Inhalt

OLG Nürnberg, Teilurteil v. 18.06.2024 – 6 U 2481/22
Titel:

Nachbarrecht: Einschränkungen des fensterrechtlichen Anspruchs durch Treu und Glauben und öffentliche-rechtliche Vorschriften

Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1 S. 2
BGB § 242
BayAGBGB Art. 43
BayBO Art. 31 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsätze:
Der fensterrechtliche Anspruch gemäß Art. 43 BayAGBGB kann eingeschränkt werden, wenn sich seine Geltendmachung nach den konkreten Umständen als treuwidrig gemäß § 242 BGB darstellt. (Rn. 68 – 69 und 74)
1. Die uneingeschränkte Ausübung des Fensterrechts durch den Gläubiger kann treuwidrig sein, wenn die Ausübung für  für den verpflichteten Nachbarn eine extreme Härte darstellt, sie dessen Wohnung offenkundig stark entwertet und die Ausübung damit an einen enteignungsgleichen Eingriff grenzt. (Rn. 75) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausnahmen von dem in Art. 43 BayAGBGB normierten Verbot, Fenster entlang der Grundstücksgrenze einzubauen, können sich aus der Notwendigkeit von Fenstern und Türen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fensterrecht, Grenzbau, Einschränkung, Verhältnismäßigkeitsprüfung, Treu und Glauben, extreme Härte, offenkundige starke Entwertung, enteignungsgleicher Eingriff, Brandschutz, Fluchtwege
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 18.08.2022 – 14 O 6102/21
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG vom -- – 102 ZRR 98/24 e
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
LSK 2024, 14443
BeckRS 2024, 14443
NZM 2024, 876

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.08.2022, Az. 14 O 6102/21, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger und Berufungsbeklagte.
3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und Berufungsbeklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um nachbarrechtliche Ansprüche in Bezug auf Fenster.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. ... der Gemarkung S. (S. Straße 233 b, N.).
3
Die Beklagten sind gemeinsam Miteigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. ... der Gemarkung S. (S. Straße 229) und zugleich gemeinsam zu je ½ Sondereigentümer der Wohnung Nr. 6 laut Aufteilungsplan der auf dem Grundstück befindlichen Wohnungseigentumsanlage.
4
Zur Veranschaulichung der Lage der beiden Grundstücke zueinander wird auf Bl. 5 d.A. Bezug genommen.
5
Das von den Beklagten bewohnte Gebäude besteht seit dem Jahr 1730. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks, das im Jahr 2000 (Bl. 45, 219) geteilt wurde. Die Grenze zwischen den Grundstücken Fl.-Nr. ... und Fl.-Nr. ... verläuft nun entlang der Süd-West-Fassade des von den Beklagten bewohnten Gebäudeflügels.
6
Vier Fenster im unteren Geschoss (in der Akte teilweise auch als Untergeschoss bezeichnet) der von den Beklagten bewohnten Maisonette-Wohnung befinden sich in der genannten Fassade, die entlang der Grundstücksgrenze verläuft. Ebenfalls in der Fassade befindet sich im darüber liegenden Geschoss (in der Akte teilweise auch „Erdgeschoss“ bezeichnet) ein weiteres Fenster mit anschließendem Balkon, welches ebenfalls zur Wohnung der Beklagten gehört (vgl. Lichtbild, Blatt 109, und Anlage B7).
7
Im Rahmen der bauordnungsrechtlichen Genehmigung baulicher Veränderungen der Gebäude im Jahr 2004 auf den streitgegenständlichen Grundstücken übernahm der Voreigentümer des Grundstücks des Klägers Abstandsflächen in einer Tiefe von 13,55 m.
8
Auf dem Grundstück des Klägers wurde im Jahr 2017 ein Einfamilienhaus erbaut. In den Jahre 2018/19 erwarben die Beklagten das Wohneigentum an ihrer vorgenannten Wohnung. Der Kläger erwarb sein Grundstück im Jahr 2019.
9
Im März 2020 erneuerten die Beklagten die Fenster ihrer Wohnung und vergrößerten dabei die Fensteröffnungen.
10
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, sämtliche der dem Grundstück Fl-Nr. ... der Gemarkung S. zugewandten Fenster und sonstige Lichtöffnungen jeder Art der Wohnung Nr. 6 des Grundstücks Fl-Nr. ... der Gemarkung S. so einzurichten und zu unterhalten, dass bis zur Höhe von 1,80 m über dem dahinter befindlichen Boden ein Öffnen der Fenster und Lichtöffnungen nicht möglich ist.
2.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, sämtliche der dem Grundstück Fl-Nr. ... der Gemarkung S. zugewandten Fenster und sonstige Lichtöffnungen jeder Art der Wohnung Nr. 6 des Grundstücks Fl-Nr. ... der Gemarkung S. so einzurichten und zu unterhalten, dass bis zur Höhe von 1,80 m über dem dahinter befindlichen Boden ein Durchblicken durch die Fenster und Lichtöffnungen nicht möglich ist.
3.
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger € 402,40 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
11
Die Beklagten haben erstinstanzlich zunächst vorgetragen, bei den streitgegenständlichen Fenstern handele es sich um die einzigen Fenster ihrer Wohnung (Bl. 26, 114). Diese habe Fenster lediglich in eine Richtung. Licht und Luft könne daher bei Durchsetzung des klägerischen Anspruchs nicht mehr in die Wohnung geführt werden.
12
Die Beklagten haben in erster Instanz argumentiert, sie seien nicht passivlegitimiert, da die Fenster im Gemeinschaftseigentum der WEG stünden und sie selbst insoweit lediglich ein Nutzungsrecht an den Innenräumen hätten.
13
Der Anspruch sei bereits ausgeschlossen, weil die Fenster vor Inkrafttreten des AGBGB gem. Art. 45 Abs. 2 BayAGBGB genehmigt bzw. schon seit 1730 vorhanden gewesen seien (Bl. 24). Die von den Beklagten bewohnte Immobilie genieße insoweit Bestandsschutz.
14
Aufgrund der Übernahme öffentlich-rechtlicher Abstandsflächen durch den Rechtsvorgänger des Klägers im Zuge der baulichen Veränderungen im Jahre 2004 habe der fensterrechtliche Anspruch aus Art. 43 BayAGBGB nicht entstehen können.
15
Die Geltendmachung des Fensterrechts sei zudem unbillig (§ 242 BGB) und verstoße gegen das Schikaneverbot des § 226 BGB. Die Durchsetzung des klägerischen Anspruchs sei den Beklagten nicht zumutbar, weil in diesem Fall weder Licht noch Luft in die Wohnung geführt werden könne.
16
Dem beklagtenseitigen Vorbringen, sie seien nicht passivlegitimiert, weil die Fenster im Gemeinschaftseigentum der WEG stünden, hat der Kläger entgegnet, er begehre keine bauliche Veränderung der Fenster. Möglich sei die Anbringung z.B. einer Milchglasfolie. Im Hinblick auf das Öffnen könnten die Beklagten seinen Anspruch erfüllen, indem sie die Fenster geschlossen hielten. Die Beklagten seien im Hinblick auf ihre Nutzung als Handlungsstörer passivlegitimiert.
17
Dem beklagtenseitigen Vortrag, bei Durchsetzung des klägerischen Anspruchs könne weder Licht noch Luft in die Wohnung geführt werden, entgegnet der Kläger, es gebe anderweitige technische Möglichkeiten der Beleuchtung und Lüftung.
18
Mit Schriftsatz vom 13.01.2022 (Blatt 82 ff.) haben die Beklagten Widerklage erhoben, u.a. mit den Anträgen, Video- oder Tonaufnahmen oder sonstige Bildnisse von den Beklagten und deren Privaträumen und Balkon zu unterlassen und Videokameras abzubauen (Ziffer I.) und Heckenpflanzen zu entfernen (II.).
19
Diese Widerklage haben sie mit Schriftsatz vom 06.07.2022 (Bl. 141 ff.) erweitert, u.a. um den Antrag, eine auf der Garage des Klägers aufgestellte, auf das Beklagten-Gebäude schauende Männchen-Figur (siehe Anlage B 10) zu entfernen (Ziffer VI.) und einen auf seinem Wohngebäude-Anbau neu errichteten Sichtschutzzaun zu entfernen (VII.).
