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LG München I, Endurteil v. 05.03.2024 – 31 O 10361/23
Titel:

Widerruf eines Online-Autokaufs wegen fehlender Telefonnummer iRd Widerrufsbelehrung

Normenketten:
BGB § 312c Abs. 1, § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 1, Abs. 3, § 357 Abs. 1
EGBGB Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Der einheitliche Erfüllungsort bei Rückabwicklung eines Kaufvertrags am Ort, an dem sich die Sache vertragsgemäß befindet, ist auch dann heranzuziehen, wenn aufgrund einer Annahmeverweigerung lediglich die Kaufpreisrückzahlung begehrt wird. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Fernabsatzvertrag iSd § 312c BGB liegt auch dann vor, wenn der Käufer einen PKW nach Probefahrt ohne persönliche Beratung online bestellt hat. (Rn. 27 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Widerrufsrecht bei Online-Kauf eines selbst konfigurierten PKW ist nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen. (Rn. 32 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Nichtangeben einer auf einer Homepage angegebenen Telefonnummer im Rahmen einer Widerrufsbelehrung führt nicht zu einem Verstoß gegen die Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB. (Rn. 40 – 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auto-Kauf, Rückabwicklung, Erfüllungsort, Widerrufsbelehrung, Telefonnummer, Probefahrt, Fernabsatz, individuelle Konfiguration
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14389

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar
Beschluss
Der Streitwert wird auf 58.170,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht die Rückzahlung des Kaufpreises nach Widerruf für den Kauf eines Kraftfahrzeugs geltend.
2
Der Kläger interessierte sich zunächst für die Elektromobilität und vereinbarte daher über das Internet eine Probefahrt eines Fahrzeugs der Beklagten, welche er auch durchführte.
3
Anschließend bestellte der Kläger über das Internet bei der Beklagten am 24.02.2022 unter der RN116584098 einen Tesla „Model 3 Performance“ zu einem Kaufpreis in Höhe von EUR 58.170,00 brutto. Das Fahrzeug, („FIN“) ..., wurde dem Kläger am 26.09.2022 übergeben. Der Kläger hat das Fahrzeug vor der Übergabe auf sich zugelassen.
4
Die Beklagte hat dem Kläger bei Vertragsschluss am 24.02.2022 eine Widerrufsbelehrung in Textform übermittelt.
5
Die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung lautete wie folgt:
„Widerrufsbelehrung Widerrufsrecht
Wenn Sie ein Verbraucher sind und diesen Vertrag ausschließlich unter der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (wie z.B. über das Internet, per Telefon, E-Mail o.ä.) geschlossen haben, haben Sie das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag nach den nachstehenden Regelungen zu widerrufen.“
Die Widerrufsfrist beträgt vierzehn Tage ab dem Tag, an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Waren in Besitz genommen haben bzw. hat. Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns (T. G. GmbH, L. Straße 27 – 29, 1... B., @t....com) mittels einer eindeutigen Erklärung (z.B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu widerrufen, informieren. Sie können dafür das beigefügte Muster-Widerrufsformular verwenden, das jedoch nicht vorgeschrieben ist.
Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Mitteilung über die Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden.
Folgen des Widerrufs Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, einschließlich der Lieferkosten (mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten, die sich daraus ergeben, dass Sie eine andere Art der Lieferung als die von uns angebotene, günstigste Standardlieferung gewählt haben), unverzüglich und spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag zurückzuzahlen, an dem die Mitteilung über Ihren Widerruf dieses Vertrags bei uns eingegangen ist. Für diese Rückzahlung verwenden wir dasselbe Zahlungsmittel, das Sie bei der ursprünglichen Transaktion eingesetzt haben, es sei denn, mit Ihnen wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart; in keinem Fall werden Ihnen wegen dieser Rückzahlung Entgelte berechnet. Wir können die Rückzahlung verweigern, bis wir die Waren wieder zurückerhalten haben oder bis Sie den Nachweis erbracht haben, dass Sie die Waren zurückgesandt haben, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist.
Sie haben die Waren unverzüglich und in jedem Fall spätestens binnen vierzehn Tagen ab dem Tag, an dem Sie uns über den Widerruf dieses Vertrags unterrichten, an T. G. GmbH, L. Straße 27 – 29,12526 Berlin oder an Ihr örtliches Tesla Delivery Center zurückzusenden oder zu übergeben. Die Frist ist gewahrt, wenn Sie die Waren vor Ablauf der Frist von vierzehn Tagen absenden.
