Titel:
Rechtliches Interesse an der Einsichtnahme in Insolvenzakten – Keine insolvenzspezifische Pflichten des Insolvenzverwalters gegenüber Gesellschaftern und Organen der Schuldnerin
Normenketten:
InsO § 4, § 60 Abs. 1 S. 1
EGGVG Art. 23 Abs. 1 S. 1, Art. 24
ZPO § 299 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters kommt die Bewilligung von Akteneinsicht in die Insolvenzakten gem. § 299 Abs. 2 ZPO nur in Betracht, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme darlegen und glaubhaft machen kann. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme eines rechtlichen Interesses setzt voraus, dass persönliche Rechte der antragstellenden Person durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts des Umstands, dass dem Dritten die entsprechenden Kenntnisse fehlen, darf man von ihm zur Darlegung seines rechtlichen Interesses nichts Unzumutbares verlangen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Andererseits begründet ein bloßes Ausforschungsinteresse, ob sich möglicherweise aus dem Gegenstand des betroffenen Rechtsstreits Umstände ersehen lassen könnten, die ihrem Gegenstand nach möglicherweise für den Antragsteller relevant sein könnten, keinen konkreten rechtlichen Bezug und kein hinreichendes rechtliches Interesse an der Akteneinsicht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Gläubigerstellung schafft eine unmittelbare rechtliche Beziehung zur Schuldnerin, aus der sich ein ausreichendes rechtliches Interesse an der Akteneinsicht iSv § 299 Abs. 2 ZPO iVm § 4 InsO ergibt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
6. Ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme in die Insolvenzakten besteht grundsätzlich für die Gläubiger der Schuldnerin. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
7. Dem Insolvenzverwalter obliegen keine insolvenzspezifischen Pflichten gegenüber den Organen der Schuldnerin (Anschluss an BGH BeckRS 2016, 9620). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
8. Insolvenzspezifische Pflichten des Insolvenzverwalters bestehen grundsätzlich auch nicht gegenüber den Gesellschaftern der Schuldnerin (Anschluss an OLG Karlsruhe BeckRS 2013, 6611; Abgrenzung von BGH BeckRS 2010, 25403). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Akteneinsicht, Insolvenzakte, rechtliches Interesse, Glaubhaftmachung, Gläubiger, Organe der Schuldnerin, Gesellschafter der Schuldnerin, Haftung des Insolvenzverwalters, insolvenzspezifische Pflichten
Fundstellen:
NWB 2024, 2166
ZInsO 2024, 1534
BeckRS 2024, 14003
LSK 2024, 14003
FDInsR 2024, 014003
ZRI 2024, 545
Tenor
I. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt,
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Mit ihrem als „Beschwerde“ bezeichneten Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgen die Antragsteller ihr Gesuch um Akteneinsicht weiter.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth – Insolvenzgericht – vom 18. Dezember 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) eröffnet und Rechtsanwalt … zum Insolvenzverwalter bestellt. Dem Verfahren lag ein Antrag des damaligen alleinigen Geschäftsführers der Schuldnerin und hiesigen Antragstellers zu 2) vom 15. Oktober 2009 zugrunde. Der Antragsteller zu 2) führt in diesem Antrag aus, dass nicht er die Geschäfte geführt habe, sondern die Schuldnerin faktisch durch …, den hiesigen Antragsteller zu 1), geführt worden sei, der zumindest der maßgebliche Gesellschafter der B GmbH (Anmerkung des Senats: Diese Gesellschaft war ausweislich der Gesellschafterliste der Schuldnerin vom 4. Oktober 2007 Gesellschafterin der Schuldnerin zu 50%) gewesen sei. Er, der Antragsteller zu 2), habe auf Weisung des Antragstellers zu 1) gehandelt.
3
Mit Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth – Insolvenzabteilung – vom 6. Juni 2016 wurde das Insolvenzverfahren wegen Masseunzulänglichkeit eingestellt. Die Löschung der Schuldnerin wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 394 FamFG wurde am 17. November 2017 im Handelsregister eingetragen.
