Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 10.06.2024 – W 8 K 23.591
Titel:

Kein Erlass von auf Erben übergegangene Gewerbesteuerschulden mangels entsprechender Nachweise und wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht

Normenketten:
AO § 227, § 228, § 231 Abs. 1 S. 1, § 232
VwGO § 43 Abs.
Leitsätze:
1. Mit den Regelungen der Verjährungsunterbrechung in § 231 Abs. 1 S. 1 AO soll dem Gläubiger des Zahlungsanspruchs genügend Zeit gelassen werden, seinen fälligen Zahlungsanspruch zu verwirklichen. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
2. Jede an den Steuerpflichtigen gerichtete Maßnahme iSd § 231 Abs. 1 AO, aus der für den Steuerpflichtigen erkennbar wird, dass die Behörde ihren Zahlungsanspruch nicht aufgibt, unterbricht als Realakt die Zahlungsverjährung. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine Verjährungsunterbrechnung nach § 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO genügen die bloße interne Anordnung einer Zwangsvollstreckung oder ein Vollstreckungsersuchen an eine andere Behörde nicht. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für eine Unterbrechung der Verjährung nach § 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 AO bei Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen kommt es auf dessen Kenntnis hiervon nicht an. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bei dem Unterbrechungstatbestand des § 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 AO gilt keine besondere Formvorschrift. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
6. Abfragen der Meldedaten im Bayerischen Behördeninformationssystem (BayBIS) zur Wohnortermittlung sind nicht bloß innerdienstlich, sondern außenwirksam, weil auf außerhalb der Steuerbehörde (beklagte Stadt) geführte Datenbestände zugegriffen wurde. (Rn. 64 – 68) (redaktioneller Leitsatz)
7. Bei der Geltendmachung persönlicher Billigkeitsgründe besteht eine erhöhte Mitwirkungsverpflichtung des Steuerpflichtigen, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen regelmäßig im Wissens- und Einflussbereich des Steuerpflichtigen liegen; dieser muss insbes. auf Anforderung seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse substantiiert darlegen. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)
8. Der Steuerpflichtige ist gehalten, seine wirtschaftliche Situation unter Berücksichtigung etwaiger finanzieller Spielräume zeitnah gegenüber der Gemeinde darzulegen und durch geeignetes Zahlenmaterial bzw. sonstige Unterlagen glaubhaft zu machen. (Rn. 94) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
zulässige Feststellungsklage und Anfechtungsklage bzw. hilfsweise Versagungsgegenklage, Schuldübergang auf Erben, keine Zahlungsverjährung, Unterbrechungshandlungen, wirksame anlassbezogene Aufenthalts- und Wohnsitzermittlungen, kein Anspruch auf Erlass der Steuerschulden mangels entsprechender Nachweise und wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht, keine Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit, Zahlungsverjährung, Gewerbesteuerschulden, Aufenthalts- und Wohnsitzermittlungen, Erlassbedürftigkeit, Erlasswürdigkeit
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 31.03.2025 – 4 B 24.2040
VGH München, Beschluss vom 28.11.2024 – 4 ZB 24.1226, 4 ZB 24.2021
VGH München, Beschluss vom 29.11.2024 – 4 ZB 24.1226
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14287

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen auf sie als Erben übergegangene Gewerbesteuerschulden. Sie berufen sich zum einen auf Verjährung und begehren zum anderen hilfsweise den Erlass der Schulden.
2
Der Ehemann der Klägerin zu 1), gleichzeitig der Vater des Klägers zu 2), betrieb ein … in der beklagten Stadt. Ihm gegenüber setzte die Beklagte mit bestandskräftigen Bescheiden vom 24. Juli 2013 auf der Grundlage der Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamtes vom 10. Juli 2013 für das Jahr 2008 Gewerbesteuer in Höhe von 7.680,75 EUR, für 2009 von 7.476,70 EUR und für 2010 von 5.320,70 EUR sowie Nachzahlungszinsen für 2008 mit 1.491,00 EUR, für 2009 mit 1.005,00 EUR und für 2010 mit 397,00 EUR fest und stellte die Forderungen zum 29. August 2013 fällig. Nach dessen Tod am 28. Oktober 2013 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1) – Ehefrau – und dem Kläger zu 2) – Sohn – als Gesamtrechtsnachfolgern am 24. April 2014 Leistungsgebote für die Gewerbesteuer- und Zinsrückstände einschließlich Mahngebühren und Säumniszuschlägen in Höhe von 24.814,15 EUR. Nach einer zwischenzeitlichen Aussetzung der Vollziehung stellte die Beklagte mit Schreiben vom 12. Mai 2015 gegenüber den Klägern die Gewerbesteuer- und Zinsforderungen in Höhe von 23.371,15 EUR zum 15. Juni 2015 zur Zahlung fällig.
3
Mit weiteren Bescheiden vom 19. Oktober 2015 setzte die Beklagte für die Jahre 2012 und 2013 Gewerbesteuer, Verspätungszuschläge und Zinsen in Höhe von zusätzlich 2.479,40 EUR gegenüber den Klägern als Gesamtrechtsnachfolgern des Verstorbenen fest und stellte die Forderungen zum 23. November 2015 fällig. Mit Bescheiden vom 6. April 2017 reduzierte die Beklage auf der Grundlage geänderter Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamtes die Gewerbesteuerforderung für 2009 um 404,25 EUR und für 2010 um 1.682,45 EUR und setzte Erstattungszinsen für 2009 mit 54,00 EUR und für 2010 mit 127,00 EUR fest.
4
Mit Schreiben vom 10. August 2017 ließen die Kläger durch ihre Steuerberatergesellschaft den Erlass der Rückstände aus der Gewerbesteuer mit Nebenkosten für die Jahre 2008 bis 2013 aufgrund persönlicher Billigkeitsgründe beantragen, da sie die geerbten Steuerschulden nicht zu vertreten hätten und die Erhebung ihrer Existenz bedrohe sowie den Lebensunterhalt gefährde. Hinsichtlich der Säumniszuschläge werde aufgrund der Zahlungsunfähigkeit der Erben das Ziel als Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuerforderungen verfehlt.
5
Die Anträge lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. September 2018 gegenüber dem Kläger zu 2) und mit Bescheid vom 26. September 2018 gegenüber der Klägerin zu 1) mangels Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Nachweis nicht habe geführt werden können, dass die wirtschaftliche Existenz der Kläger bei Einziehung der Steuer ernstlich gefährdet sei. Eine Wohnung in Italien stelle verwertbares Vermögen dar. Außerdem sei die Erlasswürdigkeit abzulehnen, da die Abgabenpflichtigen ihren Mitwirkungspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen seien, da widersprüchliche und unzureichende Angaben gemacht worden seien. Darüber hinaus komme ein Erlass nicht den Pflichtigen, sondern der Finanzverwaltung zugute.
6
Gegen die Ablehnung des Erlasses ließen die Kläger Widerspruch einlegen. Zur Widerspruchsbegründung ließen sie im Wesentlichen vorbringen, es treffe nicht zu, dass die Mitwirkungspflichten verletzt worden seien, da die fehlerhaften Angaben und die nicht vorgelegten Unterlagen nicht entscheidungserheblich gewesen seien bzw. nicht schlüssig dargelegt worden sei, welchen Erkenntnisgewinn die Beklagte aus den Angaben und Unterlagen erhoffe. Die Wohnung in Italien stelle weder verwertbares Vermögen dar, noch könne sie als Sicherheit für einen Kredit dienen. Die Kläger seien nicht Steuerschuldner, so dass der Erlass der Steuerschulden bei den Erben im Erhebungsverfahren nicht auf das Steuerfestsetzungsverfahren beim Steuerschuldner durchschlage.
7
Das zuständige Finanzamt hatte mit Bescheid vom 28. November 2017 den Erlass der Steuerschulden aus Einkommenssteuer, Solidaritätszuschlag und Umsatzsteuer einschließlich Zinsen und Säumniszuschlägen in Höhe von 78.125,46 EUR abgelehnt.
8
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2023 wies die Regierung von Unterfranken die Widersprüche zurück (Nr. 1). Weiter verpflichtete sie den Kläger zu 2) zur Tragung der Kosten des Widerspruchsverfahren (Nr. 2). Für den Widerspruchsbescheid wurde eine Gebühr in Höhe von 369,00 EUR festgesetzt (Nr. 3). Zur Begründung des Widerspruchsbescheides ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Ablehnung des Erlasses mit den Bescheiden der beklagten Stadt vom 25. und 26. August 2018 sei rechtmäßig, da die Kläger keinen Anspruch auf Erlass der Forderungen hätten. Ermessensfehler seien nicht gegeben. Ein Erlass gemäß § 227 AO setze voraus, dass die Einziehung der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Steuern unbillig wäre. Eine unbillige Härte könne sich aus sachlichen oder persönlichen Gründen ergeben. Eine sachliche Unbilligkeit liege nicht vor, denn die von der beklagten Stadt geltend gemachten Abgaben seien vom Sinn und Zweck der jeweiligen Rechtsgrundlagen gedeckt. Ein Erlass aus persönlichen Gründen setze Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit voraus. Beide Voraussetzungen müssten nebeneinander erfüllt sein. Erlassbedürftigkeit liege vor, wenn im Fall der Einziehung der Steuer die wirtschaftliche Existenz der Pflichtigen ernsthaft gefährdet sei, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht bestritten werden könnte oder die Erwerbstätigkeit nicht mehr fortgesetzt werden könnte. Der Steuerpflichtige müsse alle verfügbaren und durch Kredite zu beschaffenden Mittel einsetzen und dabei auch seine Vermögenssubstanz einschließlich Grund und Boden angreifen.
9
Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Unbilligkeit sei im Verwaltungsverfahren der Zeitpunkt, an dem die Behörde über den Erlassantrag entschieden habe. Nicht maßgeblich sei der Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung, weil die Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden nur zur Rechtmäßigkeits- und nicht auch zur Zweckmäßigkeitsprüfung befugt sei. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Ablehnung des Erlasses (26.9.2018) hätten sich die offenen Forderungen der beklagten Stadt gegenüber den Klägern auf insgesamt 21.416,71 EUR (Gewerbesteuer 2008 bis 2013 11.979,75 EUR, Nachzahlungszinsen 2.712,00 EUR, Aussetzungszinsen 1.733,00 EUR, Mahngebühren 20,00 EUR, Säumniszuschläge 4.843,00 EUR, Vollstreckungsgebühr 128,96 EUR) belaufen. Für die Frage der Existenzgefährdung spiele außer den Einkommensverhältnissen auch die Vermögenslage eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich sei der Steuerpflichtige gehalten, zur Zahlung seiner Steuerschulden alle verfügbaren Mittel einzusetzen und auch seine Vermögenssubstanz anzugreifen, außer die Vermögenssubstanz würde den Ruin des Steuerpflichtigen bedeuten.
