Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 03.05.2024 – AN 14 K 22.01322
Titel:

Produktname "Herpimmun" als krankheitsbezogene Information über ein Lebensmittel

Normenketten:
VO (EU) Nr. 1169/2011 Art. 7 Abs 3, Art. 8 Abs. 1
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 1, Abs. 2
MarkenG § 8 Abs. 2 Nr. 13
VwGO § 121, § 173 S. 1
ZPO § 265 Abs. 2, § 325
Leitsätze:
1. Erfolgt nach Rechtshängigkeit der Übergang der Verantwortungsbereiche Marketing und Vertrieb für das streitgegenständliche Produkt, gebietet es die Prozessökonomie, dass ein Prozess ohne Wegfall der Klagebefugnis durch die bisherige Klägerin in gesetzlicher Prozessstandschaft fortgesetzt werden kann und die Rechtskraft des Urteils sich in diesem Fall auch auf die Rechtsnachfolgerin erstreckt.  (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus der punktuellen Privilegierung von Marken in Art. 1 Abs. 3 Health-Claims-Verordnung folgt keine noch weitergehende Privilegierung von Marken im besonders sensiblen Bereich krankheitsbezogener Angaben über Lebensmittel. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Durch die Eintragung einer Marke wird die Entscheidungen der spezialisierten Lebensmittelbehörden zur Einhaltung von Lebensmittelinformationsvorschriften nicht vorweggenommen.  (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
4. Art. 7 Abs. 3 LMIV ist lex specialis gegenüber den Regelungen zur Zulässigkeit gesundheitsbezogener Angaben in Art. 10  Health-Claims-Verordnung.  (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Produktname „Herpimmun“ als krankheitsbezogene Information über ein Lebensmittel, Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 3 VO (EU) Nr. 1169/2011 auf eingetragene Marken, Vorrang des Art. 7 Abs. 3 VO (EU) Nr. 1169/2011 vor der Health-Claims VO (EG) Nr. 1924/2006 Rechtsnachfolge in Pflicht nach Art. 8 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 nach Rechtshängigkeit, Nahrungsergänzungsmittel, Lebensmittelsicherheit, krankheitsbezogene Information, Produktname, Rechtsnachfolge, Untersagung, Markenregister, Durchschnittsverbraucher, LMIV
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.03.2025 – 20 ZB 24.1064
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14742

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Bescheids der Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV), der es ihr unter Zwangsgeldandrohung untersagt, das von ihr hergestellte Nahrungsergänzungsmittel „Herpimmun“ unter dem Produktnamen „Herpimmun“ in den Verkehr zu bringen.
2
Die Klägerin stellt in … verschiedene Nahrungsergänzungsmittel her, darunter das Produkt „Herpimmun“. Zunächst vertrieb die Klägerin, ursprünglich unter ihrer alten Firma „…“ das Produkt selbst. Inzwischen wird „Herpimmun“ durch die am 19. September 2023 ins Handelsregister eingetragene „…“ vertrieben und vermarktet.
3
Am 7. Juli 2021 wurde eine Probe des Produkts „Herpimmun“ durch die KBLV als Planprobe gezogen. Mit Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 11. August 2021 wurden diverse Aussagen auf der Produktverpackung sowie auf dem Internetauftritt … beanstandet. Bereits der Name des Produkts könne vor dem Hintergrund der Produktbewerbung aus Verbrauchersicht dahingehend verstanden werden, dass das vorliegende Produkt dazu geeignet wäre, das körpereigene Immunsystem bei einer akuten Herpes-Infektion zu unterstützen, bzw. dass dessen Einnahme gegen Herpes immun machen würde. Dabei wurden unter anderem Auslobungen angeführt, die die Einnahme des Produkts bei den ersten Anzeichen von „Lippenbläschen“ sowie als Vorbeugung gegen „rote Lippenbläschen“ nahelegten. Die KBLV bat die Klägerin diesbezüglich um Stellungnahme.
4
Mit Schreiben vom 24. August 2021 gab die Klägerin an, die beanstandeten krankheitsbezogenen Werbeaussagen – darunter alle mit Bezug auf Herpes oder Lippenbläschen – bereits entfernt zu haben. Die KBLV entgegnete mit Schreiben vom 8. September 2021, die vorgenommenen Änderungen würden nicht ausreichen. Beanstandet werde unter anderem weiterhin der Produktname.
5
Die Bevollmächtigte der Klägerin entgegnete mit Schreiben vom 24. September 2021, der Produktname „Herpimmun“ sei seit dem 21. Juni 2013 als nationale Marke in den Klassen 03, 05 registriert. Diese Marke stelle grundsätzlich ein Kunstwort dar, welches aus den beiden Begriffen „Herp“ und „Immun“ gebildet werde. Der Bestandteil „Immun“ habe Gesundheitsbezug. Die Marke „Herpimmun“ dürfe nach Art. 1 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1924/2006 (Health-Claims-VO, im Folgenden: HCVO) verwendet werden, wenn dieser in visuellem Zusammenhang eine nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe beigefügt werde, was durch die diversen zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben zu Zink auch entsprechend umgesetzt werde.
6
Mit E-Mail vom 17. Januar 2022 führte die KBLV aus, der Begriff „Herpimmun“ sei nicht unter dem Gesichtspunkt „zugelassener Health Claim“ beanstandet worden, sondern unter den Vorgaben der VO (EU) Nr. 1169/2011 (LebensmittelinformationsVO, im Folgenden: LMIV).
7
Mit E-Mail vom 24. Januar 2022 entgegnete die Bevollmächtigte der Klägerin, für die Beurteilung von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben seien die Vorschriften der HCVO als lex specialis vorrangig zu beachten. Der Anwendungsbereich der LMIV sei daher nicht eröffnet.
8
Laut auf Bitte der KBLV durch das LGL mit E-Mail vom 6. April 2022 abgegebener Einschätzung verstoße der Produktname „Herpimmun“ gegen das Verbot der krankheitsbezogenen Werbung im Sinne des Art. 7 Abs. 3 LMIV. Man gehe davon aus, dass auf Verbraucherseite bereits die Auffassung bestehe, dass die Aufnahme von Zink und Lysin gegen Lippenherpes wirke. Diese Auffassung mache sich das Produkt durch den Namensteil „Herp-“ zu eigen.
9
Die KBLV erließ am 10. Mai 2022 gegenüber der Klägerin den streitgegenständlichen Bescheid, welcher der Klägerin untersagt, das Produkt „Herpimmun“ mit dem Produktnamen „Herpimmun“ in Verkehr zu bringen (Ziff. I). Für den Fall, dass die Klägerin der Untersagung nicht oder nicht vollständig nachkommt, wird für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR angedroht (Ziff. II). Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen (Ziff. III); es wird eine Gebühr in Höhe von 1.197,62 EUR und Auslagen von 230,00 EUR (Gutachtenkosten) bzw. 3,45 EUR (Postzustellungsurkunde) festgesetzt.
10
Der Produktname sei nicht als nährwert- und gesundheitsbezogene Angabe einzustufen, sodass der Anwendungsbereich der HCVO nicht eröffnet sei. Gesundheitsbezogene Angaben seien zwar generell auch alle Angaben, die sich auf Krankheiten bezögen. Da jedoch krankheitsbezogene Angaben – mit Ausnahme der Angaben über das Risiko von Krankheiten – in der Regel unzulässig seien, bezögen sich die Vorschriften der HCVO nur auf gesundheitsbezogene Angaben, die weder direkt noch indirekt Krankheiten ansprächen, also von dem Verbot des Art. 7 Abs. 3 LMIV erfasst würden.
11
Bereits der Produktname „Herpimmun“ schreibe dem Produkt Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zu bzw. erwecke den Eindruck, diese Eigenschaften zu haben. Gemäß Art. 1 Abs. 1 LMIV seien unterschiedliche Erwartungen verschiedener Untergruppen der Bevölkerung zu berücksichtigen. Ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher, der aufgrund eigener Betroffenheit am Thema Herpes interessiert sei, verstehe den Produktnamen dahingehend, dass das Produkt dazu geeignet sei, das körpereigene Immunsystem bei einer akuten Herpes-Infektion zu unterstützen, bzw. dass dessen Einnahme gegen Herpes immun mache. Die im Online-Auftritt zum Produkt beigefügte Angabe „Heute eine Richtige Portion Zink für Zellen und Immunsystem“ ändere daran nichts und sei aus Verbrauchersicht weniger als „Erklärung“ des Produktnamens aufzufassen, sondern werde allenfalls als Werbeaussage im Sinne einer immununterstützenden Wirkung wahrgenommen. Zudem finde sich dieser Zusatz nicht auf der Verpackung selbst.
12
Ein milderes Mittel als das Verbot, das Produkt mit dieser Kennzeichnung in Verkehr zu bringen, sei nicht ersichtlich. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin sei für diese nicht mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Verlusten verbunden. Nach Abwägung aller Mittel und Umstände erscheine die Zwangsgeldandrohung als geeignetes Mittel, die Klägerin zur Erfüllung der angeordneten Verpflichtung anzuhalten. Es sei auch das Zwangsmittel, welches die Klägerin am wenigsten belaste.
13
Dagegen erhob die Klägerin durch Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten am 13. Mai 2022 Klage.
14
Die Marke „Herpimmun“ sei 2013 ohne Widerspruch ins Markenregister eingetragen worden. Wäre darin ein Verstoß gegen das für Lebensmittel geltende Krankheitswerbeverbot in Art. 7 Abs. 3, 4 LMIV gesehen worden, wäre die Marke aufgrund des Bestehens absoluter Schutzhindernisse gemäß § 8 Abs. 1, 2 Nr. 9 MarkenG schon nicht in die für Nahrungsergänzungsmittel und andere dosierte Lebensmittel relevante Klasse 05 eingetragen worden.
15
Ein Krankheitsbezug sei den Einzelbestandteilen nicht zu entnehmen. „Herp“ sei nicht gleichbedeutend mit „Herpes“ und auch keine allgemein anerkannte Abkürzung für Herpes. Herpes sei bereits als Wort so kurz, dass es nicht abgekürzt werde. Die Abkürzung HERP werde vielmehr unter anderem für ein ERlokalisiertes Protein, dessen Synthese durch den UPR (unfolded protein response) als Antwort auf die Akkumulation von fehlgefalteten Proteinen im ER (wohl endoplasmatischem Retikulum) induziert werde, verwendet. Darüber hinaus stehe „Herp“ international für „herpetology“; die Lehre und Kunde von den Tierklassen der Amphibien und Reptilien. Herp sei auch der Nachname von Hendrik Herp, einem flämischen Franziskaner und Autor mystischer Meditationsliteratur des 15. Jahrhunderts. Auch heute noch sei „Herp“ ein häufiger Nachname, auch in Deutschland. „Immun“ sei eine häufig verwendete Abkürzung für die Bezeichnung von Produkten, welche den Fokus auf die Unterstützung des normalen Immunsystems legten. Als solches werde es ubiquitär bei Nahrungsergänzungsmittel verwendet (einige Beispiele sind als Bilder beigefügt). Zurzeit seien weltweit allein 4.700 Marken mit der Bezeichnung „Immun“ im Markenregister für Klasse 05 (für Nahrungsergänzungsmittel) registriert.
16
Während aus der Fantasie-Bezeichnung „Herp“ allein weder ein Gesundheits-, noch ein Krankheitsbezug abgeleitet werden könne, dieser Begriff mithin neutral sei, ergebe sich ein Gesundheitsbezug erst aus der Bezeichnung „Immun“. Immun werde dabei aber durch die Beifügung der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angabe „mit Zink für das Immunsystem“ erklärt, sodass in diesem Zusammenhang eine Irreführung der Verbraucher über die Bedeutung der Markenbezeichnung ausgeschlossen sei.
17
Die eingetragene Marke „Herpimmun“ sei allein nach der Spezialvorschrift für Marken in Art. 1 Abs. 3 HCVO zu beurteilen. Selbst wenn man die Marke „Herpimmun“ als „krankheitsreduzierende Marke“ i.S.v. Art. 2 Abs. 2 Nr. 6 HCVO ansehe, falle diese damit immer noch in den Anwendungsbereich der HCVO und nicht in den der LMIV.
18
Es sei fraglich, ob eine kreative Marken- bzw. Fantasiebezeichnung wie „Herpimmun“ überhaupt unter den Begriff der „Information über Lebensmittel“ falle. Weiter stelle sich die Frage, ob Markenbezeichnungen überhaupt von der LMIV erfasst werden sollten, da diese insoweit nicht ausdrücklich in der LMIV erwähnt würden. Hätte der Gesetzgeber Markenbezeichnungen in den Schutz der LMIV übernehmen wollen, hätte er dies ebenso klargestellt wie im Fall der bereits zeitlich früher erlassenen gesetzlichen Spezialregelung der HCVO.
19
Bei einer Verbotsverfügung handele es sich um einen Dauerverwaltungsakt, für dessen Beurteilung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entscheidungserheblich sei. Aus diesem Grunde sei für die Beurteilung die aktuelle Präsentation des Produkts heranzuziehen. Im Internet werde mit „Heute Eine Richtige Portion Zink für Zellen und Immunsystem“ der Begriff „Herp“-Immun für den Verbraucher erläutert. Auf der Verpackung selbst sei der Begriff durch die zugelassene gesundheitsbezogene Angabe zu Zink/Immunsystem erklärt. Daraus ergebe sich für den Verbraucher klar und unmissverständlich, dass er es hier mit einem Produkt zu tun habe, welches sein Immunsystem positiv unterstützen könne.
20
Bei der Angabe „Nahrungsergänzungsmittel mit L-Lysin und Zink“ handele es sich um eine gesetzliche Pflichtangabe gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 NemV. Was im Übrigen in diversen Verbraucherratgebern zu Zink und Lysin geschrieben werde, sei der Klägerin nicht zuzurechnen, da diese darauf keinen Einfluss nehmen könne. Relevant sei hier insbesondere, dass die Klägerin weder in ihrem Internetauftritt noch auf der Produktverpackung selbst Aussagen in Bezug auf Herpes bzw. Lippenherpes treffe. Die Bezeichnung „Herpimmun“ werde insgesamt bereits durch den beigefügten „Zink-Immun-Claim“ erläutert.
21
Die Anordnung, das Produkt mit der Marke „Herpimmun“ nicht mehr in den Verkehr zu bringen, sei außerdem unverhältnismäßig. Denn damit werde direkt in die Verwendung der geschützten Marke selbst eingegriffen, deren wirtschaftliche Nutzung damit für die von der Klägerin vertriebenen Produkte unmöglich gemacht werde. Eine solche Situation habe der Gesetzgeber gerade vermeiden wollen, indem er für die als gesundheitsbezogene Angaben anzusehende Marken die Beifügung einer zugelassenen gesundheitsbezogenen Angabe genügen ließ. Das Produkt sei langjährig im Markt eingeführt. Dieses unter einer anderen Marke zu vertreiben, komme einer Produktneueinführung gleich, die weder veranlasst noch erforderlich sei.
22
Die Voraussetzungen für das angedrohte Zwangsgeld seien bereits nicht hinreichend bestimmt, da dieses für den Fall fällig werden solle, dass die Klägerin der Untersagung „nicht oder nicht vollständig“ nachkomme. Dabei bleibe insbesondere offen, wann ein solcher Fall des „nicht vollständigen Nachkommens“ vorliegen solle. Zudem sei das angedrohte Zwangsgeld auch unverhältnismäßig hoch. Die Klägerin lege einen Verkaufspreis pro Packung des Produktes von 20 Kapseln mit 10,95 EUR und von 60 Kapseln mit 28,95 EUR zugrunde. Für die Abgabe einer mit der beanstandeten Marke gekennzeichneten Packung mit 20 Kapseln werde damit ein Betrag als Zwangsgeld ausgelöst, welche diesen Verkaufspreis bereits um das 91-fache übersteige. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass der Beklagte den Betrag offenbar auch schon völlig unabhängig von der Anzahl an abgegebenen Packungseinheiten festsetzen und beitreiben wolle.
23
Die Klägerin beantragt,
Die Untersagungsverfügung mit Zwangsmittelandrohung vom 10. Mai 2022, Az: …, gerichtet an die Klägerin, zugestellt am 13. Mai 2022, aufzuheben.
24
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.
25
Der Produktname habe einen eindeutigen Krankheitsbezug, sodass der Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 3 LMIV eröffnet sei. Durch die gesetzliche Regelung solle der Gefahr begegnet werden, dass Lebensmittel als Arzneimittelersatz angesehen und ohne zureichende Aufklärung zur Selbstbehandlung eingesetzt würden. Eine Aussage sei demnach krankheitsbezogen, wenn sie dem angesprochenen Verbraucher direkt oder indirekt suggeriere, das Lebensmittel, für das geworben werde, könne zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit beitragen (KG, U.v. 4.11.2016 – 5 U 3/16).
26
Dass der Wortteil „Immun“ von einem durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher mit einem Krankheitsbezug bzw. einem effektiven Schutz vor einer Erkrankung verknüpft werde, trage die Klägerin selbst vor. Der Wortteil „Immun“ finde zwar bei diversen Produkten Verwendung, teilweise stellten diese Produkte aber Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke dar, für die naturgemäß andere Regelungen zum Krankheitsbezug gelten würden.
27
Zwar seien Markennamen nicht explizit im Anwendungsbereich der LMIV genannt. Unter den Begriff der Information könnten aber auch markenmäßige Kennzeichnungen, Grafiken und Abbildungen ebenso wie textliche Informationen fallen. Aus Erwägungsgrund 14 der LMIV gehe hervor, dass der Begriff der Information über Lebensmittel weit gefasst werden sollte. Die Rechtsprechung sehe keinen Anwendungsvorrang der HCVO, sondern ein Nebeneinander der beiden Verordnungen.
28
Der Produktname sei nicht als Fantasiebezeichnung einzustufen; andere Produkte der Klägerin seien gerade nicht mit Fantasiebezeichnungen gekennzeichnet, sondern entweder mit einem wertgebenden Bestandteil oder unter Angabe konkreter Organsysteme, die durch Einnahme des Lebensmittels beeinflusst werden sollen.
29
In der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2024 wies die Bevollmächtigte der Klägerin darauf hin, dass das streitgegenständliche Verbot zu einem vollständigen Verbot der eingetragenen Marke führe, was für die Klägerin ein erheblicher Eingriff sei.
30
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2024 verwiesen.

Entscheidungsgründe

31
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
A.
32
Die Klage ist zulässig als Anfechtungsklage gegen den für die Klägerin belastenden Bescheid vom 10. Mai 2022. Sie wurde insbesondere fristgemäß erhoben (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
33
Die Zulässigkeit der Klage ist nicht durch den nach Rechtshängigkeit erfolgten Übergang der Verantwortungsbereiche Marketing und Vertrieb für das Produkt „Herpimmun“ von der Klägerin auf die neu gegründete … berührt. Die … ist der Klägerin dadurch in die allgemeine Verantwortlichkeit für die Information über das Produkt „Herpimmun“ nachgefolgt, die den Lebensmittelunternehmer trifft, unter dessen Firma das Lebensmittel vermarktet wird, Art. 8 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 (LebensmittelinformationsVO, im Folgenden: LMIV). Die … ist der Klägerin dadurch auch im Rahmen des gegenständlichen Verwaltungsverfahrens in die Rechtsposition als Bescheidadressatin nachgefolgt (vgl. zur Rechtsnachfolge im Verwaltungsverfahren Geis in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 4. EL November 2023, VwVfG § 13 Rn. 38 ff.). Prozessual ist hierin ein Fall der Rechtsnachfolge nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 265 Abs. 2 ZPO zu sehen. Die Prozessökonomie gebietet, dass es auch im Rahmen einer Anfechtungsklage möglich ist, dass ein Prozess ohne Wegfall der Klagebefugnis durch die bisherige Klägerin in gesetzlicher Prozessstandschaft fortgesetzt werden kann (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 63 Rn. 14). Die Rechtskraft des Urteils erstreckt sich in diesem Fall auch auf die Rechtsnachfolgerin, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 325 Abs. 1 ZPO; § 121 Nr. 1 VwGO (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 121 Rn 43).
B.
34
Die Klage ist nicht begründet.
35
Zwar richtet sich die Klage gegen den Freistaat Bayern als Rechtsträger der Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GVVG) und damit gegen den richtigen Beklagten (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
36
Der angefochtene Bescheid ist allerdings in seinen Ziffern I, II und III rechtmäßig und verletzt die Rechtsnachfolgerin der Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
37
I. Die in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheides ausgesprochene Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „Herpimmun“ unter diesem Namen ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung ist Art. 138 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, Abs. 2 VO (EU) 2017/625.
38
1. Die KBLV war nach nationalem Recht für die Untersagungsverfügung zuständig (Art. 138 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Nr. 3 Buchst. a, b VO (EU) 2017/625). Die sachliche Zuständigkeit der KBLV folgt aus Art. 1 Abs. 2 Nr. 4, Art. 21 Abs. 1 Satz 1, Art. 5a Abs. 1 GDVG a.F. i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e GesVSV a.F.: Es ist unbestritten, dass die Zuständigkeit der KBLV durch nicht angefochtenen Bescheid 2017 festgestellt wurde. Es erscheint plausibel und wurde ebenfalls nicht angezweifelt, dass die Klägerin den in Tabelle 2 der Anlage 2 zur GesVSV a.F. angeführten Referenzwert in Bezug auf die Produktion von Nahrungsergänzungsmitteln im Durchschnitt der letzten drei Kalenderjahre vor Bescheiderlass erreichte. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG, § 9 Abs. 2 GesVSV.
39
Die Klägerin wurde mehrfach vor Erlass des Bescheids zur geplanten Untersagung der streitgegenständlichen Bezeichnung „Herpimmun“ angehört (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG).
40
2. Der Tatbestand des Art. 138 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, Abs. 2 VO (EU) 2017/625 ist vorliegend erfüllt. Denn das Inverkehrbringen des gegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels unter dem Namen „Herpimmun“ verstößt gegen Art. 7 Abs. 3 LMIV.
41
a) Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist die LMIV auf Marken anwendbar; das MarkenG genießt keine vorrangige Anwendung. Aus der punktuellen Privilegierung von Marken in Art. 1 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1924/2006 („Health-Claims-VO“, im Folgenden HCVO) folgt keineswegs eine noch weitergehende Privilegierung von Marken (also anders als im Rahmen der HCVO ein gänzlicher Ausschluss von Regelungen der LMIV) im besonders sensiblen Bereich krankheitsbezogener Angaben über Lebensmittel. Hierfür lassen sich aus der LMIV und ihren Erwägungsgründen keinerlei Anhaltspunkte ableiten.
42
b) Auch steht die Eintragung der Marke „Herpimmun“ im Markenregister nicht der vorliegenden lebensmittelrechtlichen Untersagungsverfügung entgegen.
43
Das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) prüft nach der Anmeldung einer Marke, ob absolute Schutzhindernisse der Eintragung entgegenstehen, §§ 33 Abs. 2 Satz 2, 37 Abs. 1 MarkenG. § 8 Abs. 2 Nr. 13 MarkenG schließt Marken von der Eintragung aus, deren Benutzung „ersichtlich“ nach sonstigen Vorschriften im öffentlichen Interesse untersagt werden kann.
44
§ 8 Abs. 2 Nr. 13 MarkenG transportiert gerade Kennzeichnungsverbote des Lebensmittelrechts in das Registerrecht (vgl. Schoene in BeckOK MarkenR, 37. Ed. Stand: 1.7.2023, MarkenG § 8 Rn. 921), sodass auch ein „ersichtlicher“ Verstoß gegen die LMIV ein Eintragungshindernis darstellen kann. Die Entscheidung über die Eintragungsfähigkeit zieht auch eine Tatbestandswirkung über die Eintragungsfähigkeit der Marke nach sich, an die DPMA, Bundespatentgericht und ordentliche Gerichte gebunden sind (vgl. Fezer/Bingener in Fezer, MarkenR, 5. Aufl. 2023, MarkenG § 37 Rn. 34). Daraus lässt sich aber keine Tatbestandswirkung ableiten in Bezug auf das Nichtvorliegen von Verstößen gegen alle denkbaren Normen, aus denen ein Eintragungshindernis folgen kann. Das DPMA nimmt nicht durch die Eintragung einer Marke Entscheidungen der spezialisierten Lebensmittelbehörden zur Einhaltung von Lebensmittelinformationsvorschriften vorweg. Die (zwischenzeitliche) Eintragung eines Produktnamens als Marke darf nicht zu einer Umgehung von Lebensmittelinformationsvorschriften führen (in diese Richtung OVG Magdeburg, B.v. 8.10.2018 – 3 L 358/17 – juris Rn. 89).
45
Ohnehin liegt nach Auffassung des Gerichts kein ausreichend „ersichtlicher“ Verstoß gegen die LMIV i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 13 MarkenG vor, sodass hier auch kein absolutes Eintragungshindernis vorlag.
46
c) Der Produktname „Herpimmun“ stellt eine Information über ein Lebensmittel dar, die dem Produkt i.S.d. Art. 7 Abs. 3 LMIV Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung und Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreibt.
47
aa) Das Produkt „Herpimmun“ ist unstreitig ein Nahrungsergänzungsmittel i.S.d. § 1 Abs. 1 NemV und damit ein Lebensmittel i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a LMIV i.V.m. Art. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 (vgl. Rathke in Sosnitza/Meisterernst, LebensmittelR, Stand: 188. EL November 2023, EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 2 Rn. 88).
48
bb) Im Produktnamen „Herpimmun“ ist eine Information über ein Lebensmittel i.S.d. Art. 7 Abs. 3 LMIV zu sehen.
49
Die LMIV selbst definiert den Begriff zirkulär als „jede Information, die ein Lebensmittel betrifft und dem Endverbraucher durch ein Etikett, sonstiges Begleitmaterial oder in anderer Form, einschließlich über moderne technologische Mittel oder mündlich, zur Verfügung gestellt wird“ (Art. 2 Abs. 2 Buchst. a LMIV). Erwägungsgrund 14 der LMIV legt ein weites Verständnis des Begriffs nahe. Das Gericht versteht vor diesem Hintergrund als Information über Lebensmittel jedwede Kommunikation gegenüber Endverbrauchern, die sich im weitesten Sinne auf Lebensmittel bezieht. Neben Grafiken und Abbildungen können auch markenmäßige Kennzeichnungen unter den Begriff der Information fallen (vgl. Meisterernst in Sosnitza/Meisterernst, LebensmittelR, Stand: 188. EL November 2023, LMIV Art. 2 Rn. 50).
50
Der Produktname „Herpimmun“ hat in diesem Sinne einen auf das Lebensmittel bezogenen, kommunikativen Wert gegenüber dem Endverbraucher. Der Name eines Lebensmittelprodukts, typischerweise auffällig auf der Verpackung präsentiert, ist neben der Verpackung an sich die erste und oftmals entscheidende Gelegenheit, dem Endverbraucher die Einordnung eines Produkts zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel, die sich in der Form bzw. im Format der Verpackung nicht wesentlich unterscheiden. Der Produktname „Herpimmun“ kommuniziert in diesem Sinne gegenüber dem Endverbraucher bereits durch den Bestandteil „immun“, dass es sich um ein Produkt jedenfalls mit Gesundheitsbezug handelt (zum Krankheitsbezug des Produktnamens sogleich).
51
cc) Im gegebenen Kontext stellt der Produktname „Herpimmun“ nach Überzeugung des Gerichts i.S.d. Art. 7 Abs. 3 LMIV unter Berücksichtigung der Aufmachung des Produkts (Art. 7 Abs. 4 Buchst. b LMIV) im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine krankheitsbezogene Information über das zunächst unter der Firma der Klägerin in den Verkehr gebrachte Lebensmittel dar.
52
Maßstab für die Bewertung, ob Informationen über ein Lebensmittel zu einem „Zuschreiben“ von Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung und Heilung einer menschlichen Krankheit i.S.d. Art. 7 Abs. 3 LMIV führen, ist das Verständnis des verständigen Durchschnittsverbrauchers. Dabei ist auf den Gesamtzusammenhang bzw. die Gesamtaufmachung abzustellen, wofür neben der eigentlichen Aussage auch die sonstigen Informationen, die Verpackung, die Art des Produkts etc. relevant sind (vgl. Sosnitza in Sosnitza/Meisterernst LebensmittelR, 188. EL November 2023, LMIV Art. 7 Rn. 390 m.w.N.).
53
Die Verbindung der Wortteile „Herp“ und „immun“ bewirkt, dass bereits der Produktname dem so bezeichneten Produkt aus der maßgeblichen Sicht des verständigen Durchschnittsverbrauchers Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung und Heilung der menschlichen Krankheit Herpes zuschreibt. Dies gilt unverändert auch nach Löschung und ohne Berücksichtigung derjenigen Auslobungen auf der Webseite der Klägerin, die ausdrücklich einen Zusammenhang des Produkts mit der Lippengesundheit herstellten.
54
Der Produktname ruft bereits unabhängig von Vorkenntnissen in Bezug auf Herpeserkrankungen bzw. unabhängig von einer Betroffenheit beim verständigen Durchschnittsverbraucher eine eindeutige Verbindung mit der allgemein bekannten Krankheit Herpes hervor. Die Argumentation der Klägerin, beim Produktnamen „Herpimmun“ handele es sich angesichts des im Kontext bedeutungslosen Wortbestandteils „Herp“ insgesamt um eine Fantasiebezeichnung, verfängt nicht. Das Vorbringen, „Herp“ rufe Assoziationen mit der Reptilien- und Amphibienkunde, mit Proteinen, mit einem flämischen Mönch oder mit einem Nachnamen hervor, entbehrt jeder Grundlage. Diese von der Klägerseite angeführten, alternativen Assoziationen von „Herp“ unterstreichen geradezu durch ihre Abwegigkeit, dass die Silbe „Herp“ im deutschsprachigen Raum nur im Zusammenhang mit dem Wort Herpes eine signifikante Verwendung findet. Dass es keine gängige Abkürzung für Herpes gibt, bedeutet nicht, dass die Verkürzung auf „Herp“ aus Verbrauchersicht die Assoziation mit Herpes entfallen ließe. Der bekannte Markenname „Grippostad“ (vgl. https://www.grippostad.de/) lässt in diesem Sinne beispielsweise keine Zweifel offen, welche Wirkung vom so bezeichneten Medikament versprochen wird.
55
Verbraucher sind im Werbealltag ständig mit Neologismen konfrontiert und auch vom verständigen Durchschnittsverbraucher ist zu erwarten, dass er die zwei Teile einer Wortneuschöpfung zueinander in Beziehung setzt und naheliegende Rückschlüsse zieht. Die Verknüpfung von „Herp“ mit „immun“ lässt den naheliegenden Schluss zu, dass das so bezeichnete Produkt sich eine medizinische Wirkung gegen Herpes zuschreibt. Nahrungsergänzungsmittel sind zwar Lebensmittel, Verbraucher nehmen sie aber mit dem Ziel ein, eine durch die reguläre Nahrungszufuhr nicht ausreichende Versorgung mit Nährstoffen oder sonstigen Stoffen zu ergänzen. Dies soll selbstredend der Gesundheit zuträglich sein. Folglich sind Verbraucher im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel besonders für gesundheitsbezogene Angaben und Auslobungen in Bezug auf ein Produkt empfänglich (und gefährdet), gerade auch bei Angaben und Informationen, welche die Schwelle zum Krankheitsbezug überschreiten. Der zweite Wortteil „immun“ – dessen grundsätzlicher Gesundheitsbezug auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt wird – ist entscheidend für die krankheitsbezogene Aussage des gesamten Produktnamens. Denn dadurch wird – auch wenn angesichts der ubiquitären Nutzung des Begriffs „immun“ wohl auch im Bereich der Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel aus Verbrauchersicht keine echte, medizinische Immunität im Sinne eines absoluten Schutzes zu erwarten ist – eine deutliche Assoziation mit Vorbeugung, Behandlung und Heilung hervorgerufen. Der Wortteil „immun“ erlaubt gerade dann den Schluss auf einen Krankheitsbezug des ersten Wortteils, wenn sich, wie hier, aus dem natürlichen Wortverständnis so ein Schluss aufdrängt. Vor diesem Hintergrund ist das Verständnis, dass sich „Herp“ auf „Herpes“ bezieht, das einzig naheliegende, das auch aus Verbrauchersicht Sinn ergibt.
56
Die Wirkung auf den Verbraucher ist auch eine deutlich andere, als wenn der Produktname die enthaltenen Stoffe in den Vordergrund stellte und Zinkimmun oder Lysinimmun hieße. Es liegt nahe, dass die Klägerin seit der Produkteinführung vom Krankheitsbezug des Produktnamens profitieren und sich nicht lediglich darauf verlassen möchte, dass Verbraucher den Stoffen Zink und Immun bestimmte Wirkungen zuschreiben. Der Produktname „Herpimmun“ zeigt gerade im Vergleich zu den in der Klagebegründung vorgelegten Produktnamen (etwa „Aspecton Immun“, „Rotbäckchen Vital Immun“, „Mivolis Immun Komplex“, „Abtei Immun Kraft Vitamin-Vital-Komplex“) eine deutliche, maßgeblich durch den Wortteil „Herp“ mitbestimmte Aussagekraft.
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Die Angabe auf der Produktverpackung, es handele sich um ein „Nahrungsergänzungsmittel mit Zink für das Immunsystem sowie der Aminosäure L-Lysin“, sowie der Slogan „HEUTE EINE [sic!] RICHTIGER PUSH FÜR DAS IMMUNSYSTEM“ nebst Erläuterungen zu den im Produkt enthaltenen Stoffen Zink und L-Lysin auf der Webseite der Rechtsnachfolgerin der Klägerin (vgl. https://www. …nahrungsergaenzungsmittel/herpimmun/, aufgerufen am 7.5.2024) beseitigen nicht den Krankheitsbezug des Produktnamens. Zum einen fehlen auf der Produktverpackung die erklärenden gesundheitsbezogenen Angaben zu Zink: Einem durchschnittlichen Verbraucher, der lediglich die Produktverpackung sieht, wird durch den bloßen Hinweis auf „Zink für das Immunsystem“ und die „Aminosäure L-Lysin“ keine Grundlage gegeben, um vom krankheitsbezogenen Verständnis des Produktnamens abzurücken. Aber selbst wenn die Hinweise auf der Webseite für alle Verbraucher einsehbar wären, wäre der aus Verbrauchersicht klare Bezug zu Herpes, der sich aus dem Produktnamen ergibt, nicht beseitigt. Selbst bei Kenntnis der Webseite ist fernliegend, dass ein Verbraucher die Anfangsbuchstaben der ersten vier Worte des Slogans („HEUTE EINE RICHTIGER PUSH FÜR DAS IMMUNSYSTEM“) als Erklärung für, geschweige denn als Ursprung des Produktnamens auffassen könnte, zumal dort keinerlei Hervorhebung der Anfangsbuchstaben erfolgt.
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Art. 1 Abs. 1 LMIV hält fest, dass unterschiedliche Erwartungen und unterschiedliche Informationsbedürfnisse der Verbraucher zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der signifikanten Gruppe von Verbrauchern, die von Herpes betroffen sind, weckt die Kombination aus dem Produktnamen mit Angaben zum enthaltenen Zink (und in geringerem Umfang zum enthaltenen Lysin) noch deutlichere Assoziationen zur Krankheit Herpes. Denn Zink wird – insbesondere auch in Form von Salben – häufig als Hilfsmittel gegen Herpes genannt (vgl. etwa https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Ernaehrung-gegen-Herpes,herpes114.html; https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Herpes-an-Lippen-oder-Nase-richtig-behandeln,lippenherpes106.html; https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_77371530/zinksalbe-gegen-herpes-hilft-sie-wirklich-.html; https://www.stern.de/gesundheit/was-hilft-gegen-herpes-schnelle-und-hilfreiche-tipps-9155538.html, alle abgerufen am 7.5.2024). Das Vorbringen der Klägerin, diese Assoziationen könnten der Klägerin nicht „zugerechnet“ werden, geht fehl. Bereits bestehende Erwartungen und Assoziationen von Verbrauchern tragen selbstverständlich zum gerade maßgeblichen Gehalt einer Information aus Verbrauchersicht bei.
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Art. 7 Abs. 3 LMIV begegnet der Gefahr, dass Lebensmittel als Arzneimittelersatz angesehen und ohne hinreichende Aufklärung zur Selbstbehandlung eingesetzt werden (vgl. OLG Celle, U.v. 1.7.2021 – 13 U 21/20 – juris Rn. 141). Dass diese Gefahr im Falle „Herpimmuns“ gerade für von Herpes Betroffene besteht, belegen exemplarisch die auf der Online-Verkaufsplattform ... auffindbaren Rezensionen vom 15. März 2021 (Überschrift: „Das einzige das hilft!“), 4. Oktober 2021 (Überschrift: „Herpes heilt schneller.“), 16. Juni 2022 (Überschrift: „Die Wunderwaffe gegen Herpes“) und 25. Dezember 2022 (Überschrift: „Regelmäßige Anwendung und es hilft“), die dem Nahrungsergänzungsmittel allesamt eine aktive – dadurch eben krankheitsbezogene – Wirkung gegen Herpes zuschreiben (vgl. Rezensionen zum Produkt „… Herpimmun Kapseln, 60 St. Kapseln“ sowie Rezension zum Produkt „… Herpimmun Kapseln 20 St“ auf www.....de, jeweils zuletzt aufgerufen am 7.5.2024). Folglich wird der von der Klägerin bestrittene Krankheitsbezug offenbar auch in der Realität von Verbrauchern gesehen.
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dd) Es liegt damit ein im Entscheidungszeitpunkt andauernder Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 LMIV vor.
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d) Art. 7 Abs. 3 LMIV ist lex specialis gegenüber den Regelungen zur Zulässigkeit gesundheitsbezogener Angaben in Art. 10 HCVO. Krankheitsbezogene Angaben stellen logisch einen Unterfall der gesundheitsbezogenen Angaben dar; Krankheiten sind als Störungen der Gesundheit zwangsläufig auch mit Gesundheit verbunden. Da jedoch krankheitsbezogene Angaben in der Regel unzulässig sind, beziehen sich die Vorschriften der HCVO nur auf gesundheitsbezogene Angaben, die weder direkt noch indirekt Krankheiten ansprechen; solche sind vielmehr bereits vom Verbot des Art. 7 Abs. 3 LMIV erfasst (vgl. Rathke/Hahn in Sosnitza/Meisterernst, LebensmittelR, Stand: 188. EL November 2023, VO (EG) 1924/2006 Art. 2 Rn. 43). Der vorliegende Sachverhalt ist demnach nicht zusätzlich oder alternativ nach den Vorschriften der HCVO zu beurteilen.
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3. Nach Art. 138 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 VO (EU) 2017/625 ergreift die Behörde geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Verstoß beendet wird und dass erneute Verstöße dieser Art verhindert und die relevanten Vorschriften eingehalten werden.
