Titel:
Informatorische Anhörung, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Linksabbieger, Elektronisches Dokument, Beiderseitiges Verschulden, Pkws, Klageabweisung, Gesamtschuldnerische, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Einschaltung eines Sachverständigen, Sachverständigenkosten, Sachverständigengutachten, Vorfahrtsrecht, Betriebsgefahr, Geschäftsgebühr, Post- und Telekommunikationspauschale, Elektronischer Rechtsverkehr, Reparaturkosten, Unabwendbares Ereignis, Haftungsverteilung
Schlagworte:
Zuständigkeit, Gesamtschuldnerische Haftung, Verursachungsbeitrag, Abwägung, Verstoß gegen Verkehrsregeln, Unabwendbares Ereignis, Schadensersatzanspruch
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 03.06.2024 – 3 U 746/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14314
Tenor
1. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.278,79 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.07.2023 zu zahlen.
2. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 540,50 EUR zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 8.662,59 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger macht gegen die beiden Beklagten Ansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend.
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Am 08.02.2023 gegen 14 Uhr ereignete sich im Kreuzungsbereich zwischen der …, der … und der … in … ein Verkehrsunfall zwischen dem Pkw VW Tiguan, amtliches Kennzeichen …, des Klägers (i.F.: Kläger-Pkw), welcher von der Zeugin … geführt wurde, und dem zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten, von der Beklagten zu 1) gesteuerten Pkw Toyota Yaris, amtliches Kennzeichen … (i.F.: Beklagten-Pkw). Der Kläger-Pkw bog aus der … nach links in die … in stadteinwärtiger Richtung ab, der Beklagten-Pkw bog aus der … nach rechts in die … in stadteinwärtiger Richtung ab. Der Kläger-Pkw wurde durch den Zusammenstoß mit dem Beklagten-Pkw auf der rechten Fahrzeugseite beschädigt. Der Beklagten-Pkw wurde durch den Zusammenstoß vorne links beschädigt.
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Ausweislich des vom Kläger in Auftrag gegebenen Gutachtens der Fa. … vom 23.02.2023 (Anlage K2) beträgt die unfallbedingte Wertminderung des Kläger-Pkws 750,00 EUR.
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Die Fa. Abschleppdienst … stellte dem Kläger für die Reparatur des Kläger-Pkws mit Rechnung vom 25.04.2023 (Anlage K1) insgesamt 7.532,59 EUR in Rechnung.
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Die Beklagte zu 2) wurde mit Schreiben vom 22.06.2023 zur Regulierung bis 06.07.2023 aufgefordert.
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Der Kläger behauptet, der Zusammenstoß habe sich ereignet, weil die Beklagte zu 1) den Kläger-Pkw bei der Einfahrt in die … nicht beachtet habe, obwohl der Abbiegevorgang des Kläger-Pkws aus der … in die … bereits vollständig beendet gewesen sei und sich der Kläger-Pkw auf der bevorrechtigten Straße befunden habe, Der Beklagten-Pkw sei für die Zeugin …, als diese mit dem Kläger-Pkw aus der … in die … eingebogen sei, nicht ersichtlich gewesen, der Beklagten-Pkw sei nicht an der Kreuzung gestanden. Der Beklagten-Pkw habe an der Kreuzung der … zur … nicht angehalten, sondern sei in einer Fahrtbewegung in die … eingefahren. Das Fahrverhalten des Beklagten-Pkw ergebe sich auch aus dem Schadensbild am Kläger-Pkw.
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Der Kläger meint, der streitgegenständliche Unfallverlauf sei allein von der Beklagten zu 1) verschuldet worden, da diese die Vorfahrt des Kläger-Pkws missachtet habe. Die Beklagte zu 1) hätte nicht in die … einfahren dürfen, nachdem sich der Kläger-Pkw bereits in gerader Fahrt auf der … befunden habe. Ein Vorfahrtsrecht des Beklagten-Pkws sei nicht verletzt worden. Das Fahrverhalten des Beklagten-Pkw ergebe sich auch aus dem Schadensbild am Kläger-Pkw. Ihm stehe daher ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 8.662,59 EUR zu, welcher sich aus folgenden Positionen zusammensetze: Reparaturkosten in Höhe von 7.532,59 EUR, Wertminderung in Höhe von 750,00 EUR, Nutzungsersatz in Höhe von 350,00 EUR (7 Tage zu je 50,00 EUR) und Auslagenpauschale in Höhe von 30,00 EUR. Zudem bestehe ein Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 EUR (1,3 Geschäftsgebühr aus Gegenstandswert von 8.662,58 EUR nebst Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 EUR nebst Mehrwertsteuer).
