Titel:
Ausweisung wegen mutmaßlich illegaler Erwerbstätigkeit, fehlende Ermittlungen, Geringfügigkeit
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 1
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 9
AufenthG § 4a Abs. 3
Schlagworte:
Ausweisung wegen mutmaßlich illegaler Erwerbstätigkeit, fehlende Ermittlungen, Geringfügigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 13948
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ziffern III, IV und VI des Bescheides der Antragsgegnerin vom 14.12.2023 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und am 21.11.2021 per Visum im beschleunigten Fachkräfteverfahren mit einer Gültigkeit vom 18.11.2021 bis 17.05.2022 zum Zwecke der Arbeitsaufnahme mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
2
Zunächst war der Antragsteller ab 22.11.2021 im Restaurant „…“ in … als Koch beschäftigt. Am 21.04.2022 beantragte er beim Landratsamt … die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Bl. 256 der Ausländerakte). Am 10.10.2022 sprach der Antragsteller bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes … vor und erkundigte sich nach seinem Aufenthaltsstatus, wenn er die Stelle bei seinem derzeitigen Arbeitgeber verliere bzw. kündige. Er verwies auf schlechte Arbeitsbedingungen (u.a. verspätete bzw. niedrigere Gehaltszahlungen als vereinbart, teilweise ausgefallene Gehaltszahlungen, längere Arbeitszeiten als vereinbart und ein angespanntes Arbeitsklima). Seitens des Landratsamtes wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass eine neue Arbeitsstelle erst angetreten werden dürfe, wenn die Ausländerbehörde hierzu ihre Zustimmung erteilt habe. Eine endgültige und formelle Kündigung beim aktuellen Arbeitsgeber müsse innerhalb von zwei Wochen bei der Ausländerbehörde angezeigt werden (Bl. 275 der Ausländerakte). Am 31.10.2022 teilte eine Bekannte des Antragstellers dem Landratsamt … telefonisch mit, dass der Antragsteller am 28.10.2022 fristlos beim „…“ gekündigt habe und sein letzter Arbeitstag der 30.10.2022 gewesen sei. Dies wurde seitens der Arbeitgeberin im Rahmen eines Telefonats mit der damals zuständigen Ausländerbehörde bestätigt (Bl. 285 der Ausländerakte).
3
Mit E-Mail vom 30.10.2022 wandte sich der Antragsteller an das Landratsamt … und verwies auf seine fristlose Kündigung. Darüber hinaus übermittelte er eine auf den 26.10.2022 datierende Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis, wonach er beabsichtige ab 01.11.2022 eine geringfügige Beschäftigung bei der Firma „…“ in … anzutreten (Bl. 278ff. der Ausländerakte).
4
Am 01.11.2022 ist der Antragsteller nach … umgezogen. Im Rahmen der Zuständigkeitsübernahme der Stadt … wurde der beim Landratsamt … gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 21.04.2022 am 17.01.2023 aufrechterhalten (Bl. 307 der Ausländerakte).
5
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 30.01.2023 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 21.04.2022 abzulehnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller am 16.12.2022 sowie am 22.12.2022 aufgefordert worden sei, eine Kopie seines Nationalpasses sowie seines Visums, seines Mietvertrages sowie Belege über die Mietzahlung, seinen Arbeitsvertrag, eine Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis sowie ein Passfoto vorzulegen (Bl. 302 der Ausländerakte).
6
Am 18.02.2023 suchten Beamte des Hauptzollamts … das Lokal „…“ in … auf und stellten fest, dass der Antragsteller zwei weiteren Mitarbeitern bei der Zubereitung von Dönern half. Im Zeitraum von ca. 19.30 Uhr bis 20.00 Uhr habe der Antragsteller weiter im Dönerimbiss gearbeitet, Kunden bedient und Speisen zubereitet, teilweise auch alleine (Bl. 348 der Ausländerakte).
7
Im Februar 2023 übermittelte der Antragsteller einen Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung bei der Firma „…“ in … Das Arbeitsverhältnis sollte am 02.01.2023 beginnen (Bl. 308ff. der Ausländerakte). Zudem legte er einen nicht vollständig ausgefüllten Arbeitsvertrag hinsichtlich einer ab 02.01.2023 beginnenden Tätigkeit in einer … Pizzeria vor (Bl. 319ff. der Ausländerakte). Die Bundesagentur für Arbeit stimmte einer Vollzeitbeschäftigung des Klägers mit 35 Wochenstunden bei der Pizzeria … in … für den Zeitraum vom 17.02.2023 bis 16.02.2027 unter Bezugnahme auf § 39 i.V.m. § 18a AufenthG unter dem 20 .02.2023 zu (Bl. 333ff. der Ausländerakte).
8
Am 28.02.2023 wurde der Antragsteller unter seiner … Meldeanschrift aufgesucht, jedoch nicht angetroffen. Die Vermieterin erklärte, dass der Antragsteller schon Ende Januar 2023 ausgezogen sei. Als die Beamten im Anschluss die Meldeanschrift des Inhabers des „…“ in … aufsuchten, erklärte dessen Schwester, nachdem ihr ein Lichtbild des Antragstellers (Reisepass) gezeigt wurde, dass dies ihr Mitarbeiter aus … sei.
