Titel:
Versammlungsrechtliche Beschränkung - Parole „Vom Fluss bis zum Meer“
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1
StGB § 86, § 86a
VereinsG § 20
Leitsätze:
1. Die Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea“ und entsprechender Wortkombinationen folgt nicht ohne Weiteres aus dem Umstand, dass die Parole „From the river to the sea“ in die Kennzeichenliste der die HAMAS betreffenden Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 2.11.2023 (BAnz AT 2.11.2023 B10) aufgenommen wurde. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Strafbarkeit der Formulierung „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river to the sea“ kommt es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Kontext der Äußerung und den Organisationsbezug an. Demzufolge ist ihr pauschales Verbot im Wege der Versammlungsbeschränkung nur dann verhältnismäßig, wenn eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde ergibt, dass die Formulierung in strafbarer Weise verwendet werden wird. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
5. Für die Strafbarkeit der Formulierung „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river to the sea“ kommt es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Kontext der Äußerung und den Organisationsbezug an. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
6. Ein pauschales Verbot im Wege der Versammlungsbeschränkung ist nur dann verhältnismäßig, wenn eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde ergibt, dass die Formulierung in strafbarer Weise verwendet werden wird. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
versammlungsrechtliche Beschränkung, „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river to the sea“, Strafbarkeit, Gefahrenprognose, Verhältnismäßigkeit, Umstände des Einzelfalls, Legalisierungswirkung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 25.06.2024 – M 10 S 24.3621
Fundstellen:
BayVBl 2024, 781
LSK 2024, 14713
BeckRS 2024, 14713
NVwZ 2024, 1187
Tenor
I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 25. Juni 2024 wird die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die in Ziffer 5.3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 20. Juni 2024 verfügte Beschränkung angeordnet.
II. In Abänderung von Nr.
II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 25. Juni 2024 trägt die Antragsgegnerin die Kosten des Eilrechtsschutzverfahrens in beiden Instanzen.
III. In Abänderung von Nr.
III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 25. Juni 2024 wird Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin verfolgt mit ihrer Beschwerde ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine ihr gegenüber ausgesprochene Versammlungsbeschränkung weiter.
2
Die Antragstellerin zeigte am 19. Juni 2024 eine Versammlung am 1. Juli 2024 um 11:00 Uhr auf dem G.platz in M. an. Die Versammlung habe das Thema
„Gegen die Unterdrückung und Ungleichbehandlung von Palästinenser:innen im gesamten Gebiet vom Fluss bis zum Meer; gegen die Unterstützung und Befeuerung dieser Unterdrückung durch die deutsche Politik und für Frieden und Freiheit für alle Menschen dort!“, es würden 20 Teilnehmer erwartet. Als Kundgabemittel wurden Plakate mit den Aufschriften „From the river to the sea, palestine will be free!“, „From the river to the sea, we want justice and equality!“ und „From the sea to the river, weapons you shall not deliver“ angekündigt.
3
Mit Bescheid vom 20. Juni 2024 bestätigte die Antragsgegnerin die Versammlungsanzeige. Gleichzeitig verfügte sie mehrere Beschränkungen, unter anderem unter Ziffer 5.3 die streitgegenständliche Beschränkung, die folgenden Wortlaut hat:
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„Das öffentliche Zeigen von Emblemen, Kennzeichen oder Fahnen von verbotenen und/oder terroristischen Organisationen ist untersagt. Darunter fallen insbesondere (nicht abschließend) die in der Anlage 2 aufgeführten Organisationen, Kennzeichen und Symbole. (strafbar gem. § 20 VereinsG bzw. §§ 86a, 86 StGB) Darunter fällt auch die Parole „Vom Fluss bis zum Meer…“ in Deutsch oder in anderen Sprachen; als Schriftzug, Ausruf, Musikstück und anderen Kundgabeformen.
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Hinweis 1: Die untersagte Parole ist im Versammlungsthema und auf zwei angezeigten Kundgabemitteln genannt („From the river to the sea, palestine will be free!“ und „From the river to the sea, we want justice and equality!“). Wir weisen noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass die Parole versammlungsrechtlich untersagt ist und zudem den Anfangsverdacht gem. § 86a StGB erfüllt.
