich der Höhe der Festsetzungen im Bebauungsplan widersprächen. Dies ergebe sich bereits aus den Äußerungen der Klägerin im Rahmen der Befreiungsverfahren als auch aus den seitens der Betroffenen im Rahmen des Anhörungsverfahrens vorgebrachten Einwänden gegen eine Beseitigung der Einfriedungen. Es sei davon auszugehen, dass die im Jahr 2016 stattgefundene Besprechung zwischen Gemeinde und Landratsamt dazu habe dienen sollen, dass sich die Klägerin grundsätzliche Gedanken darüber mache, welche Einfriedungen zulässig sein sollten und welche nicht, um dann ggfs. ein entsprechendes Sanierungskonzept zu entwerfen. Leider seien daraufhin dreieinhalb Jahre vergangen, ohne dass die Klägerin ein entsprechendes Konzept entworfen habe. Auch wenn es die genuine Aufgabe des Landratsamts sein werde, im Rahmen seines Beseitigungsermessens ein Sanierungskonzept zu erstellen, sei es dabei doch auf die Hilfe der Gemeinde angewiesen. Dies gelte umso mehr, als die Durchsetzung der Festsetzung im Bebauungsplan dazu diene, der Planungshoheit der Gemeinde Rechnung zu tragen (unter Verweis auf Rechtsprechung). Zwar könne sich die Bauaufsichtsbehörde auf ein Einschreiten gegenüber einzelnen Fällen beschränken, soweit hierfür wiederum sachliche Gründe vorlägen. Aus Sicht des Landratsamtes könne allein die Anzeige durch die Gemeinde einen solchen sachlichen Grund nicht darstellen. Dies zumal für das Landratsamt nicht erkennbar sei, anhand welcher Kriterien die Klägerin eine Auswahl getroffen habe, welche Einfriedungen zu einer Anzeige gebracht werden würden und welche nicht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bleibe die Forderung nach einem gleichheitsgemäßen Vorgehen auch bei einem Antrag der Gemeinde auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht außer Betracht (BayVGH, U.v. 30.7.1997 – 14 B 95.3645). Für den angezeigten Fall im Bebauungsplan Nr. . „…“ stelle sich aus Sicht des Landratsamtes die Situation ähnlich dar. Auch hier sei fraglich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 6 BayBO vorlägen oder ob nicht eine Legalisierung durch die Erteilung einer Befreiung möglich sei. Auf Grund der Vielzahl der erteilten Befreiungen spreche auch hier einiges dafür, dass durch eine weitere Befreiung von der Festsetzung bezüglich der Einfriedung eine Berührung der Grundzüge der Planung nicht mehr angenommen werden könne. Aus den Begründungen der im Jahre 2014 und 2016 erteilten Befreiungen (… und …) und der dazugehörigen Beschlussvorlage ergebe sich, dass die Klägerin eine Berührung der Grundzüge verneine, da bereits mehrere teils genehmigte, teils nicht genehmigte gleichgelagerte Fälle vorhanden seien. Inwiefern diese Begründung nicht auf den streitgegenständlichen Fall des Beigeladenen zu 8) übertragbar sei, erschließe sich nicht. Das Landratsamt bitte daher um Verständnis, dass aus seiner Sicht die rechtlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten bei den angezeigten Fällen nicht gegeben seien.
15
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 23. November 2022 – hier eingegangen am gleichen Tag – ließ die Klägerin Klage gegen das Schreiben des Landratsamtes erheben. Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 12. Januar 2023 zunächst vorgetragen, dass sich das Landratsamt weigere, sich als Bauaufsichtsbehörde gegen eindeutige Verstöße gegen örtliche Bauvorschriften (Festsetzungen in Bebauungsplänen) einzuschreiten. Das subjektive Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung werde damit in mehreren Fällen verletzt. Das Ermessen sei bei derartigen Sachverhalten auf Null reduziert. Die Beigeladenen hätten auf ihren Grundstücken im Stadtgebiet Einfriedungen entgegen den Festsetzungen der für den jeweiligen Bereich rechtswirksamen Bebauungsplänen errichtet und zeigten bisher keine Bereitschaft, einen rechtmäßigen Zustand herbeizuführen. Die Errichtung der Einfriedungen und damit die offenkundige Nichtbeachtung von Ortsrecht habe Unmut bei Anwohnern erregt und habe ein Tätigwerden kommunaler Vertreter herausgefordert. Die Verwaltung der Klägerin sei seit Jahren gegenüber der Bauaufsichtsbehörde bemüht, die Beschlusslage des zuständigen kommunalen Gremiums umzusetzen, um eine Einhaltung der Festsetzungen der Bebauungspläne zu erreichen.