Sie tragen die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
Sie müssen für einen etwaigen Wertverlust der Waren nur aufkommen, wenn dieser Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionswelse der Waren nicht notwendigen Umgang mit Ihnen zurückzuführen ist.
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Der Kläger richtete sodann am 25.5.2023 ein Widerrufsschreiben per E-Mail und Post an die Beklagte und forderte die Rückabwicklung des Kaufvertrages.
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Mit Schreiben vom 19.06.2023 wies die Beklagte den Widerruf des Klägers aufgrund Nichteinhaltung der Widerrufsfrist aufgrund ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung zurück.
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Der Kläger behauptet versucht zu haben das Fahrzeug am 30.05.2023 im T. Delivery Center H. gemäß der unwirksamen Widerrufsbelehrung zurückzugeben. Dies sei jedoch vom Mitarbeiter der Beklagten, Herrn … verwehrt worden.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass die Widerrufsbelehrung der Beklagten nicht ordnungsgemäß war und daher die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt der Widerrufserklärung nicht abgelaufen war. Nach Auffassung des Klägers, sei die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß, da die Telefonnummer der Beklagten trotz Verwendung im Rechts- und Kundenverkehr, unter anderem auf der Website und im Impressum, sowie auch unter Kontakt auf der Konzernwebsite nicht in der Widerrufsbelehrung angegeben worden sei.
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Aufgrund der mangelhaften Widerrufsbelehrung sei nach Auffassung des Klägers auch keine Nutzungsentschädigung/Wertverlust zu zahlen. Auch diesbezüglich sei die Belehrung über die Rechtsfolgen sei nicht ordnungsgemäß erfolgt.
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Da der Kläger das Fahrzeug auch tatsächlich angeboten habe sei auch kein Zug um Zugantrag erforderlich.
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Der Kläger beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 58.170,00 brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 30.06.2023 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
14
Die Beklagte behauptet das der Rückgabeversuch mangels vorheriger Ankündigung nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Die Ankündigung sei erforderlich gewesen, da von einem Mitarbeiter ein Übergabeprotokoll erstellt hätte werden müssen und dafür ausreichend Platz und Rangiermöglichkeit vorhanden hätte sein müssen.
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Die Beklagte ist der Auffassung dass dem Kläger schon kein Widerrufsrecht nach §§ 355 Abs. 1,312g Abs. 1,312c Abs. 1 BGB zustünde, da kein ausschließlich über Fernabsatz geschlossener Kaufvertrag vorläge. Der Kläger habe unmittelbar nach der Probefahrt mit einem baugleichen Fahrzeug den Vertrag geschlossen und hätte dabei die Gelegenheit gehabt Fragen nach den wesentlichen Eigenschaften oder weitere Informationen einzuholen. Weiterhin bestünde kein Widerrufsrecht, da hier das Fahrzeug individuell konfiguriert worden sei § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB.
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung ausgehändigt worden sei und daher die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt der Widerrufserklärung abgelaufen sei. Die Nichtangabe der Telefonnummer führe nicht zu einer Verlängerung der Widerrufsfrist. Da es sich nach Auffassung der Beklagten um eine individuelle Widerrufsbelehrung gehandelt habe und ausreichend auf die Bedingungen, Fristen und auch die Rechtsfolgen des Widerrufs hingewiesen wurde, sei nach Auffassung der Beklagten kein Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Widerrufsbelehrung zu sehen. Der Kläger habe sich auch durch die Eigenzulassung so verhalten, als fühle er sich an den Vertragsschluss gebunden und hätten das Fahrzeug nicht lediglich zu Prüfzwecken angenommen.
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Der Kläger würde sich nach Auffassung der Beklagten auch rechtsmissbräuchlich verhalten, da es gegen Treu und Glauben verstöße, wenn der Kläger die bedingungslose Rückzahlung des Kaufpreises verlange, obwohl der Beklagten nur ein geringfügiger formaler Belehrungsmangel zur Last gelegt wird und zugleich der Kläger die erhaltenen Fördermittel einbehalten wolle.
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Die Beklagte erhob vorsorglich die Einrede aus § 357 Abs. 4 BGB, da der Kläger zunächst mit der Rückgabe des Fahrzeugs leistungspflichtig sei.