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Gegenstand des Verfahrens ist die den Antrag vom 26. April 2023 betreffende Entscheidung des Amtsgerichts Bayreuth vom 24. Juli 2023. Mit dem elfseitigen Schreiben vom 26. April 2023 hatten die Antragsteller unter dem Betreff
„Insolvenzverfahren der C GMBH & CO KG … im Zusammenhang der beteiligten Gesellschaften
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Akteneinsicht beantragt in „den obigen Verfahren, auch wenn diese bereits abgeschlossen sind, aber durch Erkenntnis, die Schadensersatzforderung noch bestehen, und durch gesetzt werden müssen.“ Einleitend wird ausgeführt, ihnen gegenüber sei telefonisch geäußert worden, dass alle Vorbehalte gegen den Insolvenzverwalter … haltlos und durch nichts belegte Vermutungen seien. Sie, die Antragsteller, hätten die Akten mit dem Aktenzeichen … komplett auf der Geschäftsstelle eingesehen und kopiert (29 Verfahrensordner, 1 Ordner Kosten, 1 Ordner Zusatzband 19, 1 Ordner …). Bei allen oben genannten Gesellschaften habe das Amtsgericht Rechtsanwalt … zum Insolvenzverwalter bestellt. Es bestehe daher der Verdacht, dass auch bei den anderen Verfahren Verfehlungen vorlägen. Im Rahmen der Vorbereitung einer Schadensersatzklage sei es dringend erforderlich, auch diese Verfahren zu prüfen. Den Antragstellern lägen Informationen vor, dass Grundstücke bei der Schuldnerin zum Preis von ca. 28 € pro Quadratmeter verkauft worden seien, obwohl der Quadratmeterpreis bei ca. 120 € gelegen habe. Bei fast 7000 qm Fläche sei der Schaden erheblich (Seite 3). Zum [verfahrensgegenständlichen] Insolvenzverfahren … wird weiter ausgeführt, auffällig sei, dass es laut Unterlagen des Insolvenzverwalters bei dieser Gesellschaft keine Mitarbeiter gegeben habe (Seite 6). Mit Schreiben vom 12. Juli 2023 haben die Antragsteller an ihren Antrag auf Gewährung von Einsicht u. a. in die [verfahrensgegenständliche] Insolvenzakte … erinnert.
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Der Insolvenzverwalter hat sich mit Schreiben vom 20. Juli 2023 gegen die Gewährung von Akteneinsicht ausgesprochen.
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Mit Beschluss vom 24. Juli 2023, der den Antragstellern jeweils am 28. Juli 2023 zugestellt worden ist, hat das Amtsgericht Bayreuth – Insolvenzabteilung – durch die Richterin am Amtsgericht D die Akteneinsichtsgesuche zurückgewiesen. Ein Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO bestehe nicht. Die Schuldnerin sei im Handelsregister gelöscht und somit vollbeendet. Der Antragsteller zu 2) könne als ehemaliger Geschäftsführer nicht mehr Beteiligter sein. Die beiden Antragsteller seien weder Gesellschafter der Schuldnerin gewesen noch Gläubiger. Das Akteneinsichtsbegehren sei somit nach § 299 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO zu prüfen. Mangels Zustimmung der Beteiligten komme eine Bewilligung von Akteneinsicht nur in Betracht, wenn ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme dargelegt und glaubhaft gemacht werde. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Es würden Schadenersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter behauptet. Diese Behauptungen stellten jedoch keine nachprüfbaren Tatsachen dar; eine Glaubhaftmachung diesbezüglich sei nicht erfolgt. Bei den vorgelegten Unterlagen handele es sich um reine Spekulationen und bloße Behauptungen, die offensichtlich dazu dienten, die Insolvenzakte einzusehen, um Ausforschung zu betreiben. Dies reiche jedoch nicht aus, um eine „rechtliche Berechtigung zu Akteneinsicht“ herzuleiten. Insgesamt sei somit festzustellen, dass die Gewährung von Akteneinsicht in die vollständige Insolvenzakte nach § 299 Abs. 2 ZPO mangels Darlegung eines rechtlichen Interesses nicht in Betracht komme.
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Dagegen richtet sich die an das Amtsgericht Bayreuth adressierte „Beschwerde“ der Antragsteller vom 29. Juli 2023, die das Amtsgericht Bayreuth dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt hat und die hier am 9. August 2023 eingegangen ist. Das Verlangen auf Akteneinsicht bestehe nach § 299 Abs. 2 (gemeint: ZPO). Der Antragsteller zu 1) sei Gesellschafter-Gesellschafter. Die Ausführungen des Insolvenzverwalters auf Seite 7 seines Schlussberichts zu den zwei Ferraris seien falsch; die Fahrzeuge seien nicht geleast, sondern durch Mietkauf finanziert gewesen. Die Umsatzsteuer in Höhe von 100.000 € stünde der Schuldnerin zu. Da die beiden Fahrzeuge der Schuldnerin zuzurechnen und zu 90% bezahlt gewesen seien, stelle sich Frage, wo der Wert der Fahrzeuge abgeblieben sei. In der FIBU der Schuldnerin sei ein Darlehen des Antragstellers zu 1) zugunsten der Gesellschaft ausgewiesen. Dieses Darlehen sei dem Festgeldkonto der Bank E mit der Kontonummer … zugewiesen. Im Schlussbericht des Insolvenzverwalters sei die Kontoverbindung der Schuldnerin „mit der Bank E nicht erwähnt, noch der Verblieb (sic) des Festgeldkontos vermerkt“. Im Schlussbericht werde auf Seite 5 der Verkauf des Grundstücks in F erwähnt. Dieser Unterwertverkauf sei bereits der Steuerfahndung Bayreuth mitgeteilt worden. Der geschätzte Verlust zu Lasten der Schuldnerin betrage ca. 600.000 €. Aus weiteren, beigefügten Unterlagen gehe hervor, dass die Gesellschaft verschiedene Mitarbeiter beschäftigt habe. Die „Umbuchungen von Mitarbeitern von anhängigen Gesellschaften im Zusammenhang der Insolvenz der ABC Gruppe“ seien Betrug. Herr …, Gesellschafter der Schuldnerin, habe sich am 18. Januar 2008 20.000 € überwiesen. Im Schlussbericht des Insolvenzverwalters sei weder eine Rückzahlung noch ein einziger Satz über diesen Vorgang vermerkt. Eine Mitarbeiterin, angestellt von Herrn … „als was auch immer“, sei angeklagt worden, Anzahlungen von Kunden unterschlagen zu haben. Auch dieser Sachverhalt sei im Schlussbericht des Insolvenzverwalters nicht erwähnt. Der geschätzte Schaden belaufe sich auf ca. 1.570.000 €. Dies sei alles dem Insolvenzverwalter … zuzurechnen. Die Akteneinsicht sei hinreichend begründet, der Schaden sei erheblich. Die Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter … könnten erst nach bewilligter Akteneinsicht genau beziffert werden.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 29. Juli 2023 als unbegründet zu verwerfen.
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Er verteidigt die angegriffene Entscheidung. Die Angaben der Antragsteller in ihrer „Beschwerde“ erschöpften sich in der Wiederholung seit vielen Jahren bekannter Fakten und Zahlen, ohne dass „tatsächlich belegt“ werde, woraus sich ein möglicher Schadenersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter ergeben solle. Soweit der Insolvenzverwalter nicht korrekt gehandelt haben sollte, stünden etwaige Ansprüche der Insolvenzschuldnerin zu und nicht den einzelnen Gesellschaftern. Die Antragsteller hätten bereits im Herbst 2013 Akteneinsicht erhalten, da der Insolvenzverwalter die Zustimmung dazu erteilt habe. Bereits damals sei den Antragstellern bekannt gewesen, wie der Insolvenzverwalter die Situation mit den unter Ziffer 1. in der Beschwerde erwähnten Ferraris beurteilt habe und dass er den Verkaufswert des Grundstücks im Gutachten vom 16. Dezember 2009 mit 187.000 € angegeben habe. Der Antragsteller zu 2) habe als ehemaliger Geschäftsführer der Schuldnerin bis zur Einstellung des Verfahrens sämtliche Entscheidungen des Insolvenzgerichts erhalten.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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a) Er richtet sich gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Bayreuth vom 24. Juli 2023, mit dem die Akteneinsichtsgesuche der Antragsteller gemäß § 299 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO abgelehnt worden sind, nicht gegen dessen weitere Entscheidung vom selben Tag, mit dem die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO abgelehnt worden ist. Das insoweit statthafte Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2019, IX ZB 56/19, juris Rn. 9) haben die Antragsteller nicht ergriffen. Das Schreiben vom 29. Juli 2023 ist zwar als „Beschwerde“ bezeichnet, die Antragsteller stützen sich jedoch ausschließlich auf § 299 Abs. 2 ZPO. Der auf die Ablehnung ihrer Beteiligtenstellung gestützte Beschluss des Amtsgerichts ist bestandskräftig geworden.