9
Im Rahmen der mit dem Fachbereich Migration der Stadt … und dem Hauptzollamt … durchgeführten Vernehmung am 28.02.2023 (Bl. 341ff. der Ausländerakte) trug der Antragsteller vor, dass er seit Ende Oktober 2022 auf Arbeitssuche gewesen sei. Der Ausländerbehörde habe er einen Arbeitsvertrag mit „…“ geschickt. Dabei habe es sich um einen Minijob gehandelt, so dass die Beschäftigung von Seiten der Ausländerbehörde nicht bewilligt worden sei. Er wisse nicht mehr, was insoweit als Arbeitsbeginn ausgewiesen worden sei. Das habe alles der Chef gemacht. Er glaube es sei Dezember 2022 oder Januar 2023 gewesen. Er habe sich den Arbeitsbeginn nicht gemerkt, da er ja ohnehin auf die Bewilligung der Ausländerbehörde habe warten müssen. Er wisse, dass er erst eine Bewilligung von der Ausländerbehörde benötige, um eine Arbeit bei „…“ zu beginnen. Zudem habe er der Ausländerbehörde einen Vollzeit-Arbeitsvertrag bei der Pizzeria … vorgelegt. Auf Nachfrage, ob der Antragsteller bereits bei „…“ gearbeitet habe, führte er aus, dass er noch nicht dort gearbeitet habe. Er sei ein paar Mal dort gewesen, um sich die Arbeit anzusehen und ihm sei viel vom Chef erklärt worden. Auf Vorlage von Lichtbildaufnahmen, die den Antragsteller am 18.02.2023 beim Arbeiten im „…“ zeigten, erklärte er, dass er auf den Bildern zu sehen sei. Er sei ab und zu hingegangen und wisse auch, wie man einen Döner zubereite. Gearbeitet habe er aber eigentlich nicht. Als die Bildaufnahme gefertigt worden sei, sei der Chef gerade beschäftigt gewesen und der Antragsteller habe übernommen, aber gearbeitet habe er nicht. Das könne man auch daran sehen, dass er keine Arbeitskleidung getragen habe.
10
Dem Antragsteller wurde anlässlich der vorgenannten Vernehmung, die im Beisein eines Dolmetschers stattgefunden hat, durch den Fachbereich Migration der Stadt … mitgeteilt, dass aufgrund des vorliegenden Sachverhalts seine Ausweisung beabsichtigt sei (Bl. 350 der Ausländerakte). Zugleich wurde dem Antragsteller gemäß Art. 28 BayVwVfG Gelegenheit gegeben, sich diesbezüglich zu äußern. Der Antragsteller erklärte, dass er keine Beschäftigung im „…“ aufgenommen habe. Weiterhin führte er aus, dass er im Bundesgebiet über keine familiären Bindungen verfüge. Der bis 31.05.2031 gültige türkische Reisepass des Antragstellers wurde einbehalten.
11
Im Rahmen einer Vorsprache des Antragstellers sowie des Betreibers des „…“-Imbisses beim Hauptzollamt … am 17.03.2023 erklärte letzterer, dass geplant sei, dass der Antragsteller ab April 2023 nicht mehr nur als Minijobber, sondern als sozialversicherungspflichtige Vollzeitkraft im Döner-Imbiss angestellt werde. Aktuell arbeite er lediglich ein bis zwei Stunden täglich im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung. Krankenversichert sei er über das Jobcenter, da er hier aktuell noch Leistungen beziehe. Das Jobcenter wisse schon darüber Bescheid, dass eine Vollzeitstelle ab April 2023 geplant sei (Bl. 45ff. der Ermittlungsakte). Zum 18.02.2023 gab der Imbissbetreiber an, dass der Antragsteller lediglich ab und zu im Lokal gewesen sei und an besagtem Tag lediglich eingesprungen sei, da er selbst gesundheitlich verhindert gewesen sei.
12
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft … vom 19.09.2023 wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen des Verdachts des unerlaubten Aufenthalts ohne erforderlichen Aufenthaltstitel (Az. …) nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt (Bl. 361 der Ausländerakte).
13
Mit Bescheid der Stadt … vom 14.12.2023 wurde der Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer I). Er wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von drei Tagen nach Vollziehbarkeit des Bescheids zu verlassen (Ziffer II), widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer III). Gegen den Antragsteller wurde gemäß § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet, das auf die Dauer von drei Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristet wurde (Ziffer IV). Der Sofortvollzug der Ziffer 4 wurde angeordnet (Ziffer V). Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 21.04.2022 bzw. 17.01.2023 wurde abgelehnt (Ziffer VI).
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfülle. Am 18.02.2023 sei er dabei angetroffen worden, wie er einer Beschäftigung nachgegangen sei. Zum Zeitpunkt des Aufgriffs durch das Hauptzollamt … sei der Antragsteller nicht im Besitz eines gültigen Visums (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) oder einer Aufenthaltserlaubnis (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) gewesen. Zwar habe er in der Vergangenheit ein Visum gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besessen, dieses sei jedoch auf seine Tätigkeit im „…“ in … beschränkt gewesen. Mit der Ausübung einer Beschäftigung ohne erforderlichen Aufenthaltstitel (§ 4a AufenthG) habe der Antragsteller eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 4 SGB III begangen.
15
Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse i.S.d. § 55 Abs. 1 AufenthG könne der Antragsteller für sich nicht in Anspruch nehmen. Zudem stehe ihm als türkischem Staatsangehörigen kein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei zu, da er die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 und damit auch diejenigen der § 53 Abs. 3 und 3a AufenthG nicht erfülle.
16
Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Antragstellers überwiege dessen Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Der Antragsteller sei zwar durch den Besitz eines gültigen Visums erlaubt in das Bundesgebiet eingereist, er sei aber unerlaubt einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Familiäre Bindungen oder sonstige soziale Bindungen im Bundesgebiet bestünden nicht und seien auch nicht geltend gemacht worden. Ausweisungszweck sei die Abschreckung anderer Ausländer vor einem gleichartigen Verhalten (Generalprävention). Es solle damit gezeigt werden, dass ein Ausländer, der hier Straftaten begehe, grundsätzlich ausgewiesen und abgeschoben werde. Dies gelte insbesondere für Ausländer, die – wie der Antragsteller – unerlaubt einer Beschäftigung nachgingen. Gerade durch die unerlaubte Ausländerbeschäftigung entstehe ein nicht unerheblicher volkswirtschaftlicher Schaden, den die Allgemeinheit zu tragen habe. Ausweisungszweck sei darüber hinaus auch die Spezialprävention, d.h. die Verhinderung neuer Straftaten durch den Antragsteller. Aufgrund seines gegenüber der Ausländerbehörde gezeigten Gesamtverhaltens und seiner Persönlichkeit bestehe eine begründete Wiederholungsgefahr, die es rechtfertige und erforderlich mache, die Ausweisungsermächtigung auch aus spezialpräventiven Gründen anzuwenden.
17
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde – unter Abwägung aller bekannten für und gegen den Antragsteller sprechenden Umstände – in Ausübung des eingeräumten Ermessens für die Dauer von drei Jahren nach erfolgter Ausreise bzw. Abschiebung angeordnet. Die sofortige Vollziehung der Ziffer VI werde im Fall des Antragstellers ausnahmsweise angeordnet, weil das öffentliche Interesse am Sofortvollzug unter Abwägung mit den privaten Interessen des Antragstellers über jenes hinausgehe, welches den Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots selbst begründe, § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Der Antragsteller sei aus general- und spezialpräventiven Gründen ausgewiesen worden. Diese präventive Zielsetzung rechtfertige und erfordere die ausnahmsweise Anordnung des Sofortvollzugs.
18
Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 21.04.2022 werde gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 und § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abgelehnt.
19
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18.01.2024, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen, hat der Antragsteller Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.12.2023 erhoben, die diesseits unter dem Az. B 6 K 24.46 anhängig ist. Zugleich beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Ausweisung des Antragstellers auf der Grundlage falscher Tatsachen verfügt worden sei. Zudem lägen die Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG nicht vor. Daher bestehe das behauptete schwerwiegende Ausweisungsinteresse nicht. Insbesondere lägen die Voraussetzungen einer Ausweisung aus general- und spezialpräventiven Gründen nicht vor. Der Antragsteller sei am 18.02.2023 im Imbissgeschäft „…“ keiner unerlaubten Beschäftigung nachgegangen. Der Vorgang sei Gegenstand eines Strafverfahrens gewesen. Das gegen den Antragsteller eingeleitete Strafverfahren sei gemäß § 153a StPO wegen geringer Schuld eingestellt worden. Die Einstellung sei seitens des Antragstellers aus prozessökonomischen Gründen akzeptiert worden. Aus der Strafakte ergebe sich, dass kein aussagekräftiger Nachweis bestehe, dass der Antragsteller tatsächlich bereits eine unerlaubte Arbeit im Geschäft „…“ aufgenommen habe. Es habe sich lediglich um eine Probearbeit ohne Vergütung gehandelt. Der Beobachtungszeitraum des Zolls sei sehr kurz gewesen, um allein aufgrund der Zeitdauer eine unerlaubte Beschäftigung annehmen zu können. Es treffe auch nicht zu, dass weiteres Personal nicht anwesend gewesen sei. Auf Bl. 69 der Strafakte heiße es: „Anm.: Als … alleine die Kundin bedient hat, waren im Nebenraum weitere drei Mitarbeiter des Imbisses anwesend.“ Verhindert gewesen sei allein der Inhaber des Imbisses. Der Antragsteller habe lediglich kurzfristig zur Probe für ihn einspringen wollen. Angesichts dieses Sachverhalts könne eine Straftat, welche ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfülle, nicht mit der notwendigen Sicherheit angenommen werden. Zwar bedürfe es zur Annahme des vorgenannten Ausweisungsinteresses keiner strafgerichtlichen Verurteilung. Die Antragsgegnerin könne sich vorliegend jedoch nicht auf eine eigenständig vorgenommene Überprüfung berufen, da diese von falschen Voraussetzungen ausgegangen und somit ungeeignet sei, um einen dringenden Tatverdacht zu belegen. Überdies würde es sich bei dem von Antragsgegnerseite angenommenen Verstoß tatsächlich lediglich um einen vereinzelten und geringfügigen Verstoß handeln. Aus der Ausländerakte ergebe sich kein Hinweis auf einen weiteren Verstoß. Zudem belege die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO die Geringfügigkeit des von Antragsgegnerseite angenommenen Verstoßes. Somit lägen die Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG nicht vor. Damit entfielen auch die Erwägungen der Antragsgegnerin zur General- und Spezialprävention. Obwohl seitens der Antragsgegnerin die Genehmigung einer Arbeitstätigkeit konsequent hintertrieben worden sei – so sei auf aktenkundige Anträge des Antragstellers nicht einmal eine Antwort erfolgt – und man den Antragsteller lange Zeit in der mit erheblichen finanziellen Verlusten verbundenen Ungewissheit gehalten habe, ob doch noch eine Genehmigung erfolge, solle dieser nun unter Hinweis auf einen Ausweisungstatbestand für drei Jahre keine Gelegenheit mehr haben sich erneut um ein Visum zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach dem Fachkräftezuwanderungsgesetz zu bewerben. Soweit die Antragsgegnerin meine, dass an der Beschränkung der Erwerbstätigkeit im Allgemeinen ein erhebliches öffentliches Interesse bestehe, weil nur so die Steuerung und Begrenzung des Aufenthalts von Ausländern effektiv verwirklicht werden könne, gelte diese Prämisse nicht uneingeschränkt. Die Öffnung des Zugangs zur Erwerbstätigkeit sei durchaus ebenfalls ein staatliches Interesse, um dem Facharbeitermangel zu begegnen. Der Antragsteller sei über das Fachkräftezuwanderungsgesetz nach Deutschland gekommen. Das Interesse, Fachkräfte auch aus Drittstaaten anzuwerben, überwiege daher das Interesse an der Begrenzung der Zuwanderung bzw. lasse dieses im konkreten Fall in den Hintergrund treten.
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Mit Schriftsatz vom 26.01.2024 beantragt die Antragsgegnerin,
22
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Ausweisungsverfügung wegen eines vorliegenden Rechtsverstoßes gegen geltende Rechtvorschriften (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und § 4a AufenthG) verfügt worden sei. Für einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, gerichtliche Entscheidungen und behördliche Verfügungen sei die objektive Rechtswidrigkeit ausreichend. Der Rechtsverstoß sei durch das Hauptzollamt … am 18.02.2023 festgestellt worden, als der Antragsteller in Ausübung einer nicht genehmigten Beschäftigung bei der Fa. „…“ in … angetroffen worden sei. Der Rechtsverstoß müsse keine Straftat gewesen sein. Auch die Erfüllung des Tatbestands einer Ordnungswidrigkeit reiche für das Vorliegen eines Rechtsverstoßes als Ausweisungsgrundlage aus. Ähnlich wie im Falle einer Straftat sei es nicht erforderlich, dass ein bestandskräftiger Bußgeldbescheid vorliege. Zwar sei der Rechtsverstoß vereinzelt gewesen, jedoch sei er nicht als geringfügig einzuordnen. An der Beachtung der aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen der Erwerbstätigkeit bestehe im Allgemeinen ein erhebliches öffentliches Interesse, weil nur so die vom Aufenthaltsgesetz bezweckte Steuerung, Gestaltung und Begrenzung des Aufenthalts von Ausländern in Deutschland (§ 1 Abs. 1 AufenthG) effektiv verwirklicht werden könne. Daher begründe die Ausübung einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich einen Rechtsverstoß von erheblichem Gewicht, so dass ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gegeben sei. Der Antragsteller könne sich nicht darauf berufen, dass das Strafverfahren wegen geringer Schuld gemäß § 153a StPO eingestellt und unter Auflagen und Weisungen von der Verfolgung abgesehen worden sei. Zumal es sich insoweit lediglich um das Verfahren wegen unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet (nicht Gegenstand der Ausweisungsverfügung) und nicht um die unerlaubte Beschäftigung gehandelt habe.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakte, die digital vorgelegten Behördenakten sowie die beigezogene staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte (Az. …) verwiesen.
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1. Der gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, ist entsprechend des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers nach §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO sachdienlich als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 18.01.2024 gegen die Ziffern III, IV und VI des Bescheids der Antragsgegnerin vom 14.12.2023 auszulegen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO), da der Klage gegen die Ausweisung in Ziffer I des Bescheides ohnehin aufschiebende Wirkung zukommt.
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2. Der so verstandene Antrag ist zulässig.
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Der gegen Ziffer III (Abschiebungsandrohung) des angefochtenen Bescheides erhobenen Anfechtungsklage kommt gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Art. 21a Satz 1, Art. 29 Abs. 1, Art. 29 Abs. 2 Nr. 4, Art. 24 Satz 1, Art. 36 Abs. 1 Satz 1 VwZVG keine aufschiebende Wirkung zu, so dass sich insoweit ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO als statthaft erweist.
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Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer IV des Bescheides vom 14.12.2023) ist gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar, so dass die dagegen erhobene Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. VGH BW, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996.19 – InfAuslR 2020, 106/111f.). Der in Ziffer V des gegenständlichen Bescheides insoweit ausgesprochenen Sofortvollzugsanordnung hätte es im Hinblick darauf nicht bedurft. Trotz des missverständlichen Gesetzeswortlauts („Befristung“) entfällt aufgrund von § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG die aufschiebende Wirkung der Klage sowohl hinsichtlich der Anordnung als auch hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, weil es sich insoweit um einen einheitlichen, nicht teilbaren Verwaltungsakt handelt (VGH BW, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – BeckRS 2019, 29732; vgl. auch BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 47/20 – NVwZ 2021, 1842 Rn. 10).
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Soweit sich der Antragsteller gegen die verfügte Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 21.04.2022 bzw. 17.01.2023 wendet, kommt der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ebenfalls keine aufschiebende Wirkung zu. Da seinem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die gesetzliche Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zukam, hat die Ablehnung dieses Antrags zugleich die Beendigung der Fiktionswirkung zur Folge, wodurch der Antragsteller gemäß § 50 Abs. 1 Alt. 2 und § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, so dass einstweiliger Rechtsschutz insoweit über § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu suchen ist (BayVGH, B.v. 17.7.2019 – 10 CS 19.1212 – juris Rn. 8f. m.w.N.). Zwar lebt hierdurch die vorherige Fiktionswirkung nicht wieder auf (VGH BW, B.v. 21.1.2020 – 11 S 3477/19 – juris). Durch die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung endet dann aber die Vollziehbarkeit der (weiter) bestehenden Ausreisepflicht, mithin kann der Betreffende nicht abgeschoben werden (VGH BW, B.v. 20.9.2018 – 11 S 1973/18 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 28.10.2014 – 10 C 14.2002 – juris Rn. 14). Nachdem der Antragsteller noch vor Ablauf des noch bis zum 17.05.2022 gültigen Visums am 21.04.2022 die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt hat, ist die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eingetreten und der vorliegende Eilantrag auch insoweit zulässig.