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Weiterhin sei der Kläger hilfsweise zur Erstattung von Wertverlust und Schadensersatz verpflichtet. Damit rechnete die Beklagte hilfsweise in Höhe von 19.570 € auf. Das Fahrzeug habe durch die Zulassung und die bestimmungsgemäße Nutzung einen Wertverlust erlitten. Der maßgebliche Händler-Einkaufspreis betrage 38.600 € Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.1.24 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
A. Zulässigkeit – Zuständigkeit
21
Die Klage ist zulässig und das Landgericht München I örtlich und sachlich gemäß §§ 29 ZPO, 23, 71 GVG zuständig.
22
Der Kläger kann hier den Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Begründung der Zuständigkeit des Landgerichts München I anführen. Zwar wird hier nicht die Zahlung Zug um Zug begehrt, jedoch ist hier von einem einheitlichen Erfüllungsort am Ort, wo sich der Kaufgegenstand vertragsgemäß befinden müsste, hier Wohnsitz des Klägers anzunehmen.
23
Der BGH nimmt bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrags einen einheitlichen Erfüllungsort an dem Ort an, wo sich die verkaufte Sache vertragsgemäß befindet (siehe bspw. BGH, NJW 1983, 1478). Der Belegort der Sache führt danach zu einem einheitlichen Erfüllungsort des Rückgewährschuldverhältnisses. Dies ist auch bei einem Widerruf eines Kaufvertrages anzunehmen, da es sich um eine vergleichbare Lage handelt, da wechselseitige Ansprüche erfüllt werden müssen. Zwar ist der Kläger grundsätzlich vorleistungspflichtig,§ 357 Abs. 4 S. 1 BGB, und hat das Fahrzeug zurück zu gewähren, hier steht jedoch ein Ausscheiden der Einrede im Raum, da der Kläger sich auf einen Annahmeverzug der Beklagten beruft.
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Nach Auffassung des Gerichts ist der einheitliche Erfüllungsort auch dann heranzuziehen, wenn aufgrund der hier streitigen Annahmeverweigerung lediglich die Kaufpreisrückzahlung begehrt wird. Ansonsten würde der Kläger schlechter gestellt werden (siehe hierzu Musielak/Voit/Heinrich, 20. Aufl. 2023, ZPO § 29 Rn. 28).
B. Begründetheit
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Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch aus §§ 355 Abs. 3, 357 Abs. 1 BGB zu, da er den Widerruf des Fahrzeugbestellvertrags nicht fristgerecht erklärte. Mangels Hauptanspruch steht ihm auch kein Anspruch auf Verzugszinsen zu.
I. Zahlungsanspruch in Höhe von 58.170,00 brutto aus §§ 355 Abs. 3, 357 Abs. 1 BGB
1. Vorliegen eines Widerrufsrechts nach § 312 c BGB
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Dem Kläger steht ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB iVm § 312g Abs. 1 Alt. 2 BGB zu.
27
Der streitgegenständliche Fahrzeugkaufvertrag stellt einen Fernabsatzvertrag iSd § 312c BGB dar. Unter Fernabsatzverträgen versteht man Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Vorliegend kam der Vertrag ausschließlich durch das Telemedium der Website der Beklagten zu Stande.
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Der Umstand, dass der Kläger zuvor eine Probefahrt mit einem Tesla gemacht hat, steht der Annahme eines Fernabsatzgeschäftes nicht entgegen. Der Wortlaut des § 312c BGB weist darauf hin, dass im zeitlichen Rahmen zwischen Vertragsanbahnung und Vertragsschluss kein persönlicher Kontakt der Parteien stattgefunden haben darf, welcher das Informationsungleichgewicht durchbrechen könnte. Dies ist hier nicht der Fall.
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Der Kläger führte in seiner informatorischen Anhörung am 30.1.24 überzeugend und detailliert aus, dass die Probefahrt nicht mit einem baugleichen Modell stattgefunden habe. Er habe lediglich online einen Termin vereinbarte und dann vor Ort durch Vorzeigen seines Ausweises und seines Führerscheins das Fahrzeug selbstständig ohne Einweisung oder Beratungsgespräch gefahren und auch wieder zurückgegeben. Er habe dann über das Internet die Bestellung eines von ihm selbst konfigurierten Models ausgelöst.