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Hinweis 2: Bzgl. des angezeigten Plakats mit dem Slogan: „From the sea to the river, weapons you shall not deliver“ (umgedrehte Wortreihenfolge) weisen wir darauf hin, dass eine Strafbarkeit nicht ausgeschlossen werden kann und bei Verwendung dieses Kundgabemittels ein Strafverfahren eingeleitet werden könnte.“
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Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Die Antragstellerin erhob hiergegen am 20. Juni 2024 Klage und beantragte zugleich, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
9
Mit Beschluss vom 25. Juni 2024 lehnte das Verwaltungsgericht den Eilrechtschutzantrag ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen auf seinen Beschluss vom 14. Juni 2024 im Verfahren (M 10 S 24. 3385), das eine praktisch identische Versammlung am 14. Juni 2024 und einen (ebenfalls praktisch identischen) Bescheid der Antragsgegnerin betraf. Dort hatte das Erstgericht ausgeführt, es sei offen, ob die Verwendung der Parolen „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river to the sea“ einschließlich etwaiger Kombinationen strafbar sei, vieles spreche jedoch dafür. Die deshalb erforderliche Interessenabwägung falle zu Lasten der Antragstellerin aus. Bei lebensnaher Betrachtungsweise insbesondere nach den Ereignissen des 7. Oktober 2023, die nach den aktuellen Ereignissen im Zusammenhang mit dem Iran weiter präsent seien, müsse daher mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. B.v. 3.4.2024 – 2 S 496/24 – juris) davon ausgegangen werden, dass mit der Parole ein gewaltsames Vorgehen gemeint sei. Wenn mit der Verwendung der Parole andere, mit friedlichen Mitteln zu erreichende Ziele verfolgt oder unterstützt werden sollten, bedürfe dies einer hinreichenden Begründung seitens der Antragstellerin, an der es fehle. Schließlich sei bei der Abwägung auf Seiten des öffentlichen Interesses einzustellen, dass eine einmal getätigte Äußerung – sollte sie sich als strafbar oder sonstiger Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erweisen – irreversibel sei und durch ein nachträgliches Einschreiten der Polizei oder nachträgliche Strafanzeigen in der Sache nicht wieder rückgängig gemacht werden könne.
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Zur Begründung ihrer Beschwerde verweist die Antragstellerin zunächst auf ihre Beschwerdebegründung im Verfahren 10 CS 24.997, die den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Juni 2024 betraf, auf den dieses im vorliegenden Verfahren Bezug genommen hatte: dort hatte die Antragstellerin im Wesentlichen ausgeführt, die (im Beschluss vom 14. Juni 2024 geäußerte) Annahme des Verwaltungsgerichts, die Veranstalterin hätte sich nicht ausreichend von Gewalt distanziert, sei unverständlich. Der Veranstaltungstitel fordere eindeutig Frieden und Freiheit für alle Menschen, die in dem Gebiet lebten. Damit sei weder eine gewaltsame Vertreibung von Israelis, noch eine gewaltsame Vertreibung von Palästinenser:innen vereinbar. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gehe überhaupt nicht auf die zentralen Argumente der Klagebegründung ein. Die Formulierung, bei einer „lebensnahen Auslegung“ sei seit dem 7. Oktober 2023, der nun ein dreiviertel Jahr zurückliege, nur eine einzige Auslegung denkbar, sei unvertretbar. Stimmen in der Literatur gingen davon aus, dass ein eindeutiger Kontext bei einem sehr engen Zusammenhang etwa wenige Tage nach dem Ereignis am 7. Oktober 2023 denkbar, aber schon 4 Wochen danach ein Bezug alles andere als eindeutig sei. Im Übrigen sei der Entscheidung kein Argument zu entnehmen, dem nicht schon in der Klagebegründung vertieft entgegengetreten worden wäre.
11
Weiter führt die Beschwerde im vorliegenden Verfahren aus, die Antragsgegnerin habe keinerlei Tatsachen dafür vorgetragen, dass die Antragstellerin eine Nähe zur HAMAS habe. Sie sei Journalistin, die für zahlreiche renommierte Medien schreibe und sich auch Abseits ihrer Arbeit für Grund- und Menschenrechte engagiere. Sie habe keinerlei Nähe zur HAMAS. Die Anerkennung einer Notwendigkeit der Distanzierung würde schon für sich genommen bedeuten, die Einschränkung von Grundrechten zu akzeptieren. Zum geplanten Ablauf der Versammlung sei hinzuzufügen, dass in der Versammlungsanzeige nur die Kundgebungsmittel aufgenommen worden seien, bei denen man eine rechtliche Klärung erreichen wolle. Es werde sicherlich zahlreiche weitere Kundgebungsmittel und Redebeiträge zum Versammlungsmotto geben, die Antragstellerin sehe es allerdings nicht als ihre Aufgabe an, der Versammlungsbehörde jeden Bestandteil ihrer Kundgebung mitzuteilen. Die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river to the sea“ sei kein Kennzeichen der HAMAS (wird ausgeführt).
12
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),
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unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen Beschränkung in Ziffer 5.3 des Bescheids vom 20. Juni 2024 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin trat der Beschwerde entgegen und beantragt, diese zurückzuweisen. Die streitgegenständliche Parole sei von der Verbotsverfügung des Bundesinnenmisteriums vom 2. November 2023 (Az.: ÖSII2 – 20106/31 #2) erfasst und eindeutig der HAMAS zuzuordnen. Der Ausspruch werde im politischen Bewusstsein der Öffentlichkeit als Bestandteil der gewaltsam verfolgten Ziele dieser verbotenen Organisation wahrgenommen. Die hinzugefügten Halbsätze und Abwandlungen der Parole könnten dabei die „Vordergründigkeit“ der Worte „From the river to the sea“ nicht abschwächen. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Einzelfallumstände und der weiterhin auf dem Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 gründenden Kriegsauseinandersetzung zwischen dem israelischen Staat und der HAMAS, stelle sich das Versammlungsthema und das Verwenden der angezeigten Plakate für einen verständigen, objektiven und unvoreingenommenen Dritten als Verwendung verbotener Kennzeichen dar, denn nach außen – also für objektive Dritte – sei eine von der HAMAS losgelöste Verwendung nicht erkennbar. Die Antragstellerin habe weder im Kooperationsverfahren noch im erstinstanzlichen Vortrag eine Distanzierung von Gewalt oder gewaltbereiten Gruppierungen oder der HAMAS kundgetan. Eine Sozialadäquanz könne daher nicht angenommen werden. Dass daneben auch andere Kundgebungsmittel zum Einsatz kommen sollen, sei im Rahmen der Kooperation nicht vorgetragen worden. Zwar müssten nach Art. 13 Abs. 2 BayVersG Kundgabemittel nicht angezeigt werden, eine Verletzung der Kooperationsobliegenheit könne bei der Gefahrenprognose jedoch berücksichtigt werden. Die Antragsgegnerin habe vor diesem Hintergrund davon ausgehen dürfen, dass zum Teilnehmerkreis der gegenständlichen Versammlung viele Personen gehören würden, die bei anderen Versammlungen in M., etwa solchen der Gruppierung „Palästina spricht“, teilgenommen hätten. Dabei sei z.B. am 8. März 2024 aus dem Block der propalästinensischen Teilnehmer*innen heraus die Parole „From the river to the sea“ skandiert worden.
