Titel:
Anschlussbeschwerde im Vergabeverfahren nach Beschwerderücknahme wirkungslos
Normenkette:
ZPO § 524 Abs. 4
Leitsatz:
Eine Anschlussbeschwerde im Vergabeverfahren wird durch Rücknahme der sofortigen Beschwerde entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vergabeverfahren, Anschlussbeschwerde, Rücknahme, Beschwerde
Vorinstanz:
Vergabekammer München, Beschluss vom 11.03.2024 – 3194. Z3-3_01-23-59
Fundstellen:
VergabeR 2024, 584
PharmR 2024, 669
LSK 2024, 14677
BeckRS 2024, 14677
Tenor
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen.
Gründe
1
Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 25. Juli 2023, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 28. Juli 2023, einen Liefer- und Dienstleistungsauftrag über den Betrieb einer Versorgungsapotheke für die Kliniken der Antragsgegnerin im Wege des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb aus. Sowohl der Antragsteller als auch die Beigeladene reichten Teilnahmeanträge sowie Erst- und sodann finale Angebote ein. Die Beigeladene ist ein Kommunalunternehmen (Anstalt des öffentlichen Rechts) des ….
2
Die Antragsgegnerin teilte mit Informationsschreiben vom 24. Oktober 2023 dem Antragsteller mit, es sei beabsichtigt, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen. Nach einem Rügeschreiben des Antragstellers erklärte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30. Oktober 2023 das bereits versandte Informationsschreiben für gegenstandslos. Im Schreiben vom 15. November 2023 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sein Angebot ausgeschlossen werde, was der Antragsteller als vergaberechtswidrig rügte.
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Im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer hat der Antragsteller geltend gemacht, die Beigeladene sei auszuschließen, da der angestrebte Betrieb der Versorgungsapotheke für die Antragsgegnerin gegen Art. 72 ff. BezO verstoße, und hat eine Vielzahl weiterer Rügen erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2024 hat die Vergabekammer die Beteiligten darauf hingewiesen, dass kein zuschlagsfähiges Angebot vorliege, da beide Angebote vom Leistungsverzeichnis abwichen. Daraufhin hat die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der Erstangebote zurückversetzt und sowohl Antragsteller als auch Beigeladene erneut zur Abgabe eines Erstangebots aufgefordert. Der Antragsteller hat daraufhin im Nachprüfungsverfahren beantragt, die Beigeladene aufgrund unzulässiger kommunalwirtschaftlicher Betätigung von dem Vergabeverfahren auszuschließen; im Übrigen habe sich der Nachprüfungsantrag erledigt.
4
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 11. März 2024 den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen, soweit sich das Nachprüfungsverfahren nicht durch die Rückversetzung des Verfahrens und die Erklärung des Antragstellers erledigt habe. Keine Erledigung liege vor bezüglich der Frage, ob die Beigeladene aufgrund einer kommunalwirtschaftlich unzulässigen Betätigung ausgeschlossen werden müsse. Insoweit sei der Nachprüfungsantrag zulässig, aber unbegründet. Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens hat die Vergabekammer zu 80% der Antragsgegnerin und zu 20% dem Antragsteller auferlegt.
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Gegen die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags, soweit keine Erledigung eingetreten ist, hat sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde gewandt und beantragt, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Beigeladene vom Vergabeverfahren auszuschließen. Die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz jeweils einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers seien insgesamt der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
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Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 24. April 2024 beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer der Antragstellerin aufzuerlegen. Die Kostenentscheidung sei „von Amts wegen“ zu ändern. Der Antragsteller sei nur mit einem „winzigen Teil“ seines Begehrens durchgedrungen.
7
Sein primäres Rechtsschutzziel habe der Antragsteller nicht erreicht. Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2024 hat die Antragsgegnerin klargestellt, dass der Antrag als Anschlussbeschwerde auszulegen sei und nunmehr begehrt, die Kosten des Nachprüfungsverfahrens zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin aufzuheben. Die Beigeladene hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
8
In der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2024 hat der Antragsteller nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage die Beschwerde zurückgenommen.
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1. Nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde ist von Amts wegen über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2, § 71 GWB. Es entspricht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach und Streitstands der Billigkeit, dem Antragsteller die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen aufzuerlegen. Aus den in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2024 erörterten Gründen wäre die Beschwerde des Antragstellers ohne Rücknahme wahrscheinlich zurückgewiesen worden. Zudem hat der Antragsteller sich durch die Rücknahme seines Rechtsmittels in die Rolle des Unterlegenen begeben (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. August 2022, Verg 7/22, juris Rn. 7 m. w. N.). Die Beigeladene hat einen Antrag gestellt und sich durch Sachvortrag aktiv am Beschwerdeverfahren beteiligt.
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2. Über die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin ist nicht mehr zu entscheiden, da diese durch die Rücknahme der sofortigen Beschwerde des Antragstellers entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos geworden ist (zur entsprechenden Anwendung des § 524 ZPO vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, juris Rn. 16 ff; zu § 524 Abs. 4 ZPO: BayObLG, Beschluss vom 7. September 2022, Verg 8/22, juris Rn. 11 ff.; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Februar 2012, 2 Verg 14/11, juris Rn. 9; Dicks/Willner in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 171 Rn. 9). Die Anschlussbeschwerde kann auch nicht als selbständige Beschwerde aufrechterhalten bleiben. Der Beschluss der Vergabekammer ist der Antragsgegnerin am 12. März 2024 zugestellt worden. Die Antragsgegnerin hat die Anschlussbeschwerde aber erst mit Schriftsatz vom 24. April 2024, mithin zwar innerhalb der Erwiderungsfrist, aber deutlich nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 GWB, eingelegt.
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Der Beschwerdeführer trägt auch die Kosten der (an sich zulässigen) Anschlussbeschwerde, die infolge seiner Prozesshandlung (Rücknahme der Beschwerde) ihre Wirkung verloren hat (BayObLG, Beschluss vom 7. September 2022, Verg 8/22, juris Rn. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Juli 2019, 15 Verg 5/19, juris Rn. 2; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Februar 2012, 2 Verg 14/11, juris Rn. 9; zur Anschlussrevision BGH, Beschluss vom 27. Mai 2020, VII ZR 192/18, NJW-RR 2020, 1136 Rn. 14). Mit der Rücknahme der Beschwerde nimmt der Beschwerdeführer dem Gericht die Möglichkeit, über die Erfolgsaussicht der Anschlussbeschwerde zu entscheiden. Durch die Rücknahme der Beschwerde unterliegt nur der Beschwerdeführer. Über die Erfolgsaussicht der Anschlussbeschwerde sagt die Rücknahme der Beschwerde dagegen nichts aus (BayObLG, a. a. O.).
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3. Über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer ist nicht mehr zu befinden. Der Beschluss der Vergabekammer vom 11. März 2024 ist durch die Rücknahme der sofortigen Beschwerde in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2024 und den gleichzeitigen Wegfall der Anschlussbeschwerde bestandskräftig geworden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Februar 2008, Verg 13/06, BeckRS 2009, 8017; vgl. zur vergleichbaren Rechtslage bei Rücknahme der Berufung BGH NJW 2008, 373 Rn. 10; Rimmelspacher in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl 2020, § 516 Rn. 26; Heßler in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 516 Rn. 17). Dies umfasst den gesamten Beschluss der Vergabekammer einschließlich der Kostenentscheidung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Januar 2006, Verg 35/05, juris Rn. 9). Es bleibt daher kein Raum für eine Überprüfung und Abänderung der Kostenentscheidung der Vergabekammer durch den Senat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Februar 2020, Verg 21/19, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juli 2019, 15 Verg 5/19, juris Rn. 2 ff.; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Februar 2012, 2 Verg 14/11, juris Rn. 10; OLG Bremen, Beschluss vom 27. November 2012, 2 Verg 2/12, juris Rn. 1 f., die nach Beschwerderücknahme jeweils nur noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens befinden). Sollten frühere Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts anders zu verstehen sein, hält der Senat daran nicht fest.