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Damit verbleibt es in Übereinstimmung mit Erwägungsgrund 20 der RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der RL 93/13/EWG des Rates und der RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der RL 85/577/EWG des Rates und der RL 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: „Verbraucherrechte-RL“) dabei, wonach ein Fernabsatzvertrag auch dann vorliegt, wenn der Verbraucher das Geschäft des Unternehmers lediglich zum Zwecke der Information über die Waren oder Dienstleistungen aufsucht und anschließend den Vertrag aus der Ferne verhandelt und abschließt. Der Kläger hat gerade bei der Probefahrt nicht die Details des anschließenden Kaufvertrages mit einem Angestellten der Beklagten besprochen und dies dann lediglich über das Internet abgeschlossen. Vielmehr hat er nach seinem eigenen überzeugenden Vortrag überhaupt kein Beratungs-/Verkaufsgespräch geführt und das streitgegenständliche Fahrzeug dann nach seinen Wünschen online konfiguriert.
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Daher liegt ein Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312c BGB vor.
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Das Widerrufsrecht ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.
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Es besteht vorliegend kein Vertrag iSd § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB über Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Sinn und Zweck des Aussschlusstatbestandes des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ist es, solche Verträge über Waren auszuschließen, in denen die Ware nach speziellen Angaben des Verbrauchers derart individualisiert wurde, dass die Ware für den Unternehmer im Falle einer Rückabwicklung des Vertrags wirtschaftlich wertlos ist, weil er sie gerade wegen der vom Verbraucher veranlassten Individualisierung nicht mehr oder aber nur noch mit erhöhten Schwierigkeiten und deutlichem Preisdefizit absetzen kann.
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Bei dem vorliegenden Pkw ist ausweislich dem für das Gericht insoweit plausiblen Vortrag des Klägers nicht von derart speziellen und besonderen Spezifikationen auszugehen, die zu einer erschwerten Wiederveräußerung im Falle der Rückabwicklung führen würden.
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Eine individuelle Auswahl oder Bestimmung nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt gerade dann nicht vor, wenn Unternehmer gleichartige Spezifikationen allen Kunden anbietet (zB Sonderausstattung bei Pkw, anders: individuell gefertigtes Behindertenfahrzeug) (Jauernig/Stadler, 19. Aufl. 2023, BGB § 312g Rn. 5).
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Der Kläger trug unbestritten in der mündlichen Verhandlung vom 30.1.24 überzeugend vor, dass es nur wenige Konfigurationsmöglichkeiten bei der Bestellung auf der Website der Beklagten gegeben habe. Weiterhin war auch die Beklagte bereit das Fahrzeug abzüglich eines Wertverlustes durch die Zulassung des Klägers und einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer zurückzunehmen. Daher geht das Gericht nicht von einer derart besonderen Individualisierung des Fahrzeugs aus, so dass das Fahrzeug für die Beklagte wirtschaftlich wertlos wäre.
2. Fristwahrung – Widerrufserklärung
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Mit seinen Widerrufserklärungen am 25.5.23, welcher unstreitig der Beklagten zuging hat der Kläger jedoch nach Auffassung des Gerichts die hier einzuhaltende gesetzliche Widerrufsfrist von 14 Tagen nicht eingehalten. Da er das Fahrzeug am 26.09.2022 erhalten hat, begann die Widerrufsfrist nach §§ 355 Abs. 2, 356 Abs. 2 Nr. 1 a) BGB am 27.09.2022 zu laufen (§ 187 Abs. 1 BGB) und endete nach 14 Tagen (§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB), somit am 10.10.2022 (§ 188 Abs. 1 BGB). Der am 25.05.2023 erklärte Widerruf war daher verfristet.
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Auf eine Gesetzesfiktion der Ordnungsgemäßheit der Widerrufserklärung kann sich die Beklagte zwar nicht berufen, da sie nach eigenem Vortrag gerade eine individualisierte Widerrufserklärung verwendete, jedoch liegt auch kein Verstoß gegen Unterrichtungspflichten nach Art. 246 a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB vor, welche zu einem etwaigen verlängerten Fristenlauf nach § 356 Abs. 3 S.1 BGB führen hätten können.
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Insbesondere war die Angabe einer Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nicht erforderlich. Ebenso wenig kann der Kläger aus fehlenden Angaben zu den Folgen des Widerrufs herleiten.
a) Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB
40
Die Widerrufsbelehrung der Beklagten genügt trotz nicht erfolgter Angabe einer Telefonnummer den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB.
(1) WortlautAuslegung
41
Der Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschriften, § 356 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB, enthält keine Regelung, wonach auch die Telefonnummer des Unternehmers in der Widerrufsbelehrung angegeben werden muss. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB verweist nur auf die „Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2“. Aus Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGBGB a.F. bzw. Nr. 3 nach n.F. (dort wird die Telefonnummer genannt) folgt kein anderes Ergebnis. Denn § 356 Abs. 3 S. 1 BGB verweist explizit nur auf Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1. Nr. 1 EGBGB.
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Allenfalls könnte die Widerrufserklärung dann unrichtig sein, wenn für den Verbraucher irreführend die Annahme entsteht, er könne eine von der Beklagten im Rechtsverkehr verwendete Telefonnummer nicht zur Ausübung des Widerrufs nutzten. Dies ist nach dem Wortlaut der von der Beklagten verwendeten Widerrufserklärung jedoch nicht der Fall, da hier gerade nicht explizit der telefonische Widerruf ausgeschlossen wird. Es werden gerade nur beispielhaft Möglichkeiten des Widerrufs aufgezeigt.
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Damit ist die Widerrufserklärung als formlose Erklärung gegenüber dem Unternehmer klar im Rahmen der Darstellungen der Bedingungen des Widerrufs erklärt worden. Dies ergibt sich auch aus Art. 6 Abs. 1 h) iVm Art. 11 Abs. 1 der Verbraucherrechte-RL. Worunter genau der Unternehmer zu erreichen ist, ist nicht unter „Bedingung“ zu subsumieren.
(2) SystematikAuslegung
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Auch eine systematische Auslegung stützt dieses Ergebnis.
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So setzt bspw. das in § 356e S. 1 BGB iVm Art. 249 § 3 EGBGB geregelte Widerrufsrecht bei Verbraucherbauverträgen eine Belehrung unter expliziter Nennung der Telefonnummer voraus. Denn die Frist dieses Widerrufsrechts beginnt nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher gemäß Art. 249 § 3 EGBGB über sein Widerrufsrecht belehrt hat. Diese Vorschrift verweist in Art. 249 § 3 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 EGBGB ausdrücklich auf die Telefonnummer desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist.
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Anders wiederum ist die Regelung bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen. Dort beginnt die Widerrufsfrist nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend § 514 Abs. 2 S. 3 BGB über dessen Widerrufsfrist unterrichtet hat. § 514 Abs. 2 S. 3 BGB verweist auf Art. 246 Abs. 3 EGBGB. Dort wiederum wird nur auf den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, verwiesen.
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Diese Beispiele zeigen auf, dass der Gesetzgeber die notwendigen Anforderungen an die Unterrichtung über das Widerrufsrecht unterschiedlich geregelt hat. Hätte der Gesetzgeber im Falle des § 356 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB gewollt, dass der Unternehmer dem Verbraucher auch eine Telefonnummer nennt, so hätte er dies entsprechend geregelt.
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Weiter zeigt auch das Muster der Widerrufsbelehrung in Anlage 1 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB, dass die Angabe einer Telefonnummer nicht zwingend erforderlich ist. Denn das dortige Muster listet in den Gestaltungshinweisen die Telefonnummer zwar auf, führt gleichzeitig in der Belehrung selbst aber nur beispielhaft die Erklärung des Widerrufs per Post oder per Mail an. Eine fernmündliche Erklärung oder eine Erklärung per Telefax werden nicht genannt. Daraus folgt, dass selbst das (nicht zwingend zu verwendende) Muster die Möglichkeiten der Form der Widerrufserklärung nicht abschließend auflistet. Aus dieser nur beispielhaften Aufzählung folgt aber auch, dass durch die Nichtangabe der Telefonnummer nicht der Eindruck entsteht, als wäre ein mündlicher Widerruf nicht möglich.
49
Auch aus einer Zusammenschau mit weiteren Regelungen der §§ 312 ff. BGB ergibt sich kein anderes Ergebnis. Der Unternehmer soll den Verbraucher nach § 356 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB lediglich über die Bedingungen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufs informieren, sowie, bis wann er widerrufen kann. Dem wird genüge getan ohne auf eine Telefonnummer des Unternehmers zu verweisen. Denn zu unterscheiden ist einerseits zwischen den Informationspflichten nach Art. 246a § 1 Abs. 1 EGBGB und den widerrufsbezogenen Informationspflichten nach Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB. Dass letztere keine Mitteilung einer Telefonnummer vorsehen, führt nicht dazu, dass der Verbraucher gar nicht weiß, wie er den Unternehmer erreichen kann. Nach § 312d Abs. 1 S. 1 BGB ist der Unternehmer durchaus verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Art. 246a EGBGB zu informieren, d.h. auch einschließlich Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGBGB a.F. bzw. Nr. 3 nach n. F. Nur im Hinblick auf die Widerrufsfrist werden die vorzunehmenden Informationspflichten auf Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB beschränkt.
(3) Unionsrecht
50
Da § 356 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB der Umsetzung der Verbraucherrechte-RL dient, sind die Normen auch im Lichte des Unionsrechts auszulegen.
51
Art. 6 der Verbraucherrechte-RL listet in Art. 6 Abs. 1 c) die Kontaktdaten des Unternehmers („gegebenenfalls seine Telefonnummer,“) auf. In Art. 6 Abs. 1 h) wird angeordnet, dass der Unternehmer den Verbraucher vor Vertragsschluss über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung eines bestehenden Widerrufsrechts zu informieren hat. Art. 10 Verbraucherrechte-RL ordnet an, dass die Widerrufsfrist erst 12 Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist endet, wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 h) der Verbraucherrechte-RL über sein Widerrufsrecht belehrt hat. Daraus folgt, dass die Verbraucherrechte-RL differenziert zwischen allgemeinen Informationspflichten und den besonderen, für den Lauf der verlängerten Widerrufsfrist relevanten Informationspflichten nach Art. 6 Abs. 1 h) der Verbraucherrechte-RL. Da auch die dem § 356 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB zugrunde liegende Richtlinie nur auf die widerrufsbezogenen Pflichten verweist, folgt aus einer Nichtangabe der Telefonnummer des Unternehmers nicht, dass die verlängerte Widerrufsfrist aus § 356 Abs. 3 S. 2 BGB greifen würde.
(4) Sinn und Zweck
52
Auch nach Sinn und Zweck der Belehrung über den Widerruf, soll dem Widerrufsberechtigten allgemein das Verfahren des Widerrufs, die Bedingungen und das Recht eines Widerrufs an sich dargelegt werden, so dass er ungehindert schnell mit dem Vertragspartner zum Zwecke der Rückabwicklung des Vertrages in Kontakt kommen kann. Dies ist hier auch nach den überzeugenden Schilderungen des Klägers unproblematisch, auch ohne Benennung einer Telefonnummer, durch Verwendung des Musterwiderrufsformulars möglich gewesen.
(5) Entscheidungen
53
Sofern der Kläger meint, dass es ständige Rechtsprechung des BGH und des EuGH sei, dass bei fehlender Telefonnummer in einer Widerrufsbelehrung bei einem Fernabsatzvertrag nach Ablauf der in § 355 Abs. 2 S. 1 BGB geregelten Frist noch ein Widerrufsrecht bestünde, wenn die Telefonnummer auf der Website oder anderen Veröffentlichungen des Unternehmers als für den Kundenverkehr freigegeben angegeben wird, trifft dies in dieser Pauschalität auf den vorliegenden Fall nicht zu.
54
Der mit Urteil vom 24.09.2020 von dem BGH unter dem Az. I ZR 169/17 entschiedene Fall bezog sich auf einen wettbewerbsrechtlichen Verstoß. Weiter bezog sich der dortige Rechtsstreit auf die Muster-Widerrufsbelehrung in Anlage 1 zu Art. 246a EGBGB. Beides trifft evident nicht auf den hier zu entscheidenden Rechtsstreit zu. Weder geht es um wettbewerbsrechtliche Verstöße noch hat die hiesige Beklagte die Muster-Widerrufsbelehrung aus Anlage 1 verwendet, in der als Ausfüllhinweis steht, dass gegebenenfalls eine Telefonnummer anzugeben ist, soweit sie verfügbar ist.
55
Sofern der Kläger auch auf die EuGH-Rechtsprechung verweist, ist auch hier eine differenzierte Betrachtung geboten. Der EuGH stellte in seiner „Amazon“Entscheidung vom 10.07.2019 (Az. C-649/17) klar, dass eine unbedingte Verpflichtung des Unternehmers, dem Verbraucher stets eine Telefonnummer zur Verfügung zu stellen, damit die Verbraucher mit dem Unternehmer in Kontakt treten können, unverhältnismäßig erscheint. Weiter führte der EuGH in seiner „EIS/TO“Entscheidung vom 14.05.2020 (Az. C-266/19) aus, dass ein Unternehmer, der die Muster-Widerrufsbelehrung der Anlage 1 zu Art. 246a EGBGB verwendet und nach außen eine Telefonnummer für den Kundenverkehr zur Verfügung stellt, auch eine Telefonnummer in dieser Belehrung – entsprechend den Gestaltungshinweisen der Anlage 1 – angeben muss. Aus Sicht des Gerichts erscheint dies überzeugend, da dem Unternehmer, der die Anlage 1 zu Art. 246a EGBGB verwendet, auch die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters zugutekommt.
56
Die hiesige Beklagte kann sich jedoch mangels Verwendung des Musters nicht auf diese Fiktion berufen. Zum anderen folgt aus dieser EuGH-Entscheidung auch nichts für den Fristlauf aus § 356 III BGB bei fehlerhafter, individueller Widerrufsbelehrung.
57
Im Übrigen hat der EuGH (EuGH, NJW 2020, 667 (Rn. 82)) in einer anderen Rechtssache entschieden, dass eine verlängerte Frist infolge fehlerhafter Belehrung erst dann greift, wenn die dem Vertragspartner mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Vertragspartner die Möglichkeit genommen wird, sein Vertragslösungsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Dieser Rechtsgedanke ist auch auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der Kläger wurde durch die fehlende Angabe der Telefonnummer nicht in der Ausübung seines Widerrufsrechts gehindert, da er auf vielfältige, andere Möglichkeiten der Kommunikation mit der Beklagten zugreifen konnte. Dies hat er bspw. durch Erklärung seines Widerrufs per E-Mail auch getan. Der Kläger führte selbst in seiner informatorischen Anhörung aus, dass er für den Widerruf einfach das von der Beklagten beigefügte Widerrufsmusterformular verwendet habe und somit konnte er nach Auffassung des Gerichts problemlos den Widerruf erklären.
58
b) Auch auf eine fehlende bzw. nicht ordnungsgemäße Belehrung über die Höhe der Kosten für die Rücksendung der Ware und einen gegebenenfalls zu leistenden Wertersatz kann sich der Kläger nicht berufen. § 356 Abs. 3 S. 1 BGB ist abschließend. Die für das Eingreifen der verlängerten Widerrufsfrist nach § 356 Abs. 3 S. 2 BGB maßgeblichen Informationen sind nur die in Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB genannten Informationen. Sofern ein Unternehmer über andere, aufklärungspflichtige Umstände, wie etwa die Höhe der Kosten der Rücksendung oder einen zu leistenden Wertersatz, nicht aufklärt, hat dies u. U. zur Folge, dass er keinen Ersatz verlangen kann, nicht jedoch Einfluss auf den Lauf der Widerrufsfrist. Die Rechtsfolgen des Widerrufs sind nach Auffassung des Gerichts nicht unter den Begriff „Verfahren“ zu subsumieren. Der Gesetzgeber hat dies separat unter Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EGBGB geregelt, auf den wiederum § 356 Abs. 3 BGB für den Fristenlauf nicht verweist.
59
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach § 357a Abs. 1 Nr. 2 BGB für den Wertersatz gerade nur noch der Hinweis auf das Widerrufsrecht nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB erforderlich ist. Ein konkreter Hinweis auf die Wertersatzfolge ist gerade nicht mehr Anspruchsvoraussetzung (siehe auch BeckOK BGB/MüllerChristmann, 68. Ed. 1.5.2023, BGB § 357a Rn. 11,MüKoBGB/Fritsche, 9. Aufl. 2022, BGB § 357a Rn. 13)). Anders hat dies der Gesetzgeber im Fall des § 357 Abs. 2, siehe Nr. 3 BGB oder bei § 357 Abs. 5 BGB geregelt.
II. Nebenforderungen
60
Ein Anspruch aus § 288 Abs. 1 BGB iVm § 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB kommt mangels Bestehens eines Zahlungsanspruchs nicht in Betracht.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
62
IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
63
V. Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus dem Hauptsacheantrag.