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VGH München, Beschluss v. 24.01.2024 – 8 ZB 22.2082
Titel:

Antrag einer Umweltvereinigung auf Zulassung der Berufung, Schifffahrtsrechtliche Genehmigung für die Bereithaltung von Wasserfahrzeugen in oder an Gewässern für die Ausübung des Gemeingebrauchs durch Dritte, Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Wiederholungsgefahr, Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes

Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, § 124, § 124a Abs. 4
BayWG Art. 28 Abs. 4 und 5
Schlagworte:
Antrag einer Umweltvereinigung auf Zulassung der Berufung, Schifffahrtsrechtliche Genehmigung für die Bereithaltung von Wasserfahrzeugen in oder an Gewässern für die Ausübung des Gemeingebrauchs durch Dritte, Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Wiederholungsgefahr, Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 27.07.2022 – B 7 K 21.703
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1394

Tenor

I. Der Antrag wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger, eine anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte schifffahrtsrechtliche Genehmigung für die gewerbliche Bootsvermietung an der W..
2
Mit Bescheid vom 14. Mai 2021 verlängerte das zuständige Landratsamt zum wiederholten Mal die erstmals im Jahr 2005 den Beigeladenen erteilte und später angepasste schifffahrtsrechtliche Genehmigung nach Art. 28 Abs. 4 und 5 BayWG zur gewerbsmäßigen Bootsvermietung an der W. unter Auflagen und Nebenbestimmungen befristet bis längstens 30. September 2022.
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Die dagegen am 14. Juni 2021 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 27. Juli 2022 abgewiesen.
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Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 19. September 2022 verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. In seiner Begründung vom 18. Oktober 2022 stellte er die Klage im Hinblick auf den Ablauf der Befristung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage um und führte hierzu im Wesentlichen aus, dass das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliege. Es stehe zu befürchten, dass den Beigeladenen für die nächste Saison erneut eine schifffahrtsrechtliche Genehmigung erteilt werde, die einen im Wesentlichen gleichen Regelungsgehalt aufweisen würde. Insbesondere stelle sich wiederholt die Frage, ob die FFH-Verträglichkeitsprüfung zu Recht von keiner erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele der betroffenen Natura 2000-Gebiete ausgehen dürfe. Ohne die Möglichkeit eine Fortsetzungsfeststellungsklage würde dem Kläger der Instanzenzug abgeschnitten und damit effektiver Rechtsschutz verwehrt. Zudem gebiete Art. 19 Abs. 4 GG die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses, weil es sich bei der schifffahrtsrechtlichen Genehmigung um einen Verwaltungsakt handle, der sich typischerweise kurzfristig erledige, da auf Grund der regelmäßigen Dauer gerichtlicher Hauptsacheverfahren einerseits und der in der Regel befristeten Genehmigung andererseits die Herbeiführung einer gerichtlichen Klärung aller aufgeworfener Rechtsfragen in einer Hauptsachentscheidung unmöglich sei.
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Mit Schreiben vom 8. Mai 2023 teilte der Beklagte mit, dass mit Bescheid vom 26. April 2023 den Beigeladenen erneut die Genehmigung zur gewerbsmäßigen Bootsvermietung an der W. unter Auflagen und Nebenbestimmungen erteilt worden sei. Diese sei bis zum 30. September 2026 befristet. Dem Antrag fehle das Fortsetzungsfeststellungsinteresse, da sich die Wiederholungsgefahr realisiert habe. Der Kläger sei gehalten, Rechtsschutz gegen die neue Genehmigung zu erlangen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG sei kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen. Bei der Genehmigung nach Art. 28 Abs. 5 und Abs. 4 Satz 1 BayWG handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt, der sich so kurzfristig erledigen würde, dass kein Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren möglich wäre.
II.
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat kein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der mit Bescheid vom 14. Mai 2021 auf der Grundlage von Art. 28 Abs. 4 und 5 BayWG erteilten Schifffahrtsgenehmigung.
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Erledigt sich der Rechtsstreit – wie im vorliegenden Fall durch Zeitablauf – im Verfahren über die Zulassung der Berufung, so kann der Zulassungsantragsteller auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag übergehen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kommt allerdings nicht im Zulassungsverfahren, sondern erst nach erfolgter Zulassung im Berufungsverfahren in Betracht. Voraussetzung einer solchen Sachentscheidung ist allerdings ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts. Die Umstände, aus denen sich ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ergeben soll, sind deshalb mit der Berufungszulassungsbegründung darzulegen (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2011 – 8 ZB 11.345 – BayVBl 2012, 287 = juris Rn. 6; B.v. 13.4.2023 – 19 ZB 22.79 – juris Rn. 13).
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Ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2017 – 6 B 14.17 – NVwZ 2018, 739 = juris Rn. 13 m.w.N.). Ein solches besonderes Feststellungsinteresse ist auch für eine Verbandsklage nach § 2 UmwRG erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 2.11.2017 – 7 C 26.15 – juris Rn. 16; U.v. 6.10.2022 – 7 C 5.21 – juris Rn. 16). Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht typischerweise in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses (vgl. BVerwG, U.v. 12.1.2023 – 2 C 22.21 – NVwZ 2023, 923 = juris Rn. 14). Unabhängig davon wird ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch dann bejaht, wenn ein belastender Verwaltungsakt sich typischerweise kurzfristig erledigt und es deshalb ohne die Zulassung einer Fortsetzungsfeststellungsklage nie zu einer Entscheidung in der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme kommen würde (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 = juris Rn. 32).
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Ein solches schutzwürdiges Interesse der Klagepartei an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Bescheids vom 14. Mai 2021 liegt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 = juris Rn. 20) nicht vor bzw. hat der Kläger nicht dargelegt.
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a) Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich nicht aus der vom Kläger geltend gemachten Wiederholungsgefahr. Ein mit der drohenden Wiederholung eines erledigten Verwaltungsakts begründetes berechtigtes Interesse an der Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit ist immer dann anzunehmen, wenn die konkrete oder hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (BVerwG, B.v 23.11.2022 – 6 B 22.22 – NVwZ-RR 2023, 342 = juris Rn. 13 m.w.N.). Allerdings entfällt das Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr, wenn diese sich durch den Erlass eines entsprechenden neuen Bescheides verwirklicht. Ein Fortsetzungsfeststellungsurteil kann dann die bereits eingetretene Wiederholung der geltend gemachten Rechtsbeeinträchtigung nicht mehr verhindern. Der Feststellung bedarf es auch nicht mehr, weil der Kläger den erlassenen Verwaltungsakt anfechten kann, um seine Rechte zu wahrzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 2.11.2017 – 7 C 26.15 – juris Rn. 18; B.v. 16.12.2021 – 2 B 73.20 – Buchholz 310 § 133 (nF) VwGO Nr. 128 = juris Rn. 12). Eine solche Realisierung der Wiederholungsgefahr ist durch Erlass der neuen, mit der streitgegenständlichen Genehmigung im Wesentlichen identischen schifffahrtsrechtlichen Genehmigung vom 26. April 2023 eingetreten (vgl. dazu BayVGH, B.v. 6.5.2008 – 22 ZB 08.266 – juris Rn. 5). Gegen diesen Bescheid hat der Kläger zwischenzeitlich auch Klage erhoben.
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b) Dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG trotz der Realisierung der Wiederholungsgefahr ausnahmsweise die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses erfordern würde, hat der Kläger nicht dargelegt. Dabei kann offenbleiben, ob ihm als Umweltvereinigung im Rahmen einer Klage nach § 2 UmwRG überhaupt die Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG zustehen (vgl. dazu BVerfG, B.v. 12.7.2018 – 1 BvR 1401/18 – NVwZ 2018, 1466 = juris Rn. 3; B.v. 1.6.2021 – 1 BvR 2374/15 – NVwZ-RR 2021, 873 = juris Rn. 7). Selbst wenn man dies nämlich annimmt, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht, dass ihm vorliegend der effektive Zugang zu den gesetzlich vorgesehenen Rechtsmitteln bzw. eingeräumten Instanzen unzumutbar, in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird.
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Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Art. 19 Abs. 4 GG fordert zwar keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfG, B.v. 6.5.2020 – 1 BvR 2757 – NVwZ 2020, 1354 = juris Rn. 23; B.v. 13.5.2020 – 1 BvR 1521/17 – juris Rn. 9 m.w.N.). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfG, B.v. 15.7.2010 – 2 BvR 1023/08 – NJW 2011, 137 = juris Rn. 31; B.v. 4.1.2021 – 2 BvR 673/20 – juris Rn. 39 m.w.N.). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht – wie die §§ 124, 124a VwGO – den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 = juris Rn. 27). Grundsätzlich beschränkt das Erfordernis des Fortsetzungsfeststellungsinteresses die Zulassung der Berufung aber nicht unzumutbar (vgl. BVerfG, B.v. 26.1.2021 – 2 BvR 676/20 – juris Rn. 30 f.; BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 = juris Rn. 34). Seine sachliche Rechtfertigung und die Zumutbarkeit seiner prozessualen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass eine großzügigere Handhabung dem Kläger mangels berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses keinen relevanten Vorteil bringen könnte; abgesehen davon soll es verhindern, dass Rechte in bestimmten Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben (vgl. BVerfG, B.v. 26.1.2021 – 2 BvR 676/20 – juris Rn. 31; BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 = juris Rn. 34 „maßnahmenspezifische Rechtsschutzlücke“).
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Dass eine solche „Rechtsschutzlücke“ vorliegend ausnahmsweise gegeben wäre, wird in der Zulassungsbegründung nicht aufgezeigt. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass durch die Befristung der erneuten schifffahrtsrechtlichen Genehmigung bis 30. September 2026 einerseits und den gewöhnlichen gerichtlichen Verfahrenslaufzeiten andererseits, die Ausschöpfung des Rechtswegs unzumutbar erschwert werden würde.
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Zum einen dürfte es sich sich bei der schifffahrtsrechtlichen Genehmigung schon nicht um einen sich typischerweise durch Zeitablauf vor Abschluss eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens erledigenden Verwaltungsakt handeln. Die Kurzfristigkeit der Erledigung müsste sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 246, 303 = juris Rn. 32; U.v. 12.11.2020 – 2 C 5.19 – BVerwGE 170, 319 – juris Rn. 15). Der Kläger verweist hierzu jedoch nur ganz allgemein auf befristete Genehmigungen, ohne sich mit der Typik der konkreten schifffahrtsrechtlichen Genehmigung vom 26. April 2023 auseinanderzusetzen. Allein aus dem Umstand einer Befristung an sich ergibt sich noch keine typische kurzfristige Erledigung. Auch der vom Kläger herangezogene Vergleich mit bergrechtlichen Hauptbetriebsplänen verfängt insoweit nicht. Denn deren regelmäßige Befristung auf zwei Jahre folgt aus § 52 Abs. 1 Satz 1 BBergG, während eine entsprechende Regelung für eine Genehmigung nach Art. 28 Abs. 4 und Abs. 5 BayWG fehlt. Die Befristung erfolgt hier gem. Art. 36 Abs. 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 28 Abs. 4 Satz 2 BayWG und steht sowohl im Hinblick auf ihre Anordnung als auch im Hinblick auf ihre Länge im Ermessen der Genehmigungsbehörde (Art. 40 BayVwVfG). Zum anderen befasst sich der Kläger nicht mit dem Umstand, dass die Genehmigung vom 26. April 2023 nunmehr deutlich länger als bisher, nämlich auf drei Jahre und vier Monate befristet ist. Auch begründet er nicht, dass es ihm in dieser Zeit unmöglich wäre, eine rechtskräftige Hauptsachentscheidung zu erlangen. Unabhängig davon ist angesichts der erwartbaren gerichtlichen Verfahrenslaufzeiten auch nicht ersichtlich, dass der Zeitraum hierfür nicht ausreichen würde.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO (zur Nichterstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen im Zulassungsverfahren vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 8 ZB 15.2664 – ZfB 2018, 33 = juris Rn. 24 m.w.N.).
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG und folgt der Streitwertfestsetzung der ersten Instanz, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).