16
Völlig verfehlt sei der Begründungsansatz des Beklagten, einem Einschreiten würde das Gebot der Gleichbehandlung entgegenstehen. Eine solche rechtliche Betrachtung könne nur ein Bestandteil eines Konzepts sein. Ein Konzept des Vorgehens im Rahmen des Einschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei allerdings nicht vorhanden bzw. nicht bekannt. Ein konzeptionelles Vorgehen könne z.B. darin bestehen, besonders markante Fälle herauszugreifen und einer Beseitigungsverfügung zuzuführen, damit ggfs. über eine gerichtliche Prüfung eine Entscheidungsgrundlage für andere Fälle gefunden werden könne. Ein konzeptionelles zulässiges Vorgehen könne auch darin bestehen, ab einem bestimmten Stichtag entstandene Anlagen entfernen zu lassen. Im Jahr 2016 habe die Bauaufsichtsbehörde die Möglichkeit eines konzeptionellen Vorgehens auf die Klägerin abgewälzt. Eine wirkliche Hilfestellung sei nicht erfolgt. Auf Grund der Beantragung behördlichen Einschreitens sei es nämlich bei der Bauaufsichtsbehörde gelegen, ein konzeptionelles Vorgehen vorzubereiten. Wie sich aus dem durch die Bauaufsichtsbehörde zur Verfügung gestellten Beiblatt zum Aktenvermerk vom 8. Dezember 2016 ersehen lasse, sei durch die Bauaufsichtsbehörde der Vorgang erst wieder am 14. August 2019 aufgegriffen und wohl gleichsam wieder mit dem Vermerk der Wiedervorlage in einem halben Jahr abgelegt worden. Spätestens im Januar 2020 habe die Bauaufsichtsbehörde davon ausgehen müssen, dass die Klägerin von der Planungshoheit durch Änderungsverfahren nicht Gebrauch gemacht habe und auch zukünftig dies nicht für erforderlich betrachte, Bebauungsplanänderungen durch Tekturen durchzuführen. Ausdrücklich sei im Januar 2020 das bauaufsichtliche Einschreiten erneut beantragt worden. Die Klägerin habe durch die nachdrückliche Beantragung des bauaufsichtlichen Einschreitens auch deutlich gemacht, dass keine Anhaltspunkte für eine Duldung der Verstöße vorlägen. Die Befreiungen seien im Einzelfall begründet. Somit könne sich schon denknotwendigerweise keine Verletzung des Gleichheitssatzes ergeben.
17
Mit Schriftsatz vom 23. November 2022 beantragt die Klägerin (sinngemäß):
1. Der Bescheid des Landratsamtes … vom 12. September 2022, Aktenzeichen …, wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, bauaufsichtlich mittels Anordnungen zur Beseitigung von planungswidrig errichteten Einfriedungen auf den Grundstücken FlNrn. …, …, …, …, … und … jeweils der Gemarkung … errichtet wurden, einzuschreiten.
Hilfsantrag:
Der Beklagte wird verpflichtet, nach Rechtsauffassung des Gerichts, bauaufsichtlich gegen planungswidrig errichte Einfriedungen, die auf den im Hauptantrag aufgeführten Grundstücken errichtet wurden, einzuschreiten.
18
Mit Schriftsatz vom 6. April 2022 beantragt der Beklagte:
die Klage abzuweisen.
19
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet sei. Ein Anspruch auf den Erlass der begehrten Beseitigungsverfügung bestehe nicht, da das Ermessen im vorliegenden Fall nicht auf Null reduziert sei. Soweit ein Anspruch auf erneute Entscheidung über das bauaufsichtliche Einschreiten enthalten sein solle, bestehe jener ebenfalls nicht, da diesem Anspruch durch die Entscheidung vom 12. September 2022 genüge getan sei und keine gerichtlich überprüfbaren Ermessensfehler vorlägen.
20
Mit weiterem Schriftsatz vom 9. August 2023 vertiefte die Klägerseite nochmals.
21
Die Beigeladenen äußerten sich im gerichtlichen Verfahren nicht.
22
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 10. April 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

23
Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet, da das Schreiben des Landratsamts rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erlass einer Baubeseitigungsanordnung oder wenigstens einer erneuten, ermessensfehlerfreien Entscheidung im Wege eines Verbescheidungsurteils nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
24
Die Klage ist unbegründet, da sich die Ablehnung eines Einschreitens im Schreiben des Landratsamts vom 12. September 2022 im hiesigen Einzelfall als ermessensgerecht darstellt.
25
1. Rechtsgrundlage für ein Einschreiten gegen eine bauliche Anlage auf Antrag einer Gemeinde sind vor allem die bauordnungsrechtlichen Eingriffsbefugnisse in Art. 54 Abs. 2 Satz 2, Art. 75 und Art. 76 BayBO. Dabei kommen regelmäßig vor allem Baueinstellungs- oder Baubeseitigungsanordnungen sowie Nutzungsuntersagungen in Betracht (BayVGH, U.v. 4.12.2014 – 15 B 12.1450 – juris Rn. 21). Wird ein Einschreiten von einer Standortgemeinde geltend gemacht, steht ihr jedenfalls dann auch ein subjektives Recht hierauf zu, wenn der von den bauordnungsrechtlichen Eingriffsregelungen der BayBO vorausgesetzte Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften die Planungshoheit der Gemeinde berührt (BVerwG, U.v. 12.12.1991 – 4 C 31/89 – juris Rn. 14 = NVwZ 1992, 878; BayVGH, U.v. 21.1.2004 – 26 B 02.873 – juris Rn. 30 f. = NVwZ-RR 2005, 56).
26
1.1 Nach diesen Grundsätzen ist jedenfalls der Tatbestand für den Erlass der hier angestrebten Beseitigungsanordnung erfüllt. Gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, beseitigen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Es ist zwischen allen Beteiligten unstreitig, dass die von den Beigeladenen jeweils errichteten Einfriedungen gegen die jeweiligen planerischen Festsetzungen zur Einfriedungshöhe verstoßen. Sowohl der Bebauungsplan Nr. … „…“ (bzgl. der Einfriedungen der Beigeladenen zu 1 bis 7 und 9 bis 10) und der Bebauungsplan Nr. . „…“ (bzgl. der Einfriedung des Beigeladenen zu 8) enthalten eine Höhenbegrenzung für Einfriedungen auf maximal 1,00 m und sämtliche streitgegenständliche Einfriedungen sind bedeutend höher. Ansätze für eine Funktionslosigkeit der Festsetzungen sind weder vorgetragen noch im Hinblick auf die strengen Voraussetzungen (BVerwG, B.v. 22.7.2010 – 4 B 22/10 – juris Rn. 9 ff. = BauR 2010, 2060; BayVGH, B.v. 26.7.2022 – 9 ZB 22.901 – juris Rn. 10) hierfür ersichtlich.
27
1.2 Im Gegensatz zur Meinung des Beklagten können auch nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden. Soweit damit die Möglichkeit einer isolierten Befreiung nach Art. 81 Abs. 2 BayBO i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB angesprochen ist, kommt eine Befreiung schon deswegen nicht in Betracht, als es sich bei den Festsetzungen zur Einfriedungshöhe offensichtlich um einen Grundzug der Planung handelt, von dem nur noch dann befreit werden könnte, wenn die Befreiung den Grundzug (ausnahmsweise) nicht berührt.
28
a) Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung bezeichnet das Gesetz die durch die Hauptziele der Planung bestimmte Grundkonzeption eines Bauleitplanes. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich jeweils nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Unter welchen Voraussetzungen die Grundzüge der Planung berührt werden, lässt sich dabei nicht allgemeingültig formulieren; maßgeblich ist die jeweilige Planungssituation (vgl. u.a. BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris). Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Dabei kommt es darauf an, ob die fragliche Festsetzung Bestandteil eines Planungskonzepts ist, das das gesamte Plangebiet oder maßgebliche Teile hiervon gleichsam quasi wie ein roter Faden durchzieht, so dass eine Abweichung zu weitreichenden Folgen führt, oder ob die einzelne Festsetzung entweder gewissermaßen „zufällig“ erfolgt ist oder aber – wird von ihr abgewichen – der damit verbundene Eingriff in das Planungsgefüge eingegrenzt, also quasi „isoliert“ werden kann (BayVGH, U.v. 19.10.1998 – 15 B 97.337 – juris). Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris; B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris; U.v. 18.11.2010 – 4 C 10/09 – juris). Mithin scheiden im Allgemeinen Abweichungen von Festsetzungen aus, die diese Grundkonzeption des Bebauungsplanes berühren. Aber auch Festsetzungen, die nicht für die Grundkonzeption maßgeblich sind, können die Grundzüge der Planung bestimmen, wenn ihnen nämlich ein spezifisches planerisches Konzept zugrunde liegt. Dies gilt auch für einzelne Festsetzungen. Denn auch sie können „die Planung tragende Festsetzungen“ sein (BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris). Entscheidend ist, dass der im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachte planerische Wille der Gemeinde auf eine bestimmte städtebauliche Ordnung gerichtet ist, die der Planung als Grundkonzept zugrunde liegt. Ist dies der Fall, handelt es sich um Grundzüge der Planung. Diese sind berührt, wenn bezogen auf diesen planerischen Willen derart vom Planinhalt abgewichen wird, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Mit anderen Worten muss eine Abweichung – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch das planerische Wollen noch gedeckt sein; es muss angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (vgl. etwa BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 15 B 08.2426 – juris). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung Spannungen hineinträgt oder erhöht, die nur durch eine Planung zu bewältigen sind (vgl. etwa BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 15 ZB 15.468 – juris). Ein Berühren der Grundzüge der Planung ist jedoch dann immer ausgeschlossen, wenn die tatsächliche Entwicklung im Baugebiet bereits so weit fortgeschritten ist, dass ein weiteres Abweichen von der Festsetzung im Vergleich zur bisherigen Entwicklung nicht mehr ins Gewicht fällt (BVerwG, U.v. 18.11.2020 – 4 C 10/09 – juris Rn. 39 m.w.N. = BVerwGE 138, 166).
29
bb) Die in Streit stehende Festsetzungen unter § 5 im Bebauungsplan Nr. … „…“ stellt ebenso wie die entsprechende textliche Festsetzung im Bebauungsplan Nr. . „…“ einen Grundzug der Planung dar, von dem im Regelfall nicht befreit werden darf. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Festsetzung für den jeweils gesamten Geltungsbereich der Bebauungspläne gilt und eben keine singuläre Entscheidung darstellt. Vielmehr durchzieht diese Festsetzung nicht nur die beiden streitgegenständlichen Bebauungspläne, sondern ausweislich der übersandten Akten der Klägerin hierzu beinhalten noch mindestens acht weitere Bebauungspläne der Klägerin eine im Wesentlichen identische Regelung zur Einfriedungshöhe. Es erscheint daher offensichtlich, dass die Regelungen Ausdruck eines Gesamtkonzepts sind, dass „offene Gartenbereiche“ in weiten Teilen des Stadtgebiets der Klägerin regeln soll. Es handelt sich daher bei den Einfriedungsregelungen um ein Planungskonzept im Sinne eines Grundzugs der Planung.
30
Diese Einschätzung wird auch nicht durch die in den Geltungsbereichen der gegenständlichen Bebauungspläne durch Landratsamt und Klägerin selbst erteilten Befreiungen in Frage gestellt. Es entspricht ständiger Meinung der Kammer, dass Grundzüge der Planung nicht durch eine Befreiungspraxis der Gemeinde, sondern anhand obiger Maßstäbe bestimmt werden (VG Ansbach U.v. 3.2.2022 – AN 3 K 20.01047 – juris Rn. 52 m.w.N.). Insofern dürften sich viele der hierzu von der Klägerin aber auch vom Landratsamt in der Vergangenheit erteilten Befreiungen als rechtswidrig darstellen, ohne dass dies hier zu vertiefen wäre. Will sich die Gemeinde jedenfalls von einem Grundzug der Planung lösen, so hat sie – worauf im Kern auch schon das Landratsamt im Verwaltungsverfahren völlig zu Recht hingewiesen hat – ihre Bebauungspläne dem tatsächlichen Willen anzupassen. Lehnt die Gemeinde dies – wie hier die Klägerin – ab, so bleibt sie an ihren Bebauungsplan gebunden und kann sich nicht über unzulässige Befreiungen oder zweifelhafte – mal so mal so – gehandhabte Duldungen rechtswidriger Zustände ihrer selbst gewählten Planungskonzeption entziehen.
31
Dass potentielle Befreiungen bei den sechs hier in Frage stehenden Einfriedungen die Grundzüge der Planung auch berühren, ist im Hinblick auf die Planungskonzeption einerseits und im Hinblick auf die in Frage stehenden Einfriedungen andererseits für die Kammer offenkundig. Schon was Länge und Höhe der Einfriedungen angeht, ist von einem Berühren des Konzepts „offene Gartenstruktur“ auszugehen. Die Beigeladenen wollen gerade eine offene Gartenstruktur durch ihre Einfriedungen verhindern. Auch im Hinblick auf die mittels allgemein zugänglicher Quellen feststellbaren, bereits im Plangebiet realisierten Verstöße (durch erteilte Befreiungen oder Schwarzbauten) fallen die sechs hier konkret Betroffenen Einfriedungen auch weiterhin ins Gewicht (BVerwG, U.v. 18.11.2010 – 4 C 10/09 – juris Rn. 39 = BVerwGE 138, 166), so dass auch mit Blick auf die tatsächliche Entwicklung im Baugebiet weiterhin von einem Berühren auszugehen ist.
32
2. Der Erlass einer Baubeseitigungsanordnung steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde (Art. 40 BayVwVfG). Das Gericht ist dabei auf die Überprüfung von Ermessensfehlern beschränkt (§ 114 Satz 1 VwGO).
33
2.1 Bei der Ermessensausübung über den Antrag einer betroffenen Gemeinde auf Einschreiten ist der besonderen Rechtstellung dieser – insbesondere ihrer Planungshoheit – Rechnung zu tragen (BVerwG, U.v. 12.12.1991 – 4 C 31/89 – juris Rn. 16 ff. = NVwZ 1992, 878; BayVGH, U.v. 21.1.2004 – 26 B 02.873 – juris Rn. 31 f. = NVwZ-RR 2005, 56; B.v. 3.11.2000 – 26 ZB 99.2309 – juris Rn. 15 m.w.N.). In der gemeindlichen Planungshoheit manifestieren sich gewichtige Gemeinwohlinteressen (BVerwG, a.a.O.; BayVGH a.a.O.).
34
Auch weil der Gemeinde nach Landesrecht die Befugnis fehlt, gegen rechtswidrige Zustände selber einzuschreiten, verdichtet sich die Ermessensausübung in solchen Fällen, so dass ein Antrag auf Einschreiten regelmäßig nur dann ermessensgerecht abgelehnt werden kann, wenn ein Einschreiten gegen die Anlage rechtlich unzulässig ist (BayVGH, B.v. 3.11.2000 – 26 ZB 99.2309 – juris Rn. 15 m.w.N.).
35
Nach diesen Grundsätzen ist im hiesigen Einzelfall davon auszugehen, dass einem Einschreiten durch den Beklagten gegen die Beigeladenen – jedenfalls in der von der Klägerin durch ihren Klageantrag bestimmten, selektiven Auswahl – rechtliche Hindernisse in Form des Gleichheitssatzes entgegenstehen.
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2.2 Art. 3 Abs. 1 GG verbürgt das allgemeine Willkürverbot, das bei jeder Ermessensausübung zu beachten ist. Einem behördlichen Einschreiten gegen rechtswidrige Zustände kann ausnahmsweise entgegengehalten werden, dass es an jedem System oder sachlich einleuchtenden Grund für ein Einschreiten fehlt, sich das Einschreiten im konkreten Fall mithin als willkürlich darstellt (BVerwG, B. v. 24.7.2014 – 4 B 34/14 – juris Rn. 4 = BauR 2014, 1923). Das Willkürverbot stellt allerdings nur eine äußerste Grenze zur Abwehr staatlicher Eingriffe dar, da stets zu bedenken ist, dass sich ein rechtsbrüchiger Bauherr nicht unter diesem „Deckmantel“ auf eine Gleichheit im Unrecht berufen kann. Ein sachlich tragfähiger Grund für ein unterschiedliches Vorgehen kann etwa eine plausibel gewählte „Stichtagslösung“ sein, wonach nur gegen nach diesem Stichtag errichtete Anlagen vorgegangen wird, um eine Verschlechterung der Situation zu vermeiden (BVerwG, v. 24.7.2014 a.a.O.). Ebenso ist ein vorrangiges Vorgehen gegen die aktuellsten Bausünder ein tragfähiger Grund, um der bei diesen neueren Vorhaben größeren negativen Vorbildwirkung entgegenzutreten (BayVGH, B. v. 7.6.2017 – 9 ZB 15.255 – juris Rn. 5). Eine pauschale zeitliche Grenze, bis wann gegen andere vergleichbare Fälle vorgegangen werden muss, gibt es dabei allerdings nicht (BayVGH, v.7.6.2017 a.a.O. Rn. 6). Genauso zulässig ist es für die Behörde – insbesondere in rechtlich streitigen Fällen – zunächst die Entscheidung des zuständigen Gerichts abzuwarten, um eine rechtlich gesicherte Basis für ein Einschreiten in vergleichbaren Fällen zu haben und quasi „Schritt für Schritt“ vorzugehen (BayVGH, U. v. 14.5.2021 – 1 B 19.2111 – juris Rn. 34). Schließlich ist ein Sanierungskonzept im Sinne obiger Ansätze dann schon nicht von Nöten, wenn in Einzelfällen aufgrund der geringen Anzahl oder Bedeutung ein unmittelbar zeitnahes Einschreiten nicht erforderlich erscheint (BayVGH, B. v. 19.2.2014 – 15 C 13.2483 – juris Rn. 19).
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a) Diese – aus Anfechtungsklagen der betroffenen Bauherren stammende – Rechtsprechung gilt im gleichen Maße auch bei dem hiesigen Verpflichtungsbegehren einer Gemeinde (VGH Kassel, B.v. 10.11.2004 – 9 UZ 1400/03 – juris Rn. 2 ff. = NVwZ-RR 2005, 275; vgl. auch BayVGH, B.v. 3.11.2000 – 26 ZB 99.2309 – juris Rn. 18; U.v. 30.7.1997 – 14 B 95.3645 = BayVBl 1998, 81). Das Willkürverbot hindert „spiegelbildlich zu einer Anfechtungsklage“ das Gericht daran, den Beklagten zum Erlass einer gleichheitswidrigen Beseitigungsanordnung zu verpflichten (vgl. zu einer an der Anfechtungsklage des Bauherrn beigeladenen Gemeinde BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5/99 – juris Rn. 35 = NVwZ 2000, 1048).
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b) Die Klägerin hat durch ihre Antragstellung aus einer Vielzahl von in den Plangebieten offensichtlich vorliegenden Verstößen gegen die Einfriedungsregelungen nur die sechs Einfriedungen der Beigeladenen herausgegriffen. Dabei sei darauf hingewiesen, dass selbst der Klägerin offensichtlich vergleichbare Fälle bekannt sind und diese von ihr – aus nicht näher bezeichneten Gründen – anscheinend nicht „verfolgt“ werden. Hierzu kann auf die Beschlussvorlage vom 28. Februar 2022 zu einer Befreiung vom Bebauungsplan „…“ für das nicht streitgegenständliche Grundstück … und die dort beschriebene Situation zu Sichtschutzzäunen entlang der … hingewiesen werden. Auch wurden vom Landratsamt im Rahmen des Klageverfahrens mehrere, teilweise im gleichen Straßengeviert wie einige Beigeladenengrundstücke liegende, nicht genehmigte Einfriedungen benannt (vgl. Schriftsatz des Landratsamts vom 6. April 2023). Ein Konzept zum Einschreiten behauptet die Klägerin nicht einmal, sondern stellt sich vielmehr auf den Standpunkt, dass die Erstellung nicht ihre Aufgabe und ein Konzept „möglich“ sei. Daran ist zwar grundsätzlich richtig, dass es primär Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde ist, für einen gesetzmäßigen Vollzug der ihr eingeräumten Befugnisse zu sorgen, allerdings verkennt die Klägerseite, dass sie die Bauaufsichtsbehörde gerade zum Einschreiten gegen sechs konkrete Einfriedungen verpflichten will. Stellt sich die Bauaufsichtsbehörde allerdings – wie hier – auf den Standpunkt, dass gegen die konkrete Auswahl an Schwarzbauten eben nicht nach einem nachvollziehbaren – mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbarenden – Konzept vorgegangen werden kann, so muss die Klägerin natürlich plausibilisieren, wieso ein Einschreiten gleichheitssatzkonform möglich sein soll. Kann sie dies nicht und drängt sich dem Gericht auch nichts dergleichen auf, dann ist die Ablehnung des Einschreitens ermessensgerecht, da das Gericht eine Behörde nicht zu einem gleichheitssatzwidrigen Handeln verpflichten kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Bauaufsichtsbehörde nach obiger Rechtsprechung nicht verpflichtet ist, gegen alle – dem Konzept unterfallenden – Schwarzbauten gleichzeitig vorzugehen. Die Behörde wird nach obiger Rechtsprechung nur von einer Pflicht zum gleichzeitigen Vorgehen, aber nicht von der Pflicht, jedem aus einer Vielzahl von Verstößen herausgesuchten Schwarzbau ein tragfähiges Konzept zugrundzulegen, befreit.
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Die Klägerin vermochte es jedenfalls – obwohl sowohl die ausgetauschten Schriftsätze als auch die konkrete Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hierzu Gelegenheit boten – nicht, eine mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbare Auswahlentscheidung der konkreten sechs Einfriedungen darzustellen. Gleichzeitig drängt sich auch dem Gericht hierzu nichts auf. Die Klägerseite beließ es bei allgemeinen Platzhaltern etwa dahingehend, dass eine Stichtagslösung „denkbar“ sei, ohne zu benennen, welcher Stichtag gewählt werden solle und inwiefern dann die hier konkret betroffenen sechs Einfriedungen diesem Stichtag unterfallen würden. Auch qualitative Kriterien für ein Konzept wurden nicht substantiiert genannt. Im Hinblick auf das widersprüchliche und nicht nachvollziehbare Verhalten, dass die Klägerin nicht nur im Rahmen der dokumentierten Befreiungen, sondern scheinbar auch im Rahmen dessen, welche Verstöße sie dulden will, an den Tag legt, lässt sich auf ihrer Seite auch keinerlei mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbarendes Konzept vermuten. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin offensichtlich in der Vergangenheit im Wege der Befreiung die eigene Planung sogar schon aufgegeben hatte (vgl. dazu Befreiungsbescheide der Klägerin vom 2. Juni und 9. Mai 2008), in anscheinend identischen Fällen – völlig entgegen dem Plankonzept – das Abschirmen von Gartenbereichen gegenüber der Straße mittels Sichtschutzzaun im Wege der Befreiung ermöglicht hat (vgl. Sitzungsprotokoll v. 19. Oktober 2004 zum Einvernehmen zum Befreiungsbescheid des Landratsamts vom 6. Dezember 2004) und in den Plangebieten sogar aktuell noch weiter isolierte Befreiungen von den nicht befreiungsfähigen Grundzügen der Planung erteilt (vgl. Akte „Erteilte Befreiungen). Dieser Eindruck verstärkt sich noch dadurch, dass die in der mündlichen Verhandlung anwesende Leiterin des Bauamts anführte, dass man das Bauamt verstehen müsse, da sich viele Nachbarn beschwerten und deswegen großer politischer Druck auf der Stadtverwaltung laste. Das Gericht will den für die Mitarbeiter erwachsenden Handlungsdruck nicht in Abrede stellen. Die Anzahl der Nachbarbeschwerden oder der gerade vorherrschende politische Wille, sich nunmehr – in „ausgesuchten“ Fällen – an die eigene Satzung halten zu wollen, sind kein Ansatzpunkt für ein gleichheitssatzkonformes Konzept.
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Die hier streitgegenständliche Ablehnung eines Einschreitens im Wege der Baubeseitigung durch das Landratsamt stellt sich – zumindest in der streitgegenständlichen Konstellation – als ermessensgerecht dar.
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3. Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladenen aufgrund mangelnder Antragstellung auf Klageabweisung in der Sache selber keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es auch nicht der Billigkeit, ihnen einen Kostenerstattungsanspruch zuzugestehen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.