Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.01.2024 – 9 ZB 22.1583
Titel:

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Wohn- und Geschäftshäuser

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2
BauNVO § 23 Abs. 2 S. 1
BayBO Art. 55
Leitsätze:
1. Zur Frage, ob ein Grundstückseigentümer auf eine Beibehaltung der bisherigen baulichen Situation auf einem Nachbargrundstück vertrauen darf. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus einer früheren baurechtlichen Genehmigung folgt kein Bestandsschutz, wenn der damalige Betrieb endgültig aufgegeben und eine erforderliche Genehmigung für die geänderte Nutzung nicht eingeholt wird. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baulinie, eigene grenzständige Bebauung infolge Grundstücksteilung, Verbauung von Fenstern und Eingangsbereich, Bestands- und Vertrauensschutz (verneint)
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 28.04.2022 – W 5 K 21.588
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1396

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich als Eigentümer eines infolge Grundstücksteilung grenzständig bebauten Grundstücks, auf welchem er seit ca. 11 Jahren in den Räumen eines ehemaligen Autohauses (ohne baurechtliche Genehmigung der geänderten Nutzung) ein Kaminofenstudio betreibt, gegen eine dem Beigeladenen für das Nachbargrundstück erteilte Baugenehmigung zum Abbruch der bestehenden Kfz-Werkstatt und zum Neubau von (u.a.) zwei Mehrfamilienwohnhäusern sowie einem Wohn- und Geschäftshaus. Sowohl das klägerische Grundstück als auch das Vorhabengrundstück liegen im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans, der in diesem Bereich ein Mischgebiet ausweist und zur Verwirklichung einer zur Straße hin riegelartigen Bebauung eine Baulinie zwischen den beiden Grundstücken festsetzt.
2
Das Verwaltungsgericht hat seine gegen die erteilte Baugenehmigung gerichtete Klage abgewiesen. Das Bauvorhaben entspreche den Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans, der insbesondere durch die festgesetzte Baulinie eine grenzständige Bebauung zwingend vorsehe. Es sei auch nicht rücksichtslos, obwohl es zwangsläufig zu einer Verbauung des bestehenden Eingangsbereichs des Ladengeschäfts des Klägers und einiger Fenster führe. Denn der Kläger, der nach endgültiger Auflassung des Autohauses für die gegenwärtige Nutzung seines Grundstücks keine baurechtliche Genehmigung beantragt habe, habe nicht auf einen mit der früheren Genehmigung verbundenen Bestandsschutz oder eine Freihaltung des grenzständigen Bereichs vertrauen dürfen. Nach Teilung des Grundstücks und zivilrechtlich ungeregelter Zugangssituation habe der Kläger mit einer eigenständigen baulichen Entwicklung des Nachbargrundstücks rechnen müssen. Absolut unhaltbare Zustände entstünden durch die Verbauung nicht.
3
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzziel weiter und macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend. Die Beklagte und der Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil.
4
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
5
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
6
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtmäßig ist und den Kläger nicht in – zumindest auch – seinem Schutz dienenden Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das streitgegenständliche Bauvorhaben entspricht den Festsetzungen des gültigen Bebauungsplans, darf bzw. muss aufgrund der dort festgesetzten Baulinie, vgl. § 23 Abs. 2 BauNVO, an die Grenze gebaut werden und ist auch unter Berücksichtigung einer mit ihm einhergehenden Verbauung der Ostseite des grenzständigen Gebäudes des Klägers nicht rücksichtslos. Die mit dem Zulassungsvorbringen dargelegten Gründe geben keinen Anlass, von dieser rechtlichen Einschätzung des Verwaltungsgerichts abzuweichen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat daher gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren folgendes zu bemerken:
7
