Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 13.06.2024 – W 3 E 24.897
Titel:

Wohngeld, vorläufige Zahlung des Wohngeldes, kein vorheriger Antrag bei der Behörde, kein Rechtsschutzbedürfnis

Normenketten:
VwGO § 123
WoGG § 26a
Schlagworte:
Wohngeld, vorläufige Zahlung des Wohngeldes, kein vorheriger Antrag bei der Behörde, kein Rechtsschutzbedürfnis
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14273

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr vorläufig Wohngeld zu zahlen.
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Die Antragstellerin beantragte bei der Antragsgegnerin mit Antrag vom 30. Oktober 2023, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 31. Oktober 2023, erstmals Wohngeld.
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Eine Bearbeitung des Antrages durch die Antragsgegnerin erfolgte nicht.
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Mit E-Mail vom 18. Februar 2024 wandte sich die Antragstellerin an die Antragsgegnerin und bat um unverzügliche Ausstellung des Wohngeldbescheides. Sie habe zwei Anträge für einen Rechtsberatungsschein beim Amtsgericht Würzburg gestellt, die erst nach der Vorlage des Wohngeldbescheides bearbeitet werden könnten.
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Trotz Nachfrage erfolgte keine Bearbeitung des Antrages durch die Antragsgegnerin.
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Die Antragstellerin erhob am 28. Mai 2024 bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg in dem Verfahren W 3 K 24.896 Untätigkeitsklage gegen die Antragsgegnerin, mit der sie deren Verpflichtung begehrt, innerhalb von drei Monaten über den Wohngeldantrag vom 31. Oktober 2023 zu entscheiden.
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Gleichzeitig stellte die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren folgenden Antrag:
Die Antragsgegnerin wird im Rahmen der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Wohngeld verpflichtet.
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Dies begründete die Antragstellerin im Wesentlichen damit, dass ihr ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar sei, da sie sich bereits in einer finanziellen Notlage befinde. Im Rahmen der Antragstellung legte die Antragsstellerin den Abdruck der E-Mail vom 18. Februar 2024 vor.
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Die Antragsgegnerin beantragte
Antragsabweisung.
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Der am 31. Oktober 2023 gestellte Wohngeldantrag sei unvollständig gewesen. Die Frist des § 75 VwGO beginne daher erst mit der Nachforderung von Unterlagen.
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Mit Schreiben vom 3. Juni 2024 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass der Antrag aufgrund fehlender Unterlagen nicht abschließend bearbeitet werden könne und forderte folgende Unterlagen nach:
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Ein vollständiges Mieterhöhungsschreiben auf 639,00 €, eine Stellungnahme bezüglich der Zahlung der Heiz- und Warmwasserkosten, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob die Heiz- und Warmwasserkosten in den Betriebskosten oder bei der Stromzahlung an die WVV enthalten sind, einen Nachweis über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei ..., einen Nachweis darüber, worum es sich bei der Zahlung über 364,87 € von ... handelt, zudem die Verdienstabrechnung von Oktober 2023, den Bescheid über den Unterhaltsvorschuss für A. …, einen Nachweis über den anteiligen Unterhaltsvorschuss für Juni 2024 und einen Nachweis bzw. eine schriftliche Erklärung darüber, was die Tochter der Antragstellerin nach ihrem Schulabschluss im Juli 2024 plant.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten, welche Gegenstand des Verfahrens waren, einschließlich der Akten des Verfahrens W 3 K 24.896 verwiesen.
II.
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Die Antragstellerin begehrt, die Antragsgegnerin im Rahmen der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Zahlung von Wohngeld nach § 26a WoGG zu verpflichten. Von diesem Antragsgegenstand ist gem. § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO in entsprechender Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) und unter Berücksichtigung ihrer wohlverstandenen Interessenlage auszugehen (st.Rspr., z.B. BGH, U.v. 21.12.2023 – IX ZR 238/22 – GRUR 2024, 404 Rn. 12). Die Antragstellerin beantragt wörtlich, die Antragsgegnerin im Rahmen der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Wohngeld zu verpflichten. Das Gericht versteht diesen Antrag nicht so, dass damit die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Wohngeld nach § 26 WoGG vorläufig bis zu der Entscheidung der Antragsgegnerin über den Wohngeldantrag begehrt wird, sondern so, dass die Antragstellerin die vorläufige Zahlung des Wohngeldes nach § 26a WoGG bis zu einer Entscheidung der Antragsgegnerin über den Wohngeldantrag der Antragstellerin begehrt.