10
Das Stammkapital der … GmbH betrage 25.000,00 EUR. Einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer sei der Kläger zu 2) gewesen. Mit Datum vom 19. Juli 2018 sei dieser ausgeschieden. Stattdessen sei die Klägerin zu 1) als Geschäftsführerin bestellt worden. Seit der Gründung des … habe der Kläger zu 2) regelmäßige Einkünfte in Höhe von monatlich (Februar bis Oktober) 2.384,85 EUR netto bzw. in drei Wintermonaten 500,00 EUR netto bezogen. Abzüglich der angegebenen Sozialversicherungsbeiträge hätten ihm während der neun Monate einen Betrag von monatlich 1.873,85 EUR für seine Lebensführung zur Verfügung gestanden. Die Wohnungsmiete und der Beitrag für die Lebensversicherung seien von der … GmbH bezahlt worden. Die Einkünfte des Klägers zu 2) hätten über den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gelegen. Ausgehend von diesem bereinigten Nettoeinkommen wäre ein Betrag von 515,34 EUR pfändbar gewesen. Bringe man die in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 11. Oktober 2017 angegebenen Haushaltsausgaben des Klägers zu 2) in Ansatz, verblieben von seinem regelmäßigen Nettoverdienst noch 873,85 EUR. Eine Stundungsvereinbarung mit Ratenzahlung zur Tilgung der Gewerbesteuerschulden erscheine demnach möglich, auch im Hinblick auf die bestehenden erheblichen Steuerschulden beim Finanzamt, für die ebenfalls ein Erlass abgelehnt worden sei. Von der beklagten Stadt sei dem Kläger zu 2) eine Ratenzahlung zur Tilgung der Gewerbesteuerschuld von monatlich 500,00 EUR ab Juni 2016 angeboten worden. Solange die Möglichkeit bestehe, die Steuerschulden, wenn auch nur langfristig und ratenweise, zu tilgen, ohne dass die wirtschaftliche Existenz gefährdet sei, bestehe kein Anlass für einen Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen.
11
Unklar bleibe, über welche Einkünfte die Klägerin zu 1) verfüge. Sie müsste ab August 2018 Rente bezogen haben. Mit Schreiben vom 23. April 2018 sei mitgeteilt worden, dass sie ab 2018 eine Rente von ca. 500,00 EUR beziehen würde. Als Geschäftsführerin des … (seit 19.7.2018) werde sie nicht entlohnt. Im Rentenbezug seien unterschiedliche Angaben gemacht worden; außerdem fehle jeglicher Nachweis. Nicht nachvollziehbar sei, wovon sie ihre Haushaltsausgaben bestreite. Gehe man von einer Rente von ca. 500,00 EUR aus, liege diese geringfügig über dem Regelbedarf von 424,00 EUR im Jahr 2019. Weshalb der Kläger zu 2) jahrelang von der GmbH Lohn erhalten habe, die Klägerin zu 1) aber nicht, werde nicht begründet. Auch hier fehlten belastbare Angaben, die eine vertiefte inhaltliche Prüfung des Erlassantrages erst möglich machten.
12
Zum Vermögen werde für den Kläger zu 2) eine Lebensversicherung genannt, mit einem Rückkaufswert in Höhe von 6.431,79 EUR. Der Rückkaufswert liege unterhalb von 90% der eingezahlten Beiträge. Nachdem die Lebensversicherung erst acht Jahre von 31 Jahren laufe und der voraussichtlich zu erzielende Rückkaufswert nur 12% unter dem eingezahlten Betrag liege, sei vom verwertbaren Vermögen auszugehen. Außerdem gebe es ein Sparguthaben zum Stand vom 11. Oktober 2017 in Höhe von 612,00 EUR.
13
Weiter existiere eine Eigentumswohnung in Italien. Der Kläger zu 2) habe einen Miteigentumsanteil von ¼, die Klägerin zu 1) von ¾. Nach Angaben der Kläger sei die Wohnung alt und sanierungsbedürftig und zur Sicherheit eines Kredits nicht geeignet. Eine Wertermittlung habe einen Wert von 80.000,00 EUR bis 85.000,00 EUR ergeben. Im vorliegenden Fall hätten die Kläger zum Entscheidungszeitpunkt in einer Mietwohnung gewohnt, die über die … GmbH finanziert worden sei. Beide seien auch Gesellschafter dieser GmbH mit Sitz in der beklagten Stadt. Die Wohnung in der beklagten Stadt sei zu dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Lebensmittelpunkt gewesen. Eine Immobile im Ausland sei auch dann nicht selbst genutzt, wenn sie jährlich zeitweise oder vorübergehend bewohnt werde. Die Wohnung stelle verwertbares Vermögen dar, insbesondere der Miteigentumsanteil des Klägers zu 2). Nachdem die Wohnung (wenn überhaupt) nur zeitweise bewohnt worden sei und auch sonst wohl leer gestanden habe, hätte sie unter Umständen zur Einkommenserzielung genutzt werden können, so dass eine Rückzahlung der Steuerschulden in höheren Raten möglich gewesen wäre. Auch hierzu fehlten belastbarere Angaben der Kläger. Eine besondere Härte liege sowohl in Bezug auf die Lebensversicherung als auch auf die Wohnung nicht vor. Selbst wenn die Veräußerung der Wohnung wirtschaftlich nachteilig wäre, würde das für die Annahme eines atypischen Lebenssacherhalts nicht ausreichen. Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung liege erst dann vor, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes stünde. Dafür seien keine Anhaltspunkte vorgebracht. Eine besondere Härte aufgrund eines atypischen Lebenssachverhaltes sei nicht gegeben. Dass ein Vermögen der Altersvorsorge diene, müsse nachgewiesen werden, bloße Absichten oder unverbindliche Erwägungen reichten nicht aus. Hier sei lediglich der Wunsch der Klägerin zu 1), ihren Lebensabend in Italien zu verbringen. Weitere Nachweise für familiäre Bindungen bzw. konkrete Umzugsplanungen seien nicht erbracht worden.
14
Der Wert der Beteiligung am Stammkapital der … GmbH betrage jeweils 12.500,00 EUR.
15
Im Ergebnis habe die beklagte Stadt ermessensfehlerfrei annehmen können, dass bereits der Nachweis der Erlassbedürftigkeit von den Klägern nicht ausreichend geführt worden sei. Aus den vorliegenden Unterlagen ließen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger nicht ausreichend entnehmen. Die Kläger hätten nicht substanziiert dargelegt, dass bei Versagung des Billigkeitserlasses ihre wirtschaftliche oder persönliche Existenz gefährdet sei. Die Kläger hätten ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zeitnah und umfassend darlegen müssen. Ihnen obliege eine erhebliche Mitwirkungspflicht (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 KAG i.V.m. § 90 AO). Nicht ausreichende Angaben rechtfertigten eine negative Sachentscheidung.
16
Zudem sei keine Erlasswürdigkeit gegeben. Im vorliegenden Fall seien die Steuerschulden von den Klägern nach dem Tod ihres Ehemannes bzw. Vaters am 28. Oktober 2013 geerbt worden. Die Kläger seien an die Stelle des Verstorbenen getreten und damit Steuerschuldner geworden. Am 28. Oktober 2013 sei die … GmbH auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrags vom 10. Oktober 2013 in das Handelsregister eingetragen worden. Mit der Gründung der GmbH und der Übernahme der Geschäftsführung hätten dem Kläger zu 2) die hohen Steuerrückstände bekannt geworden sein müssen. Am 24. April 2014 seien die Gewerbesteuer und Zinsforderung bereits durch die beklagte Stadt gegenüber den Klägern geltend gemacht worden. Die Kläger hätten die Steuerschulden zwar nicht selbst zu vertreten, hätten das Erbe aber ausschlagen können bzw. eine Nachlassverwaltung mit dem Ziel der Nachlassinsolvenz beantragen können bzw. müssen. Sie hätten nicht auf einen Steuererlass vertrauen können. Gegebenenfalls hätten sie sich auch zur Frage einer möglichen Erbausschlagung fachkundigen Rat einholen können. Das Erbe anzunehmen in der Kenntnis, dass kein verwertbares Vermögen vorhanden sei (außer einem gebrauchten Pkw) und sich bei einem bestehenden Gewerbebetrieb nicht über mögliche Steuerschulden zu informieren, könne als grob fahrlässig eingestuft werden. Das Erbe im Hinblick auf noch vorhandene Vermögenswerte (Wohnung) anzunehmen und hinsichtlich der Steuerschulden auf einen Erlass zu setzen, sei ein Verhalten, dass gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoße. Darüber hinaus bestünden Zweifel an der Erlasswürdigkeit auch dahingehend, da die Kläger ihren Mitwirkungspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen seien. Im Erlassverfahren seien wiederholt unvollständige und teilweise unrichtige Angaben gemacht worden. Für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen trügen die Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Die Pflichtigen treffe bei einer Billigkeitsentscheidung eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Die Gründe müssten offengelegt werden und mit Unterlagen belegt werden. Komme ein Abgabeschuldner seinen Erklärungspflichten nicht ordnungsgemäß nach, bestünden Zweifel an der Erlasswürdigkeit. Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen seien immer wieder verbessert, Informationen spät nachgereicht, Vermutungen ohne Nachweise aufgestellt und Aufforderungen der beklagten Stadt zur Nachreichung von Unterlagen bzw. Beantwortung von Fragen nicht nachgekommen worden.
17
Die Säumniszuschläge entstünden gemäß § 240 AO verschuldensunabhängig kraft Gesetzes alleine durch Zeitablauf, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet werde. Während der Aussetzung der Vollziehung seien keine Säumniszuschläge entstanden, an ihre Stelle seien Aussetzungszinsen nach § 237 AO getreten. Ein hälftiger Erlass der Säumniszuschläge komme dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen die Entrichtung der festgesetzten Steuer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich wäre und wenn sie als Druckmittel eigener Art ihren Sinn verlören. Die Kläger hätten aber keinen Nachweis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit erbringen können. Auch sei es nicht ermessensfehlerhaft, soweit davon ausgegangen werde, dass die Voraussetzungen für eine verzinsliche Stundung im Säumniszeitraum nicht vorgelegen hätten. Ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge komme in Betracht, wenn bei Fälligkeit die Voraussetzungen für einen Erlass der Hauptschuld nach § 227 AO oder für eine verzinsliche Stundung der Steuerforderung vorlägen. Wie bereits ausgeführt lägen die Voraussetzungen für einen Erlass der Hauptschuld nicht vor.
18
Der Erlass von Aussetzungszinsen richte sich nach § 3 Abs. 2, § 1 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 237 Abs. 4 AO i.V.m. § 234 Abs. 2 AO. Ein sachlicher Billigkeitsgrund für den Erlass der Aussetzungszinsen sei nicht ersichtlich. Das Vorliegen eines persönlichen Billigkeitsgrundes sei ebenfalls nicht ersichtlich. Auch hinsichtlich der Mahngebühren seien Anhaltspunkte für eine Unbilligkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 KG nicht ersichtlich.
19
Ein Erlass der Steuer aus Billigkeitsgründen setze neben der Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit des Steuerpflichtigen voraus, dass der Erlass dem Steuerpflichtigen und nicht einem Dritten zugutekomme. Nachdem der Erlass der Gewerbesteuer den Klägern keinen Vorteil brächte, sondern zu einer Erhöhung der nicht erlassenen Einkommenssteuerforderungen des Finanzamts führen würde, würde es an dem wirtschaftlichen Vorteil für die Kläger durch den Erlass fehlen. Durch den Erlass der Gewerbesteuer würde die Anrechnung auf die Einkommenssteuer entfallen und diese sich dadurch erhöhen. Gemäß einem Schreiben des Finanzamtes Aschaffenburg vom 18. Juli 2022 hätte der Erlass eine Erhöhung der Einkommenssteuer zur Folge.
II.
20
1. Am 9. Mai 2023 ließen die Kläger per Fax Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 27. April 2023, eingegangen am 4. Mai 2023, betreffend die Bescheide der beklagten Stadt vom 25. und 26. September 2018 erheben. Zur Begründung ließen sie im Wesentlichen vorbringen: Nach den vorliegenden Unterlagen sei für die Steuerschulden, deren Erlass beantragt worden sei, bereits zum 31. Dezember 2022 Zahlungsverjährung eingetreten, so dass die Steuerschulden ab diesem Zeitpunkt bereits erloschen seien (§ 232 AO) seien und der Widerspruchsbescheid nicht mehr hätte ergehen dürfen und demnach aufzuheben sei. Ein Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung werde mit Eintritt der Zahlungsverjährung regelmäßig gegenstandslos. Sie beantragten eine Erledigungserklärung der Beklagten.
21
Mit – auch elektronisch übermitteltem – Schriftsatz vom 15. Mai 2023 ließen die Kläger Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 27. April 2023 und die beiden Bescheide der beklagten Stadt vom 25. und 26. September 2018 erheben.
22
Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2023 ließen die Kläger zur Klagebegründung im Wesentlichen weiter ausführen. Mit Schriftsatz vom 2. November 2017 habe die Steuerberatungsgesellschaft jeweils für die Kläger der beklagten Stadt auf deren Verlangen eine Vermögensauskunft zusammen mit einem ablehnenden Bescheid der Sparkasse zur Finanzierungsanfrage für ein Darlehen zur Tilgung der Gewerbesteuerschuld übersandt. Nach Aktenlage sei dies die letzte ihnen bekannte nach außen wirkende Maßnahme zur Verjährungsunterbrechung gewesen. Von der behaupteten Beauftragung des Amtsgerichts und eines Gerichtsvollziehers sei ihnen nichts bekannt. Ermittlungen der Finanzbehörde bzw. der Stadt Aschaffenburg nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort der Zahlungspflichtigen habe es mit Sicherheit nicht gegeben. Sie sei auch gar nicht geboten und erforderlich gewesen. Denn diese Behörden hätten doch regelmäßig Umsatzsteuervoranmeldungen, Jahresabschlüsse, Steuererklärungen sowie Steuerzahlungen jährlich, vierteljährlich und sogar monatlich erhalten sowie Steuerbescheide versandt. Zudem wären gerade der beklagten Stadt Betriebsaufgabe oder Wohnsitzwechsel als zuständiger Behörde durch entsprechende Abmeldungen bekannt geworden. Die Meldebehörde befinde sich im Haus. Betrieb und Wohnsitz des Unternehmens wie auch der beiden Steuerschuldner seien seit 2013 immer unter der gleichen Anschrift zu erreichen. Wenn der Gerichtsvollzieher behaupte, er habe diese nicht antreffen können, sei diese Einlassung nicht nachzuvollziehen und auch nicht glaubwürdig. Vielmehr lasse diese Behauptung den Schluss zu, dass niemand vor Ort gewesen und oder überhaupt irgendwelche Ermittlungen angestellt habe. Richtig sei, noch im Jahr 2017 habe der Gerichtsvollzieher in den Räumen des … Vollstreckungshandlungen durchgeführt. Dort habe er auch mit den Klägern gesprochen. Sie hätten den Gerichtsvollzieher darauf hingewiesen, dass die GmbH nicht Steuerschuldner sei und Pfändungen in deren Vermögen nicht zulässig seien. Danach sei weder der Gerichtsvollzieher noch sonst jemand jemals wieder bei den Zahlungspflichtigen in deren Wohnung oder in den Geschäftsräumen der GmbH erschienen. Nach Mitte 2017 seien tatsächlich keine nach außen wirkenden (wirksamen) Maßnahmen zur Verjährungsunterbrechung erfolgt.
23
2. Die beklagte Stadt teilte mit Schriftsatz vom 31. Mai 2023 mit, die offenen Forderung zum Zeitpunkt des Erlassantrages beliefen sich auf insgesamt 21.416,71 EUR. Die Summe berechne sich aus den Gewerbesteuern, den dazugehörenden Zinsen, angefallenen Säumniszuschlägen sowie Mahn- und Vollstreckungsgebühren.
24
Die beklagte Stadt trat der Klage in der Sache mit Schriftsatz vom 7. Juni 2023 entgegen und führte zur Begründung der Klageerwiderung im Wesentlichen aus: Gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO werde die Verjährung eines Anspruchs durch eine Vollstreckungsmaßnahme unterbrochen. Zu Vollstreckungsmaßnahmen gehörten alle Maßnahmen, die mit Beginn der Zwangsvollstreckung darauf gerichtet seien, den Anspruch aus den Steuerschuldverhältnis zwangsweise durchzusetzen. Mit der Aufstellung ausstehender Forderungen zum Zwecke der Vollstreckung vom 26. August 2015 habe die Beklagte das Vollstreckungsverfahren eingeleitet. Der zuständige Obergerichtsvollzieher habe der Beklagten Ende 2017 mitgeteilt, dass sich der Kläger zu 2) bis Mitte April 2018 in Italien aufhalte und im Anschluss nach Deutschland zurückkehre. Am 19. April 2018 habe die beklagte Stadt das Amtsgericht unter anderem mit einer Pfändung sowie einer Vermögensauskunft des Klägers zu 2) beauftragt. Bei unentschuldigtem Fehlen oder Verweigerung sei ein entsprechender Haftbefehl beantragt worden. Trotz ordnungsgemäßer Ladung sei der Kläger zu 2) nicht zum Termin erschienen. Infolgedessen sei am 20. November 2018 durch das Amtsgericht ein Haftbefehl gegen den Kläger zu 2) erlassen worden. Der zuständige Gerichtsvollzieher habe mit Schreiben vom 5. Mai 2020 erneut mitgeteilt, dass der Kläger zu 2) nicht anzutreffen gewesen sei und sich auch nicht melde. Er habe sich lediglich telefonisch mit dem Gerichtsvollzieher in Verbindung gesetzt und auf Rückmeldung durch den Rechtsanwalt verwiesen. Da die Kläger im bisherigen Vollstreckungsverfahren kontinuierlich über den gesamten Zeitraum nicht anzutreffen gewesen seien, seien die Vollstreckungsmaßnahmen folglich bisher fruchtlos geblieben.
25
Ferner werde nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO die Verjährung eines Anspruchs durch die Ermittlung der Finanzbehörden nach dem Wohnsitz oder Aufenthaltsort unterbrochen. Die Verjährungsunterbrechung setze eine nach außen wirkende Maßnahme voraus. Der Zahlungspflichtige müsse nicht zwingend davon erfahren. Da die beiden Kläger als wohnhaft gemeldet worden seien, aber durch den Vollstreckungsbeamten nicht anzutreffen gewesen seien, sei ein Kontoabrufersuchen beim Bundeszentralamt für Steuern bezüglich des Klägers zu 2) am 14. November 2017 sowie bezüglich der Klägerin zu 1) mit Datum vom 19. April 2018 durchgeführt worden. Beide Abfragen seien erfolglos geblieben. Da die Kläger keine Konten in Deutschland besäßen, seien anhand von Abfragen im bayerischen Behördeninformationssystem die Meldedaten der Kläger am 15. Februar 2019 erneut überprüft worden. Auch Anfang 2019 seien die Kläger weiterhin an ihrer Adresse gemeldet gewesen. Sie seien aber durch den zuständigen Gerichtsvollzieher nicht anzutreffen gewesen, sodass der tatsächliche Aufenthaltsort unklar geblieben sei. Entgegen der Ansicht der Kläger sei keine Zahlungsverjährung eingetreten, da die beiden Unterbrechungstatbestände vorlägen.
26
Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2023 brachte die beklagte Stadt im Wesentlichen weiter vor: Die Klägerseite habe auf Seite 2 des Schreibens vom 15. Juni 2023 bestätigt, dass der Gerichtsvollzieher im Lauf des Jahres 2017 in den Geschäftsräumen des … gewesen sei. Ein Wissen über laufende Vollstreckungsmaßnahmen sei somit zweifelsohne vorhanden gewesen. Dies widerlege die vorgetragene Aussage, dass niemand vor Ort gewesen sei. Ab Ende 2017 seien die Kläger für die beklagte Stadt nicht mehr zu greifen gewesen, so dass das erste Kontoabrufersuchen am 14. November 2017 durchgeführt worden sei. Einen Monat später (18.12.2017) habe der Gerichtsvollzieher der Beklagten mitgeteilt, dass sich der Kläger zu 2) in Italien aufhalte. Im weiteren Verlauf des Jahres 2018 sei die Abgabe der Vermögensauskunft angestrebt worden. Entgegen der Ansicht des Steuerberaters handele es sich bei den 2017 eingereichten Unterlagen nicht um eine Vermögensauskunft gemäß der ZPO. Die Vermögensauskunft gemäß der ZPO sei erst mit Schreiben vom 19. April 2019 angefordert worden. Nach Ladung durch den Gerichtsvollzieher sei dieser Termin jedoch vom Kläger nicht wahrgenommen worden. Ferner habe das Amtsgericht Aschaffenburg mit Datum vom 20. November 2018 einen Haftbefehl gegen den Kläger zu 2) erlassen. Anfang 2019 sei erneut nach dem Aufenthaltsort der Kläger ermittelt worden. Wenn die Postzustellung grundsätzlich erfolgreich gewesen wäre und die gemeldete Wohnanschrift auch der tatsächliche Aufenthalt der Schuldner gewesen wäre, sei zu hinterfragen, weshalb die behördlichen Schreiben bzw. die Schreiben des Gerichtsvollziehers nicht beantwortet worden seien und die Aufforderung zur Abgabe eine Vermögensauskunft nicht wahrgenommen bzw. ignoriert worden sei. In diesem Falle hätten die Schreiben des Gerichtsvollziehers die Kläger erreicht. Eine Außenwirkung der Vollstreckungsmaßnahme sei damit gegeben. Für die Beklagte sei aber nicht ersichtlich, wieso der im weiteren Verlauf erlassene Haftbefehl ins Leere gelaufen sei, wenn sich der tatsächliche Aufenthalt der Schuldner in der Meldeadresse befunden hätte. Ein weiterer gewichtiger Aspekt sei das fruchtlose Kontenabrufersuchen. Die Kläger seien zu diesem Zeitpunkt Ende 2017/Anfang 2018 auch nicht in Besitz deutscher Bankkonten gewesen. Wenn die Kläger aber in der Tat nicht vor Ort anzutreffen gewesen seien, wie in den Akten nachweislich dokumentiert, sei die getätigte Wohnortermittlung logisch und folglich zutreffend. Unabhängig davon, welche der beiden oben genannten Varianten zuträfen, führten beide Sachverhalte zu einer Unterbrechung der Zahlungsverjährung. Im ersten Fall sei zweifelsohne eine Vollstreckungsmaßnahme laufend. Im zweiten Fall handele es sich bei der Wohnortermittlung um eine nicht außen wirkende Maßnahme, die dennoch nach gültiger Rechtsprechung die Zahlungsverjährung unterbreche. Nachdem bereits im Erlassverfahren regelmäßig und wiederholt unschlüssige, widersprüchliche Angaben durch die Kläger getätigt worden seien, wiederhole sich dies nun auch im Klageverfahren. Entgegen der Ansicht der Kläger sei keine Zahlungsverjährung nach § 232 AO eingetreten.
27
3. In der mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2024 beantragte der Klägerbevollmächtigte:
Die Nummern 2 und 3 des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 27. April 2023 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die streitgegenständlichen Gewerbesteuerforderungen samt Zinsen, Säumniszuschlägen sowie Mahn- und Vollstreckungsgebühren in Höhe von 21.416,71 EUR erloschen sind.
Hilfsweise:
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihrer beiden Bescheide vom 25. und 26. September 2018 sowie des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 27. April 2023 verpflichtet, die Gewerbesteuer samt Zinsen, Säumniszuschlägen sowie Mahn- und Vollstreckungsgebühren in Höhe von 21.416,71 EUR zu erlassen.
28
Der Beklagtenvertreter beantragte,
die Klage abzuweisen.
29
Die Beteiligten machten in der mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2024 Ausführungen zur Sache. Der Beklagtenvertreter erklärte, die Beklagte habe im November 2023 weitere Vollstreckungshandlungen vorgenommen. Sie hätten den Klägern eine Mahnung gesandt, des Weiteren sei ein Kontenabrufverfahren sowie eine Aufenthaltsermittlung durchgeführt worden. Der Klägerbevollmächtigte trat diesem Vorbringen entgegen.
30
Der Klägerbevollmächtigte beantragte mit Schriftsatz vom 4. März 2024 eine Berichtigung des Protokolls der mündlichen Verhandlung und erklärte: Er habe umfassend ausführlich dargelegt, dass die Beklagte die beiden Kläger zehn Monate im Jahr täglich (keinen Ruhetag) in der … (in unmittelbarer Nachbarschaft) hätte antreffen können. Die Aussagen der Beklagtenvertreter sei nicht glaubwürdig, dass die Kläger ab Ende 2017, also ca. sechs Jahre lang, nicht erreichbar gewesen seien. Im November 2023 sei die … wegen der Wintersaison schon geschlossen gewesen. Die Behauptung der Beklagten, eine Mitarbeiterin angetroffen zu haben, treffe nicht zu; es sei vielmehr die Vermieterin gewesen (siehe auch Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 11.3.2024).
31
Die Beklagte brachte mit Schriftsatz vom 12. März 2024 unter Vorlage weiterer Unterlagen im Wesentlichen vor: In den Jahren 2021/2022 seien keine Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt. Der Aussage des Klägerbevollmächtigten bezüglich einer sechsjährigen durchgängigen Vollstreckung werde erneut deutlich widersprochen, da eine sechs Jahre lange durchgängige Vollstreckung für eine Behörde de facto unmöglich sei. Vielmehr werde nach mehreren vergeblichen Vollstreckungsversuchen lediglich eine Zeit lang seitens der Behörden abgewartet, bevor die Vollstreckung erneut starte. Im November 2023 seien Vollstreckungsmaßnahmen wieder eingeleitet worden. Entsprechende Unterlagen und Nachweise lägen bei. Die Annahme werde bestärkt, dass sich die Kläger der Vollstreckung entzögen. Bereits in der Vergangenheit seien die Kläger ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.
32
Mit Beschluss vom 15. März 2024 lehnte das Gericht den Antrag der Kläger auf Berichtigung bzw. Ergänzung des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2024 ab.
33
Mit Schriftsatz vom 25. März 2024 erklärte der Klägerbevollmächtigte im Wesentlichen: Wie schon ausgeführt, sei Zahlungsverjährung bereits zum 31. Dezember 2022 eingetreten. Auf die Vollstreckungsmaßnahmen im November 2023 komme es gar nicht an. 2017 hätten die Kläger einen Erlassantrag gestellt und ab diesem Zeitpunkt sei die beklagte Stadt nicht mehr tätig geworden, außer, dass sie sich ausschließlich mit dem Erlassantrag beschäftigt, einer Zahlungsverjährung aber einfach keine Beachtung geschenkt habe.
34
In der weiteren mündlichen Verhandlung am 10. Juni 2024 verwies der Klägerbevollmächtigte auf ein Verfahren am Finanzgericht Nürnberg betreffend das dortige Erlassverfahren der Kläger zur Einkommens- und Umsatzsteuer in Höhe von ca. 70.000,00 EUR, das sich nach entsprechenden Hinweisen des Finanzgerichts erledigt habe. Im Nachgang habe das Finanzamt seine ablehnende Erlassentscheidung aufgehoben. Außerdem brachte er vor, das Leistungsgebot der Beklagten im vorliegenden Verfahren ein Jahr nach dem Tod des Ehemanns/Vaters der Kläger sei nicht zeitig erfolgt. Die Aufenthaltsermittlung der Beklagten sei eine Farce gewesen, weil es um Daten gegangen sei, die bei der Beklagten ohnehin vorhanden seien.
35
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten der Beklagten sowie der Widerspruchsakte der Regierung von Unterfranken Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

36
Die Klage der Kläger hat sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag keinen Erfolg. Sie ist zwar im Wesentlichen zulässig, aber insgesamt unbegründet.
37
Das Klagebegehren der Kläger (vgl. § 88 VwGO) umfasst zwei große Komplexe. Einerseits und primär begehren die Kläger aufgrund ihres Vorbringens im Klageverfahren in der Sache die Feststellung, dass die streitgegenständlichen Gewerbesteuerforderungen samt Nebenforderungen wegen Verjährung erloschen sind, und fechten insoweit auch die Bescheidskosten des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 27. April 2023 an. Andererseits beantragen sie – hilfsweise – gleichwohl weiterhin ausdrücklich den Erlass der Steuer- und Nebenforderungen.
38
Im Hauptantrag ist eine allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig, weil zwischen den Beteiligten streitig ist, ob die Gewerbesteuerforderungen samt Zinsen und sonstigen Nebenforderungen in Höhe von 21.416,71 EUR noch bestehen oder infolge Verjährung erloschen sind. Ein berechtigtes Interesse ist insoweit gegeben.
39
Gegen die Nrn. 2 und 3 des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 27. April 2023 bezüglich der Kosten des Widerspruchsverfahrens ist die Anfechtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 Halbsatz 1 VwGO). Eine Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO hat insoweit jedoch nur der Kläger zu 2), weil nur er im Widerspruchsbescheid zur Kostentragung verpflichtet wurde. Die Klage der Klägerin zu 1) ist insoweit mangels Klagebefugnis unzulässig.
40
Im Hilfsantrag ist eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Halbsatz 1 Alt. 1 VwGO) bezüglich des beantragten Erlasses der streitgegenständlichen Steuerforderungen samt Nebenforderungen statthaft und zulässig.
41
Die Klage ist im Hauptantrag unbegründet, weil die streitgegenständlichen Gewerbesteuerforderungen samt Zinsen, Säumniszuschlägen sowie Mahn- und Vollstreckungsgebühren nicht infolge Verjährung erloschen sind. Infolgedessen sind auch die angefochtenen Widerspruchskosten insoweit nicht zu beanstanden.
42
Die Rechtslage stellt sich im streitgegenständlichen Zusammenhang wie folgt dar:
43
Die Kläger (Ehefrau bzw. Sohn des Verstorbenen) haben die streitgegenständlichen Gewerbesteuerschulden samt weiterer damit zusammenhängender Schulden als Gesamtrechtsnachfolger unstreitig geerbt (vgl. allgemein zum Schuldübergang auf Erben: Ruff, KStZ 2019, S. 181 ff.).
44
Die Gewerbesteuer ist eine Realsteuer (§ 3 Abs. 2 AO). Die Erhebung erfolgt durch die Gemeinden als Gemeindesteuer (§ 1 GewStG; Art. 18 KAG). Dabei gelten unter anderem sowohl für das Erlöschen als auch für den Erlass die einschlägigen Vorschriften der AO (Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a) KAG), insbesondere auch § 227 AO (Erlass) sowie §§ 228-232 AO (Zahlungsverjährung, Erlöschen).
45
Durch die Zahlungsverjährung erlöschen der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und die von ihm abhängenden Zinsen (§ 232 AO). Nur die Zinsen erlöschen gemeinsam mit dem Steueranspruch; für die übrigen steuerlichen Nebenleistungen wie Säumnis- und Verspätungszuschläge laufen vom Hauptanspruch unabhängige eigene Verjährungsfristen (Oosterkamp in BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 28. Ed. 15.10.2024, § 232 Rn. 4; Werth in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 232 Rn. 2).
46
Allerdings gelten für die Säumniszuschläge insoweit dieselben Vorschriften wie für den Steueranspruch (BFH, U.v. 19.3.2019 – VII R 27/17 – BFHE 263, 483 – juris Rn. 31). Auch für die Verspätungszuschläge gelten die allgemeinen Regelungen des § 228-232 AO (Rätke in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 152 Rn. 90).
47
Die Verjährungsfrist für Zahlungsansprüche beträgt nach § 228 S. 2 AO fünf Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 S. 1 AO).
48
Eine Unterbrechung der Verjährung erfolgt aus den in § 231 Abs. 1 S. 1 AO aufgezählten Gründen. Mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterbrechung geendet hat, beginnt die Verjährungsfrist von neuem zu laufen (§ 231 Abs. 3 AO).
49
Mit den Regelungen der Verjährungsunterbrechung soll dem Gläubiger des Zahlungsanspruchs genügend Zeit gelassen werden, seinen fälligen Zahlungsanspruch zu verwirklichen. Die Beteiligten des Steuerschuldverhältnisses kennen in diesem Fall die Höhe des Zahlungsanspruchs, so dass ein schutzwürdiges Interesse an baldiger Verjährung nicht besteht. Das verdeutlicht zugleich den Zweck der Vorschriften über Hemmung und Unterbrechung als Ausnahmeregelungen im Vergleich zum Verjährungszweck. Sie eröffnen dem Fiskus die Möglichkeit, über die Frist der fünfjährigen Regelverjährung hinaus den staatlichen Steueranspruch durchzusetzen. Das Bedürfnis des Steuerpflichtigen nach Rechtssicherheit muss in dem gesetzlich geregelten Umfang hinter dem Fiskalinteresse zurücktreten (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 279. Lieferung, 4/2024, § 231 AO Rn. 4 mit Verweis auf BFH, U.v. 23.8.2022 – VII R 46/20 – BFHE 277, 73 – juris Rn. 30 ff., 34).
50
In § 231 AO sind die Unterbrechungstatbestände abschließend aufgelistet. Mit Ablauf des Kalenderjahrs der – wie hier relevanten – punktuellen (Wohnsitzermittlungen, Vollstreckungsmaßnahmen, Mahnung) oder dem Ende einer dauernden Unterbrechungshandlung beginnt gemäß § 231 Abs. 3 AO eine neue 5-jährige Verjährungsfrist zu laufen (Freund in BeckOK KommunalabgabenR Bayern, Schmidt/Wernsmann, 2. Ed. 1.2.2024, Art. 13 KAG Rn. 147; Seemüller in PdK Bay E-4a, 9. Fssg. 2023, Art. 13 KAG Erl. 1.11; vgl. ausführlich Klüger in Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 231 Rn. 35 ff.).
51
Vollstreckungsmaßnahmen können die Zahlungsverjährung auch ohne Bekanntgabe an den Vollstreckungsschuldner unterbrechen, sofern sie ihrer Zielrichtung nach ein Tätigwerden gegenüber Dritten erfordern und Außenwirkung entfalten (Kögel in Gosch, AO/FGO, 183. Erg.Lfg., Mai 2024, § 231 AO Rn. 21). Der Schuldner muss von der Maßnahme nichts erfahren, sofern sie ihm gegenüber nicht bekannt zu geben ist. Maßgeblich ist der sichtbare Entschluss, den Zahlungsanspruch durchzusetzen. Jede an den Steuerpflichtigen gerichtete Maßnahme im Sinne des § 231 Abs. 1 AO, aus der für den Steuerpflichtigen erkennbar wird, dass die Behörde ihren Zahlungsanspruch nicht aufgibt, unterbricht als Realakt die Zahlungsverjährung (Klüger in Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 231 Rn. 9). Die Maßnahme muss aber über den rein innerdienstlichen Bereich hinaus sichtbar dokumentiert sein (Werth in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 231 Rn.1 ff.). Verwaltungsinterne oder mangels Zugangs nicht nach außen wirkende Maßnahmen genügen nicht (Klüger in Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 231 Rn. 8). Die Unterbrechung endet mit der Durchführung der Maßnahme (z.B. Wohnsitzermittlung). Die Unterbrechung wirkt gemäß § 231 Abs. 4 AO nur im Verhältnis zu dem Schuldner, gegen den sich die Maßnahme richtet bzw. demgegenüber die Unterbrechungshandlung vorgenommen wird (Werth in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 231 Rn. 24, 27; Klüger in Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 231 Rn. 9).
52
Einzelne hier relevante Unterbrechungstatbestände ergeben sich aus § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Nr. 7 und Nr. 8 AO.
53
Verjährungsunterbrechend sind etwa nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO Vollstreckungsmaßnahmen gemäß § 249 ff. AO. Vollstreckungsmaßnahmen sind Maßnahmen, die unmittelbar darauf gerichtet sind, den Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen, z.B. die Vorladung zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung bzw. zur Abgabe der Vermögensauskunft nach § 284 AO oder das Verlangen nach Vorlage eines Vermögensverzeichnisses, nicht jedoch bloße Vorbereitungsmaßnahmen wie ein Erscheinen des Vollstreckungsbeamten beim Schuldner mit Aufforderung zur Zahlung. Die bloße interne Anordnung der Zwangsvollstreckung oder ein Vollstreckungsersuchen an eine andere Behörde genügen nicht. Auch eine Ankündigung der Vollstreckung gegenüber dem Schuldner ist keine Vollstreckungsmaßnahme, wenngleich sie eine unterbrechende Zahlungsaufforderung nach Nr. 8 sein kann (Werth in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 231 Rn. 16). Keine Vollstreckungsmaßnahme ist die Anfrage beim Vollstreckungsgericht nach § 284 Abs. 4 Satz 2 AO (Oosterkamp in BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 28. Ed. 15.4.2024, § 231 Rn. 17 ff.). Waren die Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos oder wurden sie später aufgehoben, hat dies auf die Unterbrechung der Verjährung grundsätzlich keinen Einfluss (Klüger in Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 231 Rn. 17).
54
Des Weiteren wirken gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort verjährungsunterbrechend. Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen haben die Eigenart, dass der Zahlungspflichtige von ihnen nichts zu bemerken pflegt. Gleichwohl unterbrechen sie die Verjährung. Die Kenntnis des Steuerpflichtigen ist entbehrlich. Die Ermittlungen müssen sich auf Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen richten. Eine bloße interne Anfrage innerhalb der eigenen Behörde (auch bei einer anderen Dienststelle) genügt nicht, wohl aber ein Zugriff auf zentrale Datenbanken wie der des BZSt (Bundeszentralamt für Steuern), weil eine nach außen wirkende Maßnahme erforderlich ist und durch diese Recherche auf außerhalb der Steuerbehörde geführte Datenbestände zugegriffen wird. Die Ermittlungen müssen auf die Realisierung des konkreten Anspruchs, dessen Verjährung unterbrochen werden soll, gerichtet sein. Das Tätigwerden muss hierbei ein erhebungsspezifisches Element enthalten, d.h., die Ermittlungen müssen den Zweck verfolgen, den Steueranspruch durchzusetzen. Im Hinblick auf die Realisierung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis muss ein besonderer Anlass zu der Anfrage bestehen, weil der Wohnsitz oder Aufenthalt des Schuldners nicht bekannt ist. Es muss ein Anlass bestehen, zu ermitteln, z. B., weil das Amt den Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Verpflichteten nicht kennt; ob eine andere, mit der Sache nicht befasste Dienststelle den Aufenthalt kannte, ist dann bedeutungslos. Scheinhandlungen oder eine rein schematische Anfrage, die nur das Ziel haben, die Verjährung zu unterbrechen, reichen nicht (BFH B.v. 17.9.2014 – VII R 8/13 – HFR 2015, 101 – juris Rn. 12 ff.; Werth in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 231 Rn. 20; Oosterkamp in BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 28. Ed. 15.4.2024, § 231 Rn. 25; Klüger in Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 231 Rn. 21 f.). Aus dem Begriff „Ermittlungen“ folgert der BFH, dass Maßnahmen nur dann als Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder Aufenthaltsort anzusehen sind, wenn der Steuerbehörde der Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen tatsächlich nicht bekannt war. Kenntnis des Steuerpflichtigen von den Ermittlungen ist nicht erforderlich (Kögel in Gosch, AO/FGO, 183. Erg.Lfg., Mai 2024, § 231 AO Rn. 28 mit Bezug auf BFH B.v. 2.12.2011 -- BFH/NV 2012, 691; U.v. 24.11.1992 – VII R 63/92 – BStBl II 1993, 220 bzw. BFH, B.v. 17.9.2014 – VII R 8/13 – BFH/NV 2015, 4). Die für eine Verjährungsunterbrechung nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO erforderliche Außenwirkung liegt auch dann vor, wenn die Finanzbehörde durch eine BZSt-Online-Anfrage direkt auf die IdNr.-Datenbank zugreift (BFH, B.v. 21.12.2021 – VII R 21/19 – BFHE 274, 409, BStBl II 2022, 295 – juris LS 1 u. Rn. 36).
55
Schließlich vermag auch die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AO die Verjährung zu unterbrechen. Für die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs reicht jedes Schreiben, das den Steuerpflichtigen zur Zahlung auffordert (wie hier die Mahnung vom 14.11.2023), aber nicht ein Erlassantrag oder ein Einspruch (seitens des Schuldners), auch nicht ein Steuerbescheid ohne Zahlungsaufforderung als solcher oder Stellungnahmen in einem Rechtsstreit (Werth in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 231 Rn. 25; Oosterkamp in BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 28. Ed. 15.4.2024, § 231 Rn. 5). Unter schriftlicher Geltendmachung ist die an den Schuldner gerichtete, ausdrückliche schriftliche Aufforderung zu verstehen, den Anspruch zu erfüllen, etwa durch eine Mahnung oder eine Vollstreckungsankündigung oder die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Eine besondere Form ist nicht vorgeschrieben. Mündliche Willenserklärungen oder schlüssiges Handeln genügen aber nicht. Aus dem Schreiben müssen sich Art und Umfang des geltend gemachten Anspruchs ergeben, auch gegen wen er geltend gemacht wird (Werth in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 231 Rn. 21; Oosterkamp in BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 28. Ed. 15.4.2024, § 231 Rn. 5 ff.; Klüger in Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 231 Rn. 24; Loose in Tipke/ Kruse, AO/FGO, 180. Lfg. 3/2024, § 231 AO Rn. 33).
56
Ausgehend von dieser Rechtslage ist betreffend den Kläger zu 2) keine Verjährung der streitgegenständlichen Steuerschuld eingetreten, weil wirksame Unterbrechungstatbestände bis heute den Eintritt der Zahlungsverjährung verhindert haben.
57
Unstreitig liegen Unterbrechungstatbestände bis 2017 vor (Aussetzung der Vollziehung, Geltendmachung des Anspruchs, geänderte Steuerbescheide, Vollstreckungsmaßnahmen, wie Lohnpfändung bei GmbH, Aufforderung vom 21.9.2017 zur Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf Fragebögen – laut Kl. am 2.11.2017 Vermögensauskunft an Bekl. übersandt), sodass eine neue 5-jährige Verjährungsfrist (§ 231 Abs. 3 AO) jedenfalls bis 31. Dezember 2022 lief.
58
Laut Beklagter erfolgten aber weitere Unterbrechungsmaßnahmen im Jahr 2017 und den Folgejahren, zuletzt im November 2023 (siehe Schriftsätze vom 7.6.2023, 17.7.2023 und 12.3.2024 sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 26.2.2024, II.2. und II.3. des Tatbestandes).
59
Zu § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hat die Beklagte unter Bezugnahme auf ihre Akten im Wesentlichen ausgeführt: Am 19. April 2018 habe die beklagte Stadt das Amtsgericht unter anderem mit einer Pfändung sowie einer Vermögensauskunft des Klägers zu 2) beauftragt. Bei unentschuldigtem Fehlen oder Verweigerung sei ein entsprechender Haftbefehl beantragt worden. Trotz ordnungsgemäßer Ladung sei der Kläger zu 2) nicht zum Termin erschienen. Infolgedessen sei am 20. November 2018 durch das Amtsgericht ein Haftbefehl gegen den Kläger zu 2) erlassen worden. Der zuständige Gerichtsvollzieher habe mit Schreiben vom 5. Mai 2020 erneut mitgeteilt, dass der Kläger zu 2) weiterhin nicht anzutreffen sei und sich auch nicht melde. Er habe sich lediglich telefonisch mit dem Gerichtsvollzieher in Verbindung gesetzt und auf eine künftige Rückmeldung durch einen Rechtsanwalt verwiesen.
60
Im weiteren Verlauf des Jahres 2018 sei die Abgabe der Vermögensauskunft angestrebt worden. Entgegen der Ansicht des Steuerberaters handele es sich bei den 2017 eingereichten Unterlagen nicht um eine Vermögensauskunft gemäß der ZPO. Die Vermögensauskunft gemäß der ZPO sei erst mit Schreiben vom 19. April 2018 angefordert worden. Nach Ladung durch den Gerichtsvollzieher sei dieser Termin jedoch vom Kläger nicht wahrgenommen worden. Ferner habe das Amtsgericht Aschaffenburg mit Datum vom 20. November 2018 einen Haftbefehl gegen den Kläger zu 2) erlassen. Für die Beklagte sei aber nicht ersichtlich, wieso der im weiteren Verlauf erlassene Haftbefehl ins Leere gelaufen sei, wenn sich der tatsächliche Aufenthalt der Schuldner in der Meldeadresse befunden hätte.
61
Mit Bezug auf § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AO hat die Beklagte weiter dargelegt:
62
Kontoabrufersuchen beim Bundeszentralamt für Steuern seien bezüglich des Klägers zu 2) am 14. November 2017 sowie bezüglich der Klägerin zu 1) mit Datum vom 19. April 2018 durchgeführt worden. Beide Abfragen seien erfolglos geblieben. Da die Kläger keine Konten in Deutschland besäßen, seien anhand von Abfragen im Bayerischen Behördeninformationssystem die Meldedaten der Kläger am 15. Februar 2019 erneut überprüft worden. Auch Anfang 2019 seien die Kläger weiterhin an ihrer Adresse gemeldet gewesen. Sie seien aber durch den zuständigen Gerichtsvollzieher nicht anzutreffen gewesen.
63
Anfang 2019 sei erneut nach dem Aufenthaltsort der Kläger ermittelt worden. Ein weiterer gewichtiger Aspekt sei das fruchtlose Kontenabrufersuchen. Die Kläger seien zu diesem Zeitpunkt Ende 2017/Anfang 2018 auch nicht in Besitz deutscher Bankkonten gewesen. Wenn die Kläger aber in der Tat nicht vor Ort anzutreffen gewesen seien, wie in den Akten nachweislich dokumentiert, sei die getätigte Wohnortermittlung logisch und folglich zutreffend.
64
Des Weiteren sei im November/Dezember 2023 ein Kontoabrufverfahren sowie eine Aufenthaltsermittlung durchgeführt worden.
65
Schließlich sei im November 2023 eine Mahnung seitens der Beklagten erfolgt, die den Klägern mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden sei und die gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AO eine weitere Unterbrechung der Zahlungsverjährung bewirkt habe.
66
Die vorstehend skizzierten Ausführungen der Beklagten jedenfalls zu den Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort der Kläger bzw. zur Mahnung gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 bzw. Nr. 8 AO sind plausibel und wirken verjährungsunterbrechend. Die Unterbrechungsvoraussetzungen sind erfüllt mit der Folge, dass eine Verjährung nunmehr erst mit Ablauf des Jahres 2028 eintreten würde.
67
Denn die Abfragen der Meldedaten im Bayerischen Behördeninformationssystem (BayBIS; vgl. https://www.akdb.de/loesungen/digitale-verwaltung/baybis/) zur Wohnortermittlung sind nicht bloß innerdienstlich, sondern außenwirksam, weil auf außerhalb der Steuerbehörde (beklagte Stadt) geführte Datenbestände zugegriffen wurde. Denn das BayBIS wird im Auftrag des Freistaates Bayern durch die AKDB betreiben. Auskünfte erhalten aber nicht nur die Behörden des Freistaates Bayern, sondern auch die bayerischen kommunalen Gebietskörperschaften, wie die Beklagte als kreisfreie Stadt. Eine diesbezügliche konkrete Online-Abfrage, die den inneren Dienstbereich verlässt, genügt (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO 279. Lieferung 4/2024, § 231 AO Rn. 48). Hingegen führen andere Ermittlungsmaßnahmen wie das Kontenabrufverfahrenen für sich nicht zur Unterbrechung (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO 279. Lieferung 4/2024, § 231 AO Rn. 50). Sie können aber Anlass für eine Wohnsitz- oder Aufenthaltsermittlung sein. Das Gleiche gilt für die weiteren erfolglosen Vollstreckungsmaßnahmen und die Rückmeldungen des jeweiligen Gerichtsvollziehers, die ebenfalls hinreichenden Anlass für die weitergehende Aufenthaltsermittlung über den Blick in die eigenen Meldedaten hinaus boten.
68
Im Einzelnen erfolgten seitens der Beklagten – chronologisch – folgende aktenkundige Maßnahmen (die Seiten in den Behördenakten sind in eckigen Klammern angegeben):
- 14.11.2017 (Antwort des BZSt 22.11.2017): Kontoabrufersuchen bzgl. Kläger zu 2); kein Ergebnis [Bl. 209-211]
- 18.12.2017 (Eingang 3.1.2018): Mitteilung des Obergerichtsvollziehers, dass Kläger zu 2) bis Mitte April 2018 in Italien [Bl. 212]
- 19.4.2018: Antrag der Beklagten an Amtsgericht auf Pfändung/Verwertung und Vermögensauskunft sowie Haftbefehl bzgl. des Klägers zu 2) [Bl. 213-214]
- 19.4.2018 (Antwort des BZSt 16.5.2018): Kontoabrufersuchen bzgl. Klägerin zu 1); kein Ergebnis [Bl. 215-217]
- 28.10.2018: Mitteilung des Gerichtsvollziehers unter Beifügung des Protokolls, dass Kläger zu 2) trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Termin zur Abgabe eidesstattlicher Versicherung (am 30.7.2018) nicht erschienen ist sowie Abgabe an Vollstreckungsgericht zum Erlass eines Haftbefehls [Bl. 218-222]
- 20.11.2018: Mittteilung des Amtsgerichts, dass in Ausfertigung sowie beglaubigter Abschrift beigefügter Haftbefehl des Amtsgerichts vom selben Tag für Kläger zu 2) erlassen wurde [Bl. 223-227]
- 26.11.2018: Schreiben der Beklagten mit Bezug auf Vollstreckungsauftrag vom 19.4.2018 und mit Bitte um Vollstreckung an Gerichtsvollzieherverteilerstelle beim Amtsgericht mit Übersendung einer aktuellen Forderungsaufstellung sowie des beantragten Haftbefehls und des vollstreckbaren Ausstandsverzeichnisses bzgl. des Klägers zu 2) [Bl. 228-231]
- 15.2.2019: Aufenthaltsermittlung, Abfrage Meldedaten beider Kläger über „BIS“ [Bl. 166-168]
- 17.5.2019: Schreiben der Beklagten zur Erinnerung an Vollstreckungsauftrag an Gerichtsvollzieherverteilerstelle [Bl. 234-235]
- 21.5.2019: Fax des Gerichtsvollziehers mit Vermerk, dass sich der Rechtsanwalt des Schuldners mit Beklagter habe in Verbindung setzen wollen [Bl. 234]
- 5.5.2020: Mitteilung des Gerichtsvollziehers, dass sich Kläger zu 2) nicht melde und nicht anzutreffen sei; er habe telefonisch mitgeteilt, sich mit seinem Rechtsanwalt in Verbindung zu setzen [Bl. 236]
- 30.11.2023: Mahnung an beide Kläger, zugestellt laut PZU am 24.11.2023 [Ergänzung Bl. 3-20]
- 30.11.2023: weiterhin keine Zahlung oder sonstige Rückmeldung [Ergänzung Bl. 22-23]
- 6.12.2023: Aufenthaltsermittlung, Abfrage Meldedaten beider Kläger über „BIS“ [Ergänzung Bl. 27 bzw. 34]
- 6.12.2023 (Antwort des BZSt 6.12.2023): Kontoabrufersuchen bzgl. beider Kläger [Ergänzung Bl. 28-33 bzw. 35-37]
- 27.12.2023: interne E-Mail, dass Kontenpfändung nicht erfolgversprechend, da Vorpfändungen bzw. keine Pfändung möglich [Ergänzung Bl. 38]
69
Die vorgenannten Maßnahmen sind Inhalt der vorgelegten Behördenakten. Schlichtes Bestreiten des Klägerbevollmächtigten mit Nichtwissen bzw. mit der Bewertung als „unglaubwürdig“ ist nicht geeignet, die tatsächliche Durchführung der vorgenannten Maßnahmen usw. in Zweifel zu ziehen oder gar zu erschüttern. Eine Akteneinsicht wurde am 27. Juni 2023 gewährt. Eine weitere Akteneinsicht zu den ergänzenden Vorgängen des Jahre 2023 wurde trotz gerichtlicher Nachfrage ausdrücklich nicht beantragt.
70
Danach erfolgten Aufenthaltsermittlungen gegen beide Kläger am 15. Februar 2019 und am 6. Dezember 2023 (wobei die Letzteren – bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – nicht entscheidungserheblich sind). Die weiteren vorstehend aufgelisteten Maßnahmen und Umstände belegen, dass die durchgeführten Aufenthaltsermittlungen keine reinen Scheinhandlungen mit dem alleinigen Zweck der Verjährungsunterbrechung waren, sondern gerade aus Sicht der Beklagten berechtigt und veranlasst waren. Insbesondere die Korrespondenz mit den Gerichtvollziehern und die erfolglose Einholung einer Vermögenauskunft und eidesstattlichen Versicherung trotz Haftbefehls verdeutlichen das ernsthafte Bemühen der Beklagten. Infolgedessen erfolgten die Anfragen zur Aufenthaltsermittlung nicht nur schematisch und ohne Anlass. Denn die – ebenfalls – nicht zur Beklagten gehörenden, sondern von ihr beauftragten externen Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht Aschaffenburg hatten wiederholt mitgeteilt, dass die Kläger nicht anzutreffen gewesen seien, unter anderem wegen mehrmonatigem Auslandsaufenthalts in Italien. Die Ermittlung war anlassbezogen, weil der konkrete Aufenthalt der Kläger – jedenfalls während der wiederholten mehrmonatigen Abwesenheit in den Wintermonaten – nicht bekannt war und der Steueranspruch auch deshalb nicht realisiert werden konnte (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO, 279. Lieferung 4/2024, § 231 AO Rn. 49). Hinzukommt, dass sich laut vorherigem Kontoabruf vom 14. November 2017 bzw. 19. April 2018 mit der Aussage kein Ergebnis, keine Erkenntnisse über den Besitz deutscher Bankkonten der Kläger ergaben.
71
Gerade aus der Gesamtschau der aktenkundigen Maßnahmen der Beklagten und deren Hintergründe über die Jahre hinweg (insbesondere 2018 und 2019, dann wieder 2023) ergibt sich, dass keine anlasslosen reinen Scheinhandlungen vorlagen, auch wenn die Beklagte – von Gesetzes wegen in legitimer Weise und auch dem Sinn und Zweck der verjährungsunterbrechenden Möglichkeiten entsprechend (vgl. Heuermann in Hübsch-mann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 279. Lieferung, 4/2024, § 231 AO Rn. 4 mit Verweis auf BFH, U.v. 23.8.2022 – VII R 46/20 – BFHE 277, 73 – juris Rn. 30 ff., 34) – eine eventuelle Verjährung im Auge behielt. Dabei kommt den Klägern nicht zugute, dass sie die größte Zeit des Jahres während des Betriebs der Eisdiele im Stadtgebiet in relativer Nähe für die Beklagte grundsätzlich erreichbar waren – wie der Klägerbevollmächtigte meint – und sich nur in den Wintermonaten im Ausland aufhielten. Denn es spielt keine Rolle, dass es womöglich geschickter und erfolgversprechender gewesen wäre, Vollstreckungsmaßnahmen zu anderen Zeitpunkten zu treffen. Die Verjährungsunterbrechung hängt nicht davon ab, ob die Behörde die zur Durchsetzung der Zahlungsansprüche zweckmäßigste Maßnahme ergriffen hat (vgl. Baum in AO – eKommentar, 21.3.2023, § 231 AO B. Unterbrechungstatbestände Rn. 3.2 mit Verweis auf BFH, B.v. 17.9.2014 – VII R 8/13 – HFR 2015, 101 – juris Rn. 13). Den Klägern kann es zudem nicht zum Vorteil gereichen, sich unangekündigt und unabgestimmt mit der Beklagten für mehrere Monate im Jahr aus Landes zu begeben und sich in diesen Zeiträumen einseitig der Vollstreckung zu entziehen. Ein Steuerschuldner hat keinen Rechtsanspruch, dass nur in bestimmten Zeiträumen gegen ihn vollstreckt wird und er in anderen Zeiträumen – wie hier in den Wintermonaten – davon verschont zu bleiben, solange er keine einvernehmliche Stundungsvereinbarung mit dem Gläubiger trifft. Eine irgendwie geartete Stundung für den Zeitraum ihrer Abwesenheit behaupten die Kläger selbst nicht. Vielmehr hat ein Steuerschuldner Vorsorge zu treffen, auch bei einer mehrmonatigen Abwesenheit grundsätzlich erreichbar zu sein.
72
Gerade aufgrund der wiederholten Rückmeldungen der Gerichtsvollzieher, dass die Kläger an ihrem Wohnort für Vollstreckungsmaßnahmen nicht greifbar und erreichbar waren und auch sonst nicht auf die streitgegenständlichen Steuerforderungen reagierten, sind begründete Zweifel am Fortbestand des bekannten Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsortes plausibel, sodass hinreichender Anlass für weitergehende Ermittlungsmaßnahmen über den Einblick in die eigene Einwohnermeldedatei hinaus bestand. Es handelte sich mithin um ernst gemeinte Ermittlungen eines insoweit unbekannten (weiteren) Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsortes im In- oder Ausland – jedenfalls in den Wintermonaten (vgl. BFH, B.v. 21.12.2021 – VII R 21/19 – BFHE 274, 409, BStBl II 2022, 295 – juris LS 1 u. Rn. 40; U.v. 24.11.1992 – VII R 63/92 – BFHE 169, 493, BStBl II 1993, 220 – juris Rn. 17). Ein hinreichender Anlass für die Ermittlung des Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts des Zahlungspflichtigen wäre etwa auch schon gegeben, wenn Briefe der Behörde an den Zahlungspflichtigen von der Post als unzustellbar zurückgesandt würden (Baum in AO – eKommentar, 21.3.2023, § 231 AO B. Unterbrechungstatbestände Rn. 28).
73
Infolgedessen kann angesichts der zu bejahenden Verjährungsunterbrechung durch die gerechtfertigten Aufenthaltsermittlungen an sich dahingestellt bleiben und braucht nicht weiter vertieft zu werden, ob und inwieweit die erfolglos gebliebene Einholung einer Vermögensauskunft und der Erlass eines Haftbefehls und dessen Vollzug im Jahr 2018 und 2019 – mit Unterbrechungswirkung bis 31. Dezember 2023 bzw. 2024 (nur bezogen auf den Kläger zu 2) nicht auf die Klägerin zu 1)) – für sich ebenfalls ausreichen, weil allein die Beauftragung einer externen Stelle und Vorbereitungs- oder Anbahnungsmaßnahmen nicht genügen; jedoch etwa der Erlass eines Duldungsbescheides ausreichen würde (siehe oben sowie Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO, 279. Lieferung 10/2024, § 231 AO Rn. 36 und 38).
74
Jedenfalls ist insoweit der Rechtsprechung des BFH zu entnehmen, dass nicht zweifelhaft sein kann, dass eine Aufforderung zur eidesstattlichen Versicherung die Zahlungsverjährung unterbricht. Die wirksame Vorladung der Kläger zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch das Finanzamt genügt (BFH, B.v. 21.6.2010 – VII R 27/08 – BFHE 229, 492, BStBl II 2011, 331 – juris Rn. Rn. 10 f.). Der Kern der Aussage des BFH besteht darin, die Bedeutung der die Zahlungsverjährung unterbrechenden „Geltendmachung des Anspruchs“ in § 231 Abs. 1 AO nach Sinn und Zweck der Regelung auszulegen, d.h. den Begriff nicht auf den Zahlungsappell zu beschränken, sondern darunter jede Entscheidung der Finanzbehörde zu sehen, durch die ihr Zahlungsverlangen dem Zahlungspflichtigen kundgetan wird (Jäger in jurisPR-SteuerR 38/2010 Anm. 4).
75
Zudem diente hier das wiederholte (erfolglose) Aufsuchen der Kläger durch den Gerichtsvollzieher nicht lediglich der Ankündigung der Vollstreckung, sondern schon der zwangsweisen Durchsetzung selbst. Ebenso ist die Aufforderung zur Vermögensauskunft mit Schreiben vom 19. April 2018 selbst schon eine derartige Vollstreckungsmaßnahme im Sinne der BFH-Rechtsprechung.
76
Unklar ist aber, ob und wie die Maßnahmen zur Einholung der Vermögenauskunft bzw. zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung samt Haftbefehl den Kläger zu 2) erreicht haben. Insoweit fehlt es an greifbaren Nachweisen in den Akten, auch wenn die Vermerke/Angaben des Gerichtsvollziehers, der Kläger zu 2) wolle sich mit seinem Rechtanwalt in Verbindung setzen, dafürsprechen. Da die Frage aber letztlich nicht (mehr) entscheidungserheblich ist, braucht insoweit auch kein Beweis durch Zeugeneinvernahme des bzw. der beteiligten Gerichtsvollzieher erhoben werden.
77
Bejahendenfalls wäre die durch die letztgenannten Maßnahmen im Jahr 2018 ausgelöste Verjährungsfrist von fünf Jahren zunächst bis 31. Dezember 2023 gelaufen (bei einer Fortdauer entsprechend länger).
78
Unabhängig davon lief und läuft ohnehin die durch die – wie ausgeführt 2019 erfolgte – weitere Unterbrechungshandlung gemäß § 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 AO (Ermittlungen nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort) ausgelöste Verjährungsfrist bis Ende 2024.
79
Durch die weiteren Maßnahmen im November 2023, insbesondere auch die aktenkundige mit Postzustellungsurkunde am 24. November 2023 zugestellte Mahnung wurde eine erneut eine Verjährungsfrist von 5 Jahren ausgelöst, die nun bis Ende 2028 reicht.
80
Auch mit Bezug auf die Klägerin zu 1) ist keine Zahlungsverjährung eingetreten, weil auch insoweit wirksame Unterbrechungshandlungen vorliegen.
81
Die vorgenannte Vollstreckungsmaßnahme zur Abgabe einer Vermögensauskunft nach § 284 AO usw. hat sich nur gegen den Kläger zu 2), nicht aber gegen die Klägerin zu 1) gerichtet. Diese Maßnahme konnte ihr gegenüber keine Unterbrechung bewirken, weil sie sich nicht auf die Klägerin zu 1) bezog (§ 231 Abs. 4 AO).
82
Die Wohnsitz- und Aufenthaltsermittlung gemäß § 231 Abs. 1 S.1 Nr. 7 AO vom 15. Februar 2019 und 6. Dezember 2023 sowie die Mahnung nach § 231 Abs. 1 S.1 Nr. 8 AO im November 2023 erfolgten jedoch auch gegenüber der Klägerin zu 1), sodass damit eine wirksame Verjährungsunterbrechung erfolgte. Das dazu vorstehend zum Kläger zu 2) Ausgeführte gilt entsprechend.
83
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass im Hauptantrag die Feststellungsklage der Kläger betreffend die Zahlungsverjährung unbegründet ist.
84
Ausgehend davon ist auch die Widerspruchsgebühr in Höhe von 369,00 EUR insoweit nicht zu beanstanden. Die Frage, ob dem Widerspruchsbescheid eine unrichtige Sachbehandlung zugrunde lag (Art. 16 Abs. 5 KAG), ist mangels Verjährung zu verneinen und auch sonst nicht gegeben (siehe im Übrigen zum begehrten Erlass nachfolgend).
85
Nach alledem ist der streitgegenständliche Steueranspruch samt Nebenforderungen nicht verjährt und der Hauptantrag im vollen Umfang unbegründet.
86
Die Klage ist auch im Hilfsantrag unbegründet, weil die Bescheide der Beklagten vom 25. September und 26. September 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 27. April 2023 rechtmäßig sind und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen, weil sie keinen Anspruch auf Erlass der streitgegenständlichen Steuerschulden und Nebenforderungen haben bzw. hatten.
87
Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre (§ 227 AO). Vorliegend könnten primär persönliche Billigkeitsgründe in Betracht kommen, die aus den persönlichen, insbesondere den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen resultieren. Erforderlich sind sowohl Erlassbedürftigkeit als auch Erlasswürdigkeit. Bei der Geltendmachung persönlicher Billigkeitsgründe besteht zudem eine erhöhte Mitwirkungsverpflichtung des Steuerpflichtigen, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen regelmäßig im Wissens- und Einflussbereich des Steuerpflichtigen liegen; dieser muss insbesondere auf Anforderung seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse substantiiert darlegen.
88
Die Voraussetzungen eines Erlasses waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung indes nicht gegeben. Auf die Begründung in den streitgegenständlichen Bescheiden vom 25. bzw. 26. November 2018 sowie vom 27. April 2023, die sich das Gericht zu eigen macht, wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). In den ablehnenden Bescheiden der Beklagten vom 25. bzw. 26. November 2018 sind die für die Kläger negativen Entscheidungen zutreffend begründet. Insbesondere im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid vom 27. April 2023 hat die Regierung von Unterfranken das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Voraussetzungen für einen Erlass sehr umfassend und äußerst detailliert unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte geprüft und den Widerspruch zu den Erlassanträgen in rechtsfehlfreier Weise abweisend verbeschieden.
89
Die Kläger haben sich im gesamten Klageverfahren – abgesehen von ganz vereinzelt gebliebenen, nicht substanziiert begründeten kurzen Aussagen, dass die Kläger laut Vermögensauskunft von 2017 kein Vermögen hätten und das Haus in Italien nichts wert sei – mit dem Erlass der Steuerschulden und der Begründung des Widerspruchsbescheides nicht auseinandergesetzt, sodass sich weitergehende Ausführungen erübrigen.
90
Ergänzend ist lediglich anzumerken, dass maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt die Behördenentscheidung ist, und zwar der Zeitpunkt der Entscheidung der beklagten Stadt. Nicht maßgeblich ist der Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung der Regierung von Unterfranken, weil es sich bei der Entscheidung über einen Erlassantrag um eine Ermessensentscheidung handelt und die Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden gem. Art. 119 Nr. 1 GO nur zur Rechtmäßigkeits- und nicht auch zur Zweckmäßigkeitsprüfung befugt ist (so BayVGH, B.v. 6.2.2012 – 4 ZB 11.1516 – juris Rn. 15 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 23.8.1990 – 8 C 42/88 – juris Rn. 34; ebenso VG München, U.v. 14.7.2016 – M 10 K 16.984 – juris Rn. 55; vgl. auch VG Würzburg, B.v. 6.5.2022 – W 7 K 20.1881 – juris 26 „letzte Behördenentscheidung“; BayVGH, U.v. 18.2.2013 – 10 B 10.1028 – juris Rn. 25 „letzte Behördenentscheidung“; a.A. VG Dresden, U.v. 24.1.2017 – 2 K 804/16 – juris Rn. 20 „Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids“).
91
Aufgrund des Fehlens jeglichen weiteren substanziierten Vorbringens der Klägerseite zu sich möglicherweise zu ihren Gunsten veränderten Erlassgründen zwischen den Bescheiden der Stadt Aschaffenburg (25. und 26.9.2018) und dem Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken (27.4.2023) ist ohnehin nicht ersichtlich, dass sich eine insoweit abweichende Beurteilung rechtfertigen könnte.
92
Soweit der Klägerbevollmächtigte zuletzt in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 2024 auf eine Verhandlung beim Finanzgericht Nürnberg und den dortigen Hinweis auf § 268 AO (betreffend die Aufteilung einer Gesamtschuld bei der Einkommenssteuer bei einer Zusammenveranlagung) verwiesen hat, ist schon nicht ersichtlich, um was es dort mit Relevanz für das hiesige Verfahren konkret ging. Streitgegenständlich sind im vorliegenden Verfahren ererbte Gewerbesteuerschulden und nicht die Einkommens- und Umsatzsteuer, so dass der Verweis auf den hier nicht anwendbaren § 268 AO (vgl. nur Zöllner in Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 268 Rn. 5 f.) von vorneherein ins Leere geht, zumal bisher nicht vorgetragen wurde, dass die Kläger einen dahingehenden Antrag gestellt hätten. Sofern der Klägerbevollmächtigte weiter angegeben hat, dass die Inanspruchnahme der Klägerin zu 1) seitens des Finanzgerichts Nürnberg als missbräuchlich angesehen worden sei, fehlen zum einen auch hierzu nähere Angaben. Zum anderen ist auf den hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt abzustellen. Soweit im finanzgerichtlichen Verfahren eine Erledigung des Klageverfahrens erfolgt ist, so dass nunmehr das Finanzamt erneut über den Erlassantrag der Kläger zu entscheiden ist, ist dies hier ohne Belang.
93
Letztlich wurde im Klageverfahren hinsichtlich des Erlasses nichts Greifbares vorgebracht oder nachgewiesen, dass die Erlassvoraussetzungen (Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit) zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der Beklagten bzw. der Regierung von Unterfranken vorgelegen hätten.
94
Abgesehen davon spricht weiterhin durchgreifend die Verletzung der Mitwirkungspflicht der Kläger gegen einen Erlassanspruch. Insoweit kann auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs Bezug genommen werden, der gerade auch die Mitwirkungspflicht des Steuerschuldners gemäß § 90 Abs. 1 AO betont, welcher gehalten ist, seine wirtschaftliche Situation unter Berücksichtigung etwaiger finanzieller Spielräume zeitnah gegenüber der Gemeinde darzulegen und durch geeignetes Zahlenmaterial bzw. sonstige Unterlagen glaubhaft zu machen (siehe etwa BayVGH, B.v. 29.9.2020 – 4 ZB 19.487 – juris Rn. 11 ff., insbesondere Rn. 12 m.w.N.).
95
Ein Erlassantrag kann im Übrigen zu einem späteren Zeitpunkt erneut gestellt werden, wenn sich nach der Verwaltungsentscheidung neue Gründe ergeben, die nunmehr eine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen könnten (Oosterkamp in BeckOK AO, Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 28. Ed. 15.4.2023, § 227 Rn. 73).
96
Nach alledem waren die Klagen sowohl im Hauptantrag als auch im Hilfsantrag in vollem Umfang abzuweisen.
97
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
98
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.