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 8.662,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 24.05.2023 zu bezahlen sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 887,03 €.
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Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen jeweils:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagten zu 1) und 2) behaupten, die Beklagte zu 1) sei mit dem Beklagten-Pkw an der Sichtlinie der … gestanden und habe nach rechts geblinkt. Sie habe sich vergewissert, ob aus ihrer Sicht von links aus der … Verkehr komme, den sie ja zu beachten hätte. Den Kläger-Pkw habe sie auf der gegenüberliegenden … gesehen. Nach dem Halten und Schauen sei sie mit dem Beklagten-Pkw angefahren. Bei ihrem Abbiegevorgang nach rechts sei es zur Kollision gekommen.
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Die Beklagten zu 1) und 2) meinen, die Klagepartei hafte alleine für den streitgegenständlichen Unfall. Auf Seiten der Klagepartei liege ein Vorfahrtsverstoß gegen § 9 Abs. 4 S. 1 StVO vor, da die Zeugin … als Fahrerin des Kläger-Pkws den Abbiegevorgang der Beklagten zu 1) nach rechts erst hätte abwarten müssen. Der aus der gegenüberliegenden … kommende Kläger-Pkw sei gegenüber dem Beklagten-Pkw wartepflichtig gewesen, da der entgegenkommende Rechtsabbieger (hier: Beklagten-Pkw) vor dem eingeordneten Linksabbieger (hier: Kläger-Pkw) Vorrang habe. Vom Linksabbieger sei ein besonders hohes Maß an Sorgfaltspflicht zu verlangen. Der streitgegenständliche Unfall sei für die Beklagte zu 1) unvermeidbar gewesen. Für die Beklagte zu 1) habe es keinen objektiven Grund und keine Veranlassung gegeben, auf ihr Vorfahrtsrecht zu verzichten. Der streitgegenständliche Verkehrsunfall wäre für die Klagepartei bei Abwarten des Abbiegevorgangs des Beklagten-Pkws vermeidbar gewesen. Im Falle einer Haftung der Beklagten zu 1) und 2): Die Unfallkostenpauschale bestünde nur in Höhe von 25,00 EUR. Nutzungsersatz sei höchstens für vier Tage geschuldet, da die Reparatur des Kläger-Pkws laut Gutachten der Fa. … maximal vier Tage betrage.
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Das Gericht hat am 01.02.2024 mündlich verhandelt. Die Beklagte zu 1) wurde informatorisch angehört. Beweis wurde erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen … und … sowie das mündliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. … Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der informatorischen Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Im Übrigen wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig (A.), jedoch nur teilweise begründet (B.).
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das angerufene Gericht zuständig. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32 ZPO und § 20 StVG, da sich der Unfall im hiesigen Gerichtsbezirk ereignet hat.
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Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet, da der Kläger gegen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zwar dem Grunde gem. §§ 18 Abs. 1 und 3, 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG Anspruch auf Ersatz der ihm entstandenen Schäden hat, entsprechend der Abwägung der Verursachungsbeiträge jedoch nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG eine Kürzung um 50 % vorzunehmen ist (I.). Der zu ersetzende Schaden beträgt daher insgesamt 4.278,79 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, allerdings erst seit 07.07.2023 (II.). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen. Ein Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht nur in Höhe von 540,50 EUR (III.). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
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I. Die Beklagten zu 1) und 2) haften gegenüber dem Kläger dem Grunde nach gesamtschuldnerisch zu 50 %.
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1. Zwischen den Parteien steht unstreitig fest, dass es beim Betrieb von Kraftfahrzeugen zu einem schädigenden Ereignis i.S.v. § 7 StVG gekommen ist. Der Kläger ist Eigentümer des Kläger-Pkws. Die Klagepartei hat nicht vorgetragen, dass die Beklagte zu 1) Halterin des Beklagten-Pkws war, die Beklagte zu 1) war zum Unfallzeitpunkt aber unstreitig Führerin des Beklagten-Pkws. Die Beklagten zu 2) war zum Unfallzeitpunkt Haftpflichtversicherer des Beklagten-Pkws. Ein Haftungsausschluss aufgrund höherer Gewalt gem. § 7 Abs. 2 StVG ist nicht gegeben.
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2. Für die Haftung der Fahrzeughalter nebeneinander gilt, dass die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, abhängt. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Halter der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren sind nach der ständigen Rechtsprechung neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 26.04.2005, Aktenzeichen VI ZR 228/03). Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (BGH, Urt. v. 20.09.2011, Aktenzeichen VI ZR 282/10); das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, Urt. v. 07.02.2012, Aktenzeichen VI ZR 133/11). Hinsichtlich der Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder Halter die Umstände beweisen muss, die zu Ungunsten des anderen Halters berücksichtigt werden sollen (BGH, Urt. v. 13.02.1996, Aktenzeichen VI ZR 126/95).
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Das Verschulden des Führers eines Kraftfahrzeugs zum Unfallzeitpunkt wird gem. § 18 Abs. 1 S. 2 StVG vermutet, wobei eine Exkulpation möglich ist. Der Fahrzeugführer kann den Entlastungsbeweis führen, wobei ihn die Beweislast hinsichtlich sämtlicher Tatsachen trifft, die als Verschulden in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 11.06.1974, Aktenzeichen VI ZR 37/73).
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3. Das Gericht ist aufgrund der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der Angaben der Beklagten zu 1) im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung (soweit ihr gefolgt werden kann) davon überzeugt, dass die Fahrerin des Kläger-Pkws gegen § 9 Abs. 4 S. 1 StVO verstoßen hat. Die Beklagte konnte sich nicht gem. § 18 Abs. 1 S. 2 StVG exkulpieren, sondern hat nach Überzeugung des Gerichts gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen.
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a) Der Sachverständige Dipl.-Ing. …, der dem Gericht als erfahrener und kompetenter Gutachter bekannt ist, hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt, dass sich aufgrund des Schadensbildes an beiden Fahrzeugen zum Unfallzeitpunkt eine Schrägstellung des Beklagten-Pkws zur Längsachse des Kläger-Pkws in einer Größenordnung von etwa 20 bis 25 Grad sowie eine deutlich höhere Geschwindigkeit des Klägers-Pkws im Vergleich zum Beklagten-Pkw ergebe und sich die Kollision am Ende des Kreuzungsbereiches zwischen der … und der … ereignet habe. Aus technischer Sicht lasse sich nicht sicher feststellen, wie sich beide Fahrzeuge tatsächlich bei Annäherung bis zum Erreichen der Kollisionsposition verhalten hätten. Unter Berücksichtigung der sich aus technischer Sicht ergebenden Bandbreiten sei der Kläger-Pkw jedoch sicher als erstes Fahrzeug in den Kreuzungsbereich eingefahren. Zum Zeitpunkt der Kollision habe sich der Kläger-Pkw mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits in einer parallel zur … ausgerichteten Fahrposition befunden. Der Beklagten-Pkw sei bei Anfahrt des Kläger-Pkws in die … bei Blick in die … sicher erkennbar gewesen, wobei die Entfernung des Beklagten-Pkws von dessen Annäherungsgeschwindigkeit abhängig sei. Der streitgegenständliche Unfall wäre für die Fahrerin des Kläger-Pkws bei Zurückstellen ihres Abbiegevorgangs nach links vermeidbar gewesen. Aufgrund des für ihren Abbiegevorgang zurückzulegenden Fahrtwegs hätte für sie ausreichend Zeit bestanden, durch Abbremsung oder Reduzierung der Geschwindigkeit des Kläger-Pkws dem schräg einfahrenden Beklagten-Pkw die Vorfahrt zu gewähren, falls dies aus juristischer Sicht zu fordern sei. Für die Beklagte zu 1) sei der streitgegenständliche Unfall aus technischer Sicht ebenfalls vermeidbar gewesen, indem sie den Abbiegevorgang in die … zurückgestellt und den für sie sichtbaren, sich bereits im Bereich der Mitte der … befindlichen Kläger-Pkw hätte vorbeifahren lassen.
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b) Die Beklagte zu 1) gab im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung an, sie sei mit dem Beklagten-Pkw mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h auf der … in Richtung … gefahren. Sie sei nicht vom Parkplatz des …-Supermarktes gekommen. Es habe gute Sicht geherrscht. Beim Heranfahren an die Kreuzung zur … habe sie nach rechts geblinkt und sei langsam an die Kreuzung herangefahren. Von links aus der ihrer Meinung nach vorfahrtsberechtigten … sei kein anderes Fahrzeug gekommen, weshalb sie ohne vollständig anzuhalten in stadteinwärtiger Richtung in die … eingefahren sei. Sie wisse nicht mehr, ob sie vor dem Einfahren in die … nachgesehen habe, ob sich an der gegenüberliegenden Kreuzung zur … ein anderes Fahrzeug befinde. Kurz nach dem vollständigen Einfahren des Beklagten-Pkw in die … habe sie links neben dem Beklagten-Pkw ein anderes Fahrzeug bemerkt, wobei sie nicht angeben könne, wo dieser hergekommen sei. Sie habe deshalb abgebremst, vor dem Stillstand des Beklagten-Pkw sei es aber zu seinem Zusammenstoß mit dem anderen Fahrzeug gekommen.
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c) Die Zeugin … gab an, mit dem Kläger-Pkw auf der … in Richtung … gefahren zu sein, um nach links in die … in stadteinwärtiger Richtung abzubiegen. An der Kreuzung zur … habe sie nicht ganz angehalten, sondern sich in die … hinein getastet. Vor ihrer Einfahrt in die … habe sie keinen anderen Pkw in der gegenüberliegenden … im unmittelbaren. Kreuzungsbereich gesehen; auf den Verlauf der … dahinter habe sie nicht geachtet. Sie sei bogenförmig aus der … in die … abgebogen. Der Kläger-Pkw habe sich, als sie den Abbiegevorgang in die … beendet habe, etwa in Höhe der Kreuzung der … zur … befunden. In diesem Moment, der Kläger-Pkw sei bereits geradeaus auf der … gefahren, habe sie plötzlich einen Schlag gehört und ein „Ruckerin“ verspürt. Im Rückspiegel habe sie hinter ihrem Pkw ein blaues Fahrzeug gesehen, den Abstand könne sie heute nicht, mehr angeben, jedoch nicht ganz nah an ihrem Fahrzeug. Sie habe an der nächsten Bushaltestelle angehalten und den Schaden an der rechten Fahrzeugseite des Kläger-Pkws erst nach dem Aussteigen bemerkt. Die Sicht sei nicht wetterbedingt beeinträchtigt gewesen.
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d) Die Zeugin … gab an, mit einem Pkw mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h auf der … in Richtung Stadtmitte gefahren zu sein, als sie in etwa 500 Metern Entfernung den Kläger-Pkw aus der … nach links in die … habe abbiegen sehen. Nachdem dieser Pkw etwa in Höhe der Kreuzung der … zur … seinen Abbiegevorang beendet habe sei der Beklagten-Pkw aus der … nach rechts in die … ein- und dem Kläger-Pkw in die rechte Fahrzeugseite hineingefahren. Der Zusammenstoß habe sich noch im Bereich der Kreuzung … und … auf der …, etwa in Höhe der Mitte der Rechtsabbiegerspur der … ereignet. Kurz darauf hätten beide Fahrzeuge angehalten. Den Beklagten-Pkw habe sie vor dem Zusammenstoß erstmals bemerkt, als dieser noch auf der … in Höhe des dortigen …-Supermarkts gefahren sei. Der Kläger-Pkw habe sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf der … befunden.
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e) Das Gericht hält aufgrund seines persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung die Angaben der Zeuginnen … und … jeweils für glaubhaft, da sie die ihnen gestellten Fragen jeweils detailliert und flüssig sowie in ruhigem Tonfall beantwortet und bestehende Erinnerungslücken offen zugegeben haben. Ihre Angaben sind unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Standpunkts nachvollziehbar und widerspruchsfrei mit dem Gutachten des Sachverständigen vereinbar.
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Weiterhin hält das Gericht aufgrund seines persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung auch die Angaben der Beklagten zu 1) im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung, soweit ihnen gefolgt werden kann, für glaubhaft. Das Gericht hält die Angaben der Beklagten zu 1), wonach sie kurz nach dem vollständigen Einfahren in die … links neben dem Beklagten-Pkw ein anderes Fahrzeug bemerkt habe, abgebremst habe und es dann zum Zusammenstoß gekommen sei, für durch das Gutachten des Sachverständigen und die Angaben der Zeuginnen … und … widerlegt. Hinsichtlich der genannten Angaben der Beklagten zu 1) kann eine falsche Erinnerung der Beklagten zu 1) jedoch nicht ausgeschlossen werden, da es sich bei dem streitgegenständlichen Unfall um ein schnelles Geschehen gehandelt hat und sich eine unzureichende Aufmerksamkeit der Beklagten zu 1) nach Überzeugung des Gerichts daraus ergibt, dass sie den laut Sachverständigengutachten zum Zeitpunkt ihrer Einfahrt in die … bereits in der Mitte der Kreuzung befindlichen, für sie sicher sichtbaren Kläger-Pkw nicht wahrgenommen hat.
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f) Die Zeugin … als Führerin des Kläger-Pkws zum Unfallzeitpunkt hat gegen § 9 Abs. 4 S. 1 StVO verstoßen, indem sie den entgegenkommenden Beklagten-Pkw, welcher nach rechts abbiegen wollte, als Linksabbiegerin nicht durchfahren ließ. Im Zeitpunkt der Anfahrt des Kläger-Pkws aus der … in die … war der Beklagten-Pkw war für die Zeugin … bei Blick in die … sicher erkennbar. Die Zeugin … hätte den Unfall durch Zurückstellen ihres Abbiegevorgangs nach links verhindern können. Zwar hat sich der streitgegenständliche Unfall erst ereignet, als sich der Kläger-Pkw bereits in einer parallel zur … ausgerichteten Fahrposition befunden hat, der unfallkausale Verstoß gegen das Vorfahrtsrecht des Beklagten-Pkws hat sich jedoch schon vor Abschluss des Abbiegevorgangs des Kläger-Pkws ereignet. Für den Verstoß ist unbeachtlich, dass die Zeugin … den Beklagten-Pkw laut ihren Angaben während des Abbiegevorgangs nicht wahrgenommen hat.
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g) Die Beklagte zu 1) hat gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift haben sich Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Dagegen hat die Beklagte zu 1) – auch unter Berücksichtigung ihres Vorfahrtrechts als Rechtsabbiegerin – verstoßen, indem sie ohne auf den Kläger-Pkw zu achten aus der … nach rechts in die … eingefahren ist, obwohl sich der Kläger-Pkw zu diesem Zeitpunkt bereits für sie sichtbar im Bereich der Mitte der … befunden hat. Unter Berücksichtigung der überschaubaren Größe des Kreuzungsbereichs, die der Sachverständige anhand der im Gutachten verwendeten Lichtbilder anschaulich verdeutlicht hat, und der vom Sachverständigen ermittelten Bandbreite der Geschwindigkeiten und Positionen des Kläger-Pkws beim Abbiegevorgang befand sich der Kläger-Pkw zu diesem Zeitpunkt in einer solch geringen Entfernung zum Beklagten-Pkw, dass – gemessen am Maßstab des § 1 Abs. 2 StVO – bei Einfahrt des Beklagten-Pkws in die … von einer erheblichen Gefährdung der Führerin des Kläger-Pkws und des Kläger-Pkws auszugehen war.
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4. Der streitgegenständliche Verkehrsunfall stellt für beide Parteien jeweils kein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG dar.
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a) Ein Ereignis gilt gem. § 17 Abs. 3 StVG nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt beachtet haben. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, gemessen an den durch durchschnittlichen Verkehrsanforderungen eines Idealfahrers (BGH, Urteil vom 28.05.1985, Aktenzeichen VI ZR 258/83). Insoweit ist jede Partei darlegungs- und beweisbelastet für die Umstände, die zu einer Unvermeidbarkeit für sie führen.
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b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend jeweils nicht gegeben, da das Gericht aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt ist, dass der Unfall bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt vermieden worden wäre. Das Gericht schließt sich diesbezüglich insbesondere den überzeugenden und nachvollziehbaren, bereits oben dargestellten Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. … an.
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5. Die Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge gemäß §§ 17 Abs. 1 und 2 StVG ergibt, dass die Haftungsquote des Klägers 50 % und die der Beklagtenseite 50 % beträgt.
33
a) Auch für die Haftung nebeneinander gilt, dass die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, abhängt. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren sind nach der ständigen Rechtsprechung neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 26.04.2005, Aktenzeichen VI ZR 228/03). Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (BGH, Urt. v. 20.09.2011, Aktenzeichen VI ZR 282/10); das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, Urt. v. 07.02.2012, Aktenzeichen VI ZR 133/11).
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b) Die Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge gem. §§ 17 Abs. 2 StVG ergibt die oben genannte Haftungsquoten. Im vorliegenden Einzelfall besteht trotz Verstoßes gegen § 9 Abs. 4 S. 1 StVO keine Alleinhaftung der Klagepartei, da der Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 1 Abs. 2 StVO und der Verstoß der Klagepartei gegen § 9 Abs. 4 S. 1 StVO unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr der beiden Fahrzeuge gleichwertig zu gewichten sind. Die Beklagte zu 1) hatte zwar Vorfahrt, da sie nach rechts in die … abbiegen wollte, während der Kläger-Pkw nach links in die … abbiegen wollte. Weiterhin darf der sichtbare Bevorrechtigte grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Linksabbieger sein Vorrecht auf ungehinderte Vorbeifahrt beachten werde (BGH, Urteil vom 19.05.1981, Aktenzeichen VI ZR 8/80). Liegen jedoch besondere Umstände vor, die auf eine drohende Verkehrswidrigkeit des entgegenkommenden Linksabbiegers hindeuteten, muss sich der Rechtsabbieger auf diese Möglichkeit einstellen (vgl. BayObLG, Beschluß vom 22.04.1975, Aktenzeichen 1 Ob OWi 66/75). Der gegenüber dem entgegenkommenden Linksabbieger Bevorrechtigte darf sich sein Vorrecht nicht erzwingen, wenn er erkannt hat oder hätte erkennen können, das es vom Linksabbieger missachtet wird (BGH, Urteil vom 12.03.1963, Aktenzeichen VI ZR 90/62 zur vergleichbaren Konstellation des Unfalls zwischen Geradeausfahrer und Linksabbieger). Bei Erkennbarkeit einer durch das Abbiegen des anderen Verkehrsteilnehmers geschaffenen Gefahrenlage kommt ein Mitverschulden des Berechtigten in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 25.01.1972, Aktenzeichen IV ZR 164/70 zur vergleichbaren Konstellation des Unfalls bei Abbiegen in ein Grundstück). Wie bei den Ausführungen zum Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 1 Abs. 2 StVO dargelegt begründete das Fahrverhalten der Beklagten zu 1) aufgrund der geringen, für die Beklagte zu 1) erkennbaren Entfernung des Kläger-Pkws im Zeitpunkt der Einfahrt des Beklagten-Pkws in die … eine erhebliche Gefährdungslage, wegen der eine hälftige Haftungsverteilung angemessen erscheint.
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II. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin beträgt insgesamt 4.278,79 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.07.2023.
36
1. Die geltend gemachten Reparaturkosten wurden von den Beklagten nicht bestritten. Entsprechend der hälftigen Haftungsquote sind damit Reparaturkosten in Höhe von 3.766,29 EUR zu erstatten.
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2. Die dem Kläger entstandenen Sachverständigenkosten sind in Höhe von 50 %, mithin 375,00 EUR zu ersetzen. Die Sachverständigenkosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Begutachtung durch einen Sachverständigen ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte (BGH, Urt. v. 30.11.2004, Aktenzeichen VI ZR 365/03). Das ist bei den unfallbedingt eingetretenen erheblichen Schäden im vorliegenden Fall zu bejahen.
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3. Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung wird seitens des Gerichts gem. § 287 ZPO auf insgesamt 250,00 EUR geschätzt, wovon der Kläger Anspruch auf Zahlung von 50 % (125,00 EUR) hat. Die Zeugin … konnte nicht mehr angeben, wie lange die Reparatur gedauert hat. Der Sachverständige Dipl.-Ing. … legte nachvollziehbar und überzeugend dar, dass für die Reparatur des Kläger-Pkws fünf bis sechs Tage erforderlich seien. Bei einem Tagessatz von 50,00 EUR ergeben sich bei fünf Tagen insgesamt 250,00 EUR.
39
4. Die Höhe der Nebenkostenpauschale wird seitens des Gerichts auf 25,00 EUR geschätzt, § 287 ZPO. Die Beklagten haben entsprechend der hälftigen Haftungsverteilung daher 12,50 EUR zu erstatten.
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5. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB, besteht jedoch erst ab 07.07.2023. Die Beklagte zu 2) wurde mit Schreiben vom 22.06.2023 zur Zahlung bis 06.07.2023 aufgefordert. Eine Zahlung erfolgte unstreitig nicht.
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III. Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten, jedoch nur in Höhe von 540,50 EUR; im Übrigen ist die Klage abzuweisen. Die Höhe der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten errechnet sich aus einer Geschäftsgebühr von 1,3 bei einem Verfahrenswert von 4.278,79 EUR in Höhe von 434,20 EUR nebst Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 EUR und Steuer.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.