Titel:
Einstweilige Anordnung, Presserechtlicher Auskunftsanspruch, Dringlichkeit, Anspruch eines Redakteurs auf Auskunft über Ausreisepflicht eines Ausländers (bejaht), Vorwegnahme der Hauptsache
Normenketten:
VwGO § 123
BayPrG Art. 4
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2
Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Presserechtlicher Auskunftsanspruch, Dringlichkeit, Anspruch eines Redakteurs auf Auskunft über Ausreisepflicht eines Ausländers (bejaht), Vorwegnahme der Hauptsache
Fundstelle:
BeckRS 2024, 14207
Tenor
I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Woche nach Rechtskraft dieses Beschlusses Auskunft über folgende Fragen zu erteilen, soweit die Informationen bei dem Landratsamt Miesbach vorhanden sind.:
1. Seit wann ist Herr … … … …, geboren … in …, ausreisepflichtig?
2. Warum ist eine bestehende Ausreisepflicht des Herrn … … … … noch nicht vollzogen worden?
3. Gab es bereits Versuche, die Ausreisepflicht zu vollziehen? Wenn ja, wann fanden diese statt, wie viele Versuche wurden unternommen und warum sind diese Versuche gescheitert?
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Erteilung einer presserechtlichen Auskunft vom Antragsgegner.
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Der Antragsteller ist Redakteur bei „… …“ der … … Deutschland GmbH. Mit E-Mail vom 26. April 2024 erbat er vom Landratsamt Miesbach die Erteilung presserechtlicher Auskünfte zu den im Tenor genannten Fragen Nummer 1 bis 3. Hierbei wies er darauf hin, dass sich der Ausländer seit Montag unter anderem wegen Vergewaltigung vor dem Landgericht München II verantworten müsse. Laut Aussagen vor Gericht lebe der Mann seit Dezember 2019 in Deutschland und sei vollziehbar ausreisepflichtig. Dieses Auskunftsbegehren lehnte der Antragsgegner mit der Begründung ab, dass aufgrund der geltenden Persönlichkeitsrechte hierzu keine Auskunft erteilt werden könne. Im Anschluss daran stellte der Justiziar der … … Deutschland GmbH dem Antragsgegner noch einmal die im Tenor genannten Fragen und bat, diese gegenüber dem Redakteur der … zu beantworten. Hierbei vertrat er die Auffassung, dass das Landratsamt zur Auskunft gegenüber der Presse verpflichtet sei. Eine weitere Antwort des Antragsgegners erging daraufhin nicht.
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Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2024, beim Verwaltungsgericht München am gleichen Tag eingegangen, beantragt der Bevollmächtigte des Antragstellers,
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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, auf folgende Fragen Auskunft zu geben:
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1. Seit wann ist Herr … … … …, geboren … in …, ausreisepflichtig?
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2. Warum ist eine bestehende Ausreisepflicht des Herrn … … … … noch nicht vollzogen worden?
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3. Gab es bereits Versuche, die Ausreisepflicht zu vollziehen? Wenn ja, wann fanden diese statt, wie viele Versuche wurden unternommen und warum sind diese Versuche gescheitert?
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Hilfsweise dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller Auskunft zu folgenden Fragen, betreffend Herrn … … … …, geboren 23.11.1983 in Jordanien zu geben:
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1. Seit wann ist der Mann ausreisepflichtig?
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2. Warum ist er bisher noch nicht abgeschoben worden?
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3. Gab es bereits Versuche ihn abzuschieben? Falls ja, wann, wie viele und warum sind sie gescheitert?