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Nach § 26a Abs. 1 WoGG kann eine vorläufige Zahlung des Wohngeldes erfolgen, wenn zur Feststellung des Wohngeldes voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wohngeld besteht. Nach der Gesetzesbegründung soll dadurch eine zügige Unterstützung wohngeldberechtigter Personen und insbesondere eine unbürokratische Lösung für vulnerable Gruppe geschaffen werden (BT-Drs. 20/2926, S.76f.). Daher sind Grundlage der Zahlung ausschließlich die für das Wohngeld maßgeblichen Berechnungsgrößen nach § 4 WoGG (§ 26a Abs. 1 Satz 2 WoGG). Die zu erbringenden Nachweise sollen gegebenenfalls auf das zwingend Notwendige beschränkt werden (BT-Drs. 20/2926, S.76f). Die Entscheidung steht dabei unter dem Vorbehalt der endgültigen Entscheidung (§ 26a Abs. 2 Satz 1 WoGG). Insgesamt werden von dem Wohngeldgesetz damit andere Anforderungen an die vorläufige Zahlung von Wohngeld nach § 26a WoGG als an die endgültige Bewilligung nach § 26 WoGG gestellt, was auf den Prüfungsmaßstab im einstweiligen Rechtsschutz Einfluss hat.
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Dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren die vorläufige Zahlung von Wohngeld nach § 26a WoGG begehrt, auch wenn dies dem Wortlaut ihres Antrages nicht eindeutig zu nehmen ist, ergibt sich aus der Auslegung des Antrages in Zusammenschau mit dem Begehren der Antragstellerin in der zeitgleich erhobenen Klage in der Hauptsache. In der Hauptsache (Az.: W 3 K 24.896) begehrt die Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Entscheidung über den Wohngeldantrag und gerade nicht die Verpflichtung zur Bewilligung von Wohngeld in einer konkreten Höhe. Vor dem Hintergrund, dass der Eilrechtsschutz grundsätzlich weder die Hauptsache vorwegnehmen soll (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 66a ff.) noch über die Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache hinausgehen soll (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 18. Aufl. 2018, § 123 Rn. 112f.), kann der gemeinsam mit der Klage in der Hauptsache erhobenen Antrag der Antragstellerin nur so verstanden werden, dass die Antragstellerin die vorläufige Zahlung von Wohngeld nach § 26a WoGG begehrt. Anderenfalls würde der Eilrechtsschutz über den Streitgegenstand in der Hauptsache hinausgehen, wenn in der Hauptsache nur die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Entscheidung über den Wohngeldantrag begehrt wird, im Rahmen des Eilrechtsschutzes hingegen die vorläufige Gewährung der Zahlung des endgültigen Wohngeldes.
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Auch wenn die Antragstellerin bereits am 31. Oktober 2023 bei der Antragsgegnerin die Bewilligung von Wohngeld beantragt hatte, sind weder dem Antrag selbst noch der Begründung Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Antragstellerin im Rahmen der einstweiligen Anordnung vorläufige Zahlungen auch für die Vergangenheit begehrt. Antragsgegenstand sind demnach nur Zahlungsansprüche ab Antragstellung bei Gericht.
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Der so verstandene Antrag auf Erlass einer einsteiligen Anordnung hat keinen Erfolg, da er unzulässig ist. Ihm fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Ebenso kann das Gericht nach § 123 Abs. 1 Satz. 2 VwGO eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).
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Die Stellung eines Eilantrags erfordert ein Rechtsschutzbedürfnis, also ein berechtigtes Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz. Hierbei handelt es sich um eine ungeschriebene Voraussetzung für jede Inanspruchnahme des Gerichts (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, Vor §§ 40-53 Rn. 11). Ist die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht erforderlich, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis und der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist unzulässig (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 34). Nicht erforderlich ist die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes, wenn die einstweilige Anordnung zur Wahrung der Rechte des Antragstellers nicht erforderlich ist, weil er den Rechtsschutz auf andere Weise, insbesondere durch einen Antrag bei der Behörde erreichen kann. Soweit nach dem materiellen Recht ein Antrag zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens erforderlich ist, kann das gerichtliche Verfahren den Antrag an die Behörde nicht ersetzen, da der Antrag an die Behörde einen anderen Inhalt hat als der Antrag nach § 123 VwGO an das Gericht. Ausnahmen hiervor sind allenfalls in der erkennbaren Aussichtslosigkeit eines Antrages bei der Behörde und bei besonderer Dringlichkeit des Rechtsschutzanliegens zu sehen (vgl. dazu: Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 70; Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, 44. EL März 2023, § 123 Rn. 121a; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 34; Buchmeister in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 123 Rn. 13f.).
21
Im vorliegenden Fall wäre für die vorläufige Zahlung des Wohngeldes nach § 26a WoGG ein Antrag der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin erforderlich gewesen.
22
Nach § 22 Abs. 1 WoGG wird Wohngeld nur auf Antrag der wohngeldberechtigten Person geleistet. Nach § 26a Abs. 1 WoGG kann eine vorläufige Zahlung des Wohngeldes erfolgen, wenn zur Feststellung des Wohngeldanspruchs voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wohngeld besteht. Dabei gilt nach § 26a Abs. 3 Satz 2 WoGG der Zeitpunkt der Antragstellung für die vorläufige Zahlung auch als Zeitpunkt der Antragstellung für die endgültige Zahlung.
23
Die vorläufige Zahlung setzt denknotwenig einen Antrag auf Bewilligung oder Weiterbewilligung von Wohngeld gemäß § 22 Abs. 1 WoGG voraus (Schaefer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl. 2023, § 26a WoGG, Rn. 11). Ein Antrag zur vorläufigen Zahlung von Wohngeld ist dagegen nicht zwingend erforderlich, denn die Wohngeldbehörde kann, wie der Wortlaut des § 26a Abs. 1 WoGG erkennen lässt, auch von Amts wegen ohne vorherigen Antrag darüber entscheiden.
24
Trifft die Wohngeldbehörde jedoch nicht von Amts wegen eine Entscheidung nach § 26a Abs. 1 WoGG, so ist ein entsprechender Antrag der Person, die die (Weiter-)Bewilligung von Wohngeld begehrt, erforderlich, sofern diese vorläufige Zahlung von Wohngeld erreichen will. Dies gebietet der Grundsatz der Gewaltenteilung, demzufolge es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet sind (BVerwG, B.v. 26.10.2017 – 6 VR 1/17 – NvWZ 2018, 414 Rn. 9; BVerwG, B.v. 22.11.2021 – 6 VR 4/21 – NvwZ-RR 2022, 164, Rn. 8; a.A.: Hinrichs, Wohngeldreform 2023, Bagatellgrenze bei Rückforderungen, vorläufige Zahlung und flexiblere Bewilligungszeiträume, NZM 2023, 225, 227). Damit wird der Wohngeldbehörde die Gelegenheit gegeben, sich im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens nach § 26a Abs. 1 WoGG hiermit auseinanderzusetzen. Erst wenn die Wohngeldbehörde dem Antrag nach § 26a Abs. 1 WoGG nicht nachkommt, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Entscheidung.
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Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin bereits von Amts wegen über die vorläufige Zahlung von Wohngeld nach § 26a Abs. 1 WoGG an die Antragstellerin entschieden hätte. Die Antragstellerin hat zudem vor der gerichtlichen Inanspruchnahme keinen Antrag zur Zahlung vorläufigen Wohngeldes bei der Antragsgegnerin gestellt.
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Dieser Antrag ist nicht bereits in dem Antrag auf Bewilligung oder Weiterbewilligung von Wohngeld konkludent enthalten. Den im Rahmen der Antragstellung verwendeten Formularen sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass neben dem Wohngeld gleichzeitig auch die vorläufige Zahlung von Wohngeld nach § 26a WoGG beantragt wird. Dafür spricht insbesondere, dass sich die Antragsformulare mit der Einführung des § 26a WoGG am 1. Januar 2023 nicht geändert haben. Im Rahmen der Auslegung des Antrages in entsprechender Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) ergibt sich nichts anderes. Denn nach § 26a Abs. 1 WoGG setzt die vorläufige Zahlung von Wohngeld voraus, dass für die Feststellung des Wohngeldanspruches voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Ob dies der Fall ist, ist bei der Antragstellung regelmäßig noch nicht absehbar, so dass nicht davon auszugehen ist, dass es regelmäßig dem Willen der den Antrag stellenden Person entspricht, zugleich auch einen Antrag auf vorläufige Zahlung von Wohngeld nach § 26a Abs. 1 WoGG zu stellen. Vor diesem Hintergrund kann jedoch im Einzelfall in einer Nachfrage bei der Behörde unter Verweis auf die lange Verfahrensdauer eine konkludente Antragsstellung zu sehen sein, insbesondere, wenn daraus das Begehren einer schnellen Auszahlung des Wohngeldes aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage deutlich wird.
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Doch auch in der E-Mail der Antragstellerin vom 18. Februar 2024 ist kein (konkludenter) Antrag zur vorläufigen Zahlung von Wohngeld nach § 26a WoGG zu sehen. Die Antragstellerin macht in ihrer E-Mail deutlich, dass es ihr gerade nicht auf einen schnellen Geldfluss insbesondere aufgrund einer wirtschaftlicher Notlage ankommt, der durch die vorläufige Zahlung begegnet werden kann. Vielmehr geht es der Antragstellerin um die endgültige Bewilligung und den Erlass des Wohngeldbescheides, damit sie diesen in weiteren Verfahren zum Nachweis ihrer Bedürftigkeit vorlegen kann.
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Nach alldem ist der Antrag mangels vorherigem Antrag bei der Antragsgegnerin als unzulässig abzulehnen, ohne dass es auf die Begründetheit des Antrages ankommt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO als Rechtsstreit in Angelegenheiten der Fürsorge gerichtskostenfrei (BVerwG, U.v. 23.4.2019 – 5 C 2/18 – juris).