Soweit der Kläger unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen geltend macht, er habe auf eine Beibehaltung der bisherigen baulichen Situation – namentlich die Nutzungsmöglichkeit einer an der Grenze zu seinem Grundstück, jedoch auf dem Vorhabengrundstück liegenden Ein- bzw. Ausfahrt als Verbindung zu seinem unmittelbar an dieser Durchfahrt gelegenen Ladeneingang sowie den Erhalt der dortigen Fenster – vertrauen dürfen, verhilft dies seinem Zulassungsbegehren nicht zum Erfolg. Diesbezüglich hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass dem Kläger insoweit kein aus der früheren baurechtlichen Genehmigung eines Autohauses resultierender Bestandsschutz zur Seite steht, weil dieser damalige Betrieb endgültig aufgegeben und eine tatsächlich erforderliche Genehmigung (vgl. Art. 55 Abs. 1 BayBO) für die mittlerweile geänderte Nutzung der Räumlichkeiten als Kaminofenstudio nicht eingeholt worden ist. Der Einwand des Klägers, das von ihm betriebene Kaminofenstudio sei aber „unproblematisch genehmigungsfähig“ und außerdem bliebe nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerwG, B.v. 9.9.2002 – 4 B 52/02 – juris Rn. 5) der von ihm genutzte Gebäudebestand auch im Falle einer Nutzungsuntersagung erhalten, verfängt schon deshalb nicht, weil zum einen über die Genehmigungsfähigkeit einer Nutzung die zuständige Behörde zu entscheiden hat und zum anderen der Kläger sich hier ersichtlich nicht gegen eine behördliche Nutzungsuntersagung wendet, sondern vielmehr die weitere Nutzung seines Gebäudes als Kaminofenstudio unter den bisherigen Bedingungen und unter Abwehr des nachbarlichen Bauvorhabens anstrebt. Der weitere Hinweis des Klägers, Fensterfront und Eingangstüre seines Gebäudes seien mit dem Einverständnis des früheren Grundstückseigentümers in Richtung des nunmehrigen Vorhabengrundstücks ausgerichtet worden und die bestehende Zugangssituation vor diesem Hintergrund gewohnheitsrechtlich abgesichert, ist ebenfalls unbehelflich. Denn zu diesem Zeitpunkt bildeten beide Grundstücke noch eine Einheit und waren ungeteilt, der genehmigte Gebäudebestand befand sich in der Hand ein und desselben Eigentümers oder Betreibers und wurde einheitlich als Autohaus bzw. -werkstatt genutzt. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang schließlich der Auffassung ist, das Verwaltungsgericht habe hier „die Besonderheit verkannt, dass die Rechtsvorgänger des Klägers nicht grenzständig, sondern in die Tiefe ihres Grundstücks gebaut hätten, welches erst zu einem späteren Zeitpunkt dahingehend geteilt wurde, dass die Grundstücksgrenze entlang der östlichen Gebäudeaußenwand verläuft“, trifft dies nicht zu. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt (UA S. 13), die Nutzbarkeit des bestehenden Eingangs für den Kläger sei bereits seit der erfolgten Grundstücksteilung mangels eines dinglich gesicherten Geh- oder Fahrtrechts auf dem Vorhabengrundstück zivilrechtlich nicht gesichert. Die (infolge der heranrückenden grenzständigen Bebauung künftig) fehlende Nutzbarkeit dieses Eingangs, der indes nach vorne verlegt werden könne, sei dementsprechend auch nicht auf die Erteilung der aktuellen Baugenehmigung, sondern schon auf die rechtlichen Gegebenheiten, welche aus der Grundstücksteilung resultierten, zurückzuführen. Diese Einschätzung teilt der erkennende Senat.
8
Die weitere (sinngemäße) Rüge des Klägers, der einschlägige Bebauungsplan sei rechtswidrig, weil bei dessen Aufstellung abwägungsfehlerhaft das Bestandsinteresse vorhandener Bebauung verkannt und übersehen worden sei, dass die auf dem Vorhabengrundstück anschließende bauliche Anlage kein Gebäude, sondern eine Durchfahrt ist, greift ebenfalls nicht durch. Der Kläger ist im Bauleitplanverfahren beteiligt und seine Belange sind abgewogen worden. Den Normaufstellungsakten und der Begründung des Bebauungsplans ist zu entnehmen, dass die Bebauungssituation mit den bestehenden Nutzungen im maßgeblichen Bereich zutreffend erfasst wurde (vgl. Ortstermin der Mitglieder des Umwelt- und Planungsausschusses vom 18.7.2017) und im Interesse einer Riegelbildung eine Baulinie festgesetzt wurde, um den beiden Eigentümern unabhängig voneinander eine Umsetzung im Rahmen einer einseitigen Grenzbebauung zu ermöglichen (vgl. Begründung des Bebauungsplans v. 11.11.2016 i.d.F. v. 16.8.2018 S. 12, Verfahrensakte Bauleitplanung S. 860). Dagegen ist aus rechtlicher Sicht nichts einzuwenden.
9
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ist der Sachverhalt geklärt und kann anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften rechtlich beurteilt werden, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren geäußert, einen Antrag gestellt und sich damit einem Prozessrisiko ausgesetzt. Es entspricht deshalb der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013 und entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
11
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).