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Klageanträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
21
Das Landgericht hat mit Teilurteil vom 18.08.2022 der Klage vollumfänglich entsprochen. Noch nicht entschieden hat es über die Widerklage.
22
In seiner Urteilsbegründung geht das Landgericht davon aus, dass dem Kläger ein Anspruch aus Art. 43 BayAGBGB zusteht, demgemäß Fenster, die weniger als 0,60 m von der Grenze eines (mit einem Gebäude bebauten) Nachbargrundstücks entfernt sind, auf Verlangen des Eigentümers des Nachbargrundstücks so eingerichtet werden müssen, dass bis zur Höhe von 1,80 m weder das Öffnen noch das Durchblicken möglich ist.
23
Dieser Anspruch sei nicht ausgeschlossen nach Art. 45 BayAGBGB. Gemäß dessen Abs. 2 sind die vor Inkrafttreten des AGBGB geltenden Vorschriften für die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Anlagen weiterhin anzuwenden, soweit sie eine geringere Beschränkung festgelegt haben. Eine Fortgeltung früher anzuwendender Vorschriften sei jedoch nicht gegeben, da das von den Beklagten bewohnte Gebäude erst durch die Teilung des Grundstücks in den 2000er Jahren zum Grenzbau geworden sei.
24
Die Beklagten seien auch die richtigen Anspruchsgegner, da sich deren Anspruchsgrundlage aus Art. 43 BayAGBGB nicht lediglich gegen den Eigentümer, sondern auch gegen den Störer richte, der den geschaffenen Zustand weiterhin bestehen lasse und die Möglichkeit habe, diesen zu verändern. Der Kläger beanspruche mit seinem Antrag keine bauliche Veränderung der Fenster, über welche lediglich die WEG der Beklagten entscheiden könne.
25
Gemäß Art. 52 BayAGBGB unterliege der Anspruch des Art. 43 BayAGBGB nicht der Verjährung.
26
Die Übernahme öffentlich-rechtlicher Abstandsflächen auf dem Grundstück des Klägers hindere diesen Anspruch aus Art. 43 BayAGBGB nicht.
27
Eine Schikane im Sinne des § 226 BGB liege nicht vor, da diese bereits ausscheide, wenn ein berechtigtes Interesse auch nur mitbestimmend sein könne und der Kläger vorliegend den Schutz seiner Privatsphäre verfolge.
28
Eine Abwägung der beteiligten Interessen scheide aus, da Art. 43 BayAGBGB keine Ermessens- oder Abwägungsentscheidung vorsehe. Auch könne dem Anspruch des Klägers nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegengehalten werden. Der Kläger habe die Teilung, durch die das von den Beklagten bewohnte Gebäude zum Grenzbau geworden sei, nicht veranlasst. Allein, dass er sein Grundstück zu einem späteren Zeitpunkt erworben habe, führe nicht dazu, dass er die Beeinträchtigung seiner Rechtsposition hinnehmen müsse. Eine Versagung des Anspruchs des Klägers sei auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit angezeigt. Das Recht des Klägers auf Wahrung seiner Privatsphäre sei nicht als geringfügig anzusehen. Die Wohnung der Beklagten sei vor dem Hintergrund heutiger technischer Möglichkeiten nicht überhaupt nicht mehr nutzbar. Im Übrigen sei der Kläger insoweit nicht verantwortlich.
29
Gegen dieses Teilurteil wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung.
30
Sie argumentieren, das Landgericht habe bereits den Sachverhalt nicht vollständig erfasst, indem es unberücksichtigt gelassen habe, dass die vier Fenster im Untergeschoss, wo sich das Schlafzimmer und Kinderzimmer ihrer Wohnung befänden, die einzigen Belichtungs- und Belüftungsöffnungen seien. Mit Ausnahme einer Terrassentür zum Innenhof handele es sich um die einzigen Lichtöffnungen der Wohnung der Beklagten. Der Balkon im Erdgeschoss sei nicht mehr nutzbar, wenn die Balkontür nicht mehr geöffnet werden dürfe.
31
Das Landgericht habe außerdem nicht berücksichtigt, dass der zweite Rettungsweg laut vorgelegtem Brandschutzplan, Anlage B5, in den Hofbereich des Klägers führe.
32
Unzutreffend habe das Landgericht eine Passivlegitimation der Beklagten bejaht, obwohl die Fenster im Gemeinschaftseigentum der WEG stünden.
33
Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht darauf abgestellt, dass eine Ermessens- oder Abwägungsentscheidung, die eine Anwendung des § 242 BGB einschließe, nicht in Betracht komme. Hierbei sei dann u.a. auch zu berücksichtigen, dass dem Kläger kein schutzwürdiges Vertrauen zukomme, da ihm das Verhalten der vorherigen Eigentümer, die in Kenntnis des Fensterrechts den von ihm bewohnten Neubau im Jahr 2017 errichtet hätten, zuzurechnen sei. Die Beeinträchtigung der Beklagten durch die Geltendmachung des klägerischen Anspruchs sei so erheblich, dass sie die Beeinträchtigung des Klägers überwiege, dem es vorliegend lediglich um die Nutzung seines gepflasterten Garagenhofes gehe.
34
Die Beklagte beantragen,
das Teilurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az. 14 O 6102/21 vom 21.07.2021 abzuändern und die Klage abzuweisen.
35
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
36
Der Kläger ist der Ansicht, dass eine atypische Fallkonstellation, die eine Einschränkung des Fensterrechts nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB ermöglichen würde, hier nicht vorliegt.
37
Brandschutzrechtliche Rettungswege seien für eine Einschränkung des Fensterrechts nicht zu berücksichtigen, da die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt werde.
38
Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch einen Ortsaugenschein.
II.
39
Die Berufung ist zulässig und begründet.
40
1. Die Berufung ist zulässig.
41
Insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO.
42
Soweit sie sich nach dem Wortlaut ihres Antrags gegen das Teilurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az. 14 O 6102/21 vom „21.07.2021“ richtet, ist dies der Auslegung zugänglich. Gemeint ist offenkundig das Teilurteil vom 18.08.2022 (welches aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21.07.2022 erging).
43
2. Die Berufung ist auch begründet, da dem Kläger die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen.
a) rechtsbegründende Anspruchsvoraussetzungen
44
aa) Dabei verkennt der Senat nicht, dass nachfolgende rechtsbegründende Anspruchsvoraussetzungen des Art. 43 Abs. 1 Satz 1 AGBGB vorliegend grundsätzlich erfüllt sind. Sind Fenster weniger als 0,60 m von der Grenze eines Nachbargrundstücks entfernt, auf dem Gebäude errichtet sind oder das als Hofraum oder Hausgarten dient, so müssen sie gem. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 AGBGB auf Verlangen des Eigentümers dieses Grundstücks so eingerichtet werden, dass bis zur Höhe von 1,80 m über dem hinter ihnen befindlichen Boden weder das Öffnen noch das Durchblicken möglich ist.
45
bb) Der Kläger ist auch aktivlegitimiert. Anspruchsberechtigt hinsichtlich des Fensterrechts ist der Eigentümer eines in Bayern belegenen Grundstücks, auf dem Gebäude errichtet sind. Dabei kann dahinstehen, ob das klägerische Grundstück auch als „Hofraum“ im Sinne des Art. 43 Abs. 1 Satz 1 AGBGB zählt, auf die das Teilurteil des Landgerichts abstellt. Einem Grundstück mit einem Gebäude ist ein Grundstück gleichgestellt, das als Hofraum dient. Ein Hofraum, der Teil eines einheitlichen Grundstücks mit Gebäude ist, fällt ohnehin unter den Schutz der gesetzlichen Vorschrift. Bedeutung hat die Erweiterung deshalb nur für selbständige Hofraumgrundstücke (Grziwotz/Saller BayNachbarR, Kap. 2 Das Grundstück und seine Grenzen Rn. 20, 21, beck-online).
46
cc) Dahinstehen kann die Frage, ob die Beklagte passivlegitimiert sind.
47
Daran bestehen Zweifel im Hinblick auf den Antrag zu 1., der sich darauf richtet, die Fenster seien „so einzurichten und zu unterhalten“, dass bis zur Höhe von 1,80 m über dem dahinter befindlichen Boden ein Öffnen der Fenster und Lichtöffnungen „nicht möglich ist“. Der Senat hat bei seinem Augenschein gesehen, dass ein Öffnen der streitgegenständlichen Fenster derzeit möglich ist.
48
Bauliche Veränderungen der Fenster, die ein Öffnen unmöglich machen, werden die Kläger jedoch nicht ohne Zustimmung der WEG vornehmen können.
49
Das Argument des Klägers, er begehre keine bauliche Veränderung der Fenster, im Hinblick auf das Öffnen könnten die Beklagten seinen Anspruch erfüllen, indem sie die Fenster einfach geschlossen hielten, überzeugt nicht, denn sein Antrag lautet ausdrücklich, „Fenster (…) so einzurichten und zu unterhalten, dass (…) ein Öffnen der Fenster und Lichtöffnungen nicht möglich ist“.
50
Daran ändert die grundsätzliche denkbare Möglichkeit abschließbarer Beschläge nichts, denn Fenster nebst Rahmen, Außenanstrich, Verglasung sind Gemeinschaftseigentum, weil sie die äußere und innere Gestaltung des Gebäudes bestimmen. Auch frei montierbare Beschläge gehören zum Gemeinschaftseigentum (Sauren/Sauren, 6. Aufl. 2014, WEG § 1 Rn. 10FZ).
b) rechtshindernde Einwendungen
aa) Prioritätsprinzip
51
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der klägerische Anspruch nicht etwa nach dem Prioritätsprinzip ausgeschlossen ist.
52
Wird die unter die Voraussetzungen des Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayAGBGB fallende Grundstücksqualität erst später, d. h. nach Errichtung der Fenster erlangt, kann ab diesem Zeitpunkt die Einhaltung der fensterrechtlichen Beschränkungen gefordert werden. Beispiel ist die Errichtung eines Bauwerks neben einem im Außenbereich belegenen Grundstück, das noch unbebaut ist. Später wird auf ihm ein Gebäude errichtet oder es wird ein Hofraum bzw. Hausgarten angelegt. Das Prioritätsprinzip gilt insoweit nicht. Eine Befreiung von den fensterrechtlichen Beschränkungen für den Bestand ist deshalb nicht anzuerkennen. Anders ist dies nur, wenn eine entsprechende Duldungspflicht schuldrechtlich oder dinglich hinsichtlich der Fenster begründet wurde. Die schuldrechtliche Vereinbarung bindet einen Einzelrechtsnachfolger nicht. Anders wäre dies allenfalls bei einer durch eine Dienstbarkeit abgesicherten und damit dinglich wirkenden Duldungspflicht (Grziwotz/Saller BayNachbarR, Kap. 2 Das Grundstück und seine Grenzen Rn. 24, beck-online), die hier nicht vorliegt.
bb) Bestandsschutz
53
Ebenfalls zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der klägerische Anspruch nicht unter dem durch die Beklagten vorgebrachten Gedanken des Bestandsschutzes ausgeschlossen ist. Zwar beurteilen sich die vor Inkrafttreten der Nachbarrechtsgesetze, hier Art. 43 AGBGB diesem Zeitpunkt rechtmäßig errichteten Einbauten nach früherem Recht und bleiben damit rechtmäßig (Grziwotz/Lüke/Saller NachbarR-HdB, Kap. 2 Das Grundstück und seine Grenzen Rn. 438, beck-online), vgl. hier Art. 45 Abs. 2 AGBGB.
54
Das aktuelle BayAGBGB ist erstmals am 01.01.1983 in Kraft getreten. Auf das Vorgängergesetz, das bayerische AGBGB aus dem Jahre 1899 ist vorliegend nicht abzustellen.
55
Dessen ungeachtet ist aber zu berücksichtigen, dass der Gedanke des Bestandsschutzes (soweit im Zivilrecht zu berücksichtigen) letztlich auf dem Grundrecht auf Schutz des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 GG beruht. Damit gilt Bestandsschutz jedoch lediglich für den Bestand des Eigentums, so wie es vom Berechtigten erworben wurde. Vorliegend haben die Beklagten das Eigentum an ihrer Eigentumswohnung erworben, nachdem das Grundstück bereits entlang der Süd-West-Fassade geteilt worden war. Zu diesem Zeitpunkt war das Gebäude bereits ein Grenzbau, sodass der jeweilige Eigentümer der darin befindlichen Eigentumswohnungen bereits nachbarrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt war.