15
Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich am Verfahren beteiligt, aber keinen eigenen Antrag gestellt. Er hält die Zurückweisung der Beschwerde für gerechtfertigt. Bei Verwendung der streitbefangenen Parolen drohten jedenfalls Verstöße gegen den objektiven Tatbestand aus § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m § 86 Abs. 2 StGB. Die Parole sei von der Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums vom 2. November 2023 ausdrücklich erfasst und dort als ein Kennzeichen der HAMAS eingeordnet. Maßgeblich für die Kennzeicheneigenschaft sei allein, dass sich die fragliche Organisation ein bestimmtes Kennzeichen durch Übung oder durch einen formalen Autorisierungsakt als Symbol zu Eigen gemacht habe. Ein Tatbestandsausschluss nach § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB komme ebenfalls nicht in Betracht, da bei der streitgegenständlichen Versammlung die unmittelbare Gefahr bestehe, dass die Parole jedenfalls auch in einer vom Tatbestand der Norm erfassten Weise Verwendung finden werde; insofern werde auf die jüngste Entscheidung der VGH Baden-Württemberg (B.v. 21.6.2024 – 14 S 956/24) verwiesen. Auch in der hier vorliegenden Beschwerdebegründung fehle es an einer eindeutigen Distanzierung von der HAMAS oder anderen verbotenen Vereinigungen. Durchgreifende Zweifel an der Rechtsfehlerfreiheit der Gefahrenprognose der Antragsgegnerin ergäben sich im vorliegenden Fall auch dann nicht, wenn man für das Vorliegen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB darüber hinaus eine Verbindung zwischen dem Rufen der fraglichen Parole und der verbotenen Vereinigung ähnlich einem sog. Organisationsbezug fordern wollte. Jedenfalls derzeit, wenige Monate nach dem Überfall der HAMAS vom 7. Oktober 2023, ihrem Vereinsverbot mit der öffentlich bekannt gemachten Zuordnung der fraglichen Parole zu dieser Vereinigung und der öffentlichen Diskussion müsse bei lebensnaher Betrachtung damit gerechnet werden, dass außenstehende Beobachter das Zeigen dieser Parole während der streitgegenständlichen Versammlung zu einem erheblichen Teil als Aktion zugunsten der Vereinigung auffassen würden. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass eine Strafbarkeit bei Verwenden der Parolen nicht vorliege, liege hier jedenfalls eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Eine solche liege vor, wenn mit einer bestimmten Verhaltensweise zum Hass gegen Bevölkerungsteile angestachelt und eine Atmosphäre der Bedrohung erzeugt werde oder aber die Menschenwürde anderer verletzt bzw. eine besonders militante oder aggressive Stimmung erzeugt werden solle. Insoweit gehe es nicht um die durch die Versammlung zum Ausdruck gebrachte Meinung selbst, sondern um die Wirkung bestimmter Parolen. Nachdem zahlreiche radikale, verbotene oder terroristisch agierende Palästinenserorganisationen die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ verwendeten, könne nicht davon ausgegangen werden, dass mit Verwenden der Parole lediglich friedlich auf berechtigte Anliegen der Palästinenser wie etwa die Wahrnehmung ihres völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts hingewiesen werden solle, sondern vielmehr eine Art „Intifada-Funktion“ bezweckt werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten.
17
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
18
1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage – wie hier (vgl. Art. 25 BayVersG) – keine aufschiebende Wirkung hat.
19
Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen.
20
2. Gemessen daran führen die in der Beschwerdeschrift dargelegten Gründe zu einer Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Bei der erforderlichen Interessenabwägung überwiegt das Suspensivinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse, weil die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich begründet ist. Die streitgegenständliche Versammlungsbeschränkung der Antragsgegnerin erweist sich aller Voraussicht nach als rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (hierzu und zum Folgenden zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Beschränkungen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001- 1 BvR 1190/90 – BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 54, 63).
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Gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
23
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.).
24
Soweit sich das Verbot oder eine Beschränkung der Versammlung auf den Inhalt von Aussagen bezieht – dies ist bei der Anknüpfung an das Motto der Versammlung und die zu erwartenden Äußerungen der Versammlungsteilnehmer der Fall –, ist es auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1, 2 GG zu beurteilen. Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (BVerfG, B.v. 1.12.2007 – 1 BvR 3041/07 – BVerfGK 13, 1 – juris Rn. 13 m.w.N.). Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht (hierzu und zum Folgenden BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8/21 – juris Rn. 28 ff. m.w.N. zur entsprechenden ständigen Rechtsprechung des BVerfG). Zur Beurteilung der Frage, ob eine Meinungsäußerung als Straftat zu verstehen ist, ist zuvor ihr objektiver Sinngehalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln. Dabei darf ihr im Lichte der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit keine Bedeutung beigelegt werden, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit darf – wie oben ausgeführt – nur dann von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden, wenn andere, straflose Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG, B.v. 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16 – juris Rn. 17 – stRspr).
25
b) Diesen Anforderungen genügt die unter Berufung auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG verfügt Versammlungsbeschränkung der Antragsgegnerin nicht. Sie ist jedenfalls unverhältnismäßig.
26
aa) Ob die Verwendung der Parole „From the river to sea“ einen Straftatbestand nach § 20 VereinsG bzw. §§ 86a, 86 StGB erfüllt (von der fehlenden Strafbarkeit nach anderen Vorschriften ausgehend VG Berlin, U.v. 23.8.2023 – 24 K 7/23 – juris Rn. 34 ff. mit ausführlicher Begründung; offenlassend BayVGH, B.v. 19.10.2023 – 10 CS 23.1862 – juris Rn. 26; Übersicht zum Stand der Rechtsprechung bei Steinberg, Versammlungsfreiheit nach dem 7. Oktober, NVwZ 2024, 302; Schneider in BeckOK GG, Stand 15.1.2024, Art. 8 Rn. 48.4), hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von einem erkennbaren Bezug der Parole zur HAMAS bzw. anderer verbotener Vereinigungen und von einer ausnahmsweise bestehenden Sozialadäquanz der Verwendung ab (vgl. dazu jeweils ausführlich HessVGH, B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris Rn. 29 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 15.11.2001 – 1 BvR 98/97 – juris Rn. 26 ff.; LG Mannheim, B.v. 29.5.2024 – 5 Qs 42/23 – juris Rn. 9 [Erforderlichkeit von „differenzierender Erwägungen“]; VGH BW, B.v. 21.6.2024 – 14 S 956/24 – S. 10 des BA – n.V. [„Das Äußern dieser Parole ist mit anderen Worten keineswegs generell strafbewehrt.“]; Hippeli, Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen – Parole „From the river to the sea“, NJW 2024, 1780/1781 [„regelmäßig nicht strafbar“]); zur Verwendung von Fahnen dreier mutmaßlicher Unterorganisationen der verbotenen PKK „ohne gleichzeitige aktive Sympathieäußerung zur PKK oder dessen Vorsitzenden“ BayVGH, B.v. 16. Februar 2018 – 10 CS 18.405 – juris Rn. 12). Davon geht auch die Antragsgegnerin aus, die sich insofern die mit der Generalstaatsanwalt München abgestimmte Einschätzung der Staatsanwaltschaft München I vom 11. Juni 2024 weitestgehend zu Eigen macht. Die Staatsanwaltschaft München I geht dabei für die zwei mit der streitgegenständlichen Beschränkung untersagten Parolen („From the river to the sea, palestine will be free!“ und „From the river to the sea, we want justice and equality!“) lediglich von einem „Anfangsverdacht“ und hinsichtlich des „Slogan(s) „vom Fluss bis zum Meer“ innerhalb des angemeldeten Themas“ und der nicht untersagten Parole („From the sea to the river, weapons you shall not deliver“) sogar nur von einer „nicht gänzlich ausgeschlossenen Strafbarkeit“ aus, was in beiden Fällen nicht für ein Verbot der entsprechenden Meinungsäußerungen ausreichen würde.
27
Die Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea“ und entsprechender, mit der angegriffenen Beschränkung untersagten Wortkombinationen folgt dabei nicht ohne Weiteres aus dem Umstand, dass die Parole „From the river to the sea“ in die Kennzeichenliste der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 2. November 2023 (BAnz AT 02.11.2023 B10) aufgenommen wurde. Ziffer 3 der Verfügung verbietet Kennzeichen der HAMAS in näher bezeichneter Art und Weise zu verwenden. Das Verbot betrifft nach der Verfügung auch die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ (auf Deutsch oder anderen Sprachen). Nach dem Bundesverwaltungsgericht ist das Kennzeichenverbot jedoch als gesetzliches Verbot ausgestaltet. Es wird durch die Verbotsverfügung selbst als Rechtsfolge des Verbots ausgelöst, ist aber keine „Umsetzung“ der Verbotsverfügung und muss in dieser auch nicht konstitutiv ausgesprochen werden. Eine entsprechende Wiedergabe in einer Verbotsverfügung weist keinen regelnden Charakter auf und ist rein deklaratorischer Natur (BVerwG, B.v. 10.1.2018 – 1 VR 14.17 – juris Rn. 17).
28
Kommt es für die Strafbarkeit der Formulierung „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river to the sea“ demnach auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Kontext der Äußerung und den Organisationsbezug an, ist ihr pauschales Verbot im Wege der Versammlungsbeschränkung nur dann verhältnismäßig, wenn eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde ergibt, dass die Formulierung in strafbarer Weise verwendet werden wird. Andernfalls würden unter Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch zulässige Verwendungsformen untersagt, zumal von solchen Pauschalverboten ein erheblicher Abschreckungseffekt hinsichtlich der freien Meinungsäußerung ausgehen würde.
29
bb) Diesen Anforderungen wird die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin nicht gerecht. Die Annahme, die streitgegenständliche Versammlung mit einer bislang sicherheitsrelevant nicht in Erscheinung getretenen Veranstalterin, 20 Teilnehmenden am Vormittag eines Montages, lasse aufgrund ihres zu erwartenden Teilnehmerkreises und Themas eine Verwendung der Parole in strafbarer Art und Weise, insbesondere mit einem Bezug zur HAMAS oder zu den Terrorakten vom 7. Oktober 2023 erwarten, beruht schon ausweislich der Bescheidsgründe lediglich auf Vermutungen („liegt die Vermutung nahe, dass ganz bewusst Bezug auf die Terrororganisation genommen werden soll und keine sozialadäquate Verwendung vorliegt.“). Konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Teilnehmenden die Parole mit einem konkreten Bezug zur HAMAS oder anderen verbotenen Vereinigungen verwenden werden, führt die Antragsgegnerin nicht an. Die „lebensnahe Betrachtung“ reicht hierfür nicht, solange sie sich nicht auf tatsächlich Anhaltspunkte stützen kann. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Antragstellerin keine weiteren Aussagen gemacht hat, die zur Auslegung ihrer Plakate herangezogen werden könnten, denn darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen einer unmittelbaren, konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist die Versammlungsbehörde (s.o.). Soweit Antragsgegnerin und Vertreter des öffentlichen Interesses auf den Maßstab des „durchschnittlichen objektiven Betrachters“ abstellen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, denn auch die Auslegung von Meinungsäußerungen nach diesem Maßstab muss den konkreten, erkennbaren Kontext und die erkennbaren Begleitumstände einer Äußerung berücksichtigen (BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8/21 – BVerwGE 178, 246 – juris Rn. 29).
30
Die Gefahrenprognose enthält auch keine substantiierten Erwägungen dazu, ob der unterstellten Gefahrenlage nicht durch mildere Mittel in Form von Beschränkungen der Versammlung begegnet werden kann, etwas, dass die Parolen nicht mit Bezug zur HAMAS oder andere verbotene Vereinigungen verwendet werden dürfen.
31
cc) Schließlich kann dahinstehen, ob – wie der Vertreter des öffentlichen Interesses meint – die Verwendung der Parole zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung durch eine Aufstachelung zum Hass gegen Bevölkerungsteile, die Erzeugung einer Atmosphäre der Bedrohung, Militanz oder Aggression oder die Verletzung der Menschenwürde einzelner führen kann (in diesem Sinne Hippeli, Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen – Parole „From the river to the sea“, NJW 2024, 1780/1781 f.). Hierauf hat die Antragsgegnerin ihre Beschränkung nämlich nicht gestützt und hierfür finden sich in ihrer Gefahrenprognose auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte, zumal im Hinblick auf eine Versammlung der bislang nicht sicherheitsrelevant aufgefallenen Antragstellerin mit 20 Teilnehmen an einem Montagvormittag.
32
Der Senat weist jedoch darauf hin, dass mit dieser Entscheidung keine Legalisierungswirkung im Hinblick auf die streitgegenständlichen Plakate und entsprechende Formulierungen in Wort oder Schrift einhergeht. Die Antragstellerin und die Teilnehmenden der Versammlung haben selbst dafür Sorge zu tragen, sich in nicht strafbarer Weise zu verhalten. Den Strafverfolgungsbehörden bleibt es unbenommen, im Einzelfall strafrechtlich relevantes Verhalten als solches zu verfolgen.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert war nach §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG zu bestimmen. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Senats, in versammlungsrechtlichen Eilverfahren, die ein Versammlungsverbot zum Gegenstand haben, den vollen Auffangwert anzusetzen (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 13.9.2023 – 10 CS 23.1650 – juris).
34
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).