Titel:
Nachweis eines Sturmschadens in der Kfz-Versicherung
Normenketten:
AKB 2015 2.2.1.3, 2.5.2.1
ZPO § 286
Leitsätze:
Beim Nachweis einer Beschädigung des Fahrzeugs durch die unmittelbare Einwirkung von Sturm (Ziffer A.2.2.1.3 AKB 2015) kommen dem auf Leistung klagenden Versicherungsnehmer keine Beweiserleichterungen zugute. (Rn. 13)
Ist es zweifelhaft, ob Schäden an einem Kfz durch unmittelbare Einwirkung eines Sturms entstanden sind und kommen andere Ursachen in Betracht, so muss der Versicherungsnehmer voll beweisen, dass die Naturgewalt die einzige oder letzte Ursache für den eingetretenen Schaden gewesen ist und eine andere Ursache ausscheidet. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kaskoversicherung, Sachschaden, Sturm, unmittelbare Einwirkung, Naturgewalten, Beweiserleichterungen, Strengbeweis
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 13.03.2024 – 20 O 6475/22
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.07.2024 – 8 U 775/24
Fundstellen:
VersR 2024, 1345
MDR 2024, 1052
BeckRS 2024, 14392
FDVersR 2024, 014392
VuR 2024, 360
LSK 2024, 14392
NJW-RR 2024, 1158
ZfS 2024, 451
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13.03.2024, Az. 20 O 6475/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Fahrzeugversicherung, die der Kläger für den in seinem Eigentum stehenden Kleintransporter Mercedes Benz Sprinter mit dem amtl. Kennzeichen … bei der Beklagten unterhält.
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Es besteht Teilkaskoschutz mit einer Selbstbeteiligung von 150,00 €. Der Versicherungsschein und die maßgeblichen Versicherungsbedingungen wurden im Rechtsstreit nicht vorgelegt. Der Senat würdigt den Fall daher derzeit unter Zugrundelegung der Musterbedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB 2015).
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Hintergrund des Rechtsstreits ist eine Beschädigung an dem versicherten Fahrzeug, die nach dem Vorbringen des Klägers zwischen dem 17. und 21.02.2022 infolge eines Sturms/Orkans und dadurch umherfliegender Gegenstände entstanden sei. Das Fahrzeug sei während dieses Zeitraums in der O.-Straße in N. abgestellt gewesen.
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Der Kläger fordert die Erstattung der Reparaturkosten (Anlage K 5) unter Abzug der Selbstbeteiligung. Die Beklagte hat eine Eintrittspflicht vorgerichtlich abgelehnt (Anlage K 7, K 8 und K 11).
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In erster Instanz hat der Kläger zuletzt die Zahlung von 6.709,19 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 713,76 € verlangt.
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Das Landgericht hat diese Klage nach Beweisaufnahme vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Kläger nicht habe nachweisen können, dass ein Sturm für die Sachschäden verantwortlich gewesen sei.
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Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine zuletzt erstinstanzlich gestellten Klageanträge weiterverfolgt.
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Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Zu Recht und mit weitgehend überzeugender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus Ziffer A.2.5.2.1 AKB, § 1 Satz 1 VVG verneint und die gesamte Klage abgewiesen. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
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1. Nach allgemeinen Grundsätzen oblag dem Kläger als Versicherungsnehmer der Nachweis des Eintritts eines Versicherungsfalls.
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a) Dieser ist gekennzeichnet durch die Beschädigung des Fahrzeugs durch ein versichertes Ereignis (Ziffer A.2.1.1 AKB). Versichert ist u.a. die unmittelbare Einwirkung von Sturm, Hagel, Blitzschlag oder Überschwemmung auf das Fahrzeug. Als Sturm gilt eine wetterbedingte Luftbewegung von mindestens Windstärke 8. Eingeschlossen sind Schäden, die dadurch verursacht werden, dass durch diese Naturgewalten Gegenstände auf oder gegen das Fahrzeug geworfen werden. Ausgeschlossen sind Schäden, die auf ein durch diese Naturgewalten veranlasstes Verhalten des Fahrers zurückzuführen sind (Ziffer A.2.2.1.3 AKB).
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Daraus ergibt sich, dass der Versicherungsnehmer sowohl für das Vorliegen einer versicherten Naturgewalt als auch für deren unmittelbare Einwirkung auf das Fahrzeug beweispflichtig ist, da es sich um anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmale handelt (vgl. Stiefel/Maier/Stadler, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl., AKB 2015 Rn. 245). Beruft sich der Versicherungsnehmer auf Schäden durch einen Sturm, muss er darlegen und beweisen, dass zum Zeitpunkt der Beschädigung tatsächlich ein Sturm mit der entsprechenden Windstärke geherrscht hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die geltend gemachten Schäden grundsätzlich durch eine bestimmte Naturgewalt verursacht worden sein können, sondern ob dies im konkreten Fall so war. Ist dies zweifelhaft und kommen andere Ursachen in Betracht, muss der Versicherungsnehmer den vollen Beweis führen. Demnach muss er einen Lebenssachverhalt darlegen, aus dem sich ergibt, dass die Naturgewalt einzige oder letzte Ursache für den eingetretenen Schaden gewesen ist, also eine andere Unfallursache ausscheidet (vgl. OLG Köln, r+s 1999, 451). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die eine oder andere Möglichkeit nach den Erfahrungen des täglichen Lebens oder aus sonstigen Gründen eine größere Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.07.2000 – 12 U 311/99, juris; Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., AKB 2015, A.2 Rn. 212).
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Beweiserleichterungen stehen dem Versicherungsnehmer nicht zur Verfügung; er muss den Versicherungsfall im Strengbeweisverfahren nachweisen (vgl. MüKo-VVG/Krischer, 2. Aufl., Kaskoversicherung, Rn. 67). Entgegen der von der Vorinstanz unter Bezugnahme auf eine untergerichtliche Entscheidung befürworteten und auch von der Berufung übernommenen Ansicht (LGU 3-4) kommt dem Versicherungsnehmer eine dem Nachweis des Diebstahls entsprechende Beweiserleichterung nicht zugute, da er sich bei Eintritt einer Naturgewalt gerade nicht in einer vergleichbaren Beweisnot befindet (vgl. OLG Hamm, r+s 2014, 224, 225; Prölss/Martin/Klimke, VVG, 31. Aufl., AKB 2015, A.2.2.1 Rn. 64). Anders als ein Diebstahl, der im Normalfall von niemanden beobachtet wird, stehen bei der Einwirkung von Naturgewalten grundsätzlich sowohl Zeugen als auch die festgestellten Beschädigungen zur Verfügung, anhand derer der Vollbeweis des Versicherungsfalles erbracht werden kann (vgl. Stiefel/Maier/Stadler, a.a.O., Rn. 246). Im Einzelfall bestehende tatsächliche Abgrenzungsschwierigkeiten bei den Schadensursachen rechtfertigen nicht die Annahme einer allgemeinen „Beweisnot“ mit daraus resultierenden Beweiserleichterungen (vgl. MüKo-VVG/Krischer, a.a.O.).
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b) Den somit erforderlichen Beweis hat das Landgericht fehlerfrei als nicht geführt angesehen (LGU 4-5).
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aa) Die Berufungsinstanz stellt einerseits keine vollständige zweite Tatsacheninstanz dar. Daher ist die Beweiswürdigung des Erstgerichts im Rahmen der §§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Wesentlichen darauf zu untersuchen, ob erhebliches Parteivorbringen übergangen worden ist, notwendige Beweise nicht erhoben worden sind, die Beweislast oder das Beweismaß verkannt worden sind oder im Rahmen der Würdigung gegen Denk- oder Naturgesetze verstoßen worden ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21.06.2016 – VI ZR 403/14, NJW-RR 2017, 219 Rn. 10 m.w.N.; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 21. Aufl., § 529 Rn. 5).
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Andererseits dient auch die Berufungsinstanz der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 04.09.2019 – VII ZR 69/17, NJW-RR 2019, 1343 Rn. 11 m.w.N.).
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Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der vom erstinstanzlichen Gericht aufgrund erhobener Beweise getroffenen Feststellungen sind allerdings nur begründet, wenn aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass eine (ergänzende oder wiederholte) Beweisaufnahme in zweiter Instanz zu abweichenden Feststellungen führen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2018 – VII ZR 170/17, NJW-RR 2018, 651 Rn. 15 m.w.N.). Lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit begründen eine solche Wahrscheinlichkeit nicht.
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Um im Rahmen der Berufungsbegründung Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts darzulegen (§§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), genügt es regelmäßig nicht, der plausiblen Auffassung eines Sachverständigen lediglich die abweichende Meinung des Berufungsführers entgegenzuhalten (vgl. OLG Dresden, BeckRS 2020, 28356 Rn. 15.).
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Solange die Beweiswürdigung innerhalb der zuvor genannten Grenzen sachlich überzeugt, wird die Berufung keinen Erfolg haben (vgl. OLG Koblenz, BeckRS 2018, 28845 Rn. 9; Jäckel, Das Beweisrecht der ZPO, 3. Aufl., Rn. 857). Dies ist hier der Fall:
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bb) Das Landgericht hat den Kläger in der gebotenen Weise gemäß § 141 Abs. 1 ZPO informatorisch befragt. Dieser hat erklärt, dass er das Fahrzeug für mehrere Tage „irgendwo in der Straße“ abgestellt habe. Wo genau, könne er nicht mehr sagen. Als er mit dem Fahrzeug wieder davongefahren sei, habe er zunächst keine Beschädigungen wahrgenommen. Erst am nächsten Tag habe er Beulen gesehen, als er das Fahrzeug gereinigt habe.
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Sodann hat der Sachverständige L. ein unfallanalytisches Gutachten erstattet. Er hat die Vielzahl der festgestellten, voneinander abgesetzten Beschädigungen (Deformationen, Einkerbungen und Kratzspuren) näher beschrieben. Am 16. und 17.02.2022 sei das Sturmtief „Ylenia“ für die Wetterlage in N. verantwortlich gewesen. Dieses habe Windspitzen bis 24,7 m/s und Windstärke 9 bis 10 erreicht. Es habe sich um einen schweren Sturm gehandelt, welcher Äste und Bäume brechen, größere Schäden an Gebäuden verursachen und Teile durch die Gegend wirbeln könne. Im fraglichen Zeitraum seien Hochbaumaßnahmen vor Ort durchgeführt worden. Es seien auch einzelne Bäume vorhanden.
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Dass die festgestellten Beschädigungen durch den genannten Sturm hervorgerufen worden seien, erschien dem Sachverständigen L. „technisch grundsätzlich möglich“. Ein Nachweis sei jedoch letztlich nicht möglich, weil die gegen das Fahrzeug gestoßenen Gegenstände nicht dokumentiert worden seien. Es könne sich daher auch um Vorschäden handeln, die von etwaigen Sturmschäden nicht abgrenzbar seien. Möglich seien diesbezüglich etwa Schäden durch Vandalismus oder Gebrauchsschäden. Einen solchen Vorschaden im Dachbereich des Fahrzeugs hat der Kläger im Übrigen im Verlaufe der Beweisaufnahme eingeräumt.
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cc) Danach sind bereits der Schadenszeitpunkt und der konkrete Stellplatz des versicherten Fahrzeugs nicht zuverlässig feststellbar. Eine bedingungsgemäße Beschädigung durch unmittelbare Einwirkung von Sturm ist lediglich möglich; andere Ursachen sind nicht auszuschließen und ebenso möglich. Die bloße Möglichkeit genügt jedoch nicht, um sich persönliche Gewissheit zu verschaffen und eine zweifelsfreie Überzeugung des Gerichts i.S.v. § 286 Abs. 1 ZPO zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.02.1998 – II ZB 15/97, NJW 1998, 1870 m.w.N.). Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich daher als zutreffend.
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2. Mangels Hauptforderung schuldet die Beklagte auch keine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).