56
Ein darüber hinausgehender Bestandsschutz des Eigentümers des betroffenen Grundstücks auf Beibehaltung vorhandener Fenster existiert nicht, solange keine schuldrechtliche oder gar dingliche Vereinbarung geschlossen wurde (Grziwotz/Lüke/Saller NachbarR-HdB, Kap. 2 Das Grundstück und seine Grenzen Rn. 442, beck-online).
cc) kein Verzicht auf den Anspruch durch Übernahme von Abstandsflächen nach BayBO
57
Grundsätzlich ist ein Verzicht auf die Geltendmachung des fensterrechtlichen Anspruchs zulässig, kann aber nach überwiegender Ansicht nicht einseitig erklärt werden. Eine einseitige Erklärung kann nur als Angebot auf Abschluss eines Verzichtsvertrages ausgelegt werden und ist deshalb bis zu seinem Zugang frei widerruflich. Der Abschluss eines Verzichtsvertrages ist formfrei und konkludent möglich. Die Unterschrift des Nachbarn auf dem Bauplan, dessen Zeichnungen Fenster enthalten, die Ansprüche nach Art. 43 AGBGB auslösen, stellt noch kein Verzichtsangebot dar. Gleiches gilt, wenn der Nachbar eine nicht eingehaltene Abstandsfläche auf sein Grundstück übernimmt und sich in der entsprechenden Wand auch Fenster befinden, die ohne die in Art. 43 AGBGB vorgesehenen Schutzvorkehrungen durchgeführt werden sollen. Der Zweck der Abstandsflächenübernahme ist ein wesentlich anderer als die Duldung von Öffnungen, die die entsprechenden Schutzvorkehrungen nicht enthalten. Insofern kann eine Erklärung, die nur auf eine Übernahme baurechtlich erforderlicher Abstandsflächen gerichtet ist, nicht erweiternd als zusätzlicher Verzicht auf das Fensterrecht ausgelegt werden (Grziwotz/Saller BayNachbarR, Kap. 2 Das Grundstück und seine Grenzen Rn. 28, beck-online).
58
Ein derartiger Verzichtsvertrag ist vorliegend nicht vorgetragen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass eine Abstandsflächenübernahme durch den Rechtsvorgänger des Klägers dessen schuldrechtlichen Anspruch betreffen könnte.
dd) Lichtrecht
59
Auch unter Beachtung von Lichtrecht ergibt sich hier keine andere Lösung.
60
Lichtrecht ist gleichsam das Gegenstück zum Fensterrecht. Es soll sichern, dass Fenster vom Nachbarn nicht verbaut werden und dadurch Licht entzogen wird. Gegenstand ist der Schutz gegen Lichtentzug durch bauliche Anlagen. Es ist im bayerischen Nachbarrecht nicht ausdrücklich geregelt. Bereits Art. 67 Abs. 1 AGBGB 1899 bestimmte nur, dass die nach dem Preussischen Allgemeinen Landrecht ersessenen Lichtrechte als Grunddienstbarkeiten weitergalten. Diese gab es in Bayern aber nur in den vormals Coburgischen Gebieten (Art. 28 §§ 3 bis 6 CobAGBGB).
61
Nur in besonderen Ausnahmefällen können sich aus den Grundsätzen des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses Einschränkungen ergeben. Eine allgemeine analoge Anwendung des § 906 BGB i.V. mit dem Gedanken des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses kommt jedoch nicht in Betracht. § 906 BGB regelt das Lichtrecht nicht, sondern überlässt dies dem landesrechtlichen Gesetzgeber. Dieser hat in Bayern trotz der erheblichen Bedeutung des Lichtrechts keine spezielle Bestimmung hierzu erlassen. Das Lichtrecht kann deshalb nicht gleichsam im Wege der Analogie zu den vorgenannten Vorschriften entgegen dem Willen des Gesetzgebers im Wege der Auslegung entwickelt werden (Grziwotz/Saller BayNachbarR, Kap. 2 Das Grundstück und seine Grenzen, Rn. 48, 49).
ee) Brandschutz, Fluchtwege
62
Die Entscheidung des Landgerichts hält im Hinblick auf die Balkonfenstertür jedoch einer rechtlichen Überprüfung bereits insoweit nicht stand, als das Landgericht verfahrens- und rechtsfehlerhaft auf brandschutzrechtliche Einschränkungen nicht eingegangen ist.
63
Die Argumentation zum Brandschutz und Fluchtwegen gibt das Landgericht zwar im Tatbestand wieder, geht auf sie in den Entscheidungsgründen jedoch nicht mehr ein.
64
Ausnahmen von dem in Art. 43 AGBGB normierten Verbot, Fenster entlang der Grundstücksgrenze einzubauen, können sich aus der Notwendigkeit von Fenstern und Türen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben (Grziwotz/Lüke/Saller NachbarR-HdB, Kap. 2 Das Grundstück und seine Grenzen Rn. 434, 435, beck-online).
65
Der Anspruch des Klägers knüpft gemäß Art. 43 BayAGBGB an das Eigentum des Klägers an. Dessen Inhalt und Schranken werden gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze bestimmt. Der privatrechtliche Anspruch kann sich daher nicht auf ein Begehr erstrecken, das öffentlich-rechtlich, etwa brandschutzrechtlich nicht zulässig wäre.
66
Gemäß Art. 31 Abs. 1 Satz 1 BayBO müssen für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum in jedem Geschoss mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein; beide Rettungswege dürfen jedoch innerhalb des Geschosses über denselben notwendigen Flur führen. Abweichend von Satz 1 genügt gemäß Satz 2 ein Rettungsweg 1. aus Geschossen ohne Aufenthaltsräume, 2. bei zu ebener Erde liegenden Geschossen bis 400 m2, wenn dieser aus der Nutzungseinheit unmittelbar ins Freie führt. Gemäß Art. 31 Abs. 2 BayBO muss für Nutzungseinheiten nach Abs. 1, die nicht zu ebener Erde liegen, der erste Rettungsweg über eine notwendige Treppe führen. Der zweite Rettungsweg kann eine weitere notwendige Treppe oder eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein.
67
Nach den Ausführungen des Brandschutznachweises vom 29.11.2006 (Anlage B5, dort Seite 17) ist der erste Rettungsweg aus dem Untergeschoss über die innere notwendige Treppe ins Erdgeschoss und von dort ins Freie möglich. Der zweite Rettungsweg sei über den anleiterbaren Balkon möglich. Ein anderer Fluchtweg ist auch bei dem durch den Senat getätigten Ortsaugenschein nicht erkennbar gewesen. Mindestens das streitgegenständliche Fenster/Balkontür im Erdgeschoss zum Balkon darf daher brandschutzrechtlich nicht so gestaltet sein, dass wie vom Kläger beantragt, „ein Öffnen der Fenster und Lichtöffnungen nicht möglich ist“.
68
ff) Im Übrigen hält aber auch die Begründung des Landgerichts, dass der fensterrechtliche Anspruch aus Art. 43 AGBGB schlichtweg gar nicht einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden könne, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
69
Gemäß § 242 BGB ist ein Schuldner verpflichtet, eine geschuldete Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Da § 242 BGB nur ein individualethisches Minimum gebietet, sind eine Vielzahl von Handlungen mit ihm vereinbar. Daher ist die Hauptfunktion des § 242 die Abwehr treuwidrigen Verhaltens. Diese Abwehr geschieht hauptsächlich mittels Einwendungen gegen die Verletzung einer Treuepflicht (BeckOGK/Kähler, 1.5.2024, BGB § 242 Rn. 897). Dabei ist anerkannt, dass unter Beachtung enger Grenzen eine treuwidrige Ausübung eines Rechts einen Rechtsmissbrauch darstellen kann (BeckOGK/Kähler, 1.5.2024, BGB § 242 Rn. 1107).
70
Die Unzulässigkeit einer Rechtsausübung kann sich aus einem treuwidrigen Mittel-Zweck-Verhältnis ergeben. Diese Konstellation ist dadurch geprägt, dass sowohl der verfolgte Zweck als auch das dafür eingesetzte Mittel, für sich genommen, nicht zu beanstanden sind, dafür jedoch die Mittel-Zweck-Relation. Mangels Bindung der Privaten an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist das nicht schon immer dann der Fall, wenn der Einsatz eines Mittels unverhältnismäßig ist. Die Einzelnen sind rechtlich nicht verpflichtet, die Interessen ihrer Vertragspartner und sonstigen Parteien eines Schuldverhältnisses zu maximieren. Daher kann es im Allgemeinen dahinstehen, ob die Ausübung eines Rechts den Verpflichteten stärker belastet als den Berechtigten. Die Verlässlichkeit des Rechtsverkehrs und die Möglichkeit, seine eigenen Pläne und Ziele durch verbindliche Vereinbarungen zu verwirklichen, würden erheblich leiden, wenn es auf eine individualisierte Prüfung nicht voraussehbarer wechselnder Bedürfnisse ankäme. All das schließt indes nicht aus, eine grob unverhältnismäßige Interessenbeeinträchtigung als Verstoß gegen Treu und Glauben anzusehen. Derartige Rechtsausübungen verletzen das Verbot der Rücksichtslosigkeit („inciviliter agere“). Dieses verhindert, dass die Ausübung eines Rechts ohne jegliche Beachtung der Folgen für die andere Seite geschieht. Die Parteien sind einander als Personen verpflichtet, die jeweils eigene Pläne verfolgen und daher den zwischen ihnen geltenden Normen nicht blind unterworfen. Vielmehr dürfen sie davon ausgehen, dass diese Normen ihren Interessen dienen und sie einander als Freie und Gleiche gegenüberstehen. Das ist infrage gestellt, wenn die Durchsetzung eines Rechts der einen Seite die Interessen der anderen Seite extrem beeinträchtigt, was über gelegentliche Härten deutlich hinausgeht, weil es die Rücksicht auf den anderen vollständig aufhebt. Selbst das berechtigte Ziel der Rechtsdurchsetzung erlaubt daher nicht, für seine Erreichung beliebige Interessen zu opfern (BeckOGK/Kähler, 1.5.2024, BGB § 242 Rn. 1555-1557).
71
Dabei ist nicht zu verkennen, dass die zwischen den Parteien bestehenden Regelungen bereits eine gesetzliche oder privatautonome Abgrenzung von Interessen- und Freiheitssphären beinhalten, sodass es im Allgemeinen keiner weiteren Abwägung bedarf. § 242 BGB gebietet insoweit lediglich, eine Rechtsausübung zu untersagen, wenn sie offensichtlich zu einer grob unangemessenen Beeinträchtigung der vom jeweiligen Schuldverhältnis erfassten Interessen führt (BeckOGK/Kähler, 1.5.2024, BGB § 242 Rn. 1555-1558).
72
Die Beklagten nehmen Bezug auf eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes vom 17. Mai 2022 (Az. Vf. 63-VI-19 –, juris), wonach das Willkürverbot aus Art. 118 Abs. 1 BV durch ein Berufungsurteil des Landgerichts Ingolstadt nicht verletzt wurde, das die Geltendmachung des Fensterrechts als treuwidrig gem. § 242 BGB angesehen hatte. Die nach der Rspr des VerfGH erforderliche Atypik, die eine Berufung auf das Fensterrecht ausschließt, hatte das Landgericht vor allem in der langjährigen Entwicklung des Nachbarschaftsverhältnisses und in dem besonderen Grundstückszuschnitt gesehen.
73
Die Beziehung der in dem dortigen Rechtsstreit betroffenen Grundstücke zueinander weise Besonderheiten auf, die sie vom Normalfall des Art. 43 Abs. 1 BayAGBGB deutlich unterschieden und die bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen zugunsten des Nachbarn hätte berücksichtigt werden können.
74
Auch wenn die Entscheidung des BayVerfGH nicht so einschränkungslos auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragbar ist, hält jedoch auch der Senat dafür, dass Einschränkungen des Fensterrechts gem. § 242 BGB nicht schlechterdings ausgeschlossen sind.
75
In die Wohnung auf der gesamten südwestlichen Seite natürliches Licht bis 1,80 m Höhe nur noch mit Milchglas hineinzulassen, wäre eine extreme Härte, würde offenkundig die Wohnung stark entwerten und grenzt damit an einen enteignungsgleichen Eingriff.
76
Der Senat stützt sich insoweit auf seine beim Ortsaugenschein getätigten Wahrnehmungen.
77
Dabei ist festzustellen, dass die Fensterglasfläche, die vorliegend so zu gestalten wäre, dass ein Durchblicken nicht möglich wäre (6,2233 m²), rechnerisch ohne Berücksichtigung der Situation in den einzelnen Zimmern etwa 58% der gesamten zu der Wohnung gehörenden Fensterglasfläche von 10,75445 m² (6,2233 m² + 4,53115 m²) betrifft.
78
Der Senat hat die betroffene Fensterglasfläche selbst mit folgenden Ergebnissen aufgemessen:

nach Höhen in Metern:

betroffen

freibleibend

betr. Quote gerundet

Balkontür OG

1,69

0,18

0,90

Terrassentür West

0

1,87

0

Oberlicht West

0

0,43

0

Küchenfenster West

0

1,41

0

UG Fenster 1

1,55

0,455

0,77

UG Fenster 2

1,55

0,555

0,74

UG Fenster 3

1,69

0,41

0,80

UG Fenster 4

1,69

0,41

0,80

79
Da die Fenster unterschiedlich breit sind und die nach Westen gerichteten Fenster im Obergeschoss nicht betroffen sind und eine Betrachtung ausschließlich nach den betroffenen Höhen daher das Bild verzerren würde, legt der Senat zum Vergleich zudem eine Gesamtflächenberechnung wie folgt zugrunde:

nach Fläche in cm²:

betroffen

freibleibend

betr. Quote gerundet

Balkontür OG

12928,5

1377

0,90

Terrassentür West

0

14586

0

Küchenfenster

0

11703

0

Oberlicht West

0

3698

0

UG Fenster 1

11935

3503,5

0,77

UG Fenster 2

11935

4273,5

0,74

UG Fenster 3

12506

3034

0,80

UG Fenster 4

12928,5

3136,5

0,80

Summe

62233

45311,5

0,58

nur OG:

betroffen

freibleibend

betr. Quote gerundet

Balkontür OG

12928,5

1377

0,90

Terrassentür West

0

14586

0

Küchenfenster

0

11703

0

Oberlicht West

0

3698

0

Summe

12928,5

31364

0,29

nur UG:

betroffen

freibleibend

betr. Quote gerundet

UG Fenster 1

11935

3503,5

0,77

UG Fenster 2

11935

4273,5

0,74

UG Fenster 3

12506

3034

0,80

UG Fenster 4

12928,5

3136,5

0,80

Summe

49304,5

13947,5

0,78

80
Weiterhin bezieht der Senat in seine Gesamtabwägung folgende Faktoren mit ein:
81
Für die Fenstersprossen unterstellt der Senat im Wege der Schätzung einen Abzug von der als betroffen zu betrachtenden Fensterfläche von 5%. Diese sind zwar selbst ebenfalls lichtundurchlässig. Das wären sie jedoch auch ohne das klägerische Begehr, was nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden kann. Beim zweiflügeligen Küchenfenster hat der Senat wegen der Breite des Mittelbalken 10cm von der aufgemessenen Gesamtbreite abgezogen.
82
Ferner berücksichtigt der Senat auch den vorgetragenen und durch Ortsaugenschein bestätigten Zweck der betroffenen Zimmer: Wenn auch das Schlafzimmer im Untergeschoss nach dem objektiven Erwartungshorizont der Parteien tagsüber möglicherweise nicht zwangsläufig zum ständigen Aufenthalt bestimmt sein mag, anders als etwa die Räumlichkeiten im OG, die auch komplett freibleibende Fenster nach Westen aufweisen, so ist doch das Kinderzimmer tagsüber für Eltern und Kind zum ständigen Aufenthalt bestimmt bzw. eine derartige Verwendung zu erwarten.
83
Der Senat berücksichtigt weiter auch den vor Ort beim Augenschein gewonnenen Gesamteindruck einer – auch ohne das klägerische Begehr – in erheblichen Teilen recht lichtarmen Wohnung. Auch lässt der beim Augenschein gewonnene Gesamteindruck nachvollziehbar erscheinen, dass ein Trockenhalten der Wohnung, auch bei ordnungsgemäßem Lüftungsverhalten, für die Beklagten – auch ohne das klägerische Begehr – eine nicht unerhebliche Herausforderung darstellt.
84
Das Fenster aus dem Badezimmer (Nordseite) zum östlich des Anwesens gelegenen geschlossenen trüben Oberlicht ist nach dem gewonnenen Eindruck beim Augenschein des Senats für die Lichtverhältnisse zu vernachlässigen.
85
Zu berücksichtigen ist auch, dass im Untergeschoss ein 78%-iger Anteil der Fensterfläche betroffen wäre. Bei einer milchglasartigen Belegung wäre insoweit keine hinreichende Sicht nach draußen möglich.
86
Der Senat stellt auch die Kellerfeuchte in seine Abwägung mit ein, die bei geschlossenen Fenstern zur Südseite substanzbeeinträchtigend sein kann. Feuchteschäden am Putz im Untergeschoss hat der Senat, ein Bausenat, während des Augenscheins wahrgenommen und fotografisch dokumentiert. Aus diesem Grund ist letztlich auch der Antrag der Klage zu Ziffer 1. unbegründet, der auf ein mögliches Öffnen der Fenster im Untergeschoss bezogen ist. Insoweit schafft auch das vorgenannte Oberlicht keinen ausreichenden Luftaustausch.
87
Im Obergeschoss wiederum können die westseitige Terrassentür und das Küchenfenster zum Innenhof einen Lichteinfall angesichts der betroffenen Fensterflächen nicht hinreichend gewährleisten. Zu berücksichtigen ist auch, dass der beim Augenschein gewonnene Eindruck von der streitgegenständlichen Wohnung am Nachmittag vorgenommen wurde. Die nach Westen ausgerichteten Fenster erhellen die Wohnung aufgrund des vorgelagerten Lichthofs, insbesondere mit dem Gebäude im Osten und Süden den Innenraum nur ab Nachmittag. Morgens und mittags ist dadurch hingegen noch weniger Lichteinfall zu erwarten. Selbst unter den Bedingungen der Augenscheinnahme zu optimaler Tageszeit am Nachmittag mit Sonnenschein erachtet der Senat die Lichtverhältnisse auch im Erdgeschoss ohne voll durchsichtige Balkontür für nicht zumutbar. Eine Teilbegründetheit des klägerischen Anspruchs, nähme man dessen Teilbarkeit an, etwa lediglich hinsichtlich der Balkontür im Obergeschoss scheidet daher aus. Zudem kommt diese auch bereits aus den oben ausgeführten Gründen zum Brandschutz nicht in Betracht.
88
In seiner Abwägung würdigt der Senat auch die grundsätzlich nachvollziehbaren Interessen des Klägers. Betroffen ist insoweit insbesondere die Hofsituation mit Spielfläche (Sandkasten) für Kinder. In Blickrichtung aus der Richtung der Beklagtenwohnung ist primär ein Arbeits- und Wäschezimmer des Klägers betroffen. Die Blickrichtung in dessen Kinderzimmer erfolgt lediglich seitlich.
89
Der Senat verkennt auch nicht, dass die Grenzlage bei Erwerb der streitgegenständlichen Wohnung durch die Beklagten bereits erkennbar war und diese als wertbestimmender Faktor bereits bei Erwerb vorhanden war.
90
Gleichwohl wertet der Senat das – gerichtsbekannt – psychologische und physiologische Bedürfnis einer weit überwiegenden Mehrheit von Menschen nach natürlichem („unvermilchtem“) Licht als derart schwerwiegend, dass dem Anteil der hier betroffenen Fensterfläche unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein besonders hohes Gewicht in der Abwägung zukommt. Dabei verkennt der Senat nicht den Geltungsanspruch des Art. 43 AGBGB, dessen gesetzgeberische Zielsetzung durch die Rechtsprechung nicht grundsätzlich unterlaufen werden darf. Angesichts des Umfangs der Betroffenheit der Wohnräume einer Familie und Berücksichtigung der vorstehend ausgeführten Umstände des konkreten Einzelfalls ist dem Kläger aber eine Berufung auf Art. 43 AGBGB nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB versperrt.
91
Im Hinblick auf die schlechten Lüftungsmöglichkeiten ist die Klage zu Ziffer 1. auch im Hinblick auf ein Öffnen der Fenster im Untergeschoss unbegründet.
92
3. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 91, 97 ZPO.
93
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens bleiben Entscheidungen zu den Kosten und einer vorläufigen Vollstreckbarkeit einer Endentscheidung vorbehalten, da es sich insoweit lediglich um ein Teilurteil handelt und die Widerklage noch beim Landgericht Nürnberg-Fürth anhängig ist.
94
Dementsprechend bezieht sich die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf die Kostenentscheidung hinsichtlich des Berufungsverfahrens und beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Abwendungsbefugnis entfällt ungeachtet des Streitwerts nicht gem. § 713 ZPO, da der Senat die Revision zugelassen hat.
95
4. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und ein Bedürfnis nach einer Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachvollziehbar erscheint, § 543 Abs. 2 ZPO.
96
Insoweit wird auf Art. 11 BayAGGVG i.V.m. § 8 EGGVG hingewiesen.