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b) Der Antrag ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG statthaft, denn bei der angefochtenen Versagung von Akteneinsicht für die als „Dritte“ im Sinne des § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO behandelten Antragsteller handelt es sich um eine Maßnahme einer Justizbehörde auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts im Sinne der genannten Vorschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2015, XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rn. 10; BayObLG, Beschluss vom 2. September 2021, 101 VA 100/21, juris Rn. 16; Lückemann in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 23 EGGVG Rn. 4 m. w. N.).
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c) Der Antrag ist form- und fristgerecht (§ 26 Abs. 1 EGGVG) bei dem zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen (§ 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG).
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d) § 24 EGGVG verlangt die Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten seitens des Antragstellers. Bei diesem Begründungserfordernis handelt es sich um eine der Klagebefugnis i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO vergleichbare Zulässigkeitsvoraussetzung (vgl. Pabst in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 24 EGGVG Rn. 2). Es kann hier offenbleiben, ob danach eine schlüssige Darlegung der geltend gemachten Rechtsverletzung erforderlich ist oder ob – wie es der herrschenden Meinung zu § 42 Abs. 2 VwGO in Bezug auf den Verwaltungsprozess entspricht – lediglich ein Sachverhalt vorgetragen werden muss, der eine Rechtsverletzung möglich erscheinen lässt (vgl. BayObLG, Beschl. v. 18. November 2020, 101 VA 136/20, juris Rn. 29 m. w. N.). Jedenfalls erforderlich ist, dass der Antragsteller – gegebenenfalls durch Beifügung von Schriftstücken oder durch konkrete Bezugnahmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. April 2012, 2 BvR 211/12, NStZ-RR 2013, 187 [juris Rn. 15]) – einen aus sich heraus verständlichen Sachverhalt vorträgt und sein Vorbringen erkennen lässt, welches subjektive Recht dabei verletzt sein soll (BayObLG Rn. 30 a. a. O.). Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, sich unter Beschaffung und Auswertung von Akten oder sonstiger Unterlagen Kenntnis von gestellten Anträgen, den im Vorverfahren vorgebrachten Sachverhalten sowie vom Inhalt der beanstandeten Entscheidung(en) zu verschaffen, und sich auf diesem Wege selbst die Grundlagen für die erforderliche Schlüssigkeitsprüfung herauszusuchen (vgl. Pabst a. a. O. Rn. 3 m. w. N.).
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Die aus sich heraus schwer verständlichen Ausführungen der Antragsteller genügen noch diesen Anforderungen, denn es ist zumindest ersichtlich, dass sich die Antragsteller gegen die Versagung von Einsicht in die verfahrensgegenständlichen Insolvenzakten … wenden, die sie zur Bezifferung von Schadensersatzansprüchen gegen den Insolvenzverwalter benötigten. Der Antragsteller zu 2) bezeichnet sich als Geschäftsführer der Schuldnerin, der Antragsteller zu 1) als „Gesellschafter-Gesellschafter, Kreditgeber, Geschädigter“. Es wird zudem mehrfach auf den Schlussbericht des Insolvenzverwalters (Bl. 409 bis 423 der Akte des Insolvenzgerichts) Bezug genommen.
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2. Der Antrag ist unbegründet, weil das Amtsgericht zu Recht die Einsicht in die Insolvenzakten gemäß § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO abgelehnt hat.
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a) Die Gewährung von Einsicht in die vom Insolvenzgericht geführte Verfahrensakte richtet sich, soweit nicht Spezialvorschriften wie § 66 Abs. 2, § 150 Satz 2, §§ 154, 175 Abs. 1 Satz 2, § 188 Satz 2, § 194 Abs. 3 Satz 1, § 234 InsO zur Anwendung kommen, über die Verweisungsnorm des § 4 InsO nach der allgemeinen Vorschrift des § 299 ZPO (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. April 2020, 1 VA 132/19, NZI 2020, 491 Rn. 19 [juris Rn. 23]). Gemäß § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO kann am Verfahren nicht beteiligten Dritten ohne Einwilligung der Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen Einsicht gewährt werden, wenn ein rechtliches Interesse dargetan und glaubhaft gemacht ist.
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b) Gemäß § 299 Abs. 2 ZPO entscheidet der Vorstand des Gerichts über Akteneinsichtsgesuche dritter Personen, wobei er diese Aufgabe an die seiner Dienstaufsicht unterstellten Richter und Beamte delegieren kann (BayObLG, Beschluss vom 21. Dezember 2022, 102 VA 174/21, juris Rn. 33 m. w. N.).
21
Ausweislich der vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen wurde hier von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Gewährung von Akteneinsicht bezüglich abgeschlossener Verfahren im Insolvenzgericht der Richterin am Amtsgericht D übertragen. Diese war daher funktionell zur Entscheidung berufen.
22
c) Mangels Zustimmung des Insolvenzverwalters kommt die Bewilligung von Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 2 ZPO nur in Betracht, wenn die Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme darlegen und glaubhaft machen können. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
23
aa) Die Annahme eines rechtlichen Interesses setzt voraus, dass persönliche Rechte der antragstellenden Person durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben. Allgemein wird als Mindestbedingung für die Annahme eines rechtlichen Interesses ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache gefordert. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand für die rechtlichen Belange der Einsicht begehrenden Person von konkreter rechtlicher Bedeutung sein (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020, IX AR [VZ] 2/19, NZI 2021, 123 Rn. 14; Beschluss vom 5. April 2006, IV AR [VZ] 1/06, ZIP 2006, 1154 Rn. 15; Beschluss vom 22. Januar 1952, IV ZB 82/51, BGHZ 4, 323 [juris Rn. 15 f.]; BayObLG, Beschluss vom 21. Dezember 2022, 102 VA 174/21, NZI 2023, 99 Rn. 34 [juris Rn. 36]; Beschluss vom 24. Oktober 2019, 1 VA 92/19, NZI 2020, 44 Rn. 36 [juris Rn. 44], jeweils m. w. N.).
24
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht zu Recht ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht verneint. Ein solches rechtliches Interesse haben die Antragsteller nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht. Zwar darf man vom Dritten zur Darlegung seines rechtlichen Interesses nichts Unzumutbares verlangen angesichts des Umstands, dass ihm die entsprechenden Kenntnisse fehlen, wie gerade sein Begehren nach Akteneinsicht zeigt (BGH, Beschluss vom 5. April 2006, IV AR [VZ] 1/06, ZIP 2006, 1154 Rn. 18). Andererseits begründet ein bloßes Ausforschungsinteresse, ob sich möglicherweise aus dem Gegenstand des betroffenen Rechtsstreits Umstände ersehen lassen könnten, die ihrem Gegenstand nach möglicherweise für den Antragsteller relevant sein könnten, keinen konkreten rechtlichen Bezug und kein hinreichendes rechtliches Interesse an der Akteneinsicht (OLG Bremen, Beschluss vom 5. April 2022, 1 VA 4/21, juris Rn. 14).
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(1) Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass sie Gläubiger der (gelöschten) Schuldnerin sind.
26
Eine Gläubigerstellung schafft zwar eine unmittelbare rechtliche Beziehung zur Schuldnerin, aus der sich ein ausreichendes rechtliches Interesse an der Akteneinsicht im Sinne von § 299 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO ergibt (vgl. BGH, ZIP 2006, 1154 Rn. 14 bis 18). Denn als Inhaber einer Insolvenzforderung steht der Gläubiger in einem auf Rechtsnormen (§ 38 InsO i. V. m. den Normen des jeweiligen Anspruchs) beruhenden Verhältnis zum Schuldner und damit zum Gegenstand des Insolvenzverfahrens, in dem das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört oder das er während des Verfahrens erlangt, die Insolvenzmasse bildet (§ 35 Abs. 1 InsO). Dies gilt auch dann, wenn der Gläubiger davon abgesehen hat, seine Forderung zur Insolvenztabelle anzumelden.
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Weder das Vorbringen der Antragsteller noch die von ihnen vorgelegten Unterlagen sind aber geeignet, eine rechtliche Beziehung dieser Art zwischen ihnen und der Schuldnerin glaubhaft zu machen. Der Antragsteller zu 1) bezeichnet sich zwar als Kreditgeber und führt unter Ziffer 3. des Antrags auf gerichtliche Entscheidung vom 29. Juli 2023 aus, in der Finanzbuchhaltung der Schuldnerin sei in den Jahren 2007 und 2008 ein von ihm der Gesellschaft gewährtes Darlehen ausgewiesen gewesen. Er beruft sich insoweit jedoch nicht auf eine Gläubigerstellung gegenüber der Schuldnerin, sondern moniert, im Schlussbericht des Insolvenzverwalters sei weder die Kontoverbindung noch der Verbleib des Festgeldkontos vermerkt. In den als Anlagen 1 und 4 vorgelegten Auszügen aus der Finanzbuchhaltung für die Monate Dezember 2007 und Dezember 2008 ist zwar ein Habensaldo in Höhe von 250.000,00 € unter dem Betreff „Darlehen … [Antragsteller zu 1]“ ersichtlich. Diese Buchung genügt alleine jedoch nicht zur Darlegung und Glaubhaftmachung einer Insolvenzforderung des Antragstellers zu 1).
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(2) Ob in der Vorbereitung möglicher Schadensersatzansprüche gegen den Verwalter persönlich ein rechtliches Interesse liegt, hat der Senat bislang offengelassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. April 2020, 1 VA 132/19, juris Rn. 33). Diese Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung, da die Antragsteller nicht dargelegt haben, dass ihnen gegenüber insolvenzspezifische Pflichten des Verwalters bestanden haben, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch zu ihren Gunsten begründen kann (§ 60 InsO).
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§ 60 Abs. 1 Satz 1 InsO liegt ein materiell-rechtlicher Beteiligtenbegriff zugrunde, der weit ausgelegt wird. Beteiligte im Sinne dieser Vorschriften sind alle Personen, denen gegenüber der Verwalter insolvenzspezifische Pflichten wahrzunehmen hat (BGH, Urt. v. 9. März 2006, IX ZR 55/04, NZI 2006, 350 Rn. 9; Sinz in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 9). Entscheidend kommt es darauf an, dass eine spezielle im Zusammenhang mit der Verwaltertätigkeit stehende Pflicht vom Verwalter verletzt wurde, die die von seinem Handeln betroffenen Personen vor besonderen Risiken schützen soll (Lüke in Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 99. Lieferung März 2024, § 60 Rn. 12).
30
Insolvenzspezifische Pflichten hat der Verwalter gegenüber dem Schuldner und insbesondere den Insolvenzgläubigern, aber auch gegenüber den Massegläubigern im Sinne der §§ 53 ff. InsO sowie gegenüber den Aussonderungs- und Absonderungsberechtigten wahrzunehmen (BGH, Beschluss vom 14. April 2016, IX ZR 161/15, juris Rn. 14).
31
Ohne Erfolg tragen die Antragsteller insoweit vor, der Schuldnerin sei durch den Verkauf des Grundstücks in F ein Schaden entstanden oder es sei unklar, wo der Wert der beiden Ferraris „abgeblieben“ sei. Zwar ist der Insolvenzverwalter nicht nur den Insolvenzgläubigern gegenüber, sondern auch der Schuldnerin gegenüber zu einer optimalen Verfahrensabwicklung verpflichtet; er hat insbesondere die Gegenstände der Masse so günstig wie möglich zu veräußern (vgl. Webel in GrafSchlicker, InsO, 6. Aufl. 2022, § 60 Rn. 4; Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, 4. Aufl. 2019, InsO § 60 Rn. 33 und 65 Sinz in Uhlenbruck, InsO, 1, § 60 Rn. 47). Die Antragsteller sind jedoch personenverschieden von der Schuldnerin. Die Verletzung einer ihnen gegenüber bestehenden insolvenzspezifischen Pflicht zeigt ihr Vorbringen nicht auf.
32
Insolvenzspezifische Pflichten obliegen dem Verwalter nicht im Verhältnis zu den Organen der Schuldnerin, gleich, ob es sich um die Vorstände einer Aktiengesellschaft oder die Geschäftsführer einer GmbH handelt; der Verwalter hat gegenüber den Organen nur insoweit Pflichten zu erfüllen, als diese ihm als Vertreter der Schuldnerin oder Insolvenz- oder Massegläubiger gegenübertreten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2016, IX ZR 161/15, juris Rn. 14 f. m. w. N.; Lohmann in Kayser/Thole, InsO, 11. Aufl. 2023, § 60 Rn. 5 f.; Thole in Schmidt, InsO, 20. Aufl. 2023, § 60 Rn. 35; Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 Rn. 71; Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 60 Rn. 49; unklar Webel in Graf-Schlicker, InsO, § 60 Rn. 4, der unter Berufung auf BGH, Urt. v. 22. Januar 1985, VI ZR 131/83, WM 1985, 422 von organschaftlichen Vertretern spricht). Es war schon unter der Geltung des § 82 KO anerkannt, dass der GmbH-Geschäftsführer nicht zum Kreis der geschützten Beteiligten gehört (vgl. BGH, Urt. v. 18. Dezember 1995, II ZR 277/94, juris Rn. 8). Ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht hat der Antragsteller zu 2) somit nicht dargelegt.
33
Auch im Verhältnis zu Gesellschaftern der Schuldnerin obliegen dem Verwalter grundsätzlich keine insolvenzspezifischen Pflichten, wenn sich nicht aus ihrer Stellung insbesondere als Gläubiger oder als Komplementär der Schuldnerin etwas anderes ergibt. Die Schuldnerin und ihre Gesellschafterin B GmbH, deren Gesellschafter der Antragsteller zu 1) war, sind unterschiedliche Rechtsträger. Eine gegenüber der Schuldnerin bestehende Verpflichtung des Insolvenzverwalters besteht nicht ohne weiteres auch gegenüber deren Gesellschaftern. Zu weitgehend ist daher die in der Literatur vertretene Ansicht, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die wirtschaftliche Werthaltigkeit des Gesellschaftsanteils beeinträchtigt werde, seien auch Gesellschafter einer GmbH als Beteiligte i. S. d. § 60 InsO anzusehen (Webel in Graf-Schlicker, InsO, § 60 Rn. 4; vgl. auch Schoppmeyer in Münchener Kommentar zur InsO, § 60 Rn. 69, dessen Kommentierung sich möglicherweise nur auf Buchführungspflichten bezieht).
34
Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Urt. v. 24. Januar 2013, 9 U 129/11, juris Rn. 33 ff.) kann der Gesellschafter einer GmbH nicht Gläubiger eines Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter nach § 60 InsO sein, da es in der Konkurs- bzw. Insolvenzordnung keine Regelungen gebe, die dem Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter spezifische Pflichten gegenüber einem Gesellschafter einer GmbH auferlegten. Der Senat schließt sich dieser Ansicht an. Ihr steht nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Insolvenz einer Kommanditgesellschaft den Insolvenzverwalter die steuerliche Buchführungspflicht gerade auch gegenüber dem Komplementär trifft (BGH, Urt. v. 16. September 2010, IX ZR 121/09, WM 2010, 2081 Rn. 14 m. w. N.; vgl. auch Thole in Schmidt, InsO, 20. Aufl. 2023 § 60 Rn. 36), denn dies betrifft eine andere – hier nicht einschlägige – Fallkonstellation (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 24. Januar 2013, 9 U 129/11, juris Rn. 37). Soweit vertreten wird, dass gegenüber den Gesellschaftern der Schuldnerin ausnahmsweise im Zusammenhang mit § 199 Satz 2 InsO insolvenzspezifische Pflichten bestehen können (Lohmann in Kayser/Thole, InsO, § 60 Rn. 6; Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 60 Rn. 11), kommt es hierauf vorliegend bereits deshalb nicht an, weil der Antragsteller zu 1) nicht Gesellschafter der Schuldnerin war. Fehler bei der Auskehr eines Überschusses behaupten die Antragsteller im Übrigen nicht.
35
1. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Antragsteller die gerichtlichen Kosten des Verfahrens bereits nach den gesetzlichen Bestimmungen zu tragen haben (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 19 GNotKG i. V. m. § 22 Abs. 1 GNotKG).
36
2. Die nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 19, § 3 Abs. 1 und 2 GNotKG i. V. m. Nr. 15300 KV GNotKG erforderliche Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
37
§ 36 Abs. 1 GNotKG hat Vorrang gegenüber § 36 Abs. 3 GNotKG. Auf den Auffangwert darf nur zurückgegriffen werden, wenn keine Anhaltspunkte für eine sachgerechte Schätzung vorhanden sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 27. Januar 2021, 101 VA 168/20, juris Rn. 14). Dies ist hier der Fall, auch wenn die Antragsteller pauschal Schadensersatzansprüche in Höhe von 1.570.000 € in den Raum stellen.
38
3. Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.