29
3. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO erweist sich in der Sache auch als begründet.
30
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen (§ 84 Abs. 1 AufenthG) oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – juris). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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a) Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Für den Erlass eines auf eine Ausweisung bezogenen Einreise- und Aufenthaltsverbots genügt die Wirksamkeit der Ausweisung. Weder die Bestandskraft noch die Vollziehbarkeit der Ausweisung ist Voraussetzung für den Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Dieses soll im Falle der Ausweisung gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung erlassen werden (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
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Da der Antragsteller ausgewiesen und das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung erlassen wurde, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Verbots keine Bedenken. Angesichts der weitreichenden und gravierenden Folgen, die ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Betroffenen nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG hat, kann im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nicht unberücksichtigt bleiben. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordert, dass bei der gerichtlichen Kontrolle eines Einreise- und Aufenthaltsverbots im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO eine inzidente Überprüfung der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der Ausweisung erfolgt (vgl. VGH BW, B.v. 21.1.2020 – 11 S 3477/19 – juris Rn. 76).
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Nach derzeitigem Sachstand erweist sich die Ausweisung des Antragstellers als nicht offenkundig rechtmäßig.
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Die Ausweisung des Antragstellers findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Demnach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (stRspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, B.v. 18.10.2022 – 19 ZB 22.1499 – juris Rn. 19).
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Ob ein öffentliches Ausweisungsinteresse im Fall des Antragstellers tatsächlich besteht, erscheint fraglich. Namentlich ist die Argumentation der Antragsgegnerin, wonach sich das öffentliche Ausweisungsinteresse aus der Nichtbeachtung einreise- und aufenthaltsrechtlicher Vorschriften ergibt, rechtlich zweifelhaft. Nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG zwar schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
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Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist nach derzeitiger Aktenlage aber zunächst nicht zweifelsfrei feststellbar, dass der Antragsteller gegen Aufenthaltsbestimmungen verstoßen hat, insbesondere unerlaubterweise einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Denn es kann bereits nicht als nachgewiesen angesehen werden, dass der Antragsteller im Lokal „…“ überhaupt eine Erwerbstätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 2 AufenthG, § 7 SGB IV ausgeübt hat. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist eine Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach Satz 2 dieser Vorschrift eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Annahme der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe im Imbiss „…“ gearbeitet, beruht auf den anlässlich der Überprüfung des vorgenannten Lokals am 18.02.2023 getätigten Beobachtungen von Beamten des Hauptzollamtes … Danach arbeitete der Antragsteller am 18.02.2023 im Zeitraum von ca. 19.30 bis 20.00 Uhr im vorgenannten Dönerimbiss, bediente Kunden, bereitete Speisen zu und führte diese Tätigkeiten zum Teil alleine aus (vgl. Aktenvermerk vom 21.02.2023, Bl. 348 der Ausländerakte). Im Rahmen seiner Vernehmung durch Beamte des Hauptzollamtes, bei der auch Vertreter der zuständigen Ausländerbehörde anwesend waren, gab der Antragsteller am 28.02.2023 an, dass er bislang noch nicht bei „…“ gearbeitet habe. Er sei lediglich ein paar Mal dort gewesen, um sich die Arbeit anzuschauen und erklären zu lassen. Ab und an habe er den Imbiss aufgesucht und wisse auch, wie man einen Döner zubereite. Gearbeitet habe er eigentlich nicht. Zur fraglichen Zeit am 18.02.2023 sei der Chef – glaube er – beschäftigt gewesen, so dass der Antragsteller übernommen habe, gearbeitet habe er jedoch nicht, was auch daran zu erkennen gewesen sei, dass er keine Arbeitskleidung getragen habe (vgl. Vernehmungsniederschrift, Bl. 341ff. der Ausländerakte). Zwar ergeben sich – insbesondere unter Berücksichtigung der Einlassungen der Schwester des Betreibers des „…“-Imbisses, die auf Vorhalt eines Lichtbildes des Antragstellers gegenüber den Beamten des Hauptzollamtes angab, dass es sich bei dem Betreffenden um ihren Mitarbeiter aus … handele (vgl. Aktenvermerk vom 06.03.2023, Bl. 346 der Ausländerakte) – durchaus Hinweise darauf, dass es sich bei der Behauptung des Antragstellers, er habe lediglich unentgeltlich und zur Probe im Dönerimbiss ausgeholfen, um eine Schutzbehauptung handelt. Die insoweit bestehenden Anhaltspunkte reichen indes nicht aus, um hinreichend sicher zu belegen, dass der Antragsteller tatsächlich bereits eine Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV ausgeübt hat. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass jegliche Feststellungen zu dem tatsächlichen Umfang der angeblichen Tätigkeit des Antragstellers sowie insbesondere auch zu der Höhe der ihm gewährten Leistungen fehlen. Angesichts dessen kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei der seitens des Hauptzollamtes beobachteten Mithilfe des Antragstellers im Dönerimbiss um ein unentgeltliches Probearbeiten oder eine bloße Gefälligkeit ohne entsprechende Vergütung gehandelt hat. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Staatsanwaltschaft … das eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen des Verdachts des unerlaubten Aufenthalts ohne erforderlichen Aufenthaltstitel mit Verfügung vom 19.09.2023 gemäß § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt hat. Zwar setzt die Einstellung nach § 153a StPO einen hinreichenden Tatverdacht voraus, weil nur dann dem Beschuldigten die Übernahme der ihm auferlegten Pflichten zugemutet werden kann (BayVGH, B.v. 28.5.2019 – 10 ZB 19.436 – juris Rn. 5). Auch kann nach Nr. 55.2.2.3.2 AVwV zu § 55 AufenthG a.F. eine mit Strafe bedrohte Tat nach Einstellung des Strafverfahrens als geringfügig eingestuft werden, wenn der wegen dieser Tat festgesetzte Geldbetrag nicht mehr als 500,00 Euro beträgt, während der Antragsteller vorliegend einen Geldbetrag von 600,00 Euro (Bl. 123 der Strafakte) zu zahlen hatte.
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Allerdings erscheint das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG selbst im Fall einer nachgewiesenen Beschäftigung des Antragstellers zweifelhaft. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den Antragsteller würde eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 4 SGB III darstellen. Nach § 404 Abs. 2 Nr. 4 SGB III handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 4a Abs. 3 Satz 4 AufenthG eine Beschäftigung ausübt. Nach § 4a Abs. 3 Satz 4 AufenthG ist, wenn ein Aufenthaltstitel – wie hier – zum Zweck der Ausübung einer bestimmten Beschäftigung erteilt wurde, die Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit verboten, solange und soweit die zuständige Behörde die Ausübung der anderen Erwerbstätigkeit nicht erlaubt hat. Zwar hätte der Antragsteller im Falle einer Erwerbstätigkeit für den „…“-Imbiss gegen § 4a Abs. 3 Satz 4 AufenthG verstoßen und damit wohl den Bußgeldtatbestand des § 404 Abs. 2 Nr. 4 SGB III verwirklicht. Zudem könnte er damit die Strafvorschrift des § 95 Abs. 1a AufenthG verletzt haben, zumal der Antragsteller seit seiner Vorsprache bei der vormals zuständigen Ausländerbehörde am 10.10.2022 wusste, dass er eine neue Arbeitsstelle erst nach Zustimmung der Ausländerbehörde antreten darf (Bl. 275 der Ausländerakte). Überdies stellt die illegale Erwerbstätigkeit keine geringfügige Straftat dar. Auch wenn das Strafverfahren wegen der Straftat letztlich am 19.09.2023 nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt wurde, handelt es sich bei der illegalen Erwerbstätigkeit um eine vorsätzliche Straftat. Vorsätzliche Straftaten stellen grundsätzlich keinen geringfügigen Rechtsverstoß dar (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2003 – 10 B 03.1725), so dass eine illegale Erwerbstätigkeit prinzipiell als geeigneter Anlass für eine generalpräventiv motivierte Ausweisung in Betracht kommt (vgl. VG München, U.v. 1.6.2006 – M 10 K 06.1488 – juris Rn. 15).
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Jedoch könnte es sich vorliegend lediglich um einen vereinzelten und geringfügigen Rechtsverstoß handeln, dem voraussichtlich keine besondere Schwere beizumessen wäre. Dafür spricht letztlich auch die im Falle des Antragstellers angeordnete Geldauflage von 600,00 Euro, welche die im Rahmen der vorgenannten Verwaltungsvorschrift genannte Geringfügigkeitsgrenze von 500,00 Euro nur um 100,00 Euro übersteigt. Auch hat der Antragsteller die Auflage am 08.09.2023 vollständig erfüllt (Bl. 129 der Strafakte). Dass die nach § 404 Abs. 3 SGB III vorgesehene Geldbuße bei bis zu 5.000,00 Euro liegt und damit allenfalls im mittleren Bereich der Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten anzusiedeln ist, spricht weiterhin dafür, dass einem etwaigen Rechtsverstoß des Antragstellers keine besondere Schwere beizumessen wäre. Dies dürfte insbesondere vor dem Hintergrund gelten, dass dem Antragsteller nach Aktenlage lediglich ein einmaliger Verstoß zur Last gelegt werden kann und Ermittlungen zum Umfang der illegalen Erwerbstätigkeit in zeitlicher sowie finanzieller Hinsicht völlig fehlen.
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Selbst wenn man vorliegend von der Verwirklichung des Ausweisungstatbestandes nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ausgehen würde, begründet der mutmaßlich in Rede stehende Verstoß gegen Rechtsvorschriften nach summarischer Prüfung kein spezialpräventives Ausweisungsinteresse, weil es an der erforderlichen Wiederholungsgefahr fehlen dürfte. Bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; B.v. 21.2.2023 – 1 B 76.22 – juris Rn. 11). Bei der Prognose, ob die Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 28 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 28 m.w.N.). Erst die Gefährdung öffentlicher Interessen rechtfertigt aufenthaltsrechtliche Maßnahmen wie die Ausweisung oder die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen eines bestehenden Ausweisungsinteresses und die daraus folgende Ausreisepflicht (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 26; VGH BW, B.v. 18.11.2020 – 11 S 2637/20 – juris Rn. 42 m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend. Zwar war dem Antragsteller ausweislich der obigen Ausführungen die Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit nicht erlaubt. Maßgeblicher Bezugspunkt der Gefahrenprognose ist aber der in der Zukunft liegende Zeitraum, insbesondere ab der hypothetischen Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis, um die im gegenständlichen Verfahren gestritten wird. Das Begehren des Antragstellers zielt auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke einer anderen Erwerbstätigkeit nach § 18a AufenthG ab. Wird ihm dieser Aufenthaltstitel erteilt, ist ein Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen, die ihm eine anderweitige Erwerbstätigkeit derzeit verbieten, ausgeschlossen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller künftig gegen Rechtsvorschriften verstoßen wird, bestehen nicht, zumal er bis dato – abgesehen von der mutmaßlichen Erwerbstätigkeit im Döner-Imbiss – weder strafrechtlich in Erscheinung getreten ist noch ordnungswidrig gehandelt hat. Auch ist in Rechnung zu stellen, dass ihm nach Aktenlage lediglich ein einmaliger Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen am 18.02.2023 zur Last gelegt werden kann, da abgesehen von der einmaligen Kontrolle durch Beamte des Hauptzollamtes und den anschließend durchgeführten Vernehmungen keine weiteren Ermittlungen angestellt wurden, so dass die weitere Sachverhaltsaufklärung – soweit überhaupt möglich – dem gerichtlichen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.
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Darüber hinaus ist es auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich das Ausweisungsinteresse vorliegend ausschließlich auf generalpräventive Erwägungen stützen lässt. Zwar kann eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG auch (alleine) auf generalpräventive Gründe gestützt werden. Vom maßgeblichen weiteren „Aufenthalt“ eines Ausländers, der eine Straftat begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 17). Dabei bedarf es keiner Verurteilung wegen besonders schwerwiegender Delikte für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wie etwa Drogendelikten oder Delikten im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität oder Terrorismus. Erforderlich ist lediglich, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Darüber hinaus sind Art und Schwere der jeweiligen Anlasstat lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 33 m.w.N.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt an ausländerrechtliche Maßnahmen, die allein generalpräventiven Zwecken dienen sollen, besonders hohe Anforderungen. Das gilt nicht nur für die Ausweisung, sondern auch für den Entzug und die Verkürzung eines gültigen Aufenthaltstitels sowie für die Ablehnung der Verlängerung eines bislang innegehabten Aufenthaltstitels (vgl. BVerfG, B.v. 25.8.2020 – 2 BvR 640/20 – juris Rn. 23; B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24). Diese Anforderungen setzen insbesondere voraus, dass die mit der aufenthaltsrechtlichen Maßnahme verfolgten verhaltenssteuernden Zwecke die für den betroffenen Ausländer damit verbundenen Härten überwiegen. Ein generalpräventives Motiv darf nicht zu einer aufenthaltsrechtlichen Reaktion führen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck verletzt. Die Beachtung dieses Verfassungsgrundsatzes erfordert eine Gesamtwürdigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Er schließt schematische Entscheidungen aus (vgl. BVerfG, B.v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 – juris Rn. 24f.; VGH BW, B.v. 18.11.2020 – 11 S 2637/20 – juris Rn.49ff.).
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An der Beachtung der aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen der Erwerbstätigkeit besteht zwar grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse, weil nur so die vom Aufenthaltsgesetz bezweckte Steuerung des Aufenthalts von Ausländern in Deutschland (§ 1 Abs. 1 AufenthG) effektiv verwirklicht werden kann (zur hohen Bedeutung aufenthaltsrechtlicher Steuerungsbestimmungen siehe nur BVerwG, U.v. 25.5.2020 – 1 C 12.19 – juris Rn. 50; U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 24; VGH BW, B.v. 14.1.2020 – 11 S 2956/19 – juris Rn. 21). Die unerlaubte Ausübung einer Erwerbstätigkeit begründet daher grundsätzlich einen Rechtsverstoß von erheblichem Gewicht (VGH BW, B.v. 18.11.2020 – 11 S 2637/20 – juris Rn. 58).
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Das der Rechtsverletzung zukommende Gewicht kann aber hinter die schützenswerten Belange des Ausländers zurücktreten, wenn sie maßgeblich durch ein Verhalten der Ausländerbehörde mitverursacht worden ist (VGH BW, B.v. 18.11.2020 – 11 S 2637/20 – juris Rn. 59; B.v. 10.9.2001 – 11 S 2212/00 – juris Rn. 5; OVG SH, B.v. 18.3.2010 – 8 ME 24/10 – juris Rn. 12). Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die Ausländerbehörde die Ausübung der Erwerbstätigkeit hätte erlauben können und die Versagung der Erlaubnis aufgrund der individuellen Umstände grob unbillig war (VGH BW, B.v. 18.11.2020 – 11 S 2637/20 – juris Rn. 59). Vorliegend hat der Antragsteller bereits unter dem 21.04.2022 die Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels – noch unter Tätigkeit für seinen alten Arbeitgeber, den er erst Ende Oktober 2022 verließ – beantragt, ohne dass die damals zuständige Ausländerbehörde über diesen Antrag innerhalb der nächsten knapp sechs Monate entschied. Auch die in der Folge für den Antragsteller zuständig gewordene Antragsgegnerin hat den Antrag im weiteren Fortgang nicht verbeschieden. Zwar forderte letztere im Dezember 2022 (Bl. 299 der Ausländerakte) ergänzende Unterlagen beim Antragsteller an, die dieser erst nach Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags mit Schreiben vom 30.01.2023 (Bl. 302 der Ausländerakte) vorlegte (Bl. 304ff. der Ausländerakte). Allerdings erging auch in der Folge keine Entscheidung, obgleich die Bundesagentur für Arbeit für die vom Antragsteller beabsichtigten Beschäftigungen am 20.02.2023 ihre Zustimmung erteilte (Bl. 333 der Ausländerakte). Unter Zugrundelegung dieser Abläufe hat das der vermeintlichen Rechtsverletzung des Antragstellers zukommende Gewicht hinter dessen schützenswerte Belange zurücktreten, zumal der Umfang der Rechtsverletzung (Dauer der Tätigkeit für den Döner-Imbiss und dabei vereinnahmte Lohnzahlungen) völlig unklar ist. Die Aufenthaltsbeendigung würde für den Antragsteller unter diesen Voraussetzungen einen schwerwiegenden Eingriff in seine Lebensgestaltung bedeuten. Denn er ist zum Zweck der Beschäftigung im eigens dafür vorgesehenen beschleunigten Fachkräfteverfahren mit einem Visum nach Deutschland gekommen. Der Entzug der vom Gesetzgeber geschaffenen Perspektive dürfte angesichts des geringen Anlasses eine besondere Härte darstellen.
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Da somit erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bestehen, ist die aufschiebende Wirkung der seitens des Antragstellers erhobenen Klage gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots anzuordnen.
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b) Darüber hinaus ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis erhobenen Klage begründet.
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In Anwendung des im vorliegenden Verfahrenen gebotenen summarischen Prüfungsmaßstabs hat der Antragsteller voraussichtlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18a AufenthG.
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Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht nach summarischer Prüfung nicht das Verbot des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegen (s.o.). Ebenso wenig dürfte nach den Ausführungen unter Ziffer 3.a) dieses Beschlusses ein Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestehen.
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Soweit die Antragsgegnerin dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Nichterfüllung des Visumserfordernisses nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegenhält, dürfte § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV einschlägig sein, wonach ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen kann, wenn er ein nationales Visum (§ 6 Abs. 3 AufenthG) besitzt. Diese Voraussetzung lag im Fall des Antragstellers vor. Entscheidend für die Anwendung des § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV ist insoweit der Zeitpunkt der Antragstellung. Ein Ausländer kann einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis oder auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Aufenthaltszweck ohne die Durchführung eines Visumverfahrens im Bundesgebiet beantragen, wenn er zu diesem Zeitpunkt im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist; erforderlich ist dabei der tatsächliche „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der Antragstellung; die Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG genügt nicht (BayVGH, U.v. 17.8.2020 – 10 B 18.1223 – juris Rn. 31 m.w.N.). Vorliegend hat der Antragsteller bereits am 21.04.2022 die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt. Zu diesem Zeitpunkt war das ihm erteilte Visum noch bis zum 17.05.2022 gültig. Seinem ausdrücklichen Wortlaut nach erstreckt sich die Privilegierungswirkung des § 39 Satz 1 AufenthV – abgesehen von den Spezialfällen der Nrn. 7, 9 bis 11 bzw. der Nr. 8 (i.V.m. Satz 2), die ausdrücklich nur für Erstantrags- bzw. Verlängerungsfälle gelten – sowohl auf das Einholen als auch die Verlängerung eines Aufenthaltstitels. Sie erfasst daher neben der Verlängerung eines bestehenden Aufenthaltstitels zum fortbestehenden Aufenthaltszweck auch die erstmalige Titelantragstellung zu einem abweichenden Aufenthaltszweck, die sich rechtlich als Form des Zweckwechsels darstellt (vgl. Wittmann in: Klaus/Wittmann, AufenthV, 2022, § 39, Rn. 16 m.w.N.), so dass sich der seitens des Antragstellers ab Ende Oktober 2022 beabsichtigte Zweckwechsel in Form des Wechsels des Arbeitgebers ebenfalls als unschädlich darstellt.
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Darüber hinaus dürften die weiteren Regelerteilungsvoraussetzungen (vgl. § 5 AufenthG) sowie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für den Aufenthalt zum Zweck der Beschäftigung nach § 18 AufenthG vorliegen. Insbesondere verfügt der Antragsteller gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG über ein konkretes Arbeitsplatzangebot hinsichtlich einer Vollzeitbeschäftigung als Koch bei einer … Pizzeria (vgl. Arbeitsvertrag vom 18.01.2023, Bl. 319 der Ausländerakte). Auch lag diesbezüglich bereits die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nach § 39 AufenthG vor (Bl. 333 der Ausländerakte), vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Darüber hinaus wurde mit Bescheid der IHK ... vom 25.10.2021 gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG festgestellt, dass die in der Türkei erworbenen Berufsqualifikationen des Antragstellers mit dem deutschen Referenzberuf „Koch“ gleichwertig sind. Es handelt sich daher beim Antragsteller um eine Fachkraft mit Berufsausbildung i.S.v. § 18 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG.
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c) Schließlich ist auch im Hinblick auf die Klage gegen die in Ziffer III des Bescheides vom 14.12.2023 verfügte Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Zwar setzt die Androhung der Abschiebung nicht die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 AufenthG, sondern nur deren Bestehen voraus.
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Der Antragsteller ist zwar wegen der Ausweisung zur Ausreise verpflichtet (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da die Ausweisung ungeachtet der aufschiebenden Wirkung der Klage wirksam ist (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und der Aufenthaltstitel des Antragstellers damit erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Die Ausreisepflicht des Antragstellers ist jedoch nicht vollziehbar, da gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Ausreisepflicht erst vollziehbar ist, wenn der Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist. Der Verwaltungsakt, durch den der Antragsteller ausreisepflichtig wird, ist die Ausweisungsverfügung in Ziffer I der angegriffenen Verfügung. Diese ist jedoch mangels Anordnung des Sofortvollzuges gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO und mangels gesetzlicher Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (vgl. § 84 Abs. 2 AufenthG) nicht sofort vollziehbar. Der Antragsteller ist als Konsequenz aus der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Versagung des Aufenthaltstitels so zu behandeln, als bestünde die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG fort, weshalb es an der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG und damit auch der Abschiebungsandrohung gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt.
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Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sich die gesetzte Ausreisefrist von drei Tagen nach Vollziehbarkeit des Bescheids als rechtswidrig erweisen dürfte. Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Zwar kann nach Satz 2 der Vorschrift eine kürzere Frist gesetzt werden, allerdings nur, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn (1.) der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder (2.) von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Ein derartiger Fall wurde vorliegend von Antragsgegnerseite nicht dargelegt.
53
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.1, 8.2, 1.1.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs.