Titel:
Nachbarklage trotz unterzeichneter Baupläne
Normenketten:
BayBO Art. 66
BGB § 119, § 121, § 123
Leitsätze:
Ein Irrtum des Nachbarn über die tatsächliche Lage eines Bauvorhabens, der auf einer unzureichenden Prüfung der ihm zur Unterschrift vorgelegten Unterlagen beruht, ist ein rechtlich unbeachtlicher Motivirrtum. (Rn. 8)
Bei Vorlage von korrekten und durch ein Architekturbüro erstellten Bauplänen ist stets nur deren Inhalt, nicht aber die Aussage eines möglicherweise gar nicht sach- oder fachkundigen Bauherrn maßgeblich. Das dient auch dem Schutz der ihr schriftliches Einverständnis gem. Art. 66 Abs. 1 BayBO erklärenden Nachbarn, weil sich ihre entsprechende Zustimmung ausschließlich auf diese Pläne bezieht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarunterschrift, Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, Anfechtung wegen Irrtums, fehlendes Rechtsschutzbedürfnis., fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, Baupläne
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 03.11.2022 – W 4 K 22.169
Fundstellen:
BayVBl 2024, 307
LSK 2024, 1400
BeckRS 2024, 1400
Tatbestand
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine dem Beigeladenen auf dem Nachbargrundstück erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Zweifamilienwohnhauses mit Stellplätzen. Das Verwaltungsgericht hat ihre entsprechende Klage abgewiesen. Angesichts ihrer wirksam geleisteten Nachbarunterschrift sei die Klage unzulässig, unabhängig davon aber auch unbegründet, weil die Genehmigung rechtmäßig sei und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletze.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter und macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils geltend. Sie ist der Auffassung, ihr stehe entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite, weil sie sie die vorgelegten Baupläne eilig und aufgrund arglistiger Täuschung der damaligen Bauwerber, der Eltern bzw. des Vaters des Beigeladenen, unterzeichnet und deshalb ihr Einverständnis zu Recht widerrufen habe. Jedenfalls aber sei sie berechtigt, ihre Unterschriftsleistung auch wegen Irrtums anzufechten.
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Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – verteidigt das angefochtene Urteil und hält die Klage für unzulässig. Der Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. In rechtlich nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, die erhobene Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin unzulässig, weil diese die ihr vorgelegten Bauantragsunterlagen wirksam gem. Art. 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayBO unterzeichnet hat. Die mit dem Zulassungsvorbringen dargelegten Gründe, die im Wesentlichen dem erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin entsprechen und diesen vertiefen und auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 124 a Abs. 5 Satz 1 VwGO), geben keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser erstinstanzlichen Einschätzung zu zweifeln. Der erkennende Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur mangelnden Zulässigkeit der Klage (UA S. 5ff., dort 3.) und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen Folgendes zu bemerken:
7
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist diese im Rahmen der vorgeschriebenen Nachbarbeteiligung (Art. 66 Abs. 1 BayBO) nicht arglistig getäuscht worden. Sie macht zwar sinngemäß geltend, die ihr vorgelegten und in der Folge unterzeichneten Baupläne hätten weder den genauen Abstand noch die tatsächliche Höhe einer mittlerweile in ca. 1 m Entfernung von ihrer Grundstücksgrenze errichteten Stützmauer erkennen lassen. Außerdem habe der Vater des Beigeladenen auf diesbezügliche und ausdrückliche Rückfrage erklärt, die betreffende Mauer werde mindestens 2 m Abstand von der Grenze einhalten; auf diese Aussage habe sie vertraut. Allerdings trifft diese Sachverhaltsdarstellung so nicht zu. Richtig ist, dass die von der Klägerin unterschriebenen – maßstabsgerechten – Pläne (Schnitt A-A) keine genaue Bemaßung der streitgegenständlichen Stützmauer enthalten. Gleichwohl geht aus ihnen eindeutig hervor, dass deren Höhe weniger als 2 m und der fragliche Abstand zur Grundstücksgrenze ca. 1 m betragen, eine Tatsache, die sich auch anlässlich der behördlichen Nachmessung der bereits errichteten Mauer vor Ort (1,73 m bzw. 1,06 m) bestätigt hat. Selbst die von der Klägerin mit ihrer Zulassungsbegründung (Schriftsatz vom 7. Februar 2023, S. 5) vorgelegte, nicht maßstabsgetreue Zeichnung lässt deutlich erkennen, dass der Abstand der Mauer zur Grundstücksgrenze etwa ein Drittel des ausdrücklich bemaßten Abstands von 3,06 m bis zur weiter entfernt liegenden Terrasse beträgt. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang erklärt, sie habe mit den Plänen „nichts anfangen“ können und infolge der Eile und des Drängens des Vaters des Beigeladenen, die Unterschrift schnell zu leisten, „nicht einmal die Gelegenheit gehabt, die Unterlagen in Ruhe durchzusehen“, mag dies zutreffen. Allerdings hätte es ihr in diesem Fall trotzdem oblegen, sich vor Unterzeichnung der Pläne die aus ihrer Sicht notwendige Zeit für deren Prüfung auszubedingen, gegebenenfalls eine fachkundige Beratung in Anspruch zu nehmen und eventuell in den Plänen nachzumessen, um dann entsprechende Vorbehalte zu äußern. Ihr weiterer Hinweis, sie habe sich insoweit auf die Versicherung des Vaters des Beigeladenen verlassen, die Stützmauer werde mindestens 2 m von der Grenze entfernt entstehen, ändert daran nichts. Abgesehen davon, dass aus der von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten, schriftlichen Aussage eines Zeugen (Blatt 16 des VG-Akts) schon nicht eindeutig hervorgeht, welcher Grenzabstand – derjenige der Stützmauer oder aber der des Hauses mit Terrasse – tatsächlich besprochen worden ist, hat bereits das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass der Bauherr zu erläuternden Angaben nicht verpflichtet ist. Der Einwand der Klägerin an dieser Stelle, der Bauherr habe aber für den Fall, dass er Erklärungen zu den vorgelegten Plänen abgebe, auch dafür Sorge zu tragen, dass diese in der Sache zutreffen, verfängt nicht. Denn bei Vorlage von – wie hier – korrekten und durch ein Architekturbüro erstellten Bauplänen ist stets nur deren Inhalt, nicht aber die Aussage eines möglicherweise gar nicht sach- oder fachkundigen Bauherrn maßgeblich. Das dient nicht zuletzt auch dem Schutz der ihr schriftliches Einverständnis gemäß Art. 66 Abs. 1 BayBO erklärenden Nachbarn, weil sich ihre entsprechende Zustimmung ausschließlich auf diese Pläne bezieht.
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2. Die Klägerin hat ihre schriftlich erklärte Zustimmung auch nicht wirksam wegen eines vorliegenden Irrtums angefochten. Abgesehen davon, dass es sich bei einem Irrtum des Nachbarn bzw. der Nachbarin über die tatsächliche Lage eines Bauvorhabens auf dem Grundstück, der wie hier auf einer unzureichenden Prüfung der ihm bzw. ihr zur Unterschrift vorgelegten Unterlagen beruht, um einen rechtlich unbeachtlichen Motivirrtum handelt (vgl. Dirnberger in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand Februar 2023, Art. 66 Rn. 135; vgl. zum Ganzen auch: VG München, B.v. 25.9.2018 – 11 SN 18.3863 – juris Rn. 23), hat sie ihre diesbezügliche Anfechtung auch nicht fristgerecht erklärt. Gemäß § 121 BGB muss diese ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Vorliegend hat die Klägerin nach eigenen Angaben am 11. März 2021 von der Situierung der nach ihrer Meinung zu nah an der Grenze errichteten Stützmauer Kenntnis erlangt und beim zuständigen Landratsamt angerufen. Bereits am nächsten Tag, dem 12. März 2021, erfolgte deshalb eine behördliche Ortsbegehung. Am 18. März 2021 wurde der Klägerin dann mitgeteilt, dass kein planabweichendes Bauen feststellbar gewesen sei (Blatt 1 des vorgelegten Behördenakts). Angesichts dieses zeitlichen Ablaufs ist die von der Bevollmächtigten der Klägerin erst ein knappes Vierteljahr später unter dem 16. Juni 2021 erklärte Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 Abs. 1 BGB jedenfalls nicht unverzüglich erfolgt.
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3. Da die erhobene Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin unzulässig ist, bedarf die von dem Verwaltungsgericht im Weiteren bejahte und von der Klägerin im Rahmen ihrer Zulassungsbegründung verneinte Frage, ob die erteilte Baugenehmigung materiell rechtmäßig ist und keine auch dem Schutz der Klägerin dienenden Rechte verletzt, keiner Erörterung. Offenbleiben kann auch die seitens des Beklagten zu Recht aufgeworfene Frage, ob das Verwaltungsgericht angesichts der bereits festgestellten Unzulässigkeit der Klage zu einer Entscheidung in der Sache aufgerufen gewesen ist.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).