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Art. 138 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, Abs. 2 VO (EU) 2017/625 erlaubt das Ergreifen von Maßnahmen gegen den betreffenden Lebensmittelunternehmer i.S.d. Art. 3 Nr. 29 VO (EU) 2017/625, d.h. die natürliche oder juristische Person, für die die betreffende Pflicht nach Art. 1 Abs. 2 VO (EU) 2017/625 gilt – hier die Pflicht zur Einhaltung von Verbraucherinformationsvorschriften, Art. 1 Abs. 2 Buchst. a VO (EU) 2017/625. Wie bereits dargelegt, ging die Verantwortlichkeit für die Information über das Produkt „Herpimmun“ von der Klägerin auf die neu gegründete „…“ über, unter deren Namen nunmehr das Produkt vermarktet wird (Art. 8 Abs. 1 LMIV). Dieser Umstand lässt die Rechtmäßigkeit des ursprünglich gegenüber der Klägerin ergangenen Verwaltungsakts unberührt; Adressatin der Maßnahme ist richtigerweise die bei Bescheiderlass für die Vermarktung des Lebensmittels zuständige und damit nach Art. 8 Abs. 1 LMIV verantwortliche Klägerin.
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Nach dem Wortlaut der Vorschrift („ergreift… geeignete Maßnahmen“) besteht kein Entschließungsermessen der Behörde. Es besteht aber ein auf die ergriffene Maßnahme bezogenes Auswahlermessen. Ermessensfehler der KBLV sind in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich. Auch ist die getroffene Maßnahme, die Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „Herpimmun“ unter diesem Namen, verhältnismäßig. Die Untersagung ist insbesondere erforderlich; es ist kein milderes Mittel ersichtlich, um den Verstoß abzustellen, als das Untersagen des Inverkehrbringens des Produkts lediglich unter dem derzeitigen Verkaufsnamen. Die Maßnahme ist auch unter Berücksichtigung des Eingriffs in die Rechte der Klägerin (bzw. ihrer Rechtsnachfolgerin) angemessen. Es ist nicht zu verkennen, dass die Maßnahme einen gewichtigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Rechtsnachfolgerin der Klägerin darstellt. Ihr wird die Möglichkeit genommen, ein am Markt etabliertes Produkt unter dem etablierten Markennamen zu verkaufen. Bei der zu erwartenden Änderung des Produktnamens fallen nicht nur unmittelbar Kosten für ein neues Design und eine Neuetikettierung an, es ist auch damit zu rechnen, dass auf eine Umbenennung gewisse Umsatzeinbußen folgen, weil der neue Name des Produkts am Markt weniger bekannt ist. Gleichzeitig bleibt aber der Verkauf des in seiner Zusammensetzung nicht beanstandeten Produkts möglich. Jedenfalls ein bloß auf die Unbekanntheit des neu benannten Produkts zurückzuführender Umsatzrückgang dürfte temporärer Natur sein. Vor allem entscheidend ist das große Gewicht, das der Verbraucherinformationsvorschrift des Art. 7 Abs. 3 LMIV beizumessen ist, gerade auch im konkreten Fall. Es besteht die Gefahr, dass Verbraucher anstatt zu Medikamenten zu „Herpimmun“ greifen, um gegen Herpes vorzubeugen oder ihre Herpes-Erkrankungen zu behandeln (vgl. zu den Behandlungsmöglichkeiten für Herpes https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Herpes-an-Lippen-oder-Nase-richtig-behandeln,lippenherpes106.html, aufgerufen am 7.5.2024). Diese Gefahr ist, wie oben ausgeführt, maßgeblich auf den untersagten Produktnamen zurückzuführen. Daher überwiegt vorliegend der elementar wichtige Gesundheitsschutz der Verbraucher gegenüber den wirtschaftlichen Auswirkungen der gegenständlichen Maßnahme.
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II. Auch die Zwangsgeldandrohung in Ziffer II des Bescheids ist aus Sicht des Gerichts nicht zu beanstanden.
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Es bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Vollstreckungsandrohung. Der Formulierung, ein Zwangsgeld werde fällig, wenn die Klägerin der Untersagung „nicht oder nicht vollständig nachkommt“, ist unzweideutig zu entnehmen, dass ein wie auch immer geartetes Inverkehrbringen des Produkts „Herpimmun“ unter diesem Namen zu einem Zwangsgeld führt.
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Das angedrohte Zwangsgeld bewegt sich in seiner Höhe von 1.000 EUR pro Verstoß innerhalb des gesetzlichen Rahmens (vgl. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG) und wurde, gemessen am nach pflichtgemäßem Ermessen zu schätzenden wirtschaftlichen Interesse der Klägerin am Verkauf des Produkts unter dem bestehenden Namen, ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig festgesetzt. Das wirtschaftliche Interesse wird entgegen dem klägerischen Vorbringen durch das ganze Verkaufsvolumen des Produkts bestimmt, der Wert einer einzelnen Packung „Herpimmun“ ist nicht entscheidend. Ein Unternehmen hat nicht ein geringeres Interesse am Absatz einer großen Menge eines vergleichsweise billigen Produkts als am Absatz einer kleineren Menge eines vergleichsweise teuren Produkts.
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III. Die im streitgegenständlichen Bescheid unter Ziffer III getroffene Kostenentscheidung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 KostG bzw. Art. 2 Abs. 3, Art. 10 KostG die Gebühren sowie die Auslagen zu tragen. Die Gebührenhöhe von 1.197,62 EUR ist von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 KostG i.V.m. Lfd. Nr. 7.IX/11/5.8 der Anlage zum Kostenverzeichnis, der einen Rahmen von 25 bis 10.000 EUR vorsieht, gedeckt. Die Gebühr ist angesichts der Komplexität des Sachverhalts und des damit verbundenen Aufwands angemessen. Auslagen inkludieren nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 KostG die anderen Behörden zustehenden Beträge. Nach § 6 GGebV i.V.m. Ziff. 1.1.3 der Anlage zur GGebV bewegen sich 230 EUR für ein ausführliches Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit im vorgegebenen Rahmen. Die Kosten für Postzustellungsaufträge gehören nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 2 KostG ebenfalls zu den Auslagen.
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IV. Damit ist die Klage vollumfänglich abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.