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Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller sei Chefreporter und Redakteur der „…“ und recherchiere zu Fragen von Strafverfahren, Gewaltdelikten und ausländischen Staatsbürgern. Er habe Anspruch auf die gewünschten Auskünfte aus § 4 Abs. 1 Bayerisches Pressegesetz – BayPrG (Anordnungsanspruch). Der Auskunftsantrag betreffe ein Strafverfahren gegen einen ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen. Es bestehe ein sehr großes öffentliches Interesse an der Berichterstattung. Der Antragsteller verweist in diesem Zusammenhang auf verschiedene in diesem Zusammenhang bereits erschienene Zeitungsartikel, die über das strafgerichtliche Verfahren berichten. Der Verweis des Antragsgegners auf geltende Persönlichkeitsrechte lasse keine Abwägung der miteinander streitenden Grundrechtspositionen erkennen. Es sei alleine Sache der Presse aufgrund eigener publizistischer Beurteilung zu entscheiden, ob und wie über einen Sachverhalt berichtet werde. Ausschlussgründe, die dem Auskunftsanspruch entgegenstünden, lägen nicht vor. Der presserechtliche Auskunftsanspruch ergebe sich darüber hinaus aus Art. 10 EMRK. Der Anordnungsgrund ergebe sich aus dem gesteigerten öffentlichen Interesse und dem starken Gegenwartsbezug der Berichterstattung. Personen, die einer Straftat verdächtigt würden, stünden regelmäßig im öffentlichen Interesse. Verbunden damit sei das Interesse an Fragen des Aufenthaltsrechts in Deutschland. Ein hoher Gegenwartsbezug ergebe sich bereits aus den beigefügten Presseberichten, die sämtlich in den vergangenen Tagen bzw. im vergangenen Monat erschienen seien. Die Thematik sei außerdem von hoher politischer Relevanz. Bei einer Verweisung des Antragstellers auf ein Hauptsacheverfahren würden die Antworten des Antragsgegners ihren Nachrichtenwert verlieren.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Antragsgegner habe eine Abwägung der einschlägigen Grundrechtspositionen vorgenommen. Gesichtspunkte des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen hätten zur Ablehnung der Anfrage geführt. Die Herausgabe von ausländerrechtlichen Daten stünde vorliegend in keinem sachlichen Zusammenhang zu dem Strafverfahren. Im Hinblick auf Art. 10 EMRK komme es darauf an, ob die nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Einschränkungen im Einzelfall griffen. Im Ergebnis führe dies zu einem Gleichlauf mit dem nationalen presserechtlichen Auskunftsanspruch. In Bezug auf die Frage Nummer 3 wird vorgetragen, das Landratsamt verfüge aufgrund der federführenden Zuständigkeit des Bayerischen Landesamts für Asyl und Rückführungen nicht über tagesaktuelle Kenntnis über sämtliche, gegebenenfalls erfolglose Versuche der Aufenthaltsbeendigung. Dem Landratsamt würden (fehlgeschlagene) Abschiebungsversuche erst im Nachgang mit zeitlicher Verzögerung mitgeteilt. Die organisatorischen Aufgaben zur Abwicklung von Rückführungen würden vom Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen eigenständig für die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden vorgenommen. Presserechtliche Auskunftsansprüche könnten von einer Behörde nur insoweit verlangt werden als diese über entsprechende Informationen verfüge. Bezüglich der presserechtlichen Anfragen Nummer 1 und 2 fehle es am Anordnungsgrund sowie am Anordnungsanspruch. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens sei eine Aktualitätseinbuße in der Berichterstattung nicht zu befürchten. Darüber hinaus gelte das öffentliche Interesse vornehmlich dem Strafverfahren und nicht dem aufenthaltsrechtlichen Status des Beschuldigten. Ein Anordnungsanspruch bestehe nicht, da der aufenthaltsrechtliche Status des Beschuldigten als „vollziehbar ausreisepflichtig“ im Rahmen des Strafprozesses bereits öffentlich thematisiert worden sei. Die Abschiebungsthematik stehe in keinem Zusammenhang zu dem anhängigen strafrechtlichen Verfahren. Die gewünschten Informationen seien dem besonders geschützten Bereich der Privatsphäre des Beschuldigten zuzuordnen. Daten und Informationen im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungsmaßnahmen seien besonders schutzwürdig. Aufgrund von § 97a Aufenthaltsgesetz – AufenthG – würden Informationen zum konkreten Ablauf einer Abschiebung der besonderen Geheimhaltungspflicht unterliegen.
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Der Antragsteller ließ hierauf mit Schriftsatz vom 16. Mai 2024 erwidern. Ferner wurde eine Bestätigung übersandt, dass der Antragsteller bei der … … Deutschland GmbH als Chefreporter fest angestellt ist. Auf telefonische Nachfrage des Gerichts wurde von Antragstellerseite klargestellt, dass sich der Antrag auf Übermittlung des Verwaltungsvorgangs auf die vom Antragsgegner an das Gericht übermittelten Akten zum streitgegenständlichen presserechtlichen Auskunftsverfahren beziehen. Akteneinsicht in die elektronisch übermittelten Akten wurde vom Gericht daraufhin gewährt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat Erfolg.
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1. Der zulässige Antrag ist begründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Dabei hat ein Antragsteller sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO liegen vor, da der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung) sowie die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen. Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache sind erhöhte Anforderungen an die Darlegung sowohl des geltend gemachten Anordnungsgrunds als auch des Anordnungsanspruchs zu stellen (stRspr., vgl. nur: BayVGH, B.v. 19.8.2020 – 7 CE 20.1822 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 24.1.2017 – 7 CE 16.2056 – juris Rn. 9).
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a) Der Anordnungsanspruch auf presserechtliche Auskunft ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayPrG.
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Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayPrG hat die Presse gegenüber Behörden ein Recht auf Auskunft. Sie kann es nur durch Redakteure oder andere von ihnen genügend ausgewiesene Mitarbeiter von Zeitungen oder Zeitschriften ausüben (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 BayPrG). Das Recht auf Auskunft kann nur gegenüber dem Behördenleiter und den von ihm Beauftragten geltend gemacht werden (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BayPrG). Die Auskunft darf nur verweigert werden, soweit aufgrund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG).
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Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Antragsteller einen Anspruch auf Beantwortung der von ihm konkret gestellten Fragen, soweit das Landratsamt Miesbach hierzu über Informationen verfügt (zu dieser Einschränkung vgl. BayVGH B.v. 3.8.2023 – 7 ZB 21.181; juris Rn 8). Akteneinsicht in die Ausländerakte ist – so die Klarstellung durch den Antragsteller – nicht begehrt.
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Ungeachtet der Tatsache, dass die organisatorischen Aufgaben zur Abwicklung von Rückführungen gemäß § 5 Abs. 1 ZustVAuslR vom Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen zur Unterstützung der Kreisverwaltungsbehörden vorgenommen werden, ist für die Einleitung von Abschiebungen, die den genannten Ausländer betreffen, das Landratsamt Miesbach als untere Ausländerbehörde zuständig. Dies ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Presseanfrage zunächst an die Regierung von Oberbayern gestellt wurde, welche den Antragsteller darauf hingewiesen hat, dass die ausländerrechtliche Zuständigkeit beim Landratsamt Miesbach liegt, da der Ausländer vor seiner Inhaftierung eine vom Landratsamt Miesbach verwaltete dezentrale Unterkunft in Tegernsee bewohnte. Unschädlich ist auch, dass der Antragsgegner möglicherweise nicht tagesaktuell Kenntnis über sämtliche gegebenenfalls erfolglose Versuche der Aufenthaltsbeendigung hat, denn der Ausländer befindet sich jedenfalls schon seit Beginn der Presseberichterstattung über den Strafgerichtsprozess in Haft. Das Auskunftsersuchen richtet sich dementsprechend auf den davorliegenden Zeitraum.
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Ein Recht zur Auskunftsverweigerung nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG, insbesondere eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht, besteht nicht. Die Auskunft darf nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG nur verweigert werden, soweit aufgrund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht. Dem wird auch für Bayern im Kern ein allgemeines Abwägungsprinzip entnommen, bei dem sich Grenzen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs auch ergeben können, wenn die Beantwortung einer Anfrage Grundrechte Dritter, etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht, berührt (vgl. Söder in BeckOK Informations- und Medienrecht, Stand 1.2.2024, Art. 4 BayPrG Rn. 16). Über die genannten Verschwiegenheitspflichten hinaus ist ein Auskunftsverweigerungsrecht im Bayerischen Pressegesetz nicht vorgesehen. Unter die Regelung fallen sowohl Geheimhaltungsvorschriften als auch Regelungen, die private Geheimnisse stützen. Es gibt keine umfassenden Bereichsausnahmen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners lässt im konkreten Fall auch § 97a AufenthG den Auskunftsanspruch nicht entfallen. Zu den von dieser Vorschrift geschützten Geheimnissen bzw. Nachrichten zählen die konkreten Modalitäten hinsichtlich der Chronologie der geplanten Ereignisse im Hinblick auf eine geplante Abschiebung. Ziel des durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 neu eingeführten § 97a AufenthG ist es, durch Geheimhaltung insbesondere des Abschiebungstermins ein Entziehen des Betroffenen, etwa durch Untertauchen, zu verhindern (BT-Drs. 19/10047,48). Die vom Antragsteller begehrten Auskünfte beziehen sich jedoch nicht auf bevorstehende Abschiebungen des betroffenen Ausländers, sondern auf in der Vergangenheit möglicherweise vorgenommene Abschiebungsversuche.
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Verschwiegenheitspflichten können jedoch nicht nur aus (generellen) „Geheimhaltungsvorschriften“ folgen, sondern Grenzen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs können sich auch ergeben, wenn die Beantwortung einer Anfrage Grundrechte Dritter, etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz – GG), berührt. Stehen sich Grundrechtspositionen entgegen, sind sie in einen angemessenen Ausgleich zu bringen und es ist insbesondere abzuwägen, ob dem verfassungsrechtlich aufgrund der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) gewährleisteten Informationsinteresse oder dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteresse der Vorzug zu geben ist (stRspr, vgl. nur: BayVGH, B.v. 19.8.2020 – 7 CE 20.1822 – juris Rn. 15 f. m.w.N.).
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Vorliegend verdient unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles das Informationsinteresse des Antragstellers den Vorzug gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Ausländers. Zum einen zielen die Fragestellungen bereits nicht auf die persönlichen Verhältnisse des Ausländers ab, sondern vielmehr darauf, ob die zuständige Ausländerbehörde ihren gesetzlichen Verpflichtungen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht bzw. Aufenthaltsbeendigung ordnungsgemäß nachgekommen ist. Zwar ist das grundsätzlich schutzwürdige allgemeine Persönlichkeitsrecht des Ausländers hier im Ausgangspunkt im Rahmen des Strafverfahrens betroffen. Die Fragen des Antragstellers sind jedoch nicht darauf gerichtet, was dem Ausländer von der Staatsanwaltschaft zum Vorwurf gemacht wird. Dies ist bereits aufgrund der öffentlichen Verhandlung am Landgericht München II offenbart. Durch die Gerichtsverhandlung wurde auch bereits bekannt, dass es sich um einen abgelehnten Asylbewerber handelt, der seit Dezember 2019 in Deutschland wohnt und der verheiratet ist. Diese bereits erfolgten Veröffentlichungen setzen das Diskretionsinteresse bezüglich des Auskunftsanspruchs über Ausreisepflicht und Abschiebungsversuche herab (vgl. Söder in BeckOK Informations- und Medienrecht, Stand 1.2.2024, Art. 4 BayPrG Rn. 19). Die Fragen des Antragstellers betreffen unter dem Blickwinkel der abgestuften Schutzbedürftigkeit der Intim-, Privat- und Sozialsphäre letztlich nur die Sozialsphäre in geringfügiger Weise. Das Persönlichkeitsrecht des Ausländers ist durch die konkret gestellten Fragen nicht verletzt. Im Rahmen der Abwägung überwiegt somit das grundrechtlich geschützte Auskunftsrecht der Presse.
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Auskunft wurde vom Antragsteller auch nur insoweit beantragt, als bereits Informationen bei der Behörde vorhanden sind. Die Tenorierung unter Ziffer I dient insoweit lediglich der Klarstellung.
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b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
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Zu berücksichtigen ist einerseits‚ dass die Presse grundsätzlich in den Grenzen des Rechts selbst entscheidet‚ ob und wie sie über ein bestimmtes Thema berichtet. Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse‚ das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffungen grundrechtlich schützt. Unter das Selbstbestimmungsrecht in zeitlicher Hinsicht fällt auch die Freiheit der Presse zu entscheiden‚ ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll. Allerdings genügt es in diesem Zusammenhang‚ wenn Eilrechtschutz nur gewährt wird‚ wo ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen (BVerfG‚ B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 Rn. 29‚ 30 juris). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung mithin notwendig ist‚ um wesentliche Nachteile abzuwenden. Dies kann jedoch entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht deshalb verneint werden, weil die Berichterstattung nicht auf unaufschiebbare Berichte über Straftaten abziele und sie infolge des wohl länger dauernden Strafgerichtsverfahrens gegen o.g. Ausländer auch später möglich bliebe; denn dies ist angesichts der Fähigkeit der Presse, selbst Themen zu setzen, immer denkbar. Vielmehr kann die Presse ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion nur wahrnehmen, wenn an den Eilrechtsschutz in Auskunftsverfahren auch hinsichtlich der Aktualität einer Berichterstattung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.
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Konkret zielen die Fragen des Antragstellers tatsächlich nicht auf das Strafverfahren ab, sondern darauf, warum sich der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer noch in Deutschland befindet. Es steht außer Frage, dass dieses Thema anlässlich des Strafgerichtsprozesses gegen den betreffenden Ausländer von gesteigertem öffentlichen Interesse ist.
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Die vom Antragsteller begehrten Auskünfte weisen folglich im vorliegenden Fall sehr starken Aktualitätsbezug auf. Der Antragsteller hat durch Vorlage von Presseberichten vom April 2024 über das strafgerichtliche Verfahren gegen den Ausländer den Gegenwartsbezug hinreichend deutlich gemacht. Hieran fehlt es auch nicht deshalb, weil die Berichte zum Teil von der … selbst stammen. Soweit dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zusteht, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Müsste er bis zur Klärung seines Informationsrechts auf eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren warten, wäre der Aktualitätsbezug möglicherweise verloren gegangen und ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr möglich. Die Presse wäre dann nicht mehr in der Lage, ihrer für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung unerlässlichen Aufgabe nachzukommen. Eine derartige Grundordnung bedingt ein Verhalten der Behörden, das in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse von Offenheit geprägt ist. Dazu ist es notwendig, dem Bürger diese Angelegenheiten dadurch durchsichtig zu machen, dass der Presse durch die Erteilung von Auskünften eine genaue und gründliche Berichterstattung ermöglicht wird.
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c) Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht im konkreten Fall nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen.
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Das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache steht einer Anordnung nach § 123 VwGO dann nicht entgegen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist, mithin dem Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9.12 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 19.8.2020 – 7 CE 20.1822 – juris Rn. 12).
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Hier besteht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist, vgl. die Ausführungen zum Anordnungsanspruch. Auch drohen dem Antragsteller schwere und irreparable Nachteile, wenn die Hauptsache nicht vorweggenommen würde. Ohne die Vorwegnahme der Hauptsache wäre die aus Sicht des Antragstellers notwendige Recherche zu möglichen Versäumnissen der Ausländerbehörde im Zusammenhang mit der Aufenthaltsbeendigung zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich. Die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Aufgabe der Presse, die Bevölkerung aktuell zu informieren, um eine öffentliche Meinungsbildung zu ermöglichen, wäre dadurch irreparabel beeinträchtigt. Demgegenüber muss das allenfalls am Rande berührte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Ausländers (s. hierzu bereits oben) zurückstehen.
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In einer derartigen Situation ist es auch zulässig, die Vorwegnahme der Hauptsache in Kauf zu nehmen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Da mit der Entscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